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I
Tb'O S'si'J .2c.b
HARVARD
COLLEGE
LIBRARY
;
Philosophische BiblioM
oder
Sammlung
der
Hauptwerke der Philosophie
alter und neuer Zeit.
Heransgegeben^ beziehungsweise übersetzt , erläutert
und mit Lebensbeschreibungen versehen
von
J. H. Y. Eirchmann.
Vierter Band.
Benedict von Spinoza's Ethik.
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■<<° '«»oa=i» ctcjoKT «tt=OöoCö- ^^
Berlin, 1868.
Verlag von L. Heimann,
Wilhelms - Strasse No. 91.
Benedict von Spinoza's
Ethik.
Uebersetzt; erläutert
und
mit einer Lebensbesehreibung Spinoza's versehen
von
J. H. T. Kirchmaim.
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Berlin, 1868.
Verlag von L. Heimann^
Wilhelms -Strasse No. 91.
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Vorwort des . Uebersetzers.
Opmoza's,£thik bietet dexa Uebersetzer mehr Schwierig-
keiten, als irgend ein anderes philosophisches Werk alter
oder neuer Zeit. Znn&cbst sind es die Grundbegriffe seiner
Philosophie, welche dem Vorstellen und selbst der Sprache
der heutigen Zeit so fem liiegen, dass die entsprechenden
Worte daf£br in letzterem kaum gefunden werden können.
Sodann besteht bei Spinoza selbst vielfi^ch ein Schwanken
in. der Scharfe seiner Begciffe und epusL Wechsel in ihrer
B^eichnung, welcher die Deutlichkeit der XJebersetzung
ausserordentlich erschwert und leicht den Leser glauben
lassen kann, dass der Fehler nur an dem Uebersetzer
liege. Ferner gebraucht Spinoza viele lateinische Worte
in eia^n yon dem gewöhnlichen TöUig abweichendem
Sinne, und der Uebersetzer. kommt in Zweifel, ob er
auch in;L Deutschen . dem folgen; oder das passendere
Wort wählen soll. Endlich ist die geometrische Beweis-
fOhrungy der^ sich Spinoza, im Geiste seiner, Zeit bedient
und auf dieser- grossen We^ Jegt, weit entfernt,, die
EQarheit des Gedankenganges zu erhöhen» vielmehr ein
Hindemiss .fiU: die natürliche und bündige Weise des Aus-
drucks nnd damit eine ne^e £rs<^weru^g des Verstand-
nisses« >
Der Uebers^zer isjt deshalb fortwähi;end der Ver-
suchung ausgesetzt, diege Mangel,, die zum Theil nur
in der Form liegeu, bei der Ue^>ertragung zu mildern,
Undeutlichkeiten durdi deutlichere Fassung zu klären,
und die schwerfallige,. Breitß der Beweise zu kürzen.
Unzweifelhaft würde die Üebersetzung weit lesbarer und
VI Vorwort des Ucbersetzers.
verständlicher geworden sein, wenn der Unterzeichnete
dieser Versuchung nachgegeben hätte ; allein eine reifliche
Erwägung liess ihn ein solches Vorgehen für unzulässig
erachten.
Eine gute Uebersetzung muss nicht blos das Gute,
sondern auch das Mangelhafte des Originals möglichst
getreu wiedergeben, insbesondere gilt dies für ein Werk
von so hoher Bedeutung, wie Spinoza's Ethik. Spinoza
hat die Hälftie seines Lebens daran gearbeitet, und selbst,
nachdem sie vollendet witr, die letztep. zehn Jahr« seines
Lebensoaki.üur geiei^Bert.v' Unt^-'soUhlefn Ümstäiiden ist
kein Uebersetzer berechtigt , seine eigene bessernde Hand
an das Werk zu legen, vielmehr ist seine erste Pflicht,
dem Werke bei der TJebertragung in das Deutsche seine
volle Eigenthümlichkeit im guten wie im schlimmen SinniB
zu/erhält^n, so weit es der Gteiet der deutschen Sptafene
überhaupt gestattet. <
Sollte dies richtig sein^ 'so idrd der Leder schon die
Lücken uiid Breiten und Unklarheiten mit in den Kauf
nehmen müssen, weiche er- an der Uebersetzung leicht
bemerken wird, und der Unterzeichnete hat Merfür keine
andere Efitschuldigung, als dass er auch hierin nur dein
Originale hat nachfolgen müssen. Aus diesem Grunde
hat von den früheren Üebersetzungeft d«r Etiiik mmig
Gebrauch gemacht werden können. Weit sctew^rer war
indess die Au%abe, die Dunkelheit des Spinoza bei der
Uebertragtmg nicht noch zu vörgrössefm/ ja in das Un-
verständliche und Sinttloee zu verkehren. In im weit
dies dem Unterzeichneten besser wie seinen Vorgängern
gelungen ist, muSs dem Urtheile der Kentier' anh'eim ge-
stellt bleiben.
Der Uöbersetzung ist der^ Meiöische Töxt nach der
Beceiifsion von Brtider zu GmÜde gelegt Worden, welcher
als der correcteste g^ltett kann. Nur bei der Interpunk-
tion ist manches g«änd«H; Wiordeii, da eitle dem ^hin
entsprechende Merpunktiob für dai^ Vönständniss wich-
tiger ist, als man gewöhnlich meint. Die Vorrede'Ton
Jellis und MJey^i"' -welche sich- in der eraten Ausgabe
der Op^apoÄi/itwna-l^efinderti, ist iiiclrt mit übersetzt wor-
d^," da sie -für :dii& Entetöhung' oder das Verständniss
der Ethik ohne Werth ist = und sich lediglicli' damit be-
schäftigt, die Uebereinstimmutig der Ethik mit der Lehre
der Bibel nachzuweisen.
Vorwort des Uebersetzers. VU
Leser, welche nicht bereits genau mit den Gedanken
und der Ausdrucksweise Spinoza^s vertraut sind, also
gerade die Leser, für welche diese Uebersetzung zunächst
bestimmt ist, werden trotz aller auf sie verwendeten
Sorgfalt, unzweifelhsifb an den meisten Sätzen Anstoss
nehmen und über das schwierige Yerstandniss sich be-
klagen. Diesen Lesern wird geratheu/ zunächst sich da-
durch nicht abschrecken zu lassen, auch nicht gleich
nach den Erläuterungen zu greifen, sondern in dem
Studium des "Werkes selbst beharrlich fortzufahren und
zu versuchen, sich mit dem Autor unmittelbar zu ver-
standigen. Es ist dies jedenfalls der richtigste, wenn
auch nicht der bequemste Weg, das Yerstandniss des
Werkes zu gewinnen. Je vertrauter sie mit den Gre-.
danken des Autors auf diesem Wege geworden sind,
desto nützlicher wird sich dann die spätere Benutzung
der Erläuterungen erweisen, welche ihren Zweck nur
erfüllen können, wenn der Leser mit dem Inhalte des
ganzen Werkes bereits bekannt ist; erst dann werden sie
die Klarheit der Auffasöung erhöhen, die weit reichen-
den Beziehungen darlegen und so den Inhalt zum vollen
Eigenthum des Lesers erheben können.
Eine andere Frage ist, ob ein Leser im Jahre 1868
sich von der Lehre Spinoza's befriedigt oder mindestens
überzeugt erklären wird. Diese Frage gehört indess nicht
hierher; hier war nur die, Aufgabe, dem Leser die
Möglichkeifc zu gewähren, diesem grossen Geiste unmittelbar
in seinem Hauptwerke nahe zu treten und so gleichsam
aus eigener Wahrnehmung ein ürtheil über ihn zu fallen.
Jeder einsichtige Leser wird dabei die Grösse der Grund-
gedanken Spinoza's von der mangelhaften Form ihrer 1)ar-
stellung^zu trennen wissen; in jenen war Spinoza seiner
Zeit weit vorausgeschritten, und es mussten mehr als
hundert Jahre verfliessen, ehe die Naturwissenschaft und
die Philosophie aus dem Anfange des neunzehnten Jahr-
hunderts bemerkten, dass ihre Fundamente zum grossen
Theile bereits von Spinoza gelegt worden waren.
Aber auch abgesehen von dem Inhalte wird das Studium
der Ethik Spinoza's eine vortreffliche Schule für die
Ausbildung des philosophischen Denkens nach allen
Eichtungen sein und man kann sicher annehmen, dass
jeder, der das volle Yerstandniss dieses Werkes zu erreichen
Vin Vorwort des Uebersetzers.
vennocht hat, vor keinem andern philosophischen Buche
mehr zurückzuschrecken braucht.
Zur ersten Orientirung des Lesers kann die Einleitung
dienen, welche im I. Bande dieser Sammlung als Lehre
vom Wissen vorausgeschickt worden ist.
Berlin, im September 1868.
V. Kirchmann.
-j-t-
Erklärimg der AbkürzmigeiL.
D. bedeutet: Definition.
E. „ Erläuterung.
A. „ Axiom.
L. M Lehrsatz.
Z. „ Zusatz.
Ln. „ Lehnsatz..
H. „ Heisefaesatz.
S. „ Satz.
ErkL „ Erklärung.
]^*e Zififem in Klammern am Schluss einzelner Sätze be-
ziehen sich auf die Erläuterungen des Herausgebers, welche
in zwei besonderen Heften nachfolgen und unter denselben
Nummern dort aufgeführt sind.
Die in Parenthesen befindlichen Buchstaben und Ziflfern be-
ziehen sich auf die betreffenden Lehrsätze, Definitionen u. s. w.
des Werkes selbst.
■^
Spinozas Leben und Schriften.
JDaruch. oder Benedict von Spinoza wuiUe am
24. November 16B2 in Amsterdam geboren, während
der dreissigjährlge Krieg in Deutschland wüthete. Seine
Familie war mit anderen jüdischen Familien aus Spanien
und Portugal im Anfang des Jahrhunderts nach den
Niederlanden ausgewandert, um dem Druck der Inqui-
sition zu entgehen. Sein Vater war angesehen, nicht
unbemittelt und von gesundem Verstände ; er liess seinem
Sohne eine freie Erziehung geben ; indess beschränkte sich
der Unterricht in der jüdischen Schule ausschliesslich auf
Eeligion und Cultus. Spinoza^s Lehrer, Morteira, preist
den Scharfsinn und die ausgebreiteten Kenntmsse seines
Schülers, und schon in seinem fünfzehnten Jahre galt
Spinoza als ein ausgezeichneter Talmudist
Spinoza war zu dem Studium der Theologie bestimmt.
Die Anfangsgründe des Lateinischen lernte er bei einem
Deutschen; in den klassischen Sprachen vervollkommnete
er sich später bei einem Arzt, Namens van dem Ende,
der öffentlichen Unterricht gab. Während seiner Studien
verliebte sich Spinoza in die Tochter seines Lehrers; ein
Nebenbuhler stach ihn aber durch einen reichen Perlen-
schmuck aus. Die Spuren dieser unglücklichen Liebe
sind noch in der Ethik des Spinoza zu erkennen ; vielleicht
war sie auch der Anlass, dass Spinoaa sich nie ver-
heirathete.
Spinoza äusserte schon als Jüngling sehr freie An-
sichten über Eeligion mad in Folge von Denunciationen
kam die Sache bei den Eichtern der Synagoge zur Sprache;
Da Spinoza zu keinem Wiederruf zu bewegen war, ward
über ihn in seinem 23. Jahre der grosse Bann ausgesprochen
Spinoza, EthiTc. 1
2 Spinoza^s Leben und Schriften.
und er ans der jüdischen Synagoge ansgestossen. Spinoza
nahm dies ziemlich ruhig hin und schloss sich in Folge
dessen auch keiner christlichen Ck>nfession an. Er fand
zunächst Zuflucht in dem Hause seines Lehrers yan dem
Ende. Er erlernte das Schleifen optischer Gläser und
erwarb sich damit seinen Unterhalt. 1660 begab sich
Spinoza nach Bhynsburg und überliess sich dort ganz
den philosophischen Studien. Die Philosophie des Oartesius
stand damals in der Blüthe; Spinoza stadirte sie mit
Eifer, gab auch einem jungen Manne darin Unterricht
und daraus ging sein erstes Werk hervor unter dem Titel:
»Die Grundsätze der Philosophie des Descartes, geometrisch
bewiesen von B. y. Spinoza mit einem Anhange meta-
physischer Untersuchungen, c Obgleich es nur eine Dar-
stellung der Philosophie des Descartes sein soll, so
leuchten doch die eigenen Auffietssungen des Spinoza schon
hindurch; das Werk ist deshalb als Quelle nur mit
Yorsicht zu gebrauchen. Diese Schrift hatte nicht den
Erfolg, den Spinoza erwartet hatte; auch hatte er in dieser
Zeit viel mit äusseren Mühseligkeiten und Unruhen zu
kämpfen. 1664 zog Spinoza nach Voorbarg, eine Meile
vom Haag und 1670 zog er auf Zureden seiner Freunde
ganz nach dem Haag. Hier wohnte Spinoza anfangs bei
der Wittwe van Velden in grosser Eingezogenheit; er
sass auf seinem Zimmer, arbeitete und brachte oft zwei
bis drei Tage zu, ohne jemand zu sehen. Später miethete
er sich der Erspamiss wegen eine billigere Wohnung bei
dem Maler van der Spyk, bei dem er bis zu seinem
Lebensende blieb.
Zwischen 1665 bis 1670 verfasste Spinoza seine
zweite Schrift, den »Tractatus theologico-politicus«, in
welchem zuerst die Grundgedanken des spätem Rationalis-
mus über die Bedeutung der Bibel ausgesprochen sind.
Die Bibel stellt nach Spinoza nur Sittengesetze auf;
sie zielt auf Gehorsam aber nicht auf Erkenntniss der
Wahrheit.
Diese Schrift erregte grosses Aufsehen und erweckte
dem Spinoza eine Menge Feinde. Es entspann sich eine
heftige literarische Fehde und Spinoza gerieth selbst
persönlich dadurch in Gefahren. Dies bestimmte ihn,
von jeder weiteren Veröffentlichung seiner spätem Schriften
abzusehen.
Spinöza's Leihen und Schriften. 3
Zu diesen gehört zunächst der Tractatus politicns, der
unvollendet blieb; dann der Tractatus de Beo et homine
(nicht lange vor 1661 yerfasst), in welchem bereits die
Grundzüge seiner Ethik niedergelegt sind; femer um 1662
der Tractatus de intellectus emendatioue, der unvollendet
blieb; endlich verfasste er von 1662 bis 1665 sein Haupt-
werk, die Ethik, welche er indess bis zu seinem Tode
fortwährend überarbeitet zu haben scheint Das Manu*
Script theilte Spinoza seinen Freunden hier und da mit;
allein der Druck dieser Werke ist auf die ausdrückliche
Anordnung Spinoza^s erst nach seinem Tode erfolgt.
Spinoza hatte verboten, ihn als Autor zu nennen; deshalb
ist der Verfasser nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet.
Spinoza war von mittlerer Statur und dunkler Haut-
farbe. Seine Züge waren regelmässig; lange schwarze
Angenbraunen und schwarze Haare Hessen seine jüdische
Abstammung erkennen. Spinoza lebte ausserordentlich
massig, seine Mahlzeit für den ganzen Tag bestand oft
nur in Milch- oder Hafergrützsuppe; er trank selten
Wein; lehnte Einladungen ab; war in seiner Kleidung
eben so einfach aber sauber und in seinen Geldangelegen-
heiten höchst pünktlich und ordentlich. Bisweilen rauchte
er, und wenn er sich ein Yergnügea machen wollte, fing er
Fliegen, warf sie in ein Spinnenetz und lachte laut über
den Kampf der Fliege mit der Spinne. Er war dabei
gesprächig, leutselig und unterhielt sich vorm Schlafen-
gehen gern mit seinen Wirthsleuten. Bei seines Vaters
Tode nahm er sich nur ein Bett aus der Erbschaft und
Hess das übrige seinen Schwestern. Sein Freund Simon
de Vries wollte ihm einmal 2000 Gulden schenken, allein
Spinoza lehnte es ab mit den Worten: die Natur ist mit
Wenigem zufrieden, und wenn sie es ist, bin ich es auch.
Bas ihm von Vries in dessen Testament ausgesetzte Jahr-
geld von 500 Gulden reduzirte Spinoza selbst auf 300
Grolden, die er bis an sein Lebensende bezogen hat.
Zu seinen Freunden gehörte der Arzt Ludwig Meyer
aus Amsterdam und Heinrich Oldenburg aus Bremen,
Besident des niedersächsischen Kreises bei Cromwell in
London. Spinoza stand mit beiden, so wie mit anderen
bedeutenden Männern in lebhaftem Briefwechsel, und eine
Anzahl dieser Briefe hat Meyer nach Spinoza's Tode,
freilich stark verstümmelt, herausgegeben. Obgleich darin
4 Spinoza's Leben und Schriften.
meist über Spinoza's Philosophie verhandelt wird, so
bieten sie doch nicht die Aufklärung, welche man von
ihnen erwarten sollte; Spinoza beschränkt sich meist auf
Wiederholung der in seiner Ethik aufgestellten Sätze und
zeigt sich für die von Anderen beklagte Dunkelheit der-
selben wenig empMnglich.
Im. Februar 1673 bot ihm der Kurfürst von der Pfalz
die Professur der Philosophie in Heidelberg an. Der
Kurfürst kannte die Schriften des Spinoza und erklärte
ihm nur: dass er erwarte, Spinoza werde die Freiheit
zu philosophiren nicht zum Umsturz der öffentlich fest-
stehenden Religion missbrauchen. Spinoza lehnte indess dies
Anerbieten ab, indem er offen aussprach: »Weil ich nie
Willens war, öffentlich zu lehren, so kann ich diese Ge-
legenheit nicht ergreifen. Erstlich bedenke ich, dass ich
in der Fortbildung der Philosophie zurücktrete, wenn ich
dem Unterricht der Jugend obliege; sodann, dass ich
nicht weiss, innerhalb welcher Grenzen jene Freiheit ge-
halten werden müsse, damit ich die Eeligion nicht
umstürze.«
Spinoza hatte eine schwache Constitution; er litt
seit Jahren an der Auszehrung und nur eine strenge
Diät hatte ihn geistig .frisch und kräftig erhalten können.
Aus seinem Briefe vom 15. Juli 1676 (No. 72) ersieht
man, dass er noch damals, 8 Monate vor seinem Tode,
den lebendigsten Antheil an Wissenschaft und Philosophie
nahm. Sein Tod erfolgte unerwartet und ohne Schmerzen
am 21. Februar 1677. Spinoza hatte noch am Morgen mit
seinen Wirthsleuten gesprochen und seinen Freund Meyer
rufen lassen, in dessen Beisein er verschied. Noch in
seinem Todesjahr erschien seine Ethik mit den oben ge-
nannten Traktaten; sie sind das erhabenste Denkmal,
was seine Freunde ihm setzen konnten.
Seine Werke wurden nach seinem Tode viel in HoUand
und Frankreich aufgelegt, auch ins Holländische und
Französische übersetzt. Später mit Ende des 17.. Jahr-
hunderts trat das Interesse an seiner Philosophie zurück ;
in Deutschland wurde sie von der Leibnitz- Wolf sehen
Philosophie verdrängt , und selbst Kant und Fichte zeigen
sich von Spinoza nicht beeinflusst. In Frankreich und
England liess die vorwiegende empirische Richtung die
Philosophie Spinoza's nicht aufkommen. Erst durch
Spinoza's Leben und Schriften« 5
Leasing nnd Jacob! wurde in Deutschland das Andenken
an Spinoza wieder wach gerufen und erst 120 Jahre
nach Spinoza^s Tode nahmen Schelling und Hegel seine
Grundgedanken wieder auf und erbauten darauf das
System des absoluten Idealismus. Hegel kann deshalb
ohne das Studium des Spinoza nicht wohl verstanden
werden. Seitdem ist die Philosophie Spinoza's in Deutsch-
land wieder zu hohem Ansehen gekommen ^ und die er-
klärenden, kritisirenden, lobenden und tadelnden Schriften
über Spinoza bilden ein langes Yerzeichniss , was in
Ueberweg's Geschichte der Philosophie nachgesehen
werden kann.
Gesammtausgaben seiner Werke sind erschienen von
Paulus, Jena 1802 und 1803; von Gfrörer, Stuttgart
1830; von Bruder, Leipzig 1843. Eine vollständige
deutsche Uebersetzung der Werke Spinoza'« hat geliefert
Ewald, Gera 1791—1793 und Berthold Auerbach,
Stuttgart 1841. Die Ethik allein ist übersetzt von Wolff,
1744 und von Schmitt, Berlin 1811.
Benedict von Spinoza's
Ethik
auf geometrische Weise begründet
m
fünf Theilen, welche handeln:
I. Von Gott.
n. Von der Natur und dem Ursprung der Seele.
in. Von dem Ursprung und der Natur der Affekte.
IV. Von der menschlichen Knechtschaft oder von den Kräften
der Affekte.
V. Von der Macht des Verstandes oder von der menschlichen
Freiheit.
Erster Theil. »)
Von Gott.
D. 1« Unter Ursache seiner verstehe ich das,
dessen Wesen die Existenz einschliesst, oder das, dessen
Natur nur als existirend vorgestellt werden kann. *)
D* 2« Derjenige Gegenstand heisst in seiner Art
endlich, welcher durch einen andern derselben Natur
begrenzt werden kann. So heisst z. B. ein Körper end-
lich, weil man einen anderen, immer noch grösseren, sich
vorstellt. So wird ein Gedanke durch einen anderen Ge-
danken begrenzt. Aber ein Körper wird nicht durch
einen Gedanken und ein Gedanke nicht durch einen Körper
b^renzt. *)
B. 3. Unter Substanz verstehe ich das, was in
sich ist und durch sich vorgestellt wird, d. h. das, dessen
Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegen-
standes bedarf, von welcher sie gebildet werden muss. **)
D. 4. Unter Attribut verstehe ich das, was der
Verstand von der Substanz als das erfasst, was ihr Wesen
ausmacht. ^)
B. 6, Unter Zustand verstehe ich die Erregungen
der Substanz, oder das, was in einem andern ist, durch
das es auch vorgestellt wird. •)
B. 6, Unter Gott verstehe ich das unbedingt un-
endliche Wesen, d. h. die Substanz, welche aus unendlich
vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige und
unendliche Wesenheit ausdruckt. ''')
E. Ich sage: unbedingt unendlich, nicht aber
in seiner Art unendlich. Denn was nur in seiner Art
unendlich ist, von dem können unendlich viele Attribute
10 I. Theil. Von Gott.
yemeint werden; was aber unbedingt unendlich ist, za
dessen Wesen gehört alles, was eine Wesenheit ausdrückt
und keine Verneinung enthält.
D« 1. Derjenige Gegenstand heisst frei, der aus der
blossen Nothwendigkeit seiner Natur existirt und von sich
allein zum Handeln bestimmt wird; nothwendig aber
oder vielmehr gezwungen, der von einem andern be-
istimmt wird zum Existiren und zum Wirken in fester und
bestimmter Weise. •)
B. 8* Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz
selbst, so weit sie aufgefasst wird, als nothwendig folgend
aus der blossen Definition des ewigen Gegenstandes.
E« Denn eine solche Existenz wird, wie die ewige
Wahrheit und wie das Wesen des Gegenstandes airf-
gefasst; sie kann deshalb durch die Dauer oder die Zeit
nicht erklärt werden, wenn man sich auch die Dauer als
des Anfangs und des Endes entbehrend vorstellt.^)
A* 1. Alles, was ist, ist in sich oder in einem an-
deren. 1^)
A. 2. Das, was durch ein anderes nicht aufgefasst
werden kann, muss durch sich selbst aufgefasst werden.^)
A. 8. Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt
nothwendig eine Wirkung, und umgekehrt wenn keine be-
stimmte Ursache gegeben ist, so ist es unmöglich, dass
eine Wirkung folge. ^2)
A. 4. Die Kenntniss der Wirkung hängt von der
Ursache ab und schliesst sie ein. i*)
A. 5. Gegenstände, die nichts mit einander gemein
haben, können auch durch sich gegenseitig nicht erkannt
werden, oder die Vorstellung des einen schliesst nicht die
Vorstellung des anderen ein. ^'*)
A. 6. Eine wahre Vorstellung muss mit ihrem Vor-
gestellten übereinstimmen. ^*) ^
A. 7. Alles, was als nicht existirend vorgestellt
werden kann, dessen Wesen schliesst nicht die Existenz
ein. !•)
L. 1. Die Substanz ist der Natur nach v(»* ihren
Zuständen, ^'^) .
B. Dies erhellt aus D. 3 u. 5.
L. 2, Zwei Sub^tanzerij welche verschiedene AttaH-
bute haberii hohen nichts untei* sich gemein.^^)
I. Theil. Von Gott H
B« Auch dies erhellt ans D. S; denn jede mass in
sich sein und durch sich aufgefasst werden oder die Yor-
stellung der einen schliesst nicht die Yorstellnng der an-
deren ein«
Xi* 3« Gegenstände, die nichts unter sich gemein
liabeTty könnefn de9* eine nicht die Ursaclie des ande9*en
sein, ^•)
B. Wenn sie nichts unter sich gemein haben ^ so
können sie auch nicht einer durch den anderen erkannt
werden (A. 5), folglich kann der eine nicht die Ursache
des anderen sein (A. 4).
!<• 4. Zwei oder mehr verschiedene Dinge unte^*-
seheiden sich entioeder durch den Unterschied der
Attribute der Substcanzenj oder durch den Unterschied
ihrer Zustände.^)
B. Alles was ist^ ist in sich oder in einem anderen
(A. l)y d. h. ausser der Erkenntniss giebt es nichts^ als
Substsmzen und Zustande dieser (D. 3 u. 5). Es giebt
deshalb ausser der Erkenntniss nichts, wodurch mehrere
Dinge sich unterscheiden können, als die Substanzen oder
was dasselbe ist (Art. 4), als die Attribute und die Zu-
stande der Substanzen.
1. 5. In dei* Natur kann es nicht zwei oder mehr
Substanzen von derselben Natur oder von demselben
Attribute geben,^^)
B, Gäbe es deren mehrere verschiedene, so müssten
sie sich entweder durch den Unterschied der Attribute
oder den der Zustände unterscheiden (L. 4). Wäre es nur
durch den Unterschied der Attribute, so wäre damit zu-
gestanden, dass es nur eine Substanz von demselben
Attribut geben könne. Wäre es aber durch den Unter-
schied, der Zustände, so ist doch die Substanz von Natur
vor ihren Zuständen (L. 1); lässt man also diese Zustände
bei Seite und betrachtet die Substanzen in sich, d. h.
wahrhaft (D. 3 u. 6), so kann man nicht vorstellen, dass
sich die eine von der andern unterscheidet, d. h. es kann
nicht mehrere Substanzen geben, sondern nur eine (L. 4).
Ii« 6. £ine Substanz kann nicht von einer anderen
Substanz /lervorgebracht werden.^'^)
12 I. TheiL Von Gott.
B. Es kann in der Katar nicht zwei Substanzen mit
demselben Attribut geben (L, 5), d. li. (L. 2) welche etwas
mit einander gemein haben. Deshalb kann die eine nicht
die Ursache der andern sein (L. 3), oder eine kann nicht
von der anderen hervorgebracht werden.
Z. Daraus ergiebt sich, dass eine Substanz nicht von
etwas Anderem hervorgebracht werden kann. Denn ausser
Substanzen und deren Zustanden giebt es in der Natur
nichts, wie aus A. 1 u. D. 3 u. 5 erhellt Aber von einer
Substanz kann sie nicht hervorgebracht werden (L. 5);
also kann eine Substanz von etwas Anderem unbedingt
nicht hervorgebracht werden.
Ein anderer Beweis. Es lässt sich dies noch
leichter aus dem Widersinnigen des Gegentheils erweisen.
Denn wenn eine Substanz von etwas Anderem hervor-
gebracht werden könnte, so müsste ihre Erkenntniss von
der Erkenntniss ihrer Ursache abhängig sein (A. 4);
folglich wäre sie keine Substanz (D. 3).
L. 7. Zur Natur der Substanz gehört das Exi-
stiren, ^^)
B. Die Substanz kann nicht von etwas Anderem her-
vorgebracht werden (L. 6) , sie wird deshalb die Ursache
von sich sein; d, h. ihr Wesen enthält nothwendig die
Existenz (D. 1), oder die Existenz gehört zu ihrer Natur.
L. 8. Jede Substanz ist nothwendig unendliclu^^)
B. Die Substanz mit einem Attribut existirt nur in
der Einzahl (L. 5) , und zu ihrer Natur gehört das Exi-
stiren (L. 7). Es gehört deshalb zu ihrer Natur, dass sie
nothwendig als endliche oder als unendliche existirt.
Aber das erste ist unmöglich, denn dann müsste sie durch
eine andere Substanz derselben Natur begrenzt werden
(D. 2), die ebenfalls nothwendig existiren müsste (L. 7),
mithin gäbe es zwei Substanzen desselben Attributs, was
widersinnig ist (L. 5). Die Substanz existirt daher als
unendlich.
E. 1. Da das Endlich-Sein in Wahrheit eine theil-
weise Verneinung ist und das Unendliche die unbeschränkte
Bejahung der Existenz irgend einer Natur ist, so folgt
aus dem blossen Lehrsatz 7, dass jede Substanz unendlich
sein muss.
L Theil. Von Gott 13
E. 2« Ich zweifle nicht, dass es Allen, welche Aber
die Dinge verworren artheilen und nicht gewöhnt sind,
die Dinge nach ihren ersten Gründen zu erforschen, schwer
fallen wird, den Beweis des Lehrsatzes 7 zu fassen, weil
sie nämlich nicht zwischen den Zustanden der Substanzen
und diesen selbst unterscheiden und nicht wissen, wie die
Dinge hervorgebracht werden. Daher kommt es, dass sie
den Anfang, welchen sie bei den natürlichen Dingen sehen,
den Substanzen andichten. Denn wer die wahren Ursachen
der Dinge nicht kennt, vermischt alles und lässt ohne
irgend ein Widerstreben seiner Seele sowohl Bäume, wie
Menschen sprechen und die Menschen sich ebenso aus
Steinen wie aus Saamen bilden und jede Gestalt in jede
beliebige andere sich verwandeln. So legt auch der,
welcher . die göttliche Natur mit der menschlichen ver-
mengt, Gott leicht menschliche Affekte bei; insbesondere
so lange ihm unbekannt ist, wie die Affecte in der
Seele hervorgebracht werden. Hätten dagegen die Men-
schen auf die Natur der Substanzen Acht, so würden sie
nicht im geringsten an der Wahrheit des Lehrsatzes 7
zweifeln; ja er würde Allen als selbstverständlich gelten
und zu den allgemeinen Begriffen gezählt werden. Denn
dann würde man unter »Substanz« nur das verstehen.
was in sich besteht und in sich aufgefasst wird, d. h.
dessen Erkenntniss nicht der Erkenntniss eines anderen
Gegenstandes bedarf; unter Zuständen aber das, was
in einem anderen ist und deren Vorstellung von der
Yorstellung des Gegenstandes, in dem sie sind, sich bildet.
Deshalb kann man wahre Vorstellungen von Zuständen,
die nicht existiren, haben, weil, wenn sie auch nicht
wirklich ausserhalb des Verstandes existiren, ihr Wesen
doch in einem Anderen so enthalten ist, dass sie durch
dies Andere erfasst werden können. Aber die Wahrheit
der Substanzen ist ausserhalb des Verstandes nur in ihnen
selbst, weil sie durch sich vorgestellt werden. 'Wenn
daher jemand spräche, er habe die klare und deutliche,
d. h. die wahre Vorstellung von einer Substanz, aber sei
zweifelhaft, ob sie eiistire, so wäre dies wahrhaftig eben
so, als wenn er sagte, er habe eine wahre Vorstellung,
aber er zweifle doch, ob sie nicht eine falsche sei (wie
jedem Aufmerksamen klar ist); oder wenn jemand be-
hauptete, dass eine Substanz erzeugt werden könne, so
14 I. Theü. Von Gott.
behauptete er zugleich, dass eine fälsche Yorstellung zu
einer wahren gemacht worden und ein Verkehrteres kann
man sich nicht vorstellen. Man muss deshalb nothwendig
zugestehen, dass die Existenz der Substanz ebenso, wie
ihr Wesen eine ewige Wahrheit ist
Man kann yon hier aus auch in anderer Weise dar-
legen, dass es nur eine Substanz gleicher Natur geben
kann, und ich halte es der Mühe werth, dies hier zu
zeigen. Um dies ordnungsmassig zu thun, halte man
fest 1) dass die wahre Definition jedes Gegenstandes nichts
enthält noch ausspridit, als ^e Natur des definirten
Gegenstandes. Daraus erhellt 2) dass keine Definition
eine bestimmte Zahl des Einzelnen einschliesst oder aus-
drückt, da sie nur eben die Natur des definirten Gegen-
standes ausdrückt. So drückt z. B. die Definition des
Dreiecks nur die einfache Natm: des Dreiecks aus, aber
keine bestimmte Zahl von Dreiecken. 3) Es ist festzu-
halten, das es von jedem existirenden Gegenstande noth-
wendig eine bestimmte Ursache geben muss, weshalb
er existirt. 4) Endlich ist festzuhalten, dass die Ursache,
weshalb ein Ding existirt, entweder in der Natur und
Definition des existirenden Dinges enthalten sein muss
(nämlich weil die Existenz zur Natur desselben gehdrt),
oder dass es diese Ursache aossorhalb des Dinges
geben muss.
Aus diesen Sätzen folgt, dass wenn eine bestimmte
Zahl yon Einzelnen in der Natur existirt, nothwendig
eine Ursache da sein muss, weshalb gerade diese Zahl
und nicht mehr oder weniger existiren. Wenn z. B. in
der Natur zwanzig Menschen existiren (von denen ich des
leichtern Verständnisses wegen annehme, dass sie zu-
gleich existiren und keine anderen Menschen vorher in
der Natur existirt haben) , so genügt es nicht (um nämlich
den Grund anzugeben, weshalb zwanzig Menschen existiren),
als Ursache die menschliche Natur im Allgemeinen dar-
zulegen, sondern es ist ausserdem nöthig, die Ursache
aufzuweisen, weshalb gerade zwanzig oder nicht mehr
oder weniger existiren; da es nothwendig för jeden eine
Ursache geben muss, weshalb er existirt. Diese Ursache
kann aber nicht in der allgemeinen menschlichen Natur
enthalten sein (No. 2, 3), da die wahre Definition des
Menschen die Zahl zwanzig nicht enthält. Es muss also
L Theil. Von Gott. 15
die Ursache, weshalb* diese zwanzig existiren (No. 4)
und folgeweise, weshalb jeder Einzelne existirt, noth-
wendig aasserhalb eines jeden bestehen. Daraas folgt
unbedingt, dass Alles, von dessen Natnr mehrere Einzelne
existiren kOnnen, nothwendig eine äussere Ursache fQr
seine Existenz haben muss. Da es aber zur Natur der
Substanz, wie hier gezeigt wird, gehört, zu existiren, so
muss ihre Definition die nothwendige Existenz ein-
schliessen und folglich kann man aus ihrer blossen De-
finition ihre Existenz folgern. Aber aus ihrer Definition
folgt nicht die Existenz von mehreren Substanzen (wie
schon in Nr. 2 u. 3 oben gezeigt worden ist). Es folgt
also aus ihr nothwendig, dass nur eine einzige Substan:^
derselben Natur existirt, wie behauptet worden. **)
L. 9, Je mehr Rea lität oder Sein eine jede Saehe
hat, um so mehr Attribute kommen ihr zti.^^)
B. Dies erhellt aus D. 4.
L. 10. Jedes Attribut einer Substanz muss durch
sich aufgefdsst werden,
K Denn das Attribut ist das, was der Verstand von
der Substanz als das auffasst, was ihr Wesen ausmacht
(D. 4), folglich muss es durch sich selbst aufgefasst
werden (D. 3).
E. Hieraus erhellt, dass wenngleich zwei Attribute
als wirklich verschieden aufgefasst werden, d. h. eines
ohne die Hülfe des andern, man doch deshalb nicht
schliessen kann, dass sie zwei Dinge oder zwei ver-
schiedene Substanzen ausmachen. Denn es gehört zur
Natur der Substanz, dass jedes ihrer Attribute dufch sich
aufgefasst wird; da ja alle Attribute, welche sie hat,
immer zugleich in ihr gewesen sind und keines von dem
andern hat hervorgebracht werden können, sondern jedes die
i^lität oder das Sein der Substanz ausdrückt. Es ist
also durchaus nicht widersinnig, einer Substanz mehrere
Attribute beizulegen; im Gegentheil ist nichts in der
Natur einleuchtender , als dass jedes Wesen unter irgend
einem Attribut aufgefasst werden muss, und dass, je
mehr Realität oder Sein es hat, es desto mehr Attribute
haben muss, welche sowohl die Nothwendigkeit oder
Ewigkeit als die Unendlichkeit ausdrücken. Folglich ist
16 I. TheiL Von Gott
auch nichts einleuchtender , als dass ein unbedingt un-
endliches Wesen nothwendig als ein Wesen definirt
werden muss (wie in D. 6 gezeigt worden), was aus un-
endlich vielen Attributen besteht , deren jedes eine gewisse
und unendliche Wesenheit auscbückt. Wenn man aber
fragt, an welchem Zeichen man den Unterschied der
Substanzen erkennen kann, so lese man die folgenden
Lehrsätze, welche zeigen, dass in der Katur nur eine
Substanz existirt und dass diese unbedingft unendlich ist.
Deshalb würde man nach solchem Zeichen vergeblich
suchen. ^
L. !!• Gott^ oder die Substanz^ welche aiis un-
endlich viele7i Attributen besteht, von d^nen jedes eine
ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existirt
nothwendig,
B« Wer dieses bestreitet, der stelle sich vor, wenn
es ihm möglich ist, Gott existire nicht. Also (A. 7)
schliesst sein Wesen, seine Existenz nicht ein. Aber
dies ist (L. 7) widersinnig. Also existirt Gott noth-
wendig. 28)
B. 2. Ein anderer Beweis. Jedem Gegen&tande
muss eine Ursache oder ein Grund zugetheilt werden,
sowohl weshalb er existirt, als weshalb er nicht existirt.
Wenn z. B. ein Dreieck da ist, so muss es einen Grund
oder eine Ursache geben, weshalb es da ist; wenn es
aber nicht da ist, so muss es auch einen Grund oder
eine Ursache geben, welche sein Dasein verhindert oder
welche sein Dasein aufhebt. Dieser Grund oder diese
Ursache muss entweder in der Natur des Gegenstandes
oder ausserhalb desselben enthalten sein. So zeigt,
z. B. die eigene Natur • des Kreises den Grund , weshalb
ein viereckiger Kreis nicht besteht, nähmlich weil er
einen Widerspruch enthält. So folgt die Existenz der
Substanz aus der blossen Natur derselben, weil diese
die Existenz einschliesst (L. 7). Aber der Grund für das
Dasein oder Nicht -Dasein eines einzelnen Kreises oder
Dreiecks ergiebt sich nicht aus ihrer Natur, sondern
nur aus der Ordnung der ganzen körperlichen Natur.
Denn aus ihr muss hervorgehen , dass dieses Dreieck jetzt
nothwendig existirt, oder dass seine gegenwärtige Existenz
unmöglich ist. Dies ist selbstverständlich. Hieraus folgt.
L Theü. Von Gott. 17
dass dasjenige entsprechend existirt, bei dem kein Grand
oder Ursache besteht, welche sein Existiren hindert.
Wenn es also keinen Grund oder Ursache giebt, welcher
das Dasein Gottes hindert oder aufhebt, so folgt, dass
er nothwendig da ist. Gäbe es einen solchen Grund oder
Ursache, so mfisste sie entweder in der eigenen Natur Gottes
od^ ausserhalb derselben bestehen, d. h. in einer anderen
Substanz von anderer Natur. Denn wäre sie von derselben
Natur, so wäre damit eingeräumt, dass es Gott gebe.
Wäre die Substanz anderer Natur, so könnte sie mit
(rott nichts gemein haben (L. 2), also auch sein Dasein
weder setzen noch aufheben.
Da also ein Grand oder eine Ursache, welche die
göttliche Existenz aufhöbe, es ausserhalb der göttlichen
Natar nicht geben kann, so wird nothwendig in ihrer
Natur selbst der Grund fCb- ihre Nichtexistenz enthalten
sein müssen, was mithin einen Widerspruch einschlösse.
Es ist widersinnig, von dem- unbedingt unendlichen und
höchst Yollkommenen Wesen dies zu behaupten. Also
giebt es weder in Gott noch ausserhalb Gottes eine
Ursache oder einen Grund, welcher seine Existenz auf-
höbe; Gott existirt also nothwendig. ^)
B. 3. Ein anderer Beweis. Das Nicht-Existiren-
Können ist ein Unvermögen und dagegen das Existiren-
Können ein Vermögen (wie sich von selbst ergiebt)). Wenn
also das, was schon nothwendig existirt , nur endliche Wesen
sind, 80 sind diese mächtiger, als das unbedingt unendliche
Wesen, und dies ist widersinnig (wie sich von selbst
ergiebt).
Es existirt mithin überhaupt gar nichts oder es
existirt nothwendig auch ein unbedingt unendliches Wesen.
Aber wir selbst existiren entweder in uns selbst oder in
einem anderen, welches nothwendig existirt (A. 1 u. 7).
Also existirt nothwendig ein unbedingt unendliches Wesen
d. h. Gott (D. 6). »«)
E. In diesem letzten Beweise habe ich die Existenz
Gottes von rückwärts auf gezeigt, damit der Beweis leichter
gefasst werde, nicht aber deshalb, weil Gottes Existenz
aus demselben Grande nicht auch gerade zu sich ergäbe.
Denn da das Existirenkönnen ein Vermögen ist, so folgt,
dass je mehr Realität der Natur eines Gegenstandes zu-
kommt, es um so mehr von sich selbst Kräfte hat^ um
Spinoza, Ethik. ^
18 L TheiL Von Gott
zn existiren; folglicli mnss ein unbedingt nnendliches
Wesen, oder Gott ein unbedingt nnendliches Vermögen
zn existiren von sich selbst haben und deshalb unbedingt
eiistiren. Indess mag vielleicht Mancher die Kraft dieses
Beweises nicht leicht fassen^ weil er gewöhnt ist, nur
die Gegenstände zu betrachten, welche von äusseren
Ursachen abfliessen, und weil er darunter das, was schnell
entsteht, d. h. was leicht existirt auch leicht vergehen
sieht, und weil umgekehrt er die Gegenstände für schwie-
riger in ihrer Herstellung hält, d. h. nicht so leicht zur
ExisteiLz zu bringen, von welchen er annimmt, dass mehre-
res zu ihnen gehört. Um dergleichen Vorurtheile zu be-
seitigen, brauche ich hier nicht zu zeigen, in welchem
Sinne der Satz: »Was schnell entsteht, vergeht schnell«
wahr ist; auch nicht ob rficksichtUch der ganzen Natur
Alles gleich leicht ist oder nicht; es genügt die Bemer-
kung, dass ich hier nicht von Gegenständen spreche,
welche durch äussere Ursachen entstehen, sondern nur
von den Substanzen, welche von keiner äusseren Ursache
hervorgebracht werden können (L. 6).
Denn alle Gegenstände, welche aus äusseren Ursachen
entstehen, mögen sie aus vielen oder wenig Theilen be-
stehen, verdanken Alles, was sie an Vollkommenheit oder
Eealität haben, der Kraft einer äusseren Ursache; ihre
Existenz beruht daher nicht auf ihrer eigenen Vollkom-
menheit, sondern nur auf der der äusseren Ursachen.
Dagegen verdankt die Substanz Alles, was sie an Voll-
kommenheit hat, keiner äusseren Ursache; deshalb muss
auch ihre Existenz aus ihrer eigenen Natur hervorgehen,
die folglich nichts Anderes ist, als ihre eigene Wesenheit.
Die Vollkommenheit eines Gegenstandes hebt daher dessen
Existenz nicht auf, sondern setzt sie vielmehr; dagegen
hebt die UnvoUkommenheit sie auf, und wir können deshalb
der Existenz keines Gegenstandes sicherer sein, als der
Existenz eines unbedingt unendlichen oder vollkommenen
Wesens, d. h. Gottes. Denn da sein Wesen alle Un-
voUkommenheit ausschliesst, und die unbedingte Voll-
kommenheit in sich fasst, so hebt es eben dadurch allen
Grund an seiner Existenz zu zweifeln auf und gewährt die
höchste Gewissheit von dessen Existenz, was hoffentlich
auch einem nur massig aufmerksamen Leser einleuchten
wird.
L Theil. Von Gott. 19
L# 12« Es kann kein Attribut einer Substanz wahr-
haft vorgestellt werden, aus dem folgtey dass die Sub-
stanz getheilt werden könne. •*)
B. Denn die Theile, in welche eine so vorgestellte
Substanz sich theilte, [behalten entweder die Natur der
Substanz oder nicht. Ist ersteres der Fall, dann mnss
jeder Theil unendlich sein (L. 8) und die Ursache seiner
selbst sein (L. 6) und aus einem anderen Attribute be-
stehen (L. 5). Mithin würden aus einer Substanz mehrere
sich bilden, was widersinnig ist (L. 6). Ueberdem wür-
den dann die Theile (L. 2) mit ihrem Ganzen nichts ge-
mein haben, und das Ganze würde ohne seme Theile sein
und vorgestellt werden können (D. 4 L. 10) , was un-
zweifelhaft widersinnig ist. Im zweiten Falle, wenn die
Theile nicht die Katur der Substanz behalten, würde,
wenn die ganze Substanz in gleiche Theile getheilt würde,
sie die Natur der Substanz verlieren und zu sein auf-
hören, was widersinnig ist (L. 7).
L« 13« Eine unbedingt unendlidie Substanz ist
tmüieilbar. **)
B. Wäre sie theilbar, so behielten die Theile, in
welche sie getheilt würde, entweder die Natur einer un-
bedmgt unendlichen Substanz oder nicht. Im ersten Falle
würden sich mehrere Substanzen derselben Natur ergeben,
was widersinnig ist (L. ö). Im zweiten Falle könnte die
unbedingt unendliche Substanz aufhören zu sein, wie
oben gezeigt worden, was ebenfalls widersinnig ist (L. 11).
Z. Hieraus folgt, das keine Substanz und folglich
auch keine körperliche Substanz, als Substanz, theilbar
ist. »8)
E. Die Untheilbarkeit der Substanz erhellt einfacher
daraus, dass man sich die Natur der Substanz nicht
anders als unendlich vorstellen kann, und dass in der
Vorstellung eines Theiles der Substanz, nur eine endliche
Substanz vorgestellt wird, was einen offenbaren Wider-
spruch enthält (L. 8). W)
L. 14. Ausser Gott kann es eine Substanz wedei*
geben noch eine solche vorgestellt werden,
B. Da Gott ein unbedingt unendliches Wesen ist, von
2*
20 I. Theil. Von Gott.
dem kein Attribut verneint werden kann, was die Wesen-
heit einer Sabstanz ausdrückt (D. 6) , und da Gott notb-
wendig existirt (L. 12), so müsste, wenn es eine Substanz
ausser Gott gäbe, dasselbe durch ein Attribut Gottes aus-
gedrückt werden und es würden dann zwei Substanzen
desselben Attributs existiren, was widersinnig ist (K 5).
Also kann es keine Substanz ausser Gott geben und
folglich kann auch keine solche vorgestellt werden.
Denn könnte sie vorgestellt werden, so müsste sie noth-
wendig als existirend vorgestellt werden, dies ist aber
nach dem ersten Theil dieses Beweises widersinnig. Es
kann also ausser Gott eine Substanz weder bestehen, noch
vorgestellt werden.^)
Z. 1. Hieraus folgt offenbar, 1) dass Gott nur ein
Einziger ist, d. h. dass es in der Natur nur eine Sub-
stanz giebt (L. 6) und dass diese unbedingt unendlich ist,
wie ich schon in der E. zu L. 10 angedeutet habe.
Z. 2. Es folgt 2), dass das ausgedehnte Bing und
das denkende Ding entweder Attribute Gottes sind (A. 1)
oder Zustände von den Attributen Gottes.^®)
L. 16. Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann
ohne Gott sein oder vorbestellt werden,
B. Ausser Gott giebt es keine Substanz und kann
keine vorgestellt werden (L. 14), d. h. es giebt ausser
Gott keinen Gegenstand, der in sich ist und durch sich
vorgestellt wird (D. 3). Die Zustände aber können ohne
Substanz weder sein noch vorgestellt werden (D. 5), des-
halb können diese nur in der göttlichen Natur sein und
durch sie allein vorgestellt werden. Ausser den Sub-
stanzen und ihren Zuständen giebt es aber nichts (A. 1).
Daher kann nichts ohne Gott sein oder vorgestellt wer-
den. »')
E. Es giebt Menschen, welche Gott sich vorstellen,
als wenn er, wie ein Mensch, aus einem Leib und einer
Seele bestände und als wenn er den Leidenschaften unter-
worfen wäre. Indess erhellt aus dem bisher Dargelegten
zur Genüge, wie weit diese von der Kenntniss des wahren
Gottes sich irrthümlich entfernen, und ich lasse diese
Meinung bei Seite. Denn Alle, welche die göttliche Natur
einigermassen betrachtet haben, bestreiten, dass Gott
körperlich sei; sie beweisen das am besten dadurch, dass
I. Theil. Von Gott. v 21
man unter Körper irgend eine lange, breite, tiefe und in
irgend einer Gestalt begrenzte Grösse sich vorstelle, und
von Gott als einem unbedingt unendlichen Wesen nichts
Widersinnigeres als dies aussagen könne. Indess erhellt
aus anderen Gründen, womit sie dasselbe beweisen wollen,
dass sie die körperliche oder ausgedehnte Substanz selbst
von der göttlichen Katur überhaupt fem halten und sie
als Yon Gott erschaffen ansehen. Dabei können sie aber
durchaus nicht angeben, aus welcher göttlichen Macht
dieselbe hätte geschaffen werden können; was klar zeigt,
dass sie das, was sie behaupten, selbst nicht verstehen.
Ich glaube wenigstens klar bewiesen zu haben (L. 6 Z.
L. 8 E. 2), dass keine Substanz von einer anderen hervor-
gehracht oder geschaffen werden kann; femer, dass es
ausser Gott keine Substanz giebt und keine vorgestellt
werden kann (L. 14). Daraus habe ich gefolgert, dass
die ausgedehnte Substanz eines von den unendlich vielen.
Attributen Gottes sei.
Indess will ich zur mehreren Verdeutlichung die
Gründe der Gegner widerlegen, welche sich sämmtlich
auf Nachfolgendes zurückführen lassen. Erstens meinen
sie, dass die körperliche Substanz als Substanz aus Thei-
len bestehe und deshalb bestreiten sie, dass sie unendlich
sein oder Gott zukoDunen könne. Man erläutert dies durch
eine Menge Beispiele, von denen ich eins und das andere
auswählen will. Man sagt, dass, wenn die körperliche
Substanz unendlich sei, so könne man sich vorstellen, dass
sie in zwei Theile getheilt werde ; jeder Theil müsse dann
entweder endlich oder unendlich sein. Im ersten Falle
würde das Unendliche aus zwei endlichen Theilen ge-
hildet, was widersinnig sei; im letzten Falle gäbe es ein
Unendliches, was doppelt so gross sei als ein anderes
Unendliche; was auch widersinnig sei. Ferner sagt
man, dass wenn man eine unendliche Grösse mit einem
Maasse von der Grösse eines Fusses messe, sie aus un-
endlich vielen solchen Theilen bestehen müsse; dasselbe
gelte für ein Maas von der Grösse eines Zolles. Somit
wäre eine unendliche Zahl zwölfmal grösser als eine
andere unendliche Zahl. Endlich sagt man, dass wemi
man sich zwei Linien, ab und ac vorstellt, die aus
22 I. Theü. Von Gott.
einem Punkte einer gewissen unendlichen Grösse sich in
einem festen und bestimmten anfanglichen Abstände ohne
Ende forterstrecken, dann sicherlich der Abstand zwischen
b und c sich fortwährend vergrössern und aus einem be-
stimmten zuletzt ein unbestimmbarer werden werde.
Da nun solche widersinnige Folgen, wie man meint,
hervorgehen, sobald man die Grösse als unendlich an-
nehme, so schliesst man, dass die körperliche Substanz
endlich sein müsse und deshalb nicht zum Wesen Gottes
gehören könne. Einen zweiten Grund nimmt man eben-
falls von der höchsten Vollkommenheit Gottes her. Man
sagt, Gott könne nicht leiden, da er ein höchst voll-
kommenes Wesen sei; die körperliche Substanz aber könne
leiden, da sie theilbar sei; also folge, dass sie nicht zum
Wesen Gottes gehören könne. Dies sind die Grunde,
welche ich bei den Schriftstellern finde und durch welche
sie zu zeigen suchen, dass die körperliche Substanz der
göttlichen Natur unwürdig sei und ihr nicht zukommen
könne.] »^
Wer indessen recht Acht hat, wird bemerken, dass
ich auf diese Gründe schon geantwortet habe. Sie laufen
alle darauf hinaus, dass die körperliche Substanz aus
Theilen bestehe, was ich schon als widersinnig dargelegt
habe (L. 12 Z. L. 13). Wer die Frage richtig erwägt,
wird finden, dass alle jene Widersinnigkeiten, die ich als
solche anerkenne, aus denen jene den Schluss auf die
Endlichkeit der ausgedehnten Substanz machen, nicht die
Folge der vorausgesetzten Unendlichkeit der Grösse sind,
sondern daraus entspringen, dass man die unendliche
Grösse als messbar annimmt und dass sie aus endlichen
Theilen sich zusammensetze. Diese verkehrten Folgen be-
weisen also vielmehr, dass die unendliche Grösse nicht
messbar ist und nicht aus endlichen Theilen besteht; ein
Satz, den ich bereits oben bewiesen habe (L. 12). Der
Pfeil, den jene gegen uns richten, trifft also .in Wahrheit
I. Theü. Von Gott. 23
sie selbst. Wenn sie also selbst ans ihrer widersinnigen
Folgerung doch darlegen wollen, dass die ausgedehnte
Substanz endlich sei, so thun sie wahrhaftig dasselbe,
als wenn Jemand voraussetzt, ein Kreis habe die Eigen-
schaften eines Vierecks und nun folgert, dass der Kreis
keinen Mittelpunkt habe, von dem alle zum Umring ge-
zogenen Linien gleich wären. Sie nehmen an, dass die
körperliche Substanz aus endlichen Theilen bestehe, viel-
fach und theilbar sei, um daraus ihre Endlichkeit zu
folgern; obgleich sie doch nur unendlich, einzig und un-
theilbar vorgestellt werden kann (L 8. 5. u. 12). Ganz
ebenso nehmen Andere an, dass die Linie aus Punkten
zusammengesetzt ist, und wissen dann eine Menge Gründe
aufzufinden, aus denen sie zeigen, dass die Linie nicht
unendlich theilbar sei. Gerade so widersinnig ist es,
wenn man die körperliche Substanz aus Körpern oder
Theilen zusammensetzt, als wenn man den Körper aus
Oberflächen, die Oberflächen aus Linien, und die Linien
endlich aus Paukten zusammensetzt. Dies müssen alle
einräumen, welche wissen, dass die klare Vernunft un-
trüglich ist, besonders die, welche leugnen, dass es eine
leere Stelle im Baume gebe. Denn könnte die körperliche
Substanz so getheilt werden, dass ihre Theile wirklich
unterschieden wären, weshalb sollte denn nicht ein Theil
vernichtet werden können, während die übrigen so wie
vorher mit einander verbunden blieben? und warum sollten
denn alle so aneinandergepasst sein, dass keine leere
Stelle dazwischen bleibe? Denn Dinge, welche wirklich
von einander unterschieden sind, können' sicherlich eins
ohne das andere sein, und in ihrem Zustande verbleiben.
Da es aber kein Leeres in der Wirklichkeit giebt (worüber
anderwärts), sondern alle Theile so zusammentreffen
müssen, dass kein Leeres bleibt, so folgt auch hieraus, dass
sie nicht real von einander unterschieden werden können,
d. h. dass die körperliche Substanz als Substanz untheil-
bar ist. Wenn man indess die Frage erhebt, wesshalb
der Mensch von Natur so geneigt ist, die Grösse zu
theilen, so antworte ich, dass die Grösse von dem
Menschen auf zweierlei W'eise vorgestellt wird; einmal
abstrakt oder oberflächlich, wie man sie in dem bildlichen
Vorstellen auffasst, und dann als Substanz, was blos vom
Verstände geschieht. Meint man die Grösse in der blos
24 I- Theü. Von Gott.
"bildlichen Vorstellung, was gemeinhin nnd am leichtesten
geschieht, so erscheint sie endlich, theilbar und aus
Theilen zusammengesetzt; stellt man sich aber die Grösse
so vor, wie sie im Verstände ist und so wie sie Sub-
stanz ist, was allerdings sehr schwer geschieht, dann
wird man finden, dass sie unendlich, einzig und untheil-
bar ist, wie bewiesen worden ist.
Dies wird für Jeden klar sein, der zwischen bildlichem
Vorstellen und Erkenntniss zu unterscheiden versteht. Ins-
besondere, wenn man noch bedenkt, dass die Materie
überall dieselbe ist, und dass man nur dann Theile in ihr
unterscheiden kann, wenn man sie sich in verschiedenen
Zustanden vorstellt. Deshalb lassen sich die Theile in
ihr nur zuständlich aber nicht wirklich unterscheiden.
So nehmen wir z. B. von dem Wasser als Wasser an,
dass es getheilt werden könne und seine Theile sich von
einander trennen lassen; dies gilt aber nicht, wenn das
Wasser als körperliche Substanz aufgefasst wird; da ist
es weder trennbar noch theilbar. Ebenso entsteht und
verdirbt das Wasser als Wasser, aber als Substanz wird
es weder erzeugt noch verdorben. — Hiermit glaube ich
auch den zweiten Grund widerlegt zu haben, der ebenfalls
darauf gestützt wird, dass die Materie als Substanz theilbar
und aus Theilen zusammengesetzt sei.
Wäre dies aber auch nicht, so wüsste ich doch nicht,
weshalb die Materie der göttlichen Natur unwürdig sein
sollte, da es ausser Gott keine Substanz giebt, von der
sie leiden könnte (L. 14). Ich sage Alles ist in Gott
und Alles was geschieht, geschieht nur durch die Gesetze
der unendlichen Natur Gottes, und alles folgt aus der
Nothwendigkeit seines Wesens , wie ich bald zeigen werde.
Man kann daher durchaus nicht behaupten dass Gott von
etwas Anderem leide oder dass die ausgedehnte Substanz
der göttlichen Natur unwürdig sei, selbst wenn man sie
als theilbar annehme, sobald sie nur als ewig und un-
endlich anerkannt wird.
Doch genug hiervon för jetzt. *ß)
L. 16. Aus der Nothwendigkeit der göUh'ehen
Natur mu8s Unendliches auf unendlicifi viele Weise
folgen^ d. h. Alles, was von einem unendlichen Ver-
stand erfasst werden kann.
L Thea Von Gott, 25
B. 1. Dieser Lehrsatz mnss jedem klar werden, sobald
er Acht hat, dass der Verstand aus der gegebenen De-
finition irgend eines Gegenstandes verschiedene Eigen-
schaften ableitet, die in Wahrheit aus ihr (d. h. aus dem
Wesen der Sache) noth wendig folgen, und zwar um so
mehrere, je mehr Bealität die Definition der Sache aus-
druckt und je mehr Realität das Wesen des definirten
Gegenstandes enthält. Da nun die göttliche Natur un-
bedingt unendlich viele Attribute hat (D. 6) von denen
jede eine unendliche Wesenheit in ihrer Art ausdrückt,.
so muss aus deren Kothwendigkeit Unendliches auf un-
endlich viele Weise nothwendig folgen (d. h. alles, was
von einem unendlichen Verstand erfasst werden kann). •*)
Z. 1. Hieraus ergiebt sich 1) dass Gott die wirksame
Ursache von allen Dingen ist, welche von einem unend-
lichen Verstand erfasst werden können.
Z. 2. Es ergiebt sich 2) dass Gott diese Ursache
dnrch sich ist, und nicht durch ein Hinzutretendes.
Z. 3. Es ergiebt sich 3) dass Gott unbedingt die
erste Ursache ist. -*<>)
L, 17. Gott handelt nur nach den Geseizens einer
Natwi', und nicht aus einem Zwange^ den er von
jemand erlitte.
B. Ich habe soeben in L. 16 gezeigt, dass aus der
blossen Nothwendigkeit der göttlichen Natur, oder was
dasselbe ist, aus den blossen Gesetzen seiner Natur un-
endlich Vieles unbedingt folge, und in L. 15 habe ich
bewiesen, dass ohne Gott nichts sein oder vorgestellt
werden könne; vielmehr Alles in Gott sei.. Daher kann
es nichts ausser ihm geben, was ihn zum Handeln be-
stimmen oder zwingen könnte und Gott handelt daher
nur nach den Gesetzen seiner Natur, und ohne Zwang
von Jemand.
Z. 1» Hieraus folgt 1) dass es keine Ursache giebt,
welche Gott von Aussen oder von Innen, neben der
Vollkommenheit seiner Natur zum Handeln bestimmte.
Z, 2. Es folgt 2) dass nur Gott eine freie Ursache
ist. Denn nur Gott allein existirt aus der blossen Noth-
wendigkeit seiner Natur (L. 11 und Z. 1 zu L. 14) und
er handelt aus der blossen Nothwendigkeit seiner Natur
26 I- TheiL Von Gott.
(L. 17); er ist daher allein eine freie Ursache
(D. 7). 41)
£• Andere meinen, Gott sei deshalb eine freie Ursache,
^eil er, nach ihrer Ansicht, bewirken kann, dass das
nicht geschieht oder von ihm nicht ausgeführt wird, was
wie angegeben aus seiner Katur folgt oder in seiner
Macht steht. Aber dies wäre gerade so, als wenn man
behauptete, Gott könne bewirken, dass aus der Natur
eines Dreiecks nicht folge, dass dessen drei Winkel
zwei Winkeln gleich seien, oder dass aus einer gegebe-
nen Ursache keine Wirkung folge; was widersinnig ist.
Pemer werde ich unten, ohne Hülfe dieses Lehrsatzes,
zeigen, dass der Natur Gottes weder Verstand noch
Wille zukommt. Ich weiss allerdings, dass Viele meinen,
sie könnten beweisen, der Natur Gottes komme der
höchste Verstand und freier Wille zu; denn sie sagen,
dass sie nichts Vollkommneres kennen und Gott zutheilen
können, als das, was in uns selbst die höchste Vollkom-
menheit ist. Obgleich sie nun Gott in Wirklichkeit mit
dem höchsten Verstände begaben, so glauben sie doch
nicht, dass er von Allem, was er wirklich vorstellt,
auch bewirken könne, dass es existire; denn sie glauben
auf diese Weise die Macht Gottes zu zerstören; hätte er
nähmlich nach ihrer Meinung Alles, was in seinem Ver-
stände wäre, erschaffen, so könnte er dann nichts weiter
erschaffen, was nach ihrer Meinung der Allmacht Gottes
widerstreite. Man zieht es deshalb vor, Gott als gleich-
gültig für Alles anzunehmen, so dass er nichts schafft,
als das, was er mit einem gewissen unbedingten Willen
zu schaffen beschlossen hat. Ich glaube jedoch deutlich
genug bewiesen zu haben (L. 16), dass von der höchsten
Macht oder unendlichen Natur Gottes Unendliches auf
unendlich viele Weise, d. h. Alles nothwendig daraus hervor-
gegangen ist, oder immer mit derselben Nothwendigkeit
folgt, mit welcher aus der Natur eines Dreiecks von
Ewigkeit zu Ewigkeit folgt, dass dessen drei Winkel
gleich zwei rechten Winkeln sind. Gottes Allmacht ist
daher von Ewigkeit wirklich gewesen und wird in der-
selben Wirklichkeit in Ewigkeit bleiben. Auf diese Weise
wird Gottes Allmacht nach meiner Ansicht weit vollkom-
mener hingestellt; ja wenn ich offen sprechen soll, so
scheinen jene Gegner die Allmacht Gottes vielmehr zu
L Thea Von Gott. 27
leupen. Denn sie müssen einranmen, dass Gott un-
endlich Vieles als erschaflFbar vorstellt, was er doch nie-
mals wird schaffen können, weil er sonst, wenn er Alles
w«s er vorstellt schüfe, nach ihnen, seine Allmacht er-
schöpfen und sich unvollkommen machen würde. Um
also Gott als vollkommen anzunehmen , fnüssen sie zugleich
aimehmen, dass er nicht Alles bewirken kann, was in
semer Macht steht. Ich wüsste aber keine Annahme,
welche wiedersinniger wäre und der Allmacht Gottes mehr
widerstritte, als diese.
Nun noch Einiges über den Gott gewöhnlich zu-
getheilten Verstand und Willen.
Sollen Verstand und Wille zu dem ewigen Wesen
Gottes gehören, so muss unter beiden Attributen aller-
dings etwas Anderes als gewöhnlich vorgestellt werden.
Der Verstand und Wille, welche Gottes Wesen bil-
deten, müssten von unserem Verstand und Willen im
höchsten Masse verschieden sein und könnten nur im
Namen übereinstimmen, wie etwa das Sternbild des
Hundes mit dem Hunde als bellendes Thier überein-
stimmt.
Mein Beweis ist folgender: Der der göttlichen Natur
zugehörige Verstand kann nicht, wie nach der gewöhn-
lichen Annahme der unsrige, den vorgestellten Gegen-
ständen zeitlich nachfolgen oder gleichzeitig mit ihnen
sein; denn Gott ist der Ursächlichkeit nach vor allen
Dingen (L. 16, Z. 1). Vielmehr ist die Wahrheit und
das wirkliche Wesen der Dinge so , weil sie in Gottes
Verstände so gegenständlich bestehn. Gottes Verstand,
soweit er die Wesenheit Gottes bildet, ist daher in
Wahrheit die Ursache aller Dinge, sowohl nach ihrer
Wesenheit, wie nach ihrer Existenz. Dieses scheinen
auch diejenigen bemerkt zu haben, welche behaupten,
dass Gottes Verstand, Wille und Macht ein und dasselbe
sei. Da also Gottes Verstand die alleinige Ursache,
sowohl von dem Wesen, wie von der Existenz der Dinge
ist (wie wir gezeigt haben), so muss er selbst noth-
wendig sowohl nach seinem Wesen, wie nach seiner
Existenz von ' den Dingen unterschieden sein. Denn das
Bewirkte unterscheidet sich von seiner Ursache genau in
dem, was es von der Ursache hat. Ein Mensch z. B.
ist wohl die Ursache der Existenz aber nicht der Wesen-
28 I. TheiL Von Gott
heit eines anderen Menschen; denn diese ist eine ewige
Wahrheit. Beide können daher rücksichtlich der Wesen-
heit übereinstimmen, aber in der Existenz müssen sie
von einander unterschieden sein. Deshalb wird, wenn
die Existenz des Einen untergeht, nicht auch die des
Andern untergehen; wenn aber das Wesen des Einen
zerstört und falsch werden könnte, so würde auch das
Wesen des Andern zerstört werden. Etwas also, was
die Ursache sowohl von dem Wesen wie von der Existenz
einer gewissen Wirkung ist , muss sich deshalb von einer
solchen Wirkung , sowohl im Wesen , wie in der Existenz
unterscheiden. Nun ist aber Gottes Verstand die Ursache
sowohl von dem Wesen, wie von der Existenz unseres
Verstandes; Gottes Verstand, soweit er das göttliche
Wesen bildet, ist also von unserem Verstände, sowohl
in Bezug auf Wesen als Existenz unterschieden und
kann nur im !N^amen mit ihm zusammentreffen, wie oben
gesagt worden. In Betreff des Willens kann der Beweis
ebenso gefühlt werden, wie man leicht einsehen wird. '**)
L. 18. . Gott ist von allen Ding&ii die innewoh-
nende und nicht die übergehende Ursache,
B. Alles was ist, ist in Gott und muss durch Gott
vorgestellt werden (L. 15) ; Gott ist also die Ursache der
in ihm seienden Dinge (L. 16, Z. 1); dies ist das Erste.
Ferner kann es ausser Gott keine Substanz geben (L. 14)
d. h. kein Ding, was ausser Gott in sich ist (D. 8).
Gott ist also von allen die innewohnende und nicht die
in Anderes übergehende Ursache. ^
L. 19. Gott oder alle A ttribute Gottes sind ewig.
B. Denn Gott ist eine Substanz (D. 6), welche
nothwendig existirt (L. 11) d. h. zu deren Natur das
Dasein nothwendig gehört (L. 7), oder was dasselbe ist,
aus deren Definition ihr Dasein folgt, also ist er ewig
(D. 8). Dann ist unter den Attributen Gottes das zu
verstehen, was die Wesenheit der göttlichen Substanz
ausdrückt (1). 4) , d. h. was zur Substanz gehört. Dieses
selbst, sage ich, müssen die Attribute enthalten. Aber
zur Natur der Substanz gehört die Ewigkeit (wie ich
schon aus L. 7 bewiesen habe); deshalb muss jedes
I. TheiL Von Gott. 29
«
Attribut die Ewigkeit enthalten und deshalb sind alle
Attribute ewig.
£. Dieser Lehrsatz ergiebt sich auch ganz deutlich
aus der Art, wie ich Gottes Dasein bewiesen habe (L. 11).
Denn aus diesem Beweise ergiebt sich, dass das Dasein
Grottes, wie dessen Wesenheit eine ewige Wahrheit sind.
Endlich habe ich im 19. Lehrsatz des I. Theils von Car-
tesius Philosophischen Principien die Ewigkeit Gottes
noch auf andere Art bewiesen und es ist nicht nöthig,
diesen Beweis hier zu wiederholen. ^)
L. 20. Gottes Dc^ein und Gottes Wesen sind ein
und dctsselbe.
B. Gott und alle seine Attribute sind ewig (L. 19)
d. h. jedes seiner Attribute drückt die Existenz aus (D. 8).
Dieselben Attribute Gottes, welche Gottes ewige Wesen-
heit darlegen (D, 4), legen zugleich sein ewiges Dasein
dar, d. h. dasselbe, was Gottes Wesenheit ausmacht,
macht auch sein Dasein aus; daher ist sein Dasein und
seine Wesenheit ein und dasselbe.
Z, 1. Hieraus folgt 1) dass Gottes Dasein, wie sein
Wesen, eine ewige Wahrheit sind.
Z. 2. Es folgt 2) dass Gott oder alle Attribute
Gottes unveränderlich sind. Denn wenn sie sich der Existenz
nach veränderten, so müssten sie sich auch dem Wesen
nach ändern (t. 19) d. h. (wie sich von selbst vetsteht)
aus wahren falsche werden, und dies ist widersinnig. 45)
L. 21. Alles, was aus der absoluten Natur eines
Attributes Gottes folgt, hat immei* und unendlich
existiren müssen; oder es ist durch dasselbe Attinbut
ewig und unendlich.
B. Wenn jemand dies leugnet, so stelle er sich,
wenn er kann-, vor, dass etwas in einem Attribute Gottes
aus dessen absoluter Natur folgt, was endlich sei und
eme bestimmte Existenz oder Dauer hat, z. B. die Vor-
stellung Gottes in seinem Denken. Das Denken, als
Attribut Gottes, ist aber nothwendig seiner Natur nach
unendlich (L. 11). Nun wird es aber, so weit es die
Vorstellung Gottes hat, als endlich vorausgesetzt. Aber als
endlich kann es nur dann gefasst werden, wenn es durch
das Denken selbst beschränkt wird, und zwar nicht durch
30 I. TheiL Von Gott.
das Denken, in so weit es die Vorstellung Gottes ausmacht
(denn in so weit wird es eben als endlich angenommen);
sondern beschränkt durch das Denken , so weit es die
Vorstellung Gottes nicht ausmacht, was aber doch noth-
wendig existiren muss (L. 11). Damit hat man ein Den-
ken, was die Vorstellung Gottes nicht ausmacht. Mithin
folgt aus Gottes Natur, so weit sie unbedingtes Denken
ist, die Vorstellung Gottes nicht nothwendig (denn es wird
aufgefasst, als mache es die Vorstellung Gottes aus, und
auch nicht), was gegen die Voraussetzung ist Wenn
also die Vorstellung Gottes in seinem Denken oder irgend
etwas in irgend einem Attribute Gottes (es ist gleich-
gültig, welches, da der Beweis allgemein ist) aus der
Nothwendigkeit der absoluten Natur dieses Attributs folgt,
so muss dies nothwendig unendlich sein. Dies war das
Erste.
Ferner kann das, was aus der Nothwendigkeit der
Natur eines Attributs so folgt, keine beschränkte Dauer
haben. Wer dies bestreitet, mag sich vorstellen, dass
Etwas, was aus der Nothwendigkeit und Natur eines
Attributs folgt, in einem Attribut Gottes gegeben sei,
z. B. die Vorstellung Gottes und sein Denken, und man
nehme an, dass sie einmal nicht gewesen sei oder einmal
nicht* mehr sein werde. Da nun das Denken als ein
Attribut Gottes aufzufassen ist, so muss es nothwendig
und unveränderlich existiren (L. 11 u. L. ^0 Z. 2), daher
muss über die Grenzen der Dauer der Vorstellung Gottes
hinaus (denn man nimmt an, dass sie einmal nicht ge-
wesen oder nicht mehr sein wird) das Denken ohne die
Vorstellung Gottes bestehen. Dies ist aber gegen die
Voraussetzung; es ist nämlich angenommen worden, dass
wenn das Denken zugegeben ist, auch die Vorstellung
Gottes nothwendig folgt. Daher kann die Vorstellung
Gottes in seinem Denken, oder etwas, was nothwendig
aus der absoluten Natur eines Attributs Gottes folget,
keine beschränkte Dauer haben, sondern es ist durch dies
Attribut ewig. Das war das Zweite.
Man bemerkt, dass dasselbe von jedem gilt, was in
einem Attribut Gottes aus der .absoluten Natur Gottes
nothwendig folgt. ^•)
L« 22« Alles, was avs einem Attribut Gottes folgte
I. TheiL Von Gott. 3 1
soioeit es in einen solchen Zicstaml vet^setzt ist, welc/te^*^
sowohl nothweiidig wie unendlich durch dasselbe existirt,
mu88 ebenfalls nothwendig und unendlich es^istiren*
B. Der Beweis dieses Lehrsatzes geschieht in der-
selben Art wie der des vorhergehenden.-*')
L. 23« Jeder Zustand^ der nothwendig und unend-
lich ewistirt, ist eine nothwendige Folge entweder der
absoluten Natur eines Attributes Gottes, oder eine»
Attributes, was sich in einem Zustande befindet, der
notJvwendig und unendlich ist» .
B. Denn der Znstand ist in einem Anderen, durch
welches er anfgefasst werden mnss (D. 5), d. h. er kann
blos in Gott nnd blos dnrch Gott anfgefasst werden (L. 15).
Wenn man also annimmt, dass ein Znstand nothwendig
besteht nnd unendlich ist, so mnss Beides nothwendig
gefolgert oder anfgefasst werden durch ein Attribut
Glottes, soweit es als Ausdruck der Unendlichkeit und
Nothwendigkeit der Existenz oder der Ewigkeit (D. 8)
vorgestellt wird, d. h. (D. 6 L. 19) soweit es unbedingt
anfgefasst wird. Also muss ein Zustand, der sowohl
nothwendig wie unendlich existirt, aus der unbedingten
Natur eines Attributes Gottes folgen, nnd zwar entweder
unmittelbar (worüber L. 21) oder vermittelst eines Zn-
standes, welcher aus dessen unbedingter Natur folgt,
d. h.^ (L. 22) welcher sowohl nothwendig als unendlich
eiistirt. ^)
L. 24. Das Wesen der von Gott hervorgebrac/Uert
Dinge schliesst das Dasein derselben nicht eitL
*
B. Es erhellt aus D. 1; denn dasjenige, dessen Na-
tur (in sich nämlich betrachtet) dies Basein einschliesst,
ist ie Ursache seiner selbst und existirt durch die blosse
Nothwendigkeit seiner Natur.
Z. Hieraus folgt, dass Gott nicht blos die Ursache
ist, dass die Dingo zu existiren anfangen, sondern auch,
dass sie zu existiren fortfahren, d. h. (um mich eines
scholastischen Ausdrucks zu bedienen) dass Gott die
Causa essehdi der Dinge ist. Denn mögen die Dinge
nun existiren oder nicht, so finden wir, so oft wir deren
Wesen beachten, dass dies weder die Existenz noch die
Dauer einschliesst. Deshalb kann deren Wesen weder
32 I. Theil. Von Gott.
«
die Ursache ihrer Existenz noch ihrer Fortdauer sein,
sondern nur Gott kann diese Ursache sein, zu dessen
Natur allein das Existiren gehört (L. 14 Z. 1).^^)
L. 25, Gott ist die wirksame Ursache, niehi blos
von dem Dasein y sondern auch von dem Wesen der
JDinge,
B. Wenn dies geleugnet wird, so kann Gott nicht
die Ursache des Wesens der Dinge sein, also kann das
Wesen der Dinge ohne Gott vorgestellt werden (A. 1),
aber dies ist widersinnig (L. 15), daher ist Gott die Ur-
sache auch von dem Wesen der Dinge.
E. Dieser Lehrsatz ergiebt sich deutlicher aus L. 16;
denn aus diesem folgt, dass wenn die göttliche Natur
gegeben ist, daraus sowohl das Wesen als das Dasein der
Dinge nothwendig gefolgert werden muss, und, um es
kurz zu sagen, in dem Sinne, in welchem Gott die Ursache
seiner selbst genannt wird, muss er auch die Ursache
aller Dinge genannt werden. Dies wird sich noch deut-
licher aus dem folgenden Zusatz ergeben.
Z. Die einzelnen Dinge sind nur die Erregungen der
Attribute Gottes oder die Zustande, wodurch die Attribute
Gottes sich auf eine feste und bestimmte Weise dar-
stellen. Der Beweis erhellt aus L. 15 und D. 5.^)
L. 26. Ein Ding , was zii ein&r Wii'ksamkeit be-
stimmet worden ist, ist von Gott nothwendig so bestimmt
worden y und ein Ding, welches von Gott nicht dazu
bestimmt worden, kann sich selbst nicht zur Wirksam-
keit bestim,men,
B. Das, was als das gilt, was die Dinge zu
«iner Wirksamkeit bestimmt, ist nothwendig etwas Po-
sitives (wie von selbst klar ist), deshalb ist Gott nach
der Nothwendigkeit seiner Natur die wirksame Ursache
sowohl von dem Wesen, wie von dem Dasein dieses Po-
sitiven (L. 25 u. 16). Dies war der erste und daraus folgt
auch auf das Deutlichste der zweite Satz. Demi,
wenn ein Ding, was von Gott nicht bestimmt wäre, sich
selbst bestimmen könnte, so wäre der erste Theil dieses
Beweises falsch, was, wie gezeigt worden, wider-
sinnig ist. *^)
L Thea Von Gott. 33
L. 27. Ein Ding, was von Gott bestimmt ist, etwas
zu t/iimy kann sieh diese BestimmiJieit nicht selbst
wieder nehmen,
B. Dieser Lehrsatz erhellt aus A. 3. **)
L.^8. Jedes Eitizelne oder jeder Gegenstand von
mdlicfier und begrenzter Eadstenz kann zum Existiren
imd zum Handeln nwr durch eine andere Ursache be-
stimmt werden f welc/ie wiederum endlich ist und eine
beschränkte Existenz hat Afich diese Sache kann nur
existiren und zum Handeln durch eine andere bestimmt
werden, die wieder endlich ist und eine begrenzte
Existenz liat und so fort ohne Ende,
B» Alles, was zum Sein und Handeln bestimmt ist,
ist von Gott so bestimmt (L. 26 L. 24 Z.). Aber das, was end-
lich ist und eine beschränkte Existenz hat, hat nicht von
der unbedingten Natur eines Attributes Gottes hervor-
gebracht werden können, denn alles, was aus der un-
bedmgten Natur eines Attributes Gottes folgt, ist unend-
lich und ewig (L. 21). Es hat also aus Gott oder aus
einem seiner Attribute folgen müssen, insofern es in einer
gewissen Weise erregt angesehen wird, denn ausser Sub-
stanz und Zuständen giebt es nichts (A. 1 D. 3 und 5)
und die Zustände sind nur Erregungen der Attribute
Gottes (L. 25 Z.). Ebensowenig konnte das Endliche aus
einem Attribut Gottes hervorgehen, soweit es mit einem
Zustand behaftet ist, der ewig und unendlich ist (L. 22).
Hiemach musste das Endliche folgen oder zu seiner
Existenz und Thätigkeit von Gott oder einem seiner
Attribute insofern bestimmt werden, als das Attribut mit
einem Zustand behaftet ist, der endlich ist und eine be-
schränkte Existenz hat. Dies war das Erste.
Femer muss diese Ursache oder dieser Zustand
wiederum (und zwar aus demselben Grunde, aus welchem
schon der erste Satz bewiesen worden ist) von einem
Anderen bestimmt wordwi sein, welcher auch endlich ist
and eine beschränkte Existenz hat, und dieser Letzere
wiederum (aus demselben Grunde) von einem Anderen
4ind so immer fort (aus demselben Grunde) ohne Ende.
E. Da Einiges von Gott unmittelbar hat hervorgebracht
werden müssen, nämlich das, was aus seiner unbedingten
Spinoza, £thik. 3
34 I. Theil. Von Gott.
Natnr nothwendig folgt, und dies Erste das yer-
mittelte, was doch ohne Gott nicht sein noch vorgestellt
werden kann, so ergiebt sich daraus, 1) dass Gott die
unbedingt nächste Ursache der Dinge ist, welche unmittel-
bar von ihm hervorgebracht sind; aber nicht in ihrer
Gattung, wie man sagt. Denn die Wirkungen Gottes
können ohne ihre Ursache weder sein noch vorgestellt
werden (L. 15 L. 24 Z.). Es folgt 2), dass Gott eigentlich
nicht die entfernte Ursache der Einzel-Dinge genannt werden
kann, ausser vielleicht, um sie von denen zu unterschei-
den, welche Gott unmittelbar hervorgebracht hat, oder
vielmehr, welche aus seiner unbedingten Natur folgen.
Denn unter einer entfernten Ursache versteht man eine
solche, welche mit der Wirkung in keiner Weise ver-
knüpft; ist. Aber alles Daseiende ist in Gott und ist von
Gott so abhangig, dass ohne ihn es weder sein noch vor-
gestellt werden kann.*^
L. 29, In der Natur gieht es kein ZufälUgeSf son-
dern Alles ist aus der Notkwendigkeit der götüichen
Natur bestimmt y in einer gewissen Weise zu eadstiren
und zu wirken,
B. Alles Daseiende ist in Gott (L. 15); Gott kann
aber nicht ein zufälliges Wesen genannt werden; denn er
existirt nothwendig und nicht zufallig (L. 11). Ferner
sind die Zustände der göttlichen Natur aus ihr ebenfaUs
nothwendig, nicht aber zufallig erfolgt (L. 16); und dies
gilt, mag die göttliche Natur unbedingt (L. 21) oder in
gewisser Weise zum Handeln bestimmt angesehen wer-
den (L. 27).
Femer ist Gott die Ursache von diesen Zuständen
nicht blos so weit sie einfach existiren (L. 24 Z.), sondern
auch so weit sie zur Wirksamkeit bestimmt aufgefasst
werden (L. 26). Wenn sie von Gott nicht so bestinmit
wären (L. 26), wäre es unmöglich, also nicht zufallig,
dass sie sich selbst bestimmten; und umgekehrt, wenn
sie von Gott bestimmt sind (L. 27), so ist es unmöglich,
also nicht zufallig, dass sie sich diese Bestimmtheit selbst
wieder nehmen. Es ist daher Alles durch die Nothwendig-
keit der göttlichen Natur nicht blos zur Existenz über-
haupt, sondern auch zu einer gewissen Weise der Existenz
und Wirksamkeit bestinunt, und es giebt nichts Zufälliges.
I. Theil. Von Gott. 55
E. Ehe ich weiter gehe, will ich erklären, oder viel-
mehr daran erinnern, was wir unter wirkender Natnr
(natura naturans) nnd unter gewordener Natur (natura na-
tnrata) zu verstehen haben. Ich glaube, es ergiebt sich
schon aus dem Bisherigen, dass wir unter Ersterer das
zn verstehen haben, was in sich ist und durch sich vor-
gestellt wird oder solche Attribute der Substanz, welche
deren ewige und unendliche Wesenheit ausdrücken, d. h.
Gott, soweit er als freie Ursache betrachtet wird (Lu 14
Z. 1 und L. 17 Z. 2.).i
Unter gewordener Natur verstehe ich[]Alles, was aus der
Nothwendigkeit der göttlichen Natur oder irgend eines
göttlichen Attributs folgt, d. h. alle Zustande der gött-
lichen Attribute, insofern sie als solche aufgefasst werden,
welche in Gott sind, und ohne Gott weder sein noch vor-
gestellt werden können. **)j
L. 80. Der Verstand^ mag er in Wtrkliehkett end-
lich oder unendlich seiuy muss die Attribute und die
ZiLstände Gottes auffassen und nichts weiter.
B. Eine wahre Vorstellung muss mit ihrem Vor-
gestellten übereinstimmen (A. 6), d. h. (wie von selbst
klar ist) das, was im Verstände gegenstandlich enthalten
ist, das muss es nothwendig in der Natur geben. In der
Natur giebt es aber blos eine Substanz (L. 14 Z. 1),
nämlich Gott, und keine anderen Zustande, als die in Gott
sind und die ohne Gott weder sein noch vorgestellt wer-
den können (L. 15). Also muss sowohl ein endlicher, wie
ein unendlicher Verstand die Attribute und die Zustände
auffassen und nichts weiter.**)
L. 31. Der Verstand ah wirklicher, mag er endr
lieh oder ufiendlicJi sein, ebenso der Wille, das Be-
gehren, die Diebe u. «, w. gehören zur gewordenen
Natur und nicht zur wirkenden Nattvr,
B. Unter Verstand verstehe ich nämlich (wie von
selbst klar ist) nicht das unbedingte Denken, sondern nur
einen gewissen Zustand des Denkens, welcher von anderen
Zuständen wie Begehren, Liebe u. s. w. sich unterschei-
det und deshalb durch das unbedingte Denken vorgestellt
werden muss (D. 5.), d. h. er muss durch ein Attribut
Gottes, was das ewige und unendliche Wesen seines
3*
36 L TheiL Von Gott.
Denkens ausdrückt, so yorgestellt werden, dass er ohne
dies Attribut weder sein noch yorgestellt werden kann
(L. 15 D. 6). Deshalb gehört er zur gewordenen Natur
(L. 29 E.) und nicht zur wirkenden, wie auch die übrigen
Zustände des Denkens.
£• Der Orund, weshalb ich hier von dem Verstand,
als wirklichen, spreche, ist nicht, weil ich anerkenne, dass
es irgend einen Verstand der Möglichkeit nach gäbe,
sondern ich habe, um alle Verwirrung zu vermeiden, nur
von einem uns völlig klaren Gegenstände sprechen wollen,
nämlich von dem Verstehen selbst, was uns klarer ist
als alles andere. Denn wir können nichts verstehen, was
nicht zu einffl: vollkommneren Kenntniss des Verstehens
beitrüge.*®)
L. 32. Der Wille kann nicht eine freie Ursache,
sondern nur eine nothwendige genannt werden,
B. Der Wille ist nur ein gewisser Zustand des
Denkens, wie der Verstand. Deshalb kann das einzelne
Wollen nur durch eine andere Ursache entstehen oder zur
Wirksamkeit bestimmt werden (L. 28), und diese andere
wieder nur von einer anderen und so fort ohne Ende.
Wird der Wille als unendlich angenommen, so muss er
ebenfalls von Gott zur Existenz und Thätigkeit bestimmt
werden und zwar von Gott nicht als unendliche Substanz,
sondern insofern er ein Attribut hat, was die unendliche
und ewige Wesenheit des Denkens ausdrückt (L. 23).
Mag man sich also den Willen endlich oder unendlich
vorstellen, so erfordert er immer eine Ursache, durch
welche er zum Dasein und zum Handeln bestimmt wird.
Der Wille kann deshalb nicht eine freie Ursache genannt
werden, sondern nur eine nothwendige oder gezwungene
(D. 7).
Z. 1. Hieraus folgt 1), dass Gott nicht aus Freiheit
des Willens handelt.
Z. 2. Es folgt 2), dass Wille und Verstand sich
wie Bewegung und Buhe zu Gottes Natur verhalten, und
überhaupt wie alles Natürliche, was von Gott zur Existenz
und zur Wirksamkeit auf eine gewisse Weise bestimmt
werden muss (L. 29). Denn der Wille bedarf, wie alles
Andere, einer Ursache, von welcher er zum Dasein und
Wirken in gewisser Weise bestimmt wird. Und wenn
I. TheiL Von Gott. 37
aueh ans einem gegebenen Willen oder Verstände un-
endlich Vieles folgt, so kann doch deshalb nicht ge-
sagt werden, das Gott ans freiem Willen handle, so wenig
wie wegen der Folgen der Bewegung und Buhe (denn
auch aus diesen folgt unendlich Vieles) gesagt werden
kann, dass Gott aus freier Bewegung oder freier Buhe
handle. Der Wille gehört deshalb nicht mehr zur Natur
Gottes, als alles andere Natfirliche; yielmehr verhält er
sich zu ihr ebenso wie Bewegung und Buhe und alles
Andere, von dem ich gezeigt habe, dass es aus der Noth-
wendigkeit der göttlichen Natur folgt und von ihr be-
stimmt wird, in gewisser Weise zu existiren und zu
wirken. *'')
L« 33« Die Dinge konnten auf keine andere Weise
und in keiner anderen Ordrmng von Gott liervor-
gebracht werden^ als sie fiet*vorgebraekt sind,
B. Denn alle Dinge sind aus der gegebenen Natur
Gottes nothwendig gefolgt (L. 16) und sind aus der Noth-
wendigkeit von Gottes Natur zum Existiren und Wirken
in gewisser Weise bestimmt worden (L. 29). Wenn also
die Dinge von anderer Natur hätten sein oder in anderer
Weise zur Wirksamkeit bestimmt werden können, so dass
die Ordnung der Natur eine andere wäre, so könnte auch
die Natur Gottes eine andere sein, als sie schon ist, und
dann hätte diese andere auch existiren müssen (L. 11) und
folglich könnte es zwei oder mehr Götter geben, was
widersinnig ist (L. 14 Z. 1). Deshalb konnten die Dinge
anf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung
U. 8. W.**)
£• 1. Nachdem ich hiermit deutlicher, wie Sonnen-
licht, gezeigt habe, dass es durchaus Nichts in den Din-
gen giebt, weshalb sie zufällig genannt werden könnten,
so will ich mit wenigen Worten erklären, was unter Zu-
fällig zu verstehen ist, zuvor aber, was unter Noth-
wendig und Unmöglich zu verstehen ist. Eine Sache
heisst nothwendig entweder rücksichtlich ihres Wesens
oder rücksichtlich ihrer Ursache. Denn das Dasein einer
Sache folgt entweder nothwendig aus ihrem Wesen und
ihrer Definition, oder aus einer gegebenen wirkenden Ur-
sache. Dann heisst auch' aus diesen Gründen eine Sache
unmöglich, weil nämlich entweder ihr Wesen oder ihre
38 L TheiL Von Gott.
Definition einen Widersprach enthalt oder weil es keine
äussere Ursache gie\>ty welche zur Hervorbringung einer
solchen Sache bestimmt ist. Aber zufällig wird eine
Sache aus keinem anderen Grunde genannt, als wegen
Mangels unserer Eenntniss. Denn eine Sache, von der wir
nicht wissen, ob ihr Wesen den Widerspruch einschliesst
oder von der wir wohl wissen, dass sie keinen Wider-
spruch enthält, aber von deren Existenz wir doch nichts
behaupten können, weü die Ordnung der Ursachen uns
yerborgen ist, diese können wir niemals weder für noth-
wendig noch für unmöglich halten, und nennen sie des-
halb zufallig oder möglich. ^9)
E. 2. Aus Yorstehendem folgt offenbar, dass die
Dinge in höchster Yollkommenheit von Gott hervorgebracht
worden sind, da sie aus der gegebenen vollkommensten
Natur gefolgt sind. Auch überweiset dies Gott keiner
ünvollkommenheit, vielmehr hat dessen Vollkommenheit
uns zu dieser Behauptung genöthigt. Aus dem Gegen-
theil dieses Satzes würde sogar offenbar sich ergeben
(wie ich eben gezeigt habe), dass Gott nicht im höchsten
Maasse vollkommen wäre. Denn wären die Dinge in
anderer Weise hervorgebracht worden, so müsste Gott
eine andere Natur zugetheilt werden, verschieden von
der, welche wir aus der Betrachtung eines vollkommen-
sten Wesens ihm zuzusprechen genöthigt gewesen sind.
Indess zweifle ich nicht, dass Viele diese Behauptung als
widersinnig verwerfen werden und sich nicht anschicken
mögen, sie zu erwägen, und zwar aus keinem anderen
Grunde, als weil sie gewöhnt sind, Gott eine andere Frei-
heit zu ertheilen, die sehr verschieden ist von der von
mir dargelegten (D. 6), nämlich einen unbedingten Willen.
Indess zweifle ich auch nicht, dass, wenn sie die Frage
überlegen, und die Beihe meiner Beweise gehörig bei
sich erwägen wollten, sie eine solche Freiheit, wie sie sie
Gott zusprechen, nicht allein als verkehrt, sondern auch
als ein grosses Hindemiss der Erkenntniss entschieden ver-
werfen würden. Ich brauche nicht das zu wiederholen,
was ich L. 17 E. gesagt habe. Doch will ich ihnen zu
Liebe noch zeigen, dass, selbst wenn man zugiebt, der
Wille gehöre zum Wesen Gottes, aus seiner Vollkommen-
heit dennoch folgt, dass die Dinge auf keine andere Weise
und Ordnung von Gott hätten geschaffen werden können.
L Theü. Von Gott. 39
Dies wird sich leicht zeigen lassen, wenn wir das,
was wir den Gegnern selbst zugestehen , überlegen;
nämlich, dass es bloss Yon Gottes Beschluss und Willen
abhänge, dass jede Sache das ist, was sie ist. Denn
ohne dem wäre Gott nicht die Ursache von allen Dingen.
Femer dass alle Beschlüsse Gottes von Ewigkeit her von
Gott selbst beschlossen worden sind, denn ohnedem
würde Gott der ünvollkommenheit und Unbeständigkeit
überwiesen werden.
Da es aber in dem Ewigen kein Wenn und kein
Vor und kein Nach giebt, so folgt daraus, nämlich
ans der blossen Vollkommenheit Gottes, dass Gott es
nicht anders beschliessen konnte und niemals gekonnt
hat oder dass Gott nicht vor seinen Beschlüssen gewesen
ist und nicht ohne sie sein kann.
Aber man sagt, dass aus der Annahme, Gott liätte
eine andere Natur der Dinge gemacht oder hätte von
Ewigkeit her anders über die Natur und Ordnung der
Dinge beschlossen, keine Ünvollkommenheit folge. Wenn
man indess dieses behauptet, so muss man auch zu-
gestehen, Gott könne seinen Entschluss ändern. Denn
wenn Gott über Natur und ihre Ordnung etwas anderes
beschlossen hätte, als er beschlossen hat, das heisst,
dass er etwas Anderes über die Natur gewollt und vor-
gestellt hätte, so hätte er nothwendig einen anderen
Verstand und Willen haben müssen, als er schon hat.
Und wenn man Gott einen anderen Verstand und Willen
znertheilen darf, ohne dabei sein Wesen und seine Voll-
kommenheit zu verändern, was hindert da, dass er seine
Beschlüsse über die erschaffenen Dinge ändern könnte
und doch gleich vollkommen verbliebe? Denn sein Ver-
stand und Wille in Bezug auf die erschaffenen Dinge
und ihre Ordnung bleibt iu demselben Verhältniss zu
seinem Wesen und seiner Vollkommenheit, welcher Art
man ihn sich auch vorstellen mag. Femer erkennen alle
mir bekannten Philosophen an, dass es in Gott keinen
Verstand der Möglichkeit nach gebe, sondem nur einen
wirklichen. Da aber sein Verstand und sein Wille von
seinem Wesen nicht zu unterscheiden sind, was ebenfalls
alle zugeben, so folgt auch hieraus, dass wenn Gott
einen anderen Verstand und Willen wirklich gehabt hätte,
auch sein Wesen nothwendig ein anderes sein müsste.
40 I- Thea Von Gott.
Wären also (wie ich anfänglich gefolgert habe) die Dinge
anders, als sind sind, Yon Gott henrorgebracht worden,
so hätte sein Wille nnd sein Verstand, mithin sein Wesen
ein Anderes sein müssen, was widersinnig ist.
Da also die Dinge anf keine andere Weise nnd Ordnung
von Gott haben hervorgebracht werden können und aus
der höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, dass dies
wahr ist, so kann kein vernünftiger Grund uns überreden,
zu glauben, dass Gott nicht alles, was in seinem Ver-
stände ist, mit derselben Vollkommenheit habe erschaffen
wollen, mit der er es erkennt.
Aber man wird sagen, dass in den Dingen weder
Vollkommenheit noch Unvollkommenheit sei , sondern dass
das in ihnen, weshalb sie vollkommen oder unvollkom-
sind oder gut oder schlecht genannt werden, nur von
Gottes Willen abhänge; so dass, wenn Gott es gewollt
hätte, er auch hätte es bewirken können, dass das, was
jetzt Vollkommenheit ist, die höchste Unvollkommenheit
wäre und umgekehrt.
Aber was wäre dies anderes, als geradezu zu be*
haupten, dass Gott, der das, was er will, nothwendig
erkennt, durch seinen Willen hätte bewirken können, dass
er die Dinge anders erkenne, als er sie erkennt. Dies
wäre, wie ich gezeigt habe, eine grosse Widersinnigkeit.
Ich kann daher ihren Beweisgrund gegen sie selbst
in folgender Weise umkehren: Alles hängt von Gottes
Macht ab. Sollten also die Dinge sich anders verhalten
können, so müsste auch nothwendig Gottes Wille sich
anders verhalten; Gottes Wille kann sich aber nicht
anders verhalten (wie ich eben aus Gottes Vollkommen-
heit bewiesen habe) folglich können auch die Dinge sich
nicht anders verhalten.
Ich gestehe, dass die Meinung, welche alles einem
gewissen gleichgültigen Willen Gottes unterwirft und von
seinem Gutfinden alles abhängen lässt, weniger von der
Wahrheit abirrt als die Meinung derer, welche annehmen,
dass Gott nur handle um des Guten willen. Denn
Letztere scheinen etwas ausser Gott hinzustellen, was
nicht von Gott abhängt, auf das Gott, wie auf ein Muster
bei seinem Handeln Acht hat oder auf welches, wie auf
ein Ziel, er abzielt.
Dies heisst wahrhaftig Gott dem Schicksal (Fatum)
L Theil, Von Gott. 41
unterwerfen. Man kann nichts Verkehrteres von Gk)tt
behaupten, der nach meiner Darlegung sowohl von dem
Wesen wie von der Existenz aller Dinge die erste und
einzige freie Ursache ist. Ich brauche deshalb die Zeit
nicht mit Widerlegung einer solchen Widersinnigkeit zu
verschwenden. ••)
L, 34, Die Macht Gottes ist seine WesenJieit selbst
B. Denn aus der blossen Nothwendigkeit des gött-
lichen Wesens folgt, dass Gott die Ursache seiner selbst
(L. 11) und aller Dinge ist (L. 16 Z.). Also ist die
Macht Gottes, durch die er und alle Dinge sind und
handehi, seine Wesenheit selbst. •*)
L« 35* Alles, was nach unserer Vorstellung in
Gottes Motcht ist, ist notltwendig,
Q. Denn alles, was in Gottes Macht ist, muss in
semem Wesen so enthalten sein (L. 84), dass es aus
demselben nothwendig folgt, also nothwendig ist. •^
L« 36« Es existirt nichts y aus dessen Natur nicht
eine Wirkung folgte. ^
B. Alles was existirt, drückt die Natur und das
Wesen Gottes auf eine gewisse und bestimmte Weise
ans (L. 25 Z.); d. h., Alles, was existirt, drückt die
Macht Gottes, welche die Ursache von allen Dingen ist,
auf eine gewisse und bestimmte Weise aus (L. 34); folg-
lich muss aus demselben eine Wirkung folgen (L. 16). •*)
Anhang. Hiermit habe ich die Natur und Eigen-
schaften Gottes dargelegt; sowie dass er nothwendig
existirt; dass er ein einziger ist; dass er nur aus
der Nothwendigkeit seiner Natur ist und han-
delt; dass er die freie Ursache von allen Dingen
ist und in welcher Weise; dass Alles in Gott ist
und von ihm so abhängt, dass ohne ihm es weder
sein noch vorgestellt werden kann und endlich,
dass Alles von Gott vorausbestimmt worden ist
und zwar nicht aus Freiheit des Willens oder aus einem
nnhedingten Belieben , sondern aus der unbedingten Natur
oder unendlichen Macht Gattes.
Ich habe femer bei jeder Gelegenheit die Vorurtheile
zu entfernen gesucht, welche das Verständniss meiner
42 I- TheiL Von Gott.
Beweise hindern könnten. Da indess noch manche son-
stige Yornrtheile bestehen, welche es anch und zwar
ganz besonders hindern könnten und können, dass man
die Verkettung der Dinge nicht so wie ich sie dargelegt
habe, auffasse, so habe ich es für nöthig erachtet, diese
Vorurtheile hier einer Prüfung durch die Vernunft zu
unterwerfen. Und da alle Vorurtheile, welche ich hier
besprechen will, von dem einen abhängen, dass nach der
gewöhnlichen Meinung alle natürlichen Dinge eines Zweckes
wegen handeln, wie die Menschen; ja dass Gott selbst
unzweifelhaft alles nach einem gewissen Ziele leitet (man
sagt nämlich, Gott habe Alles der Menschen wegen ge-
macht, den Menschen aber, damit er Gott verehre), so
will ich diese Meinung zunächst betrachten.
Ich werde zuerst den Grund suchen, weshalb man
sich meistentheils bei diesem Vorurtheil beruhigt und
weshalb man zu dieser Annahme von Natur geneigt ist;
sodann werde ich dessen Unwahrheit darlegen und
endlich zeigen, wie daraus die Vorurtheile über gut
und böse, über Verdienst und Sünde, über Lob und
Tadel, über Ordnung und Verwirrung, über Schönheit
und Hässlichkeit und über anderes der Art entstanden sind.
Es ist hier nicht der Ort, um dies aus der Natur
der menschlichen Seele abzuleiten; es wird genügen,
wenn ich von dem ausgehe, was von jedermann an-
erkannt worden muss; also davon, dass die Menschen
ohne Kenntniss der Ursachen der Dinge auf die Welt
kommen und dass alle den Trieb haben, das ihnen
Nützliche zu suchen und dass sie sich dessen bewusst sind.
Daraus folgt zunächst, dass die Menschen sich für
frei halten; denn sie sind sich ihrer Begehren und ihrer
Triebe bewusst und denken nicht im Traume an die
Ursachen, welche sie zum Begehren und Wollen ver-
anlassen , da sie diese nicht kennen. Sodann folgt daraus,
dass die Menschen alles um eines Zweckes willen thun, näm-
lich des Nutzens wegen, den sie begehren; daher kommt es,
dass sie immer nur nach den Zwecken des Geschehenen
fragen und sich bei deren Mittheilung beruhigen, da sie
keinen Anlass zu weiteren Zweifeln haben. Können sie
aber diese Zwecke von Anderen nicht erfahren, so bleibt
ihnen nur übrig, auf sich selbst und auf die Zwecke zu
sehen, wodurch sie zu ähnlichen bestimmt zu werden
I. Theil. Von Gott. 43
pflegen. So benrtheilen sie die SiDnesweise des Anderen
nothwendig nach ihrer eigenen. Da sie femer in sich
und ausser sich viele Mittel finden, die zur Erreichung
ihres Nutzens erheblich beitragen, wie z. B. die Augen
zum Sehen, die Zähne zum Kauen, die Kräuter und
Thiere zur Nahrung, die Sonne zur Erleuchtung, das
Meer zur Ernährung der Fische u. s. w., so kommt es
hiervon, dass sie sQles Natürliche gleichsam als Mittel
für ihren Nutzen ansehen; und da sie wissen, dass sie
diese Mittel vorgefunden und nicht selbst eingerichtet
haben, so entstand der Glaube, dass irgend ein Anderer
es sein müsse, der diese Mittel zu ihrem Nutzen bereitet
habe. Denn nachdem sie einmal die Dinge als Mittel be-
trachtet hatten, so konnten sie nicht annehmen, dass
diese sich selbst gemacht hätten, vielmehr mussten sie
aus den Mitteln, welche sie sich selbst herzurichten
pflegen, schliessen, dass es einen oder mehrere Leiter
der Natur gäbe, welche mit menschlicher Freiheit aus-
gestattet, alles für sie besorgt und zu ihrem Nutzen
gemacht haben. Da sie nun von dem Verstände dieser
Leiter niemals etwas gehört hatten, so konnten sie ihr
ürtheil darüber nur nach ihrem Verstände bilden. Daher
ihre Annahme, dass die Götter Alles zum Nutzen der
Menschen leiten, um sich dieselben zu verbinden und von
ihnen in höchsten Ehren gehalten zu werden.
Daher ist es gekommen, dass jeder eine andere Art
der Gottesverehrung sich in seinem Kopfe ausgedacht
hat, damit Gott ihn mehr, wie die Uebrigen liebe, und
die ganze Natur nach dem blinden Begehren und unersätt-
lichem Geize derselben leite. Dies Vorurtheil ist zum Aber-
glauben geworden und hat in den Köpfen tiefe Wurzel
geschlagen; es war der Grund, dass Jeder vor Allem
die Endzwecke der Dinge einzusehen und zu erklären
sich bemühte. Während sie aber zu zeigen suchten, dass
die Natur Nichts umsonst thue, d. h. nichts, was nicht zum
Besten der Menschen diene, so haben sie doch nichts damit
gezeigt, als dass die Natur und die Götter, wie die Men-
schen, sich im Wahnsinn befinden. Man sehe nur, wohin dies
endlich führte! Unter vielem Nützlichen mussten sie auch
vieles Schädliche in der Natur bemerken, wie Stürme, Erd-
beben, Krankheiten«, s. w., und man nahm an, dass diese
daher kommen, weil die Götter über das Unrecht erzürnt
44 L TheiL Von Gott.
wären, was die Menschen ihnen zugefügt hätten and über
die Sünden, die jene bei ihrer Yerelunng begangen hätten.
Obgleich die Erfahrung täglich dagegen stritt nnd durch
unzählige Beispiele zeigte, dass Nutzen und Schaden die
Frommen ebenso wie die Gottlosen treffen, so liess man
doch von dem eingewurzelten Vorurtheile nicht ab. " Denn
es wurde ihnen leichter, diese Erfahrung zu dem anderen
Unbekannten, dessen Nutzen man nicht einsah, «u rechnen
und so sich den gegenwärtigen und eingeborenen Zustand
der Unwissenheit zu bewahren, als das ganze Gkbaude
niederzureissen und ein neues auszudenken. Es galt ihnen
daher als gewiss, dass die Beschlüsse der Götter die
menschliche Fassungskraft; weit übersteigen. Dies allein
hätte hingereicht, dass die Wahrheit dem menschlichen
Geschlecht ewig verborgen geblieben wäre, wenn nicht die
Mathemathik, welche sich nicht mit den Zwecken, sondern
nur mit dem Wesen und den Eigenschaften der Gestalten
beschäftigt, dem Menschen ein anderes Bichtmaass der
Wahrheit gezeigt hätte. Auch können noch andere Ur-
sachen neben der Mathematik bezeichnet werden (deren
Aufzählung indess überflüssig ist), durch welche die
Menschen veranlasst wurden, diese gememen Vorurtheile
zu bemerken und zur wahren Erkenntniss der Dinge über-
zugehen. Damit habe ich das dargelegt, was ich als
Erstes versprochen habe. Um nun aber zu zeigen, dass
sich die Natur keinen Zweck vorgesetzt hat und dass alle
Zwecke nur eine menschliche Einbildung sind, bedarf es
nicht viel. Denn ich glaube, dass dies schon genügend
aus den Unterlagen und Ursachen erhellt, welche diesem
Vorurtheil, wie gezeigt, den Ursprung gegeben haben.
Auch erhellt es aas L. 16 und L. 32 Z., sowie aus
Allem, womit ich gezeigt habe, dass in der Natur Alles
mit einer gewissen ewigen Nothwendigkeit und höchsten
Vollkommenheit vorgeht. Indess will ich noch hinzufügen,
dass durch diese Lehre vom Zweck die Natur überhaupt
umgestossen wird. Denn sie behandelt das als Wirkung,
was in Wahrheit Ursache ist und umgekehrt; femer macht
sie das Frühere in der Natur zu dem Späteren ulid end-
lich das Höchste und Vollkommenste zum Unvollkommen-
sten. Denn (wenn ich die zwei ersten Punkte bei Seite
lasse, weil sie sich von selbst verstehen) so erhellt aus
L. 21, 22 u. 23, dass diejenige Wirkung die voll-
L TheiL Von Gott 45
kommenste ist, welche von Gott unmittelbar hervorgebracht
wird; jemehr Mittelursachen sie zu ihrer Hervorbringung
bedarf, desto unvollkonunener ist sie. Wenn nun aber
die von Gott unmittelbar hervorgebrachten Dinge nur ge-
macht wären, damit Gott seinen Zweck erreichte, so
müssten nothweudig die letzten, derentwegen die früheren
gemacht sind, die vorzüglichsten sein. Auch hebt diese
Lehre die Vollkommenheit Gottes auf, denn wenn Gott
wegen eines Zweckes handelt, so begehrt er nothwendig
etwas, was ihm fehlt Wenn nun auch die Theologen
und Methaphysiker zwischen dem Zweck des Bedürfnisses
mid dem Zweck der Yerähnlichung unterscheiden, so ge-
stehen sie doch zu, dass Gott Alles nur seinetwegen ge-
than hat, und nicht der zu schaffenden Dinge wegen,
weil sie vor der Schö^pfung nichts neben Gott angeben
können, dessentwegen Gott gehandelt hatte. So müssen
sie also einräumen, dass Gott dasjenige, wofür er die
Mittel hat bereiten wollen, entbehrt hat und dass er dies
begehrt hat, wie von selbst klar ist
Es muss hier auch erwähnt werden, dass die Anhänger
dieser Lehre, welche in Aufstellung von Zwecken der
Dinge ihren Scharfsinn zeigen wollten, für den Beweis
ihrer Lehre eine neue Art der Begründung herbeigebracht
haben, indem sie diese nicht auf die Unmöglichkeit, sondern
aaf die Unwissenheit zurückführten, woraus erhellt, dass
dieser Lehre kein anderes Mittel der Begründung zu Ge-
bote gestanden hat. Wenn z. B. ein Stein aus einer Höhe
auf eines Menschen Eopf gefallen wäre und ihn getödtet
hätte, so würden sie auf diese Art beweisen, dass der
Stein gefallen sei, um den Menschen zu tödten; denn wenn
er nicht zu diesem Zweck mit dem Willen Gottes gefallen
wäre, wie hätten da so viele Umstände aus Zufall zu-
sanunentreffen können? (denn oft wirken mehrere zugleich.)
Man wird vielleicht antworten, es sei deshalb so ge-
kommen, weil der Wind geweht und weil den Menschen
sein Weg dahin gefuhrt habe. Aber jene werden darauf
bestehen: Weshalb hat der Wind damals geweht? wes-
halb fährte den Menschen damals sein Weg dahin? Wenn
man darauf erwidert, der Wind sei damals entstanden,
weil das Meer den Tag vorher bei ruhigem Wetter sich
zu bewegen angefangen hatte und weil der Mensch von
einem IVeunde eingeladen worden war; so werden sie
46 I. TheiL Von Gott
wiederum fragen, da des Fragens hier kein Ende ist:
Warum wnrde das Meer unruhig? Weshalh war der
Mensch damals eingeladen? Und so werden sie fort
und fort nach den Ursachen der Ursachen fragen, bis
man zu dem Willen Gottes d. h. zu dem Asyl der Unwissen-
heit seine Zuflucht nimmt.
Ebenso staunen sie bei dem Anblick des Baues des
menschlichen Körpers und weil sie die Ursachen von so
viel Kunst nicht kennen, so schliessen sie, dass er nicht
durch mechanische Kräfte, sondern durch eine göttliche
und übernatürliche Kunst gebildet und so eingerichtet
worden, dass kein Theil den andern verletzt So kommt
es, dass der, welcher die wahren Ursachen der Wunder
aufsucht und sich bestrebt, die natürlichen Dinge, wie
ein Unterrichteter, einzusehen und nicht wie ein Dummer
anzustaunen, hier und da ffai einen Ketzer und Gottlosen
gehalten und als solcher von Denen ausgerufen wird,
welche die Menge als die Dolmetscher der Natur und der
Götter verehrt. Denn diese wissen, dass mit dem Weg-
fall der Unwissenheit auch das Staunen aufhört, d. h. das
einzige Mittel für ihre Beweise und für die . Erhaltung
ihres Ansehens.
Ich lasse dies und gehe nach meinem Plane zu dem
dritten Punkt über. Nachdem die Menschen sich eingeredet
hatten, dass Alles, was geschieht, ihretwegen geschähe,
so mussten sie in jedem Dinge dasjenige für das vor-
zügliche halten, was ihnen am Nützlichsten war und alles
das am höchsten schätzen, von dem sie am angenehmsten
berührt wurden. Daraus mussten sich die Begriffe bilden,
nach welchen sie die Natur der Dinge erklärten, als:
Gut, Schlecht, Ordnung, Unordnung, Warm, Kalt, Schön-
heit, Hässlichkeit u. s. w. Da sie sich für frei hielten,
so entsprangen daraus die Begriffe von Lob und Tadel,
Sünde und Verdienst Diese Letzteren werde ich später
nach Untersuchung der menschlichen Natur erörtern.
Jene will ich aber hier kurz erklären.
Man nannte nämlich alles gut, was zur Gesundheit
oder zur Gottesverehrung nützte, und das Gegentheil
davon schlecht; und da die, welche die Natur der Dinge
nicht einsehen, nichts von den Dingen bejahen, sondern
die Dinge sich nur bildlich vorstellen, und die Vorstellun-
gen für Erkenntnisse halten, so sind sie deshalb von
L TheiU Von Gott. 47
einer Ordnung in den Dingen überzeugt, während sie doch
Yon den Dingen und ihrer Natur nichts wissen. Denn
wenn die Dinge so eingerichtet sind, dasswir bei der sinn-
lichen Wahrnehmung ihre Bilder leicht auffassen und wir
uns ihrer leicht erinnern können, so nennen wir sie gut an-*
geordnet, im andern Falle schecht angeordnet oder verwirrt.
Und weil uns das am liebsten ist, was wir leicht uns bildlich
vorstellen können, so ziehen die Menschen die Ordnung
der Verwirrung vor, als wenn die Ordnung etwas in der
ITatnr, ohne Bücksicht auf unser Vorstellen, wäre. Daher
sagt man, dass Gott Alles in Ordnung erschaffen habe,
und auf diese Weise theilt man ohne es zu wissen, Gott
das bildliche Vorstellen zu ; im Fall man nicht vielleicht vor-
zieht, dass Gott in Bücksicht auf die menschliche Einbildung
alle Dinge so angeordnet habe, dass sie von dieser am
leichtesten bildlich erfasst werden könnten. Man lässt sich
auch hierin nicht dadurch irre machen , dass sich unendlich
Vieles findet, was unser bildliches Vorstellen weit über-
steigt, und Vieles, was es wegen seiner Schwäche verwirrt*
Doch genug davon.
Auch die übrigen Begriffe neben den Formen des
sinnlichen Vorstellens, wodurch die Einbildung in ver-
schiedener Weise erregt wird, sind Nichts und werden
doch von den Unwissenden als die wichtigsten Bestim-
mungen behandelt; weil, wie erwähnt, sie glauben, dass
die Dinge nur ihretwegen gemacht worden seien, nur
weil sie die Natur eines Gegenstandes gut oder schlecht,,
gesund oder faul und verdorben nennen, je nach dem
sie von demselben erregt werden. So nennen sie z. B.
die Gegenstände dann schön, wenn die Bewegung, welche
die Nerven von diesen, durch die Augen dargestellten
Gegenstände empfangen, der Gesundheit zuträglich ist»
Im gegentheiligen Falle heissen sie sie hässlich. Was femer
durch die Nase den Sinn erregt, nennen sie wohlriechend oder
stinkend; was durch die Zunge, süss oder bitter, schmack-
haft; oder unschmackhaft; was durch das Gefühl, hart
oder weich, schwer oder leicht. Wenn die Dinge endlich
die Ohren erregen, so sagt man, dass sie einen Lärm,
Ton oder Harmonie hören lassen, und diese Harmonie
hat die Menschen so irre geführt, dass selbst Gott
nach ihrer Meinung daran sich erfreut. Auch giebt es
Philosophen, die sich überredet haben, dass die himm-
48 I. Theü. Von Gott.
lischen Bewegungen eine Hannonie bilden. Dies Alles
zeigt zur Genüge, dass Jeder nach der Beschaffenheit
seines Gehirns über die Dinge urtheilt, oder yiebnehr die
Erregungen seiner Einbildungskraft für die Dinge selbst
genommen hat. Man darf sich daher (beiläufig bemerkt)
nicht wundern, dass unter den Menschen, wie wir sehen,
soviel Streitigkeiten sich erhoben haben, aus denen endlich
der Skepticismus hervorgegangen ist. Denn wenn auch
die menschlichen Körper in Vielem übereinstimmen, so
vreichen sie doch in noch Mehrerem von einander ab ; daher
hält dies der Eine für gut, der Andere für schlecht. Was
dem Einen geordnet ist, ist dem Andern verworren; was
dem Einen angenehm, ist dem Andern unangenehm. Das-
selbe gilt von allem Uebrigen. Ich lasse es bei Seite,
da hier nicht der Ort ist, um ausfuhrlich darüber zu
handeln und da wir Alle die genügende Erfahrung daran
gemacht haben. Denn in aUer Munde sind die Worte:
> Wieviel Köpfe, soviel Sinne«; »Jeder hat an seinem Sinne
genug«; »So verschieden die Geschmäcke, so verschieden
auch die Köpfe.« Diese Bedensarten zeigen hinlänglich, dass
die Menschen mehr nach dem Zustand ihres Gehirns über
die Dinge urtheilen und über die Dinge mehr phantasiren.
Denn wenn sie die Dinge erkannt hatten, so würden diese,
vrie die Mathematik beweist. Alle, wenn auch nicht an-
locken, doch wenigstens überzeugen.
Wir sehen also, dass alle die Gründe, aus denen die
Menge die Natur zu erklären pflegt, nur verschiedene
Weisen der Einbildung sind, welche von keiner Sache
die Natur anzeigen, sondern nur den Zustand der Ein-
bildungskraft, und weil die Menschen Namen haben,
als wenn die Dinge dazu ausserhalb der Einbildungskraft
existirten, so nenne ich diese nicht Dinge der Vernunft,
sondern Dinge der Einbildung, und so können leicht alle
Beweisgründe, die man gegen mich aus ähnlichen Begriffen
herbeiholt, leicht umgestossen werden. Viele pflegen
uämlich ihren Beweis so zu führen: Wenn alles aus der
Nothwendigkeit der vollkommensten göttlichen Natur ge-
folgt ist, woher kommt dann so viel UnvoUkommenes in
der Natur, als das Untergehen und Faulen der Dinge,
das Verderben und der Gestank der Dinge und die Häss-
lichkeit derselben, welche Ekel erregt, und die Unord-
nung, das Schlechte, die Sünde u. s. w«? Indess können
IL Thdil. üeber die SeeU. 49
sie, wie ich eben bemerkt, leicht widerlegt werden; denn
die YollkoBunenheit 4er Dinge isrt nur nach deren Natur
und Macht zu schätzen, und die Dinge sind nicht des-
halb mehr oder weniger vollkommen, weil sie den Sinn
der Menschen ergötzen oder beleidige und weil m der
m»i9chlich0& Hatur entsprechen oder ihr widerstreiten.
Auf die Frage aber: Warum Gtott nicht alle Menschen
so geschaffen habe, dass sie blos von der Yemunft.sich
leiten liesseiij habe ich nur die Antwort: Weil ihrndiicht
der Stoff fehlte, um Alles vom höchsten bis zu dem
niedrigsten Grade der Yollkommenheit zu schaffen. Oder
um nüch richtiger auszudrücken:. Weil die Gesetze seiner
Nator so umfassend gewesen sind, dass sie zureichten,
um Alles hervorzuMugen, was . von einem unendlichen
Verstände vorgestellt werden kann, wie ich duroh L. 16
bewiesen habe. Dies sind die Yorurtheile, welche ich
hier berühren wollte ; wenn noch andere der Art bestehen
sollten, so wird Jieder sie bei- massigem Nachdenken leicht
berichtigen können.^*)
Zweiter Theil.
lieber die Natur und den Ursprung
der Seele/)
V o r w o r t.
Ich gehe nun. zur Auseinandersetz^ung dessen über,
was aus der Wesenheit Gottes oder des ewigen und un-
endlichen Wesen» nothwendig folgen muss. Diese Aus-
einandersetzung umfasst zwar nicht alles (denn I. L. 16
liäbe ick gezeigt, dass unendlich Vieles auf unendlich
viele Weise aus ihm folgen muss), sondern nur das, was
Spinoza, Ethik. 4
7)0 n. Thefl. üeberdie Seele.
far die Erkenntniss der menschlichen Seele and ihrer
höchsten Seligkeit gleichsam handgreiflich darans herge-
leitet werden kann.
D. 1. Unter Körper verstehe ich]^ einen Zustand,
welcher Grottes Wesen, insofern es als ausgedehnte Sache
anfgefasst wird, in gewisser bestimmter Weise ausdrückt.
(I. L. 25; Z.). «)
D. 2. Zum Wesen einer Sache gehört, sage ich,
das, wodurch, wenn es gegeben ist, die Sache nothwendig
gesetzt wird, und wodurch, wenn es weggenommen wird,
die Sache nothwendig aufgehoben wird, oder: das, ohne
welches die Sache, und umgekehrt, das was ohne die Sache
weder sein noch yorgestellt werden kann. *)
D. d. Unter: Vorstellung verstehe ich eine Auf-
fassung der Seele, welche die Seele bildet, weil sie ein
denkendes Ding ist.
E. Ich sage lieber: Auffassung als Wahrnehmung,
weil letzteres Wort anzudeuten seheint, dass die Seele
von dem Gegenstande leidet, während: Auffassung die
Thätigkeit der Seele auszudrucken scheint. ^)
D. 4« Unter: Zureichender Vorstellung ver-
stehe ich eine Vorstellung, welche sofern sie in sich und
ohne Beziehung auf den Gegenstand betrachtet wird, alle
Eigenschaften oder innem Bestimmungen einer wahren
Vorstellung hat.
E. Ich sage: Innere, um diejenige auszuschliessen,
welche äusserlich ist, nämlich die Uebereinstimmung der
Vorstellung mit ihrem Vorgestellten.*)
D. 5. Dauer ist ein unbestimmte Fortsetzung der
Existenz.
E. Ich sage: unbestimmt, weil sie durch die eigene
Natur der existirenden Sache keineswegs bestimmt werden
kann und auch nicht von der wirkenden Ursache, da diese
das Dasein der Sache nothwendig setzt, aber es nicht
aufhebt. •)
D. 6. Unter: Bealität und Vollkommenheit
verstehe ich ein und dasselbe. "0
D. 7. Unter: Einzel-Dingen verstehe ich Dinge,
welche endlich sind und eine begränzte Existenz haben.
Wenn mehrere Einzeldinge in einer Handlung so zusammen-
wirken, dass alle zugleich die Ursache der einen Wir-
II. Tbeil, Ueber die Seele. 51
knng sind, so betrachte ich sie alle in soweit als eine
einzahle Sache. ^)
A. 1. Das Wesen des Menschen schliesst nicht seine
nothwendige Existenz ein; d. h. nach der Ordnung der
Natnr kann es ebenso geschehen, dass dieser oder jener
Mensch existirt, als dass er nicht existirt.
1. 2. Der Mensch denkt. ^)
A. 8. Die Znstande des Denkens, wie Liebe, Begeh-
ren und alles sonst, was mit Affekt der Seele bezeich-
net wird, giebt es nnr, wenn in demselben Einzelnen die
Yorstellnng des geliebten, begehrten u. s. w. (Gegenstandes
gegeben ist. Aber die Vorstellong kann bestehen, wenn
auch kein anderer Zustand des Denkens gegeben ist.^®)
A. 4. Wir empfinden, dass ein gewisser Körper auf
viele Weise erregt wird. ^)
A« 5. Wir empfinden und nehmen keine andern ein-
zelnen Gegenstände wahr, als Körper und Zustände des
Denkens. ^)
Die Heischesätze sehe man hinten. U. L. 13.
L. 1. Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder
Gott ist ein denkendes Ding,
B. Die einzelnen Denkakte oder dieser und jener
Gedanke sind Zustände, welche die Natur Gottes auf eine
gewisse und bestimmte Weise ausdrücken. (I. L. 25. Z.)
Es kommt also Gott ein Attribut zu (I. D. 5), dessen
Vorstellung alle einzelnen Gedanken einschliessen, durch
welches sie ebenfalls Vorgestellt werden. Es ist also das
Denken eines von den unendlich vielen Attributen Gottes,
welches das ewige und unendliche Wesen Gottes aus-
drückt (I. D. 6), d. h. Gott ist ein denkendes Wesen.
E. Dieser Lehrsatz erhellt auch daraus, dass wir uns
ein denkendes Wesen als unendlich vorstellen können.
Denn je Mehreres ein denkendes Wesen denken kann,
desto mehr enthält es, nach unserer Vorstellung, Realität
oder Vollkommenheit. Ein Wesen also, was Unendlich-
Yieles auf unendlich viele Weise denken kann, ist noth-
wendig in der Kraft des Denkens unendlich. Da wir
somit, auf das blosse Denken achtend, ein unendliches
Wesen vorstellen, so ist nothwendig das Denken eines
von den vielen Attributen Gottes (I. D. 4, 6), wie ich
behauptet habe.
52 n. Thefl. üebet die Seele.
L« 3. Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes,
odei* Gott ist ein ausgedehntes Ding,
Der Beweis davon nimmt denselben Gang, wie der
Beweis des vorgehenden Lehrsatzes.^')
L« 3« In Gott besteJd noihwendig sowohl eine
Vorstellung von seinem Wesen, wie von Allem ^ was
aus seinem Wesen nothwendig folgt,
B. Denn Gott kann Unendiich-Yieles auf unendlich
viele Weise denken (11. L. 1), oder er kann eine Vor-
stellung seines Wesens und aller darans sich nothwendig
ergebenden Folgen bilden. (Was nach I. L. 16 dasselbe ist.)
Nnn ist aber nothwendig alles, was in Gottes Macht ist.
(I. L. 35). Es giebt deshalb nothwendig eine solche
Vorstellung und sie ist nur in G^tt. (I. L. 15),
E« Die Menge verst^t unter der Macht Gottes seinen
freien Willen und sein Becht auf Alles, was da ist.
Letzteres wird deshalb gewöhnlich als zufallig betrachtet.
Denn man sagt, Gott hat die Macht, alles zu zerstören
und in Nichts zu veirwandeln. Man vergleicht femer die
Macht Gottes mit der Macht der Könige. Dies habe ich
I. L. 32 Z. 1 und 2 widerlegt und I. L. 16 gezeigt,
dass Gott mit derselben Nothwendigkeit handelt, mit der
er sich selbst erkennt, d. h. so Wie aus der Nothwendig-
keit der göttlichen Natur folgt (und alle einstimmig be-
haupten), dass Gott sich selbst erkennt, mit derselben
Nothwendigkeit folgt, dass Gott iD^nendlich- Vieles auf
unendlich viele Weise thui Sodann habe ich I. L. 34
gezeigt, dass Gottes Macht nur sein thatiges Wesen ist;
es ist deshalb uns ebenso unmöglich, vorzustellen, dass
Gott nicht handle, als dass Gott nicht sei. Wenn es
verstattet wäre, dies weiter zu verfolgen, so köunte ich
femer zeigen, dass jene Macht, welche die Menge Gott
zutheilt, nur eine menschliche ist (mithin die Menge Gott
nur als Menschen oder nur nach dem Bilde eines Men-
schen sich vorstellt), ja selbst die Ohnmacht einschliesst.
Doch mag ich über dieselbe Sache nicht so viele Male das-
selbe wiederholen. Ich bitte nur nochmals den Leser, dass
er wiederholt erwäge, was von I. L. 16 bis zu Ende hier-
über gesagt worden ist. Denn Niemand wird das richtig
verstehen können, was ich meine, wenn er sich nicht
n. Theil. Ueber die Seele. 53
Mtet, Gottes MacM mit der menschlidLen Macht und
dem Eecht der Könige zu verwechseln. ^^)
L. 4. Die Vorstellung von Gott, aus welchei*
unendlich Vieles auf unendlich viele Weise folgt, kann
nur eine einzige sein,
Bf Der unendliche Verstand umfasst nichts ausser
den Attributen Gottes und seinen Zuständen {I L. 30)
aber Gott ist ein Emziger (I. L. 14. Z. 1), daher kamt
die Vorstellung von Gott, aus welcher unendlich Vieles
auf unendlich viele Weise folgt, nur eine einzige sein. ^)
L, 4k, Das wirkliche Sein der Vörsteüungen er^
kennt GottnuPf m»ofem er als denkendes We^en auf-
gefasst loird, für seine Ursoiche an, und nioht* insofern
Gott ditreh ein anderes Attribut ausgedrüekt unrd;
d. L die Vorstellungen sowohl von Gottes Attributen
als von '-den einzelnen Dingen erkennen nicht das Vor-
gestellte selbst^ oder die wahrgenommenen Dinge für
ihre wirkende Ursache an, sondern Gott selbsty in-
sofern er ein denkendes Wesen ist.
B, Dies erhellt aus II. L. 3. Denn dort fol^rten
wir, dass Gott die Vorstellung seines Wissens und aller
Dinge, welche daraus folgen, nur dadurch bilden könne,
dass Gott ein denkendes Wesen ist, und nicht dadurch,
dass er der Gegenstand seiner Vorstellung ist. Darum
erkennt das wirkliche Sein der Vorstellungen Gott, insofern
er ein denkendes Wesen ist, als Ursache an. Ein anderer
Beweis ist folgender: Das wirkliche Sein der Vorstellun-
gen ist ein Zustand des Denkens (wie von selbst klar
ist) d. h. ein Zustand (I. L. 25. Z.) , welcher die Natur
Gottes, sofern er ein denkendes Wesen ist, auf gewisse
Weise ausdrückt. Dieser Zustand schliesst mithin die
Vorstellung von keinem andern Attribute Gottes ein (I. L. 10)
nnd ist folglich käines anderen Attributes als des Den-
kens Wirkung. (I. A. 4). Also erkennt das wirkliche
Sein der Vorstellungen Gott nur, insofern er als ein den-
kendes Wesen aufgefasst wird u. s. w. ^^)
L. 6, Die Zustände eines jeden Attributes haben
Gott zur Ursache, insofern es nur unter dem Attri--
54 n. TheiL Ueber die Seele.
bute, dessen Zustände sie sind, aufgefcLsst vnrdf und
nicht unter dem eines anderen Attributes.
B. Denn jedes Attribut wird durch sich und ohne
ein anderes vorgestellt. (I. L. 10.) Desshalb schliessen
die Zustände jedes einzelnen Attributs den Begriff ihres
Attributes und nicht den eines andern Attributes in sich
ein; mithin haben sie Gott zur Ursache, nur insofern er
unter diesem Attribut, dessen Zustande sie sind, aufge-
fasst wird und nicht unter einem anderen.
Z. »Hieraus ergiebt sich, dass das wirkliche Sein der
Dinge, welche keine Zustände des Denkens sind, nicht
deshalb aus der Natur Gottes folgen, weil er di^ Dinge
früher vorgestellt hat, sondern die vorgestellten Dinge
folgen und werden gefolgert, auf dieselbe Weise und mit
derselben Nothwendigkeit aus ihren Attributen, wie die
Vorstellungen nach unserer Darlegung aus dem Attribut
des Denkens folgen. ^^
L. 7i Die Ordnung und Verknüpfung der Vor-
stellungen ist dieselbe^ wie die Ordnung und Ver-
knüpfung der Dinge.
B. Erhellt aus I. A. 4. Denn die Yorstellung von
jedem Verursachten hängt von der Vorstellung der Ur-
sache ab, deren Wirkung es ist.J J
Z. Hieraus ergiebt sich, dass Gottes Macht zu den-
ken seiner wirklichen Macht zu handeln gleich ist, d. h.
Alles was aus der unendlichen Natur Gottes in der Wirk-
lichkeit folgt, dies Alles folgt aus der Vorstellung Gottes,
in derselben Ordnung und Verknüpfung in Gott als
gegenständlicher Inhalt seines Denkens, i^)
£. Ehe wir weiter gehen, ist an das oben Dargelegte
zu erinnern, nämlich dass Alles, was von einem unend-
lichen Verstand als das aufgefasst werden kann, was
das Wesen der Substanz ausmacht, dass dies Alles nur
zu einer einzigen Substanz gehört, und dass folglich die
denkende und die ausgedehnte Substanz eine und dieselbe
Substanz sind, welche bald unter diesem, bald unter
jenem Attribut aufgefasst wird. Deshalb ist auch der
Zustand der Ausdehnung und die Vorstellung dieses Zu-
standes ein und dasselbe, nur auf zwei Weisek ausge-
drückt. Dies scheinen Einige bei den Juden gleichsam
IL Thea üeber die Seele. 55
durch den Nebel eingesehen zu haben , da sie annehmen^
<lass Gott, Gottes Verstand und die von ilun bestimmten
Dinge ein und dasselbe seien. So ist z. B. ein Kreis,
welcher in der Natur existirt, und die YorsteUung dieses
edstirenden Kreises, die auch in Gott ist, ein und das*
selbe, nur durch yerschiedene Attribute ausgedrückt.
Mögen wir daher die Natur unter dem Attribut der Aus-
dehnung oder unter dem Attribut des Denkens oder unter
irgend einem anderen auffassen, so werden wir dieselbe
Ordnung und dieselbe Verknüpfung der Ursachen, d. h.
die gegenseitige Folge der Dinge antreffen. Aus keinem
anderen Grunde habe ich gesagt, dass Gott z. B. die
Ursache der Vorstellung des Kreises ist, insofern er nur
ein denkendes Wesen ist; aber die Ursache des Kreises
selbst, nur insofern er ein ausgedehntes Wesen ist. Weil
das wirklidie Sein der Vorstellung des Kreises nur durch
einen andern Zustand des Denkens als seine nächste
Ursache und dieser wiederum durch einen Midern und
so fort ohne Ende vorgestellt werden kann.
Wir müssen daher, so lange wir die Dinge nur als
Znstande des Denkens auffassen, die Ordnung der ganzen
iNatur oder die Verknüpfung der Ursachen durch das
Attribut des Denkens aJlein erklaren; und insofern sie
als Zustande der Ausdehnung aufgefasst werden, muss
auch die Ordnung der ganzen Natur bloss durch das
Attribut der Ausdehnung erklärt werden. Dasselbe nehme
ich Yon den übrigen Attributen an.
Deshalb ist dl& wahre Ursache der Dinge, wie sie in
sich sind, Gott, insofern er aus unendlich vielen Attri-
buten besteht, und deutlicher kann ich dies gegenwärtig
nicht erkläre. *»)
L. 8. Die Vorstellungen der einzelnen Dinge oder
Zustände, welche nicht eanstiren, müssen in der un-
endlichen Vorstellung Gottes so hefasst seiHy wie das
wirhlicJie Wesen der einzelnen Dinge oder ZusUi,nde
in den Attributen Gottes entJialtek sind,
B. Dieser Lehrsatz ergiebt sich aus U. L. 7. E.
Z. Hierausfolgt, dass, so lange die einzelnen Dinge
nicht existiren, als nur insofern sie in Gottes Attributen
befesst sind, deren vorgestelltes Sein oder deren Vor-
56 n. Theil üeber die Seele.
Stellungen anch nur existiren, so^veit die unendliche
Yorstellnng Gattes existirt.
Wenn aber von den einzelnen Sachen gesagt wird,
dass sie existiren, nicht bloä insofern sie in Grottes
Attributen befasst sind, sondern insofern auch die zeit-
liche Dauer von ihnen ausgesagt wird, so werden deren
Yorstelhtngen ebenfalls diejenige Existenz haben, mit
welcher man ihre zeitliche Dauer bezeichnet.
£. Wenn Jemand zum besseren Yerständniss dessen
ein Beispiel verlangt, so kann ick nicht wohl eins geben,
was die hier besprochene Frage, die vielleicht in ihrer
Art einzig ist, vollkommen angemessen ausdrQckt; doch
will ich den Gegenstand; so gut es geht, erläutern.
Der Kreis ist nämlich von solcher Katur, dass die
Eechtecke aus den Abschnitten aller geraden Linien,
welche in ihm sich gegenseitig schneiden, mit einander
gleich sind. Der Kreis enthält daher unendlich viele
einander gleiche Bechtecke. Man kann aber dennoch
nicht sagen, dass eines derselben existirt > als nur inso-
fern ein Kreis existirt, und ebenso kann man nicht sagen,
dass die Vorstellung eines dieser Bechtecke existirt, als
nur insofern es in der Vorstellung des Kreises befasst
ist: Nun stelle man sich vor, dass von jenen unendlich
vielen Bechtecken nur zweie, nämlich D und E existiren,
dann existiren deren Vorstellungen
nicht bloB, insofern sie nur in der
Vorstellung des Kreises befasst sind,
sondern auch insofern sie die Existenz
dieser beiden Vierecke in sich enthalten ;
dadurch werden sie von den übrigen
Vorstellungen der anderen Vierecke
. unterschieden. *^
^ L. 9« Die Vorstellung eines einzelnen, wirklich
existirenden Gegenstandes hat Gott zur ürsc^Tie:^ nicht
insofern ev unendlich ist, sond&rn insofe^m er aufgefasst
wird als erregt von einer ande7*n Vorstellung eines
einzelnen zdirklioh existirendm Gegenstandes, dessen
Ursache Gott wiederum nur isty insofern e9* von emer
andern dritten Vorstellung erregt ist, und so weiter
ohnä Ende.
n.T}ieiL Ueber die Seele. 57
B, Die VorstellTiiig eines einzelnen, inrklich existi-
renden Gegenstandes ist ein einzelner Znstand des Denkens
und Yon den anderen nütersöhieden (11. L. 8 Z. E.).
Diese Yorstellung * hat deshalb Gott nnr insofern er ein
denkendes Wesen ist, znr Ursache (II. L. 6); aber nicht,
insofern Qroit ein unbedingt denkendes Wesen ist, sondern
nur, insofern Gott als erregt durch einen andern Znstand
des Denkens aufgefasst wird; und eben so ist dieser Zn-
stand nur die WirfcuAg, insofern Gott von einem andern
erregt ist und so fort ohne Ende (I. L. 28). Nun ist
aber die Ordnung und Verknfij^fung der Vcfrstellungen
dieselbe, wie die Ordnung und Verknüpfung der Gegen-
stände (II. L. 7), deshalb ist die Ursache einer einzelnen
Vorstellung eine andere Vorstellung, oder Gott, insofern
er von einer anderen Vorstellung erregt aufgdfasst wird,
und von dieser ist die Ursache wieder Gott, insofern er
von einer andren erregt- ist, und so fort ohne Ende.
Z. Von dem, was in dem einzelnen Gegenstand
irgend einer Vorstellung vorgeht, hat Gott die Kenntniss
nur, insofern er die Vorstellung des Gegenstandes hat.
B. Alles, was in dem- Gegenstandie irgend einefr Vor-
stellung vorgeht, davon hat Gott die Vorstellung nicht,
insofern er unendlich ist (II. L. 3), sondewi insofern, als
er durch eine andere Vorstellung eines einzelnen Gegen-
standes en-egt aufgefasst wiM (II. L. 9>); die Ordnung
und Verknüpfung der Vo^rstöMüngen ■ ist aber dieselbe,
wie die Ordnung und Vorknttpfung der Dinge (IL L. 7);
die Kenntniss dessen, was in emem einzelnen Gegen^
stände vorgeht, wird also in Gott Sein, nur insofern er
die Vorstellung dieses Gegenstandes hat. ^^)
Ii.lO. Zum Wßsen de^ Menschen gehört nicht das
Sein der Substanz, pdm* die Substanz bildet nicht
das Wirklichem des MenscJien»
B« Denn das Sein der Substanz schliesst die noth-
wendige: Existenz ein (I. L. 7). Wenn mithin zum
Wesen des Menschen das Sein der Substanz gehörte^
so wftrde mit der Substanz auch nothweüdig der Mensch
gegeben sein (11. D. 2), und folglich wurde der Mensch
nothwendig existiren , was widersinnig ist (II. A. 1),
deshalb gehört u. s. w. i ,
£• Es folgt dieser Lehrsatz auch aus I. L. 5j weil
58 n. TheiL Ueber die Seele.
es nämlich nicht zwei Sabstauzen derselben Natur giebt.
Da aber mehrere Menschen existiren können, so ist folglicli
das, was das Wirkliche der Menschen ausmacht, nicht
das Sein der Substanz. TJebrigens erhellt dieser Satz
auch aus den übrigen Bestimmungen der Substanz,
nämlich, dass die Substanz von Natur unendlich, un-
Teränderlidi, untheilbar u. s. w. ist, wie jeder leicht be-
merken kann.
Z« Hieraus folgt, dass das Wesen des Menschen
aus gewissen Zuständen der Attribute Gottes gebildet wird.
Denn das Sein der Substanz gehört nicht zu dem Wesen
des Menschen (11. L. 10). Der Mensch ist also etwas,
was in Grott ist (I. L. 15) und was ohne Gott weder sein
noch vorgestellt werden kann, d. h. er ist eine Btregvaxg
oder ein Zusta^d, welcher die Natur Gottes auf eine
gewisse und bestimmte Weise ausdrückt (I. L. 25. Z.)
£• 2« Jedermann muss einräumen, dass ohne Gott
nichts sein und vorgestellt werden kann. Denn allgemein
wird, anerkannt, dass Gott die alleinige Ursache aller
Dinge ist, sowohl nach ihrem Wesen, wie nach ihrer
Existenz; d. h. Gott ist, wie man sich ausdrückt, die
Ursache der Dinge nicht blos nach ihrem Werden, sondern
auch nach ihrem Sein. Aber dabei behaupten die Meisten,
dass das zum Wesen eines Dinges gehörte, ohne welches
es weder sein, noch vorgestellt werden kann; sie nehmen
daher an, dass Gottes Natur zum Wesen der erschaffenen
Dinge gehört, oder dass die erschaffenen Dinge ohne Gott
sein und vorgestellt werden können, oder sie schwanken
in ihren Ansichten, was das wahrscheinlichere ist.
Der Grund hiervon ist, dass sie nach meiner Meinung
den ordnungsmässigen Gang des Philosophirens nicht
innegehalten haben. Denn sie hielten die göttliche Natur,
die sie vor allem hätten betrachten sollen, weil sie sowohl
nach ihrer Erkenntniss, wie nach ihrei Natur das erste
ist im Gange des Erkennens, for das letzte; und die Dinge,
welche die Gegenstände der Sinne heissen, hielten sie für
die ersten von allen. Daher ist es gekommen, daas sie
während der Betrachtung der natürlidien Dinge an nichts
weniger dachten, als an die göttliche Natur, und nachdem
sie dann' ihren Sinn auf die Betrachtung der göttlichen
Natur richteten, keimten sie über keinen Gegenstand
weniger denken, als über ihre erst^ Einbildungen, auf
n. Tbefl. Ueber die Seele. 59
welche sie die Erkenntniss der natflrlichen Dinge auf*-
gebant hatten, da diese zur Erkenntniss der göttlichen
Katar nichts helfen konnten.
Man darf sich daher nidit wundern, wenn sie sich
hin und wieder widersprechen. Doch dies bei Seite.
Meine Absicht war hier nur, den Onmd anzugeben, wes-
halb ich nicht gesagt habe, dass das zum Wesen eines
Dinges gehört, ohne welches es weder sein noch Yor-*
gestellt werden kann; nämlich weil die einzelnen Dinge
nicht ohne Gott sein und vorgestellt werden können und
Gott doch nicht zu ihrem Wesen gehört.
Yielmehr habe ich gesagt, dass dasjenige das Wesen
eines Dinges nothwendig ausmacht, mit dessen G«geben-
sein das Ding gesetzt wird und mit dessen Wegnahme es
aufgehoben wird oder dasjenige, ohne welches das Ding
und umgekehrt das, was ohne das Ding weder sein noch
vorgestellt werden kann (11. D. 2). «^
L. 11. Das erste j was das wirkliche Sein der mensch-
Uehen Seele ausmacht, ist nichts anderes f als die Vor-
stellung einer einzebien, wirklich eadstirenden SacJie,
B. Das Wesen des Menschen wird durch gewisse
Zustande der Attribute Gottes gebildet (ü. L. 10 Z),
nämlich durch die Zustände des Denkens (11. A. 2) , von
denen die Vorstellung der Natur nach der erste von allen
Zuständen des Denkens ist (II. A. 3). Ist diese Vor-
stellung gegeben, so müssen die übrigen Zustände des
Denkens (denen nämlich die Vorstellung von Katur vor-
geht) in demselben Einzelwesen sein (II. A. 4). Daher
ist die Vorstellung das Erste, was das Sein der mensch-
lichen Seele ausmacht, aber nicht die Vorstellung einer
noch nicht existirenden Sache; denn dann könnte man
nicht sagen, dass die Vorstellung selbst existirt (II. L. 8 Z).
Es muss deshalb die Vorstellung einer wirklich existiren-
den Sache sein. Aber auch nicht die Vorstellung von
einer unendlichen Sache; denn eine unendliche Sache
muss immer nothwendig existiren (I. L. 21 und^23); aber
dies ist widersinnig (IL A. 1). Das erste also, was
das wirkliche Sein der menschlichen Seele ausmacht,
ist die Vorstellung einer einzelnen wirklich existiren-
den Sache.
Z. Hieraus erglebt sich, dass die menschliche Seele
60 n. Tfaefl. üeber die Seele.
ein Theil des unendlichen Verstandes Gottes ist Wenn
wir femer sagen, dass cGe mensdbliclie Seele dies oder
jenes auffasst, so sagen wir nichts anderes, als dass
Grott, nidit insofern er nnendlieh ist, sondern insofern
er sich durch die Natur der menschlichen Seele darstellt,
oder insofern er das Wesen der menschlichen Seele aus-
macht, diese oder jene Vorstellung hat; und wenn wir sagen,
dass Gott diese oder jene Vorstellung habe, nicht Moss
insofern er die Natur der menschlichen Seele ausmacht,
sondern insofern er zugleich mit der menschlichen Seele
auch die Vorstellung einer andern Sache hat, dann sagen
wir, dass die menschliche Seele die Sache nur. theilweise
d. h. unzureichend auffasse.
£• Hier werden sichertich die Leser stocken und es
wird ihnen vieles einfallen, was ihnen Bedenken macht;
deshalb bitte ich sie mit mir langsam weiter zu gehen
und nicht eher ihr Urtheil zu fallen, als bis sio Alles
durchlesen haben. **)
%
L. 12« Alles, was in dem Gegenstande der Vor-
stellung j wele/te die menschliche Seele ausmacht y v(yt*-
gehtj dies muss von der m^ischUchen Seele aufgefcLsst
werden; oder es wird von diesem Gegenstande noth-
wendig eine Vorstellung in der Seele geben; d^ A. wenn
der Gegenstand de^* Vorstellung^ welcite die msnsch-
lio/ie Seele ausmacht, ein Körper ist^ so kann in
diesem Körper nichts vergehen, was von der Seele
nicht aufge/asst wird,
B. Denn Alles, was in dem Gegenstande irgend einer
Vorstellung vorgeht, davon giebt es nothwendig in Gott eine
Kenntnifls (II. L. 9 Z.), insofern er als von der Vorstellung
dieses Gegenstandes erregt aufge&sst wird, d. h. insofern
er die Seele eines Gegenstandes büdet (11. L. 11). Was
also in dem Gegenstande der Vorstellung, welche die
menschliche Seele ausmacht, vorgeht, davon giebt es
nothwendig eine Eenntniss in Gott, soweit er die Natur
der menschlichen Seele ausmacht, d. h., die Eenntniss
desselben wird nothwendig in der Seele sein, oder die
Seele fasst es auf (II. L. 11 Z.).
E. Dieser Lehrsatz folgt auch aus n. L. 7 E. und
wird dadurch deutlicher eingesehen. ^)
n. TheiL Ueber die Seele. 61
L, 13. Der G^aenstand det*^ Voratelhmgy welche
die mense/iltehe Seele cmemcteht^ ist ein Körper odei*
em gewisser Zustand der Ausdehnung s der wirklich
emtirt tmd nichts Anderes,
B. Weim der Körper nicht der Gegenstand der
mensclilichen Seele wäre, so wären die Yorstellnngen
Ton den Zustanden des Körpers in Gott (U. L. 9 Z),
nicht insofern er unsere Seele, sondern insofern er die
Seele eines anderen Gegenstandes ausmachte, d. k die
Yorstellungen der Zustände des Körpers wären nicht in
unserer Seele (II. L. 11 Z.). Allein wir haben die Vor-
stellmigen von den Zuständen des Körpers (II. A. 4),
deshalb ist der Gegenstand der Vorstellung, welche die
menschliche Seele ausmacht, ein Körper, und zwar ein
wirklich existirender (11. L. 11). Ferner wenn noch etwas
Anderes ausser dem Körper Gegenstand der Seele wäre,
so nmsste nothwendig, da nichts existirt, aus dem nicht
nothwendig >eine Wirkung folgt (L L. 36), es eine Vor-
stellung irgend einer solchen Wirkung in unserer Seele
geben (IL L. 11). Eine solche giebt es aber nicht (II.
A. 5). Deshalb ist . der Gegenstand unserer Seele ein
existirender Körper und nichts Anderes.
Z. Hieraus ergiebt sich, dass der Mensch aus Seele
nnd Körper besteht, und dass der menschliche Körper so
eiistirt, wie wir ihn wahrnehmen.
E. Dadurch wird es verständlich, nicht .nur, dass
die menschliche Seele mit dem Körper vereint ist,: sondern
anch was unter der Einheit von Seele und Körper zu
verstehen ist. Aber diese Einheit wird Niemand zureichend
oder bestimmt verstehen, wenn er nicht zuvor die Natur
unseres Körpers zureichend kennt. Denn das, was bis
hierher dargelegt worden ist, ist sehr allgemein, und gilt
nicht blos für Menschen, sondern aueh für die übrigen
Einzeldinge, die alle, wenn auch in verschiedenen Graden,
doch beseelt sind. Denn von jedem Dinge giebt es noth-
wendig in Gott eine Vorstellung, deren Ursache Gott ist,
«benso wie dies bei der Vorstellung von dem menschlichen
Korper der Fall ist, und mithin gilt das, was von der
Vorstellung dee menschlichen Körpers gesagt worden ist,
auch von der Vorstellung jedes anderen Dinges. .
Demioch kann mau nicht -leugnen, dasadie.Vorstellun-
62 II. Theil. Ueber die Seele.
gen ebenso, wie die Gegenstände selbst unterschieden sind,
und die eine yorzfiglicher als die andere ist und mehr an
Realität enthält, je nachdem der (Gegenstand der einen
Vorstellung vorztiglicher ist als der Gegenstand der anderen
und mehr an Bealität enthält. Um deshalb zu bestim-
men, was die menschliche Seele Yon den andern Seelen
unterscheidet und worin sie die übrigen übertrifft, müssen
wir nothwendig deren Gegenstand, d. h. wie gesagt, die
Natur des menschlichen KOrpers kennen lernen.
Die Natur desselben hier erlautem kann ich jedoch
nicht; auch ist es für das, was ich beweisen will, nicht
nothwendig. Nur das will ich im Allgemeinen bemerken:
Je mehr ein Körper vor dem andern geeignet ist. Heh-
reres zugleich zu thun oder zu leiden, desto mehr ist
dessen Seele mehr wie die übrigen geeignet, Mehreres
zugleich aufzufassen; und jemehr die Handlungen eines
Körpers von ihm allein abhängen und je weniger andere
Körper mit ihm zusammenwirken, desto geschickter ist
seine Seele, bestimmt zu erkennen. Hieraus kann man
den Werth einer Seele vor der andern abnehmen, femer
den Grund einsehen, weshalb wir nur eine sehr verwor-
rene Kenntniss von unserem Körper haben, und Vieles,
was ich später hiervon ableiten werde.
Ich habe es deshalb der Mühe werth erachtet, dies
genauer zu erklären und zu begründen ; und deshalb muss
Einiges über die Natur der Körper hier vorausgeschickt
werden. •*)
A. 1. Alle Körper bewegen sich oder mhen.
A. 2. Jeder Körper bewegt sich bald langsamer, bald
schneller.
Ln. 1. Die Körper unterscheiden sich von
einander in Bezug auf Bewegung und Ruhe,
Schnelligkeit und Langsamkeit, aber nicht in
Bezug auf die Substanz.
B» Den ersten Theil dieses Satzes nehme ich als
selbstverständlich an. Dass aber die Körper nicht in
Bezug auf die Substanz sich unterscheiden, erhellt sowohl
aus I. L. 5 wie 8 ; aber noch deutlicher aus dem, was in
der Erläuterung zu I. L. 15, gesagt worden ist.
Ln* 2. Alle Körper stimmen in Einigem mit-
einander überein.
B. Denn alle Körper stimmen darin überm, dass
n. Theil. üeber die Seele. 6S
sie die Aufasstuig eines nnd desselben Attributes enthal-
ten, (n. D. 1.) Ferner dass sie bald langsamer, bald
schneller, und öberLanpt, dass sie bald sich bewegen^
bald mhen können.
Ln. 8. Ein bewegter o4or ruhender Körper
muss zur Bewegung oder Euhe durch einen an-
dern Körper bestimmt werden, welcher auch
zur Bewegung oder Buhe yon einem anderen be-
stimmt worden ist, und dieser wieder von einem
anderen, und so fort ohne Ende.
B. Die Körper sind einzelne Dinge (II. D. 1), welche
sich nach 11. Ln. 1. in Bezug auf Bewegung oder Buhe
von einander unterscheiden; deshalb musste Jeder zur
Bewegung oder Buhe nothwendig von einem anderen ein-
zelnen Dinge bestimmt werden (I. L. 28), nämlich von
einem anderen Körper, (II. L. 6) der auch bewegt wird
oder ruht (11. A. 1). Aber auch dieser hätte (aus dem-
selben Grunde) sich nicht bewegen oder ruhen können,
wenn er nicht von einem andern zur Bewegung oder Buhe
bestimmt worden wäre. Und dieser wiederum (aus dem-
selben Grunde) von einem andern, und so fort ohne Ende.
Z. Hieraus ergiebt sich, dass ein bewegter Körper
solange sich bewegt, bis er von einem andern Körper zur
Buhe bestimmt wird, und dass ein ruhender Körper so
lange ruht, bis er von einem anderen zur Bewegung be-
stimmt wird. Dies ist auch selbstverständlich. Denn
wenn ich annehme, dass z.B. der Körper A. ruht und
ich auf andere Körper nicht Acht habe, so kann ich von
dem Körper A. nichts aussagen, als dass er ruht. Trifit
es sich später, dass der Körper A. sich bewegt, so konnte
dies offenbar nicht daraus hervorgehen, dass er ruhte^
denn daraus konnte nur seine Buhe folgen. Wenn um-
gekehrt angenommen wird, dass A. sich bewegt, so kann
man, so lange man blos auf A. Acht hat, nichts als seine
Bewegung von ihm aussagen. Trifft sich später, dass A.
ruht, so konnte dies offenbar nicht aus der Bewegung
hervorgehen, welche er hatte, denn aus der Bewegung
kann . nichts Anderes folgen , als dass A. sich bewegt.
Es tritt also die Buhe durch einen Gegenstand ein , der
nicht in A. war, also durch eine äussere Ursache, welche
seine Buhe bestimmt.
A. 1» Alle Zustande, in welche ein Körper vou
Qi ILThell. Ueber die Seele.
meinem azuierei» Körper yerBetzi.: wird, folgen zusammen
aus der Natur des Ersten und des Zweiten, so dass der-
selbe. Körper sich, verschieden bejwegt, je nach der Ver-
schiedenheit der Natur der ihn bewegenden Körper und
ebenso, . dass verschiedene Körper, von ein und demselben
Körper auf verschiedene Weise bewegt werden.
A. 2. Wenn ein bewegter Körper auf einen ruhenden,
den er nicht wegbewegen kann» stösst, so wendet er
sich zurück, um in der Bewegung fortzufalnren, und der
Winkel der Linie seiner Bückbewegung mit» der Ebeae
des ruhenden Körpers, auf welchen er gestossen hat,
wird gleich sein dem Winkel, welchen die Linie der ein-
fallenden Bewegung mit derselben Ebene bildet.
Soviel von den einfachsten Körpern, die.sich
nämlich blos durch > Bewegung und Buhe, Schnelligkeit
und L^'Ugsamkeit von einander unterscheiden. Jetzt wollen
wir zu den/zusammengesetzten übergehen. ?®)
D. Wenn einige Körper gleicher oder verschiedener
Grösse von den übrigen so zusammengedrängt werden,
dass sie auf einander liegen, oder wenn sie in gleichen
oder verschiedenen Graden der Schnelligkeit sich bewegten,
so dass sie sich ihre Bewegungen in einer gewissen Art
mittheilen, so heissen diese Körper mit einander geeint
und man sagt, dass sie sämmtÜch. einen Körper oder ein
Einzelding bilden, was sich von den übrigen durch
diese Yereinung der Körper unters<^heidet.
A. 3. Je nachdem die Theile eines Einzeldings oder
zusammengesetzten Körpers mit grösseren oder, kleineren
Oberflächen aufeinander- liegen, desto schwerer oder leich-
ter können sie zu einer Yeränd^ung ihrer Lage gezwun-
gen werden, und folglieh >kaiin es um so leichter oder
schwerer bewirkt werden, dass dieses Einzelding eine
andere Gestalt annimmt. Daher werde ich die Körper,
deren Theile in grossen Oberfläehen aufeinander, li^en,
H Thefl« XJeber die Seele. 65
hart; deren Theile in kleinen auf einander liegen, weich
und endlich deren Theile sich unter einander bewegen,
flüssig nennen.
Lb, 4. Wenn von einem Körper oder Einzel-
dinge, was aus mehreren Körpern besteht, einige
abgetrennt werden und gleichzeitig ebenso viele
andere derselben Natur in deren Stelle nach-
folgen, so wird das Einzelding seine Natur wie
vorher behalten x)hne irgend eine Veränderung
seiner Gestalt.
B. Denn die Körper unterscheiden sich nicht rück-
sichtlich der Substanz. (II. Ln. 1). Aber das, was die
Gestalt eines 'Einzeldinges ausmacht, besteht in der Ver-
bindung von Körpern (11. Ln. 3 D.); diese bleibt aber,
wenn auch die Körper sich fortwährend ändern (nach der
Voraussetzung); das Einzelding wird also sowohl rück-
sichtlich seiner Substanz, als seines Zustandes seine
frühere Natur behalten.
Ln. 5. Wenn die Theile, welche ein Einzel-
ding bilden, grösser oder kleiner werden, jedoch
in dem Verhältniss, dass alle dieselbe Weise
der Bewegung oder Buhe, wie vorher, gegen
einander behalten, so wird das Einzelding eben-
falls seine Natur behalten und ohne irgend eine
Yeränderung seiner Gestalt.
Der Beweis dieses Lehnsatzes ist mit dem des Vor-
gehenden gleich.
Ln. 6. Wenn gewisse Körper, welche ein
Einzelding bilden, genöthigt werden, ihre Be-
wegung, die sie nach einer Bichtung hatten, in
eine andere umzulenken, aber so, dass sie ihre
Bewegung fortsetzen und sich gegenseitig in
derselben Weise, wie früher mittheilen können,
so wird ebenfalls das Einzelding seine Natur
behalten und ohne Veränderung der Gestalt.
B. Es erhellt dies von selbst. Denn bei dieser Vor-
aussetzung behält das Einzelding alles, was, laut seiner
Definition seine Gestalt ausmacht.
Ln. 7. Ausserdem behält ein Einzelding, was
so zusammengesetzt ist, seine Natur, mag es
Spinoza, Ethik. O
06 IL Thefl. üeber die Seele.
sich im Ganzen bewegen oder rnlien, oder nach
dieser oder jener Bichtnng sich bewegen; wenn
nnr jeder Theil seine Bewegung behält und sie,
so wie vorher, den übrigen mittheilt.
B. Dies erhellt aus der Definition zu II. Ln. 4
£. Daraus ist zu entnehmen, wie ein zusammen-
gesetztes Einzelding auf viele Weise erregt werden und
doch seine Natur bewahren kann. Bis hier haben wir
ein Einzelding angenommen, was nur aus Körpern zu-
sammengesetzt ist, die blos durch Bewegung und Buhe,
Schnelligkeit und Langsamkeit sich unterscheiden, d. h.
welches aus den einfachsten Xörpem gebildet ist Stellen
wir uns nun aber ein anderes Einzelding vor, was aus
mehreren Einzeldingen verschiedener Natur zusammen-
gesetzt ist, so werden wir finden, dass es seinen Zustand
noch auf mehrere andere Weise wird verändern können,
und doch seine Natur sich bewahren. Denn wenn jeder
Theil desselben aus mehreren Körpern zusammengesetzt
ist (nach 11. Ln. 7), so wird jeder Theil ohne Verände-
rung seiner Natur bald langsamer, bald schneller sich
bewegen und deshalb seine Bewegungen den übrigen bald
schneller bald langsamer mittheilen. Wenn wir uns nun
noch eine dritte Art von Einzeldingen vorstellen, welche
aus solchen der zweiten Art zusammengesetzt sind, so wer-
den wir finden, dass sie in ihren Zuständen in viel mehr
Weisen verändert werden können, und doch, ohne dass ihre
Gestalt sich ändert. Und wenn wir so ohne Ende fort-
fahren, so werden wir leicht uns vorstellen, dass die
ganze Natur nur ein Einzelding ist, dessen Theile, d. h.
alle Körper in unendlich vielen Zuständen wechseln, ohne
dass das ganze Einzelding sich irgend verändert. Wäre
es meine Absicht, die Körper zum Hauptgegenstand mei-
ner Untersuchung zu machen, so hätte ich dies müssen
ansf&hrlicher erklären und beweisen. Indess ist meine
Absicht, wie gesagt, eine andere; ich habe das Vor-
stehende nur angeführt, weil ich daraus leicht das ab-
leiten kann, was ich zu beweisen mir vorgesetzt habe.*^
H. 1. Der menschliche Körper besteht aus
sehr vielen Einzeldingen (verschiedener Natur)
von denen jedes sehr zusammengesetzt ist
H. 2. Von den Einzeldingen, aus welchen
n. Thell Ueber die Seele. 67
der menschliche Körper besteht, sind einige
flüssig, andere weich und noch andere hart.
H. 3. Die Einzeldinge, welche den mensch-
lichen Körper bilden, und folglich auch der
menschliche Körper selbst, werden von äussern
Körpern in sehr vieler Weise erregt.
H. 4. Der menschliche Körper braucht zu
seiner Erhaltung sehr yieler anderer Körper,
durch welche er fortwährend wiedererzeugt
wird.
H. 5. Wenn der flüssige Theil des mensch-
lichen Körpers von einem äussern Körper be-
stimmt wird, auf einen andern weichen oft
anfzustossen, so verändert er dessen Fläche
anddrückt ihm gleichsam gewisse Spuren des
fremden stossenden Körpers ein.
H. 6. Der menschlicheKörper kann die frem-
den Körper auf sehr verschiedene Weise be-
wegen und in sehr verschiedener Weise be-
stimmen.^)
L. 14. Die menschlic/ie Seele ist zur Auffassung
tJon Vielem geeignet und um so mehr, je mehr ütfr
Körper in vieler Weise bestimmt werden kann.
B. Denn der menschliche Körper wird in sehr ver-
schiedener Weise von fremden Körpern erregt (II. H. 3. 6)
imd veranlasst, die fremden Körper in sehr verschiedener
W^e zu erregen. Alles aber, was in dem menschlichen
Körper vorgeht, inuss die menschliche Seele auffassen;
(11. L. 12). Die meuschliche Seele ist deshalb zur Auffas-
sung von sehr Vielem geeignet und um so mehr u. s. w. *•)
!• 15. Die Vorstellung} welche das wirklielie
• Sein der menschlichen Seele ausmacht j ist nicht ein-
fcLch, sondern aus sehr vielen . Vorstellungen zusammen-
gesetzt.
B. Die Vorstellung, welche das wirkliche Sein der
menschlichen Seele ausmacht, ist die Vostellung des Kör-
pers (11. L, IB), und dieser wird aus sehr vielwi und
sehr zusammengesetzten Einzeldingen gebildet. Aber von
6»
68 IL Theil üeber die Seele.
jedem Einzeldinge, was den Körper bildet, giebt es noth-
wendig eine Vorstellung in Gott (II. L. 8. Z.); deshalb ist
die Vorstellung des menschlichen Körpers aus vielen Vor-
stellungen der ihn bildenden Theile zusammengesetzt,
(n. L. 7).»®)
L« 16. Die Vorstellung jedes Zustandes^ in wel-
elieii der mensehUclie Körper durch fremde Körpefi*
versetzt wird, muss sowohl die Natur des menschlichen
Körpers, wie die des fremden Körpers enthalten.
B. Denn alle Zustande, in welche ein Körper ver-
setzt wird, sind eine Folge dieses Körpers und zugleich
dessen, der ihn versetzt. (II. H. 3. Z. A. 1). Daher
muss die Vorstellung dieser Zustande nothwendig die
Natur beider Körper enthalten (I. A. 4); mithin enthalt
die Vorstellung jedes Zustandes, in welchen der mensch-
liche Körper versetzt wird, sowohl die Natur des mensch-
lichen Körpers, wie die des fremden.
Z. 1. Hieraus folgt 1) dass die menschliche Seele
die Natur vieler Körper zugleich mit ilires Körpers Natur
auffasst.
Z. 2. Es folgt 2) dass die Vorstellungen, die wir
von fremden Körpern haben, mehr die Verfassung unseres
eigenen Körpers als die Natur der fremden Körper an-
zeigen, wie ich im Anhange zum I. Theil mit vielen Bei-
spielen erläutert habe. *^)
L« 17« We9in de9* menschliche Körper in einen
Zustand versetzt isty welclwi* die Natur eines fremden
Körpers einschliesst , so wird die mefischUcfie Seele
diesen fremden Körper als wirklich daseiend oder i/tr
gegenwärtig auffassen, bis ihr Körper in einen Zustand
versetzt tmrdj welciter die Existenz oder Gegenwart
dieses fremden Körpers ausschliesst
B. Dies ist klar ; denn so lange der menschliche Kör-
per sich in einem solchen Zustande befindet, so lange
wird die menschliche Seele diesen Zustand des Körpers
betrachten (11. L. 12) d. h. sie wird die Vorstellung eines
wirklich existirenden Zustandes haben (11. L. 16), welcher
die Natur des fremden Körpers mit enthält, d. h. eine
Vorstellung, welche die Existenz öder Gegenwart der Natur
eines fremden Körpers nicht ausschliesst, sondern setzt.
ILTheil üeber die Seele. 69
Mithin wird die Seele einen fremden Körper als wirklich
eiistirend und gegenwärtig betrachten (II. L. 16. Z.), bis
ein anderer Zustand u. s. w.
Z. Die Seele kann fremde Körper, von denen der
menschliche Körper einmal erregt gewesen ist, auch wenn
sie nicht existiren und nicht gegenwärtig sind, dennoch
so betrachten, als wenn sie gegenwärtig wären.
B. Wenn fremde Körper die flüssigen Theile des
menschlichen Körpers so bestimmen , dass sie auf die
weicheren oft aufstossen, so ändern sie deren Ober-
flächen (II. H. 5), weshalb sie von ihnen auf andere
Weise zurückgestossen werden, als es früher zu geschehen
pflegt und weshalb sie auch später, wenn sie auf diese
neuen Oberflächen durch ihre freiwillige Bewegung auf-
stossen, auf dieselbe Weise zurückgeworfen werden, als
wenn sie von fremden Körpern gegen diese Oberflächen
gestossen worden wären. Folglich erregen sie den mensch-
lichen Körper, wenn sie fortfahren so zurückgeworfen sich
zu bewegen, auf dieselbe Weise, und die Seele wird davon
ebenso denken (II. L. 12), d. h. die Seele wird den frem-
den Körper wieder als gegenwärtig betrachten ; (11. L. 17)
und zwar so oft, als die flüssigen Theile des mensch-
licben Körpers in ihrer freiwilligen Bewegung densel-
ben Oberflächen begegnen werden. Wenn also auch die
fremden Körper, von denen der menschliche Körper ein-
mal erregt worden ist, nicht existiren, so wird doch die
Seele sie so oft als gegenwärtig betrachten, als diese
Thätigkeit des menschlichen Körpers sich wiederholen
wird.
£. Man sieht damit, wie es möglich ist, dass wir das,
was nicht ist, als gegenwärtig betrachten, wie oft ge-
schieht. Es ist auch möglich, dass dies auch aus andern
Ursachen eintritt; doch genügt es mir, hier eine auf-
gezeigt zu haben, durch welche ich den Vorgang so er-
klären kann, als wenn ich ihn durch seine wahre Ursache
dargelegt hätte. Ich glaube indess nicht, dass ich von
der Wahrheit weit abirre, da alle dabei von mir ange-
nommenen Voraussetzungen kaum etwas enthalten, was
nicht nach der Erfahrung feststünde, und wir in diese
Erfahrung nicht Zweifel setzen dürfen, nachdem- ich ge-
zeigt habe, dass der menschliche Körper so existirt, wie
wir ihn sinnlich wahrnehmen. (II. L. 13. Z.) Ausserdem
70 n. Theü. üeber die Seele.
erkennen wir deutlich den Unterschied (11. L, 16. Z. 2,
nnd L. 17. Z.) zwischen der Yorstellnng z. B. des Peter^
welcher das Wesen des Peter ausmacht und zwischen
der Vorstellung desselben Peter, welche in einem andern
Menschen, ^a in Paul ist; denn jene drückt das Wesen
des eigenen Körpers des Peters geradezu aus und ent-
hält nur so lange die Existenz, als Peter existirt; diese
zeigt aber mehr einen Zustand in dem Körper des Paul
an, als die Natur des Peter und wird daher des Paul
Seele, so lange dieser Zustand des Körpers von Paul
dauert, den Peter, wenn er auch nicht existirt, doch als
sich gegenwärtig betrachten. Ferner werden wir, um die
gewohnten Ausdrücke beizubehalten, die Zustaiide des
menschlichen Körpers, deren Vorstellungen uns die frem*
den Körper als gegenwärtig darstellen, die Bilder
der Dinge nennen, obgleich sie die Gestalten der Dinge
nicht wiedergeben; und wenn die Seele auf diese Weise die
Körper betrachtet, werden wir sagen, dass sie dieselben sich
bildlich vorstellt. Und hier bitte ich, damit ich be-
ginne zu zeigen, was Irrthum ist, zu bemerken, dass die
bildlichen Vorstellungen der Seele, an sich betrachtet,
keinen Irrthum enthalten , d. h. , dass die Seele deshalb,
weil sie sich etwas bildlich vorstellt, nicht irrt; sondern
nur in dem Betracht, dass ihr die Vorstellung fehlt,
welche die Existenz der Dinge ausschliesst, die sie sich
als gegenwärtig bildlich vorstellt. Denn wenn die Seele,
während sie sich Dinge, die nicht existiren, als gegen-
wärtig vorstellt, zugleich wüsste, dass sie in Wahrheit
nicht existiren, so würde sie diese Kraft, sich bildlich
vorzustellen, eher zu den Vorzügen, als zu den Fehlern
ihrer Natur rechnen; zumal wenn dieses Vermögen des
bildlichen Vorstellens von ihrer Natur allein abhinge,
d. h. wenn dieses Vermögen des bildlichen Vorstellens
der Seele frei wäre. (I. D. 7).»«)
Jj* 18« Wenn der menschlicJie Körper einmal von
zwei oder mehreren Körpern zugleich erregt ivorden
ist, 80 entsinnt sich die Seele, wenn sie später einen
von ihnen sich vorstellt, sofoo't auch der andern.
B« . Die Seele stellt sich deshalb einen iS^örper bild-
lich vor (nach L. 17. Z), weil der menschliche Körper
von den Spuren des fremden Körpers ebenso erregt und
n. TheiL Ueber die Seele, 71
bestimmt wird, wie wenn einige seiner Theile Ton dem
fremden Körper selbst den Stoss erhalten hatten. Nun
war (nach der Yoranssetznng) der Körper so bestimmt
worden, dass die Seele zugleich zwei Körper sich bildlidi
yorstellte; folglich wird sie auch jetzt zugleich zweie
sich Yorstellen und die Seele wird, sobald sie den Einen
sich vorstellt, sofort auch des Andern sich erinnern.
£• Hieraus ergiebt sich deutlich, was das Gedächt-
niss ist. Es ist nämlich nur eine gewisse Verknüpfung
der Vorstellungen, welche die Natur der ausserhalb des
inenschlichen Körpers befindlichen Dinge mit enthalten.
Diese Verkettung bildet sich in der Seele nach der Ord-
nung und Verknüpfung der Erregungen des mensch-
lichen Körpers.
Ich sage erstens: Eine Verknüpfung von nur sol-
chen Vorstellungen, welche die Natur der Dinge ausser-
halb des menschlichen Körpers mit enthalten, aber nicht
eine Verkettung solcher Vorstellungen, welche die Natur
derselbigen Dinge darlegen. Denn sie sind in Wahrheit
Vorstellungen von den Erregungen des menschlichen Kör-
pers, welche sowohl die Natur dieses, als der fremden
Körper einschliessen. (II. L. 16).
Ich sage zweitens: Eine Verkettung der Erregun-
gen des menschlichen Körpers, um sie Ton der Verket-
tung der VorsteUungen zu unterscheiden, welche nach der
Orctoung des Verstandes geschieht, mittelst welcher die
Seele die Dinge durch ihre ersten Ursachen erfasst, und
welche Ordnung bei allen Menschen dieselbe ist.
Hieraus erkennt man auch deutlich, warum ein Mensch
Ton dem Gedanken eines Gegenstandes sofort auf den
Credanken eines andern kommt, obgleich er mit dem
vorigen keine Aehnlichkeit hat. So kommt z. B. ein Kömer
von dem Gedanken des Wortes Pomus (Apfel) sofort
anf den Gedanken der Frucht, die mit jenem artikulirten
Lant keine Aehnlichkeit hat und die mit ihm nichts ge-
mein hat, als d^s von diesen Beiden der Körper des-
selben oft erregt worden ist, d. h., dass dieser Mensch
oft das Wort Pomus gehört hat, während er die Frucht
selbst sah. So wird jeder von einem Gedanken auf einen
anderen kommen, wie die Gewohnheit eines Jeden die
Bilder der Dinge in dem Körper geordnet hat. So wird
ein Soldat z. B*, wenn er die Spuren eines Pferdes im
72 ILTheiL üeber die Seele.
Sande sieht, sofort von dem Gedanken eines Pferdes auf
den des Beiters nnd yon diesem anf den Gedanken des
Krieges u. s. w. kommen; aber der Baner wird von dem
Gedanken des Pferdes änf den Gedanken des Pfluges,
des Ackers u. s. w. kommen. So kommt Jeder danach,
wie er sich gewöhnt hat, die Bilder der Dinge auf
diese oder jene Weise zu verbinden nnd zu ver-
knüpfen, von dem einen anf diesen oder anf einen andern
Gedanken. **)
L« 19. Die menschlielie Seele kennt ihren eigenen
Körper und dose er eaistirt, nur durch die Vorstel-
lungen der Zuständey in welclte ihr Körper versetzt wird.
B. Denn die menschliche Seele ist die Yorstellnng
selbst oder die Kenntniss des menschlichen Körpers (IL
L. 13), welche zwar in Gott ist (lt. L. 9), insofern als
er anfgefasst wird als erregt durch eine andere Vorstel-
lung einer einzelnen Sache; weil aber der menschliche
Körper (11. H. 4) sehr vieler Körper bedarf, durch die
er fortwährend gleichsam wieder erzengt wird und die
Verknüpfung der Vorstellungen dieselbe ist, wie die Ord-
nung und Verknüpfung der Ursachen (11. L. 7), so wird
diese Vorstellung in Gott sein, insofern er von den Vor-
stellungen mehrerer einzelner Dinge erregt anfgefasst
wird. Gott hat also die Vorstellung des menschlichen
Körpers oder kennt den menschlichen Körper, insofern
er von sehr vielen andern Vorstellungen erregt ist und
nicht insofern er die Natur der menschlichen Seele aus-
macht, d. h. die menschliche Seele kennt ihren Körper
nicht. (II. L. 11. Z.) Aber die Vorstellungen der Zu-
stande des Körpers sind in Gott, soweit er die Natur der
menschlichen Seele ausmacht, oder die menschliche Seele
fasst diese Zustande auf (II. L. 12) und folglich auch
den menschlichen Körper selbst; (11. L. 16) und zwar
als wirklich existirend. (II. L. 17). Die menschliche
Seele erfasst also nur insoweit ihren eigenen Körper.*^)
L« 20« Von der menschliehen Seele gieht es ctuch
in Gott eine Vorstellung oder Kenntniss y welche in
Gott auf dieselbe Weise folgt mid auf Gott in der-
selben Weise sich bezieht^ wie die Vorstellung oder
Kenntniss des menschlichen Körpers,
n. Theil. Ueber die Seele. 73
B. Das Denken ist ein Attribut Gottes (II. L. 1), folg-
lich muss sowohl davon (II. L. 3) als von allen dessen
Zuständen und folglich anch von der menschlichen Seele
(ü.. L 11) es nothwendig in Gott eine Vorstellung geben.
Sodann folgt nicht, dass diese Vorstellung oder Kennt*
niss der Seele in Gott besteht,, insoweit er unendlich ist,
sondern soweit er durch eine andere Vorstellung einer
einzelne^ Sache erregt ist. (II. L. 9). Die Ordnung
und Verknüpfung der Vorstellungen ist aber dieselbe, wie
die Ordnung und Verknüpfung der Ursachen (II. L. 7);
daraus ergiebt sich, dass diese Vorstellung oder Kennt-
niss der Seele in Gott ist und sich auf Gott in derselben
Weise bezieht, wie die Vorstellung oder Kenntniss des
Körpers. ^)
L. 21. Die Vorstellung dei* Seele ist auf dieselbe
Weise mit der Seele geeint, loie die Seele selbst mit
dem Körper geeint ist
B. Dass die Seele mit dem Körper vereint ist, habe
ich dadurch bewiesen, dass der Korper der Gegenstand
der Seele ist (IL L. 12. 13). Folglich muss aus dem-
selben Grunde die Vorstellung der Seele mit ihrem Ge-
genstande, d. h. mit der Seele selbst in derselben Weise
vereint sein, wie die Seele mit dem Körper vereint ist.
£• Dieser Lehrsatz erhellt viel deutlicher aus dem
zu IL L. 7. E. Gesagten. Dort habe ich nämlich ge-
zeigt, dass die Vorstellung des Körpers und der Körper,
d. h. die Seele und der Körper (IL L. 13) ein und das-
selbe Einzelding sind, was bald unter dem Attribute des
Benkens, bald unter dem der Ausdehnung aufgefasst
wird. Deshalb ist die Vorstellung von der Seele und die
Seele selbst ein und derselbe Gegenstand, welcher unter
ein und demselben Attribut, nehmlich dem des Denkens,
aufgefasst wird. Ich sage, es folgt, dass die Vorstellung
der Seele und die Seele selbst mit derselben Nothwen-
digkeit und aus derselben Macht des Denkens in Gott
bestehen. Denn in Wahrheit ist die Vorstellung von der
Seele, d. h. die Vorstellung von einer Vorstellung nichts
anderes als das Wirkliche der Vorstellung, insoweit diese
als ein Zustand des Denkens und ohne Beziehng auf den
Gegenstand aufgefasst wird. Denn sobald jemand etwas
'vreiss, so weiss er auch damit, dass er es weiss, und er
74 HTheiL üeber die Seele.
weiss Zugleich, dass er sein Wissen weiss nnd so fort
ohne Ende. Doch hierüber später.^)
L. 22. Die mensehUöhe Seele erfasst nicht blos
die Zustände des Körpers^ sondern cateh die Vor-
steJhaigen dieser Zustäwfe,
B. Die Vorstellungen Ton den Vorstellungen der
Zustände folgen in Gott in derselben Weise und werden
auf Gott in derselben Weise bezogen, wie die Vorstellun-
gen der Zustände selbst; dies wird auf dieselbe Weise
bewiesen wie n. I^hrsatz 20. Aber die Vorstellungen
der Zustände des Körpers sind in der menschlichen Seele
(ü. L. 12), d. h. in Gott (11. L. 11. Z.), soweit er das
Wesen der menschlichen Seele ausmacht. Deshalb werden
die Vorstellungen von diesen Vorstellungen in Gott sein,
insofern er die Eenntniss oder Vorstellung von der mensch-
lichen Seele hat, d. h. in der Seele selbst, (II. L. 21)
welche deshalb nicht blos die Zustände des Eöi'pers, son-
dern auch deren Vorstellungen aufifasst. ^
L« 33. Die Seele kennt sieh selbst mir, insofern
sie die Vorstellungen von den Zuständen des Körpers
erfassU
B« Die Vorstellung oder Eenntniss der menschlichen
Seele folgt in Gott auf dieselbe Weise und wird auf
Gott in derselben Weise bezogen (11. L. 20), wie die Vor-
stellung oder Eenntniss des Eörpers. Da aber die mensch- .
liehe Seele den menschlichen Eörper selbst nicht kennt
(II. L. 19), d. h. da die Eenntniss des menschlichen Eör-
pers auf Gott nicht bezogen wird (11. L. 11. Z), insofern
er die Natur der menschlichen Seele ausmacht, so wird
auch die Eenntniss der Seele nicht auf Gott bezogen,
insofern er das Wesen der menschlichen Seele ausmacht,
und deshalb kennt die menschliche Seele sich selbst nicht.
(II. L. 11. Z). Femer enthalten die Vorstellungen der
Zustände, welche in dem Eörper erregt werden, die Natur
des Eörpers selbst (11. L. 16. Z.), d. h. sie stimmen mit
der Natur der Seele überein (II. L. 13). Die Eenntniss
dieser Vorstellungen schliesst also nothwendig die Eennt-
niss der Seele ein; die Eenntniss dieser VorsteUungen ist
aber in der menschlichen Seele selbst (II. L. 22). Des-
n. Theil. Ueber die Seel«. 75
halb kennt sieh Iselbst die menschliehe Seele nur in
soweit.^)
• L. 24, Die mensehÜelie Seele entJiäh nicht -die
zureicJiende Kenntniss der llieile, welclie den mensch-
liehen Kö9*per bilden,
B. Die Theile, welche den menschlichen Körper bil-
den, gehören nur insoweit zu dem Wesen dieses Körpers,
als sie ihre Bewegungen sich gegenseitig in gewisser
Weise mittheilen; (Ln. 3. D hinter Z) aber nicht, insoweit
sie als Einzeldinge, ohne Beziehung auf den menschlichen
Körper, aufgefasst werden können. Denn die Theile des
menschlichen Körpers sind zusammengesetzte Einzeldinge
(H. 1), deren Theile von dem menschlichen Körper ohne
Veränderung seiner Natur und Gestalt -sich trennen
(II. Ln. 4) und ihre Bewegungen andern Körpern in
anderer Weise mittheilen können (IL Ln. 3. A. 2). Des»
halb wird die Vorstellung oder Kenntniss jedes Theiles
in Gott sein (II. L. 3), insofern er aufgefasst wird als
erregt durch eine andere Vorstellung einer einzelnen
Sache, welch^einzelne Sache nach der Ordnung der Natur
dem Theile selbst vorgeht (IL L. 7). Dasselbe gilt von
jedem Theile des Einzeldinges, was den menschlichen
Körper bildet, also ist die Kenntniss von jedem, den
menschlichen Körper bildenden Theil in Gott, insofern er
von mehreren Vorstellungen von Dingen erregt ist und
nicht, insofern er nur die Vorstellung des menschlichen
Körpers hat; d. h, die Vorstellung, welche die Natur der
menschlichen Seele bildet (IL L. 13). Daher enthält die
menschliche Seele keine zureichende Kenntniss von den
Theilen des menschlichen Körpers. 8®)
L, 25. Die Vorstellung eitles jeden ^ustandes des
menschlichen Körpers enthält nicht die zureichende
Kenntniss eines fremden Körpers,
B. Die Vorstellung von einem Zustande des mensch-
lichen Körpers, enthält, wie wir gezeigt haben (11. L. 10),
insoweit die Natur des fremden Körpers, als dieser den
menschlichen Körper auf eine gewisse Weise bestimmt.
Insoweit aber der fremde Körper ein Einzelding ist, was
nicht zu dem menschlichen Körper gehört, ist dessen
Yorstellung oder Kenntniss in Gott (IL L, 9), insofern
76 n. Theil. Ueber die Seele.
Gott als. durch die Yorstellang einer andern Sache erregt
aufgefasst wird, welche dem fremden Körper Ton liTatnr
vorgeht. (11. L. 7). Deshalb ist die zureichende Kennt-
niss des fremden Körpers nicht in Gott, insofern er die
Yorstellang von einem Zustande des menschlichen Körpers
hat; oder die Yorstellung von einem Zustande des mensch-
lichen Körpers enthält nicht die zureichende Kenntniss
des fremden Körpers. ^^)
L« 26. Die menschltc/ie Seele nimmt einen frem-
den Körper nur durch die Vorstellungeil von den Zu'
standen ihres Körpers als wirklich existirend wahr,
B. Wenn der menschliche Körper von einem frem-
den Körper in keiner Weise erregt ist, so ist auch die
Yorstellung des menschlichen Körpers (II. L. 7) d. h. so
ist auch die menschliche Seele in keiner Weise mit der
Yorstellung der Existenz dieses Körpers befasst, (II. L. 13)
d. h. sie nimmt in keiner Weise die Existenz dieses frem-
den Körpers wahr. Aber so weit der menschliche Körper
von einem fremden Körper auf irgend eine Weise erregt
wird, insoweit nimmt sie den fremden törper wahr.
(IL L. 16 und Z.)
Z, Soweit die Seele einen fremden Körper sich bild-
lich vorstellt, soweit hat sie keine zureichende Kenntniss
von demselben.
B. Wenn die menschliche Seele den fremden Kör-
per vermittelst der Yorstellungen der Zustande ihres
Körpers betrachtet, so sagen wir, dass sie bildlich
vorstellt (n. L. 17. E.). Der Mensch kann nur in
dieser Weise sich die wirkliche Existenz der fremden
Körper vorstellen (11. L. 25). Insofern also die Seele
die fremden Körper sich bildlich vorstellt, hat sie keine
zureichende Kenntniss von ihnen.'**)
L, 27, Die Vorstellung irgend eines Zustandes
des menschlichen Körpers enthält keine zureichende
Kenntniss des rnenschliclien Körpers seihst
B. Jede Yorstellung eines Zustandes des mensch-
lichen Körpers enthält in soweit die Natur desselben, als
er in gewisser Weise erregt aufgefasst wird (II. L.- 16).
Insofern aber der menschliche Körper ein Einzelding ist,
n. Theü. Ueber die Seele. 7T
was auf Yiele andcTe Weise erregt werden kann; so ist
dessen Vorstellung u. s. w. (Siehe II. L. 25. B.) ^*)
L. 28. Die Vorstellungen der Zustände des mensch-
liclien Körpers^ sind, soweit sie nur (xuf die mensch-
Uelte Seele bezogen werden, nicht klar und bestimmt^
sondern verwon'en.
B. Denn die Yorstellmigen Ton den Zustanden de&
menschlichen Körpers enthalten sowohl die Natur der
fremden Körper, wie des menschlichen Körpers selbst
(U. L. 16). Sie müssen aber nicht blos die Natur de^
menschlichen Körpers, sondern auch seiner Theile enthal-
ten; dßnn diese Zustände sind Vorgänge (H. 3), durch
welche die Theile des menschlichen Körpers und folglich
der ganze menschliche Körper erregt wird. Aber die
zureichende Kenntniss der fremden Körper, so wie der
den menschlichen Körper bildenden Theile ist nicht in
Gott, insofern er mit der menschlichen Seele, sondern
insofern er mit andern Vorstellungen befasst ist (II. L.
24. 25). Die Vorstellungen dieser Zustände gleichen mit-
hin, insofern' sie blos auf die menschliche Seele bezogen
werden, einem Schluss ohne die Vordersätze, d. h. sie sind
(wie von selbst erhellt) verworren.
E. Die Vorstellung, welche die Natur der mensch-
lichen Seele ausmacht, ist aus denselben Gründen, für
sich betrachtet, nicht klar und bestimmt; dasselbe gilt
von der Vorstellung der menschlichen Seele und von den
Vorstellungen der Vorstellungen der Zustände des mensch-
lichen Körpers, soweit sie blos auf die Seele bezogen
werden, wie jeder einsehen kann.***)
L. 29. Die Vm'stellung von der Vorstellung irgend
eines Zustandes des ^menschlichen Körpers enthält
keine zureic/iende Kenntniss der msnschliclven Seele.
B. Die Vorstellung eines Zustandes des menschlichen
Körpers (IL L. 27) enthält keine zureichende Kenntniss
des Körpers oder drückt dessen Natur nicht zureidiend
aus; d. h. sie stimmt mit der Natur der Seele nicht voll-
kommen entsprechend überein (II. L. 13). Die Vorstel-
lung dieser Vorstellung drückt also die Natur der mensch-
lichen Seele nicht vollkommen entsprechend aus oder
enthält keine zureichende Kenntniss derselben. (I. A. 6).
78 U. TheiL üeber die Seele.
Z* Hieraus ergiebt sich, dass die menschliche Seele,
80 oft sie nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur auf-
fasst, keine zureichende, sondern nur eine verworrene und
verstümmelte Kenntniss von sich selbst und von ihrem
Körper und von den fremden Körpern hat. Denn die
Seele kennt sich selbst nur, insofern sie die Vorstellun-
gen der Zustande des Körpers vorstellt (11. L. 23). Ihren
Körper aber erfasst die Seele nur durch die Vorstellung
seiner Zustände (11. L. 19), und dadurch erfasst sie auch
nur die fremden Körper (II. L. 26). Sie hat mithin in
diesen Vorstellungen keine zureichende Kenntniss weder
von sich selbst (11. L. 29), noch von ihrem Körper
(II. L. 27), noch von den fremden Körpern (11. L. 25),
sondern nur eine verstümmelte und verworrene (11. L. 28
mit E.).
£. Ich sage ausdrücklich, dass die Seele von sich
und von ihrem Körper und von den fremden Körpern
keine zureichende, sondern nur eine verworrene Kenntniss
hat, so lange sie die Gegenstände in der gewöhnlichen
Weise vorstellt, d. h. so lange sie von aussen, aus dem
zufalligen Begegnen der Gegenstände, bestimmt wird,
dies oder jenes zu betrachten und so lange sie nicht
von innen, und zwar deshalb, weil sie mehrere Gegen-
stände zugleich betrachtet, bestimmt wird, deren üeber-
einstimmung, Unterschiede und Gegensätze zu erkennen.
Denn wenn sie auf diese oder eine andere Weise von
innen veranlasst wird, dann betrachtet sie die Gegenstände
klar und bestimmt, wie ich unten zeigen werdet)
L« 30. Wir können von der Dauer unsei^ea Kör-
pe9*8 nur eine sehr unzureichende Kenntniss haben,
B. Die Dauer unseres Körpers hängt nicht von dessen
Wesen ab (II. A. 1) und auch nicht von der unbeding-
ten Natur Gottes (I. L. 21). Der Körper wird vielmehr
zur Existenz und Thatigkeit von solchen Ursachen be-
stimmt (I. L. 28), welche wieder von Andern zur Existenz
und Thatigkeit auf eine gewisse Weise bestimmt worden
sind, und diese sind wieder von Andern bestimmt . worden
und so ohne Ende. Die Dauer unseres Körpers hängt
deshalb von einer gemeinsamen Ordnung der Natur und
von der Verfassung der Dinge ab. In welcher Weise
aber die Dinge geordnet sind, davon besteht die zurei-
ILTheü. Ueber die Seele. 79
ebenda Eenntniss in Gott, insofem er die Yorsiellimgen
aller dieser Dinge hat, nnd nicht blos die des mensch-
lichen Körpers (11. L. 9. Z.). Deshalb ist die Eenntniss
der Dauer unseres Körpers sehr unyollkommen in Gott,
insofem er nur als die Natur der menschlichen Seele
bildend aufgefasst wird (11. L. 11 Z), d. h. diese Kennt-
niss in unserer Seele ist sehr unyollkommen.
L, 31* Wir können von der Dauer der einzelnen
Dinge xmsser uns nur eine sehr unzureichende Kefnnt-
niss Jiaben.
B. Denn jede einzelne Sache, ebenso wie der mensch-
liche Körper, sind von einer andern einzelnen Sache auf
eine gewisse und feste Weise zur Existenz und Thätigkeit
bestimmt; ebenso diese yon Andern und sofort ohne Ende
(I. L. 28). Da nun im yorigen Lehrsatz aus dieser, allen
einzehen Dingen gemeinschaMichen Eigenschaft, bewiesen
worden ist, dass wir yon der Dauer unseres Körpers nur
eine sehr unzureichende Kenntniss haben, so wird dasselbe
von der Dauer der einzelnen Dinge gelten müssen, näm-
lich, dass wir yon ihr nur eine sehr unzureichende Kennt-
niss haben können.
Z. Hieraus folgt, dass alle einzelnen Dinge zufallig
und yergänglich sind; denn yon ihrer Dauer können wir
keine zureichende Kenntniss haben (II. L. 31), und dies
ist es, was unter Zufälligkeit und Vergänglichkeit der
Dinge zu yerstehen ist (I. L. 33. E. .1). Denn ausser-
dem giebt es nichts Zufälliges (I. L. 29). -**)
L. 32. Alle Vorstellungen^ insofern sie auf Gott
bezogen werden, sind wahr,
B. Alle Yorstellungen, die in Gott sind, stimmen
überhaupt mit ihrem Vorgestellten überein (11. L. 7. Z),
und deshalb sind sie alle wahr (I. A. 6).
L. 33* In den Vorstellungen ist nichts Positivesy
dessenwegen sie falsch genannt werden,
B. Wer dies bestreitet, stelle sich, wenn er es yer-
niag, eine positiye Weise des Denkens yor, welche das
Wirklidie des* Irrthums oder der Falschheit ausmacht.
Diese Art des Denkens kann nicht in Gott sein (II. L. 32).
Ausserhalb Gottes kann sie aber auch nicht sein, noch
80 n. Tbeil. üeber die Seele.
vorgestellt werden (I. L. 15). Es kann also nichts Po-
sitives in den Vorstellungen geben, weshalb sie falsch
genannt werden.
L* 34. Jede Vorstelbaiff, welcits in uns unbedingt
oder zureic/iend, oder vollkommen ist, ist waltr.
B* Wenn wir sagen, dass es in un& eine zureichende
oder vollkommene Vorstellung gebe, so sagen wir nichts
Anderes, als dass in Gott, soweit er das Wesen unserer
Seele ausmacht, eine zureichende und vollkommene Vor-
stellung bestehe (IE. L. 11. Z.); und desshalb sagen wir
nichts Anderes, als dass solche Vorstellung wahr sei
(H. L. 32).
L. 36* Die Unwahrheit besteht in einem Mangel
der Kenntnissj welchen die unangemessenen oder ver-
stSmmeUen oder verworrenen VorsteUtmgen enthalten,
B. Es giebt nichts Positives in den Vorstellungen,
was das Wirkliche der Falschheit ausmachte (11. L. 33) ;
die Unwahrheit kann aber nicht in einem unbedingten
Mangel bestehen, denn man sagt von den Seelen ^und
nicht von den Körpern, dass sie irren oder täuschen;
aber auch nicht in einer unbedingten Unwissenheit, denn
Nichtwissen und Irren sind verschieden. Die Falschheit
besteht deshalb in einem Mangel der Kenntniss, welchen
die unzureichende Kenntniss der Dinge oder die un-
zureichenden und verworrenen Vorstellungen derselben
enthalten.
E. In der Erläuterung zu 11. L. 17 habe ich dar-
gelegt, in welcher Weise der Irrthum aus einem Mangel
der Kenntniss besteht; indess will ich zur mehreren Ver-
deutlichung ein Beispiel geben. Nämlich: die Menschen
täuschen sich, weil sie sich für frei halten ; diese Meinung
besteht aber nur darin, dass sie zwar ihre Handlungen
kennen, aber nicht die Ursachen, durch welche sie be-
stimmt werden. Dies ist also die Vorstellung ihrer Frei-
heit, dass sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen.
Denn wenn sie sagen, dass die menschlichen Handlungen
von dem Willen abhängen, so sind dies Worte, bei denen
sie sich Nichts vorstellen; denn Niemand weiss, was der
Wille ist und wie er den Körper bewegt. Alle, welche
hierüber etwas aufstellen, Sitze und Wohnorte der Seele
n. Theil. Ueber die Seele. ' 81
ausdenken, pflegen Lachen oder Ekel . zn erregen. Ebenso
stellen wir, wenn wir die Sonne sehen, uns vor, sie sei
ungefähr 200 Fuss von uns entfernt; ein Irrthum, der
in dieser bildlichen Vorstellung allein nicht enthalten ist,
sondern darin, dass während wir so uns die Sonne vor-
stellen, wir die wahre Entfernung derselben und die Ur-
sache unserer bildlichen Vorstellung nicht kennen. Denn
wenn wir auch später erkennen, dass die Sonne über
600 Erddurchmesser von uns entfernt ist, so bleibt dessen-
ungeachtet in uns die bildliche Vorstellung, dass sie
nahe bei uns sei; denn wir stellen uns die Sonne nicht
deshalb als nahe vor, weil wir ihre wahre Entfernung
nicht kennen, sondern weil die Erregung unseres Körpers
das Wesen der Sonne nur in so weit einschliesst, als
unser Körper davon erregt wird. *®)
L. 36, Die unzureichenden und verworrenen Vor-
stellungen folgen sich mit derselben Nothwendigkeit^
wie die zureiclienden oder klaren und bestimmten Vor-
stellungen.
B. Alle Vorstellungen sind in Gott (I. L. 15) und sind,
so weit sie auf Gott bezogen werden, wahr (II. L. 32)
und zureichend (II. L. 7 Z.). Es bestehen deshalb keine
unzureichenden oder verworrenen Vorstellungen, als in-
sofern sie auf die einzelne Seele eines Menschen bezogen
werden (IE. L. 24, 28). Mithin folgen sich alle sowohl
zureichenden wie unzureichenden Vorstellungen mit gleicher
Nothwendigkeit (II. L. 6 Z.). 47)
L, 37» Das, was Allen gemeinsam ist (IL Im. 2)
und was ebenso im 27ieile als im Ganzen ist, macht
nicht das Wesen einer einzelnen Sache aus.
B, Wer dies bestreitet, mag, wenn er kann, sich
vorstellen, dass dies Gemeinsame das Wesen einer ein-
zelnen Sache ausmache, z. B. das Wesen von B. Dann
tann dies Gemeinsame ohne B. weder sein noch vor-
gestellt werden (11. D. 2), was gegen die Voraussetzung
ist; es gehört also nicht zu dem Wesen von B. und bildet
auch nicht das Wesen einer andern einzelnen Sache. ^)
L. 38. DaSj was allen Dingen gemein ist und was
ehenso im l^heile wie im^ Ganzen ist, kann nicht an-
ders vorgestellt werden, als zureichend.
Spinoza, Ethik. g
82 n. TheiL Ueber die Seele.
B. A. sei etwas, was allen Körpern gemein ist und
was ebenso in dem Theile jedes Körpers, wie in dem
Ganzen ist. Ich behaupte nun, dass A. nnr zureichend
vorgestellt werden kann. Denn die Vorstellung desselben
wird in Gott nothwendig eine zureichende sein, sowohl
insofern Gbtt die Vorstellung des menschlichen Körpers,
als die Vorstellungen seiner Zustande hat (II. L. 7 Z.),
welche Zustände sowohl die Natur des menschlichen
Körpers, als der fremden Körper zum Theil in sich ent-
halten (II. L. 16, 25, 27); d. h. diese Vorstellung wird
nothwendig in Gott eine zureichende sein, soweit er die
menschliche Seele ausmacht oder soweit er die Vorstellun-
gen hat, die in der menschlichen Seele sind. Folglich
erfasat die Seele das A. nothwendig zureichend (11. L. 11 Z.),
und zwar sowohl insofern sie sich selbst, als insofern
sie ihren Körper oder irgend einen fremden Körper
vorstellt, und A. kann auf andere Weise nicht vorgestellt
werden.
Z. Hieraus ergiebt sich, dass es gewisse Vorstellun-
gen oder Begriffe giebt, die allen Menschen gemein sind.
Denn alle Körper kommen in gewissen Stücken überem
(Ln. 2), und diese müssen von allen Menschen zureichend
oder klar und bestimmt aufgefasst werden (11. L. 38). ^®)
L. 39. Dasjenige, was dem menschlichen Körper
und einigen fremden Körpern, von denen der mensch-
liche erregt zu werden pflegt, gemein isty sowie das,
was dem Theile eines jeden dieser ebenso toie dem
Ganzen gemein und eigen ist, davon wird die Vw-
stellung in der Seele ebenfalls eine zwreich&ade sein,
B« A. sei dasjenige, was dem menschlichen Körper
und einigen fremden Körpern gemein und eigen ist und
was ebenso in dem menschlichen Körper, wie in jenen
fremden Körpern ist und was ebenso in dem Theile, wie
in dem Ganzen jedes fremden Körpers ist. Dann wird
in Gott von diesem A. eine zureichende Vorstellung be-
stehen, sowohl insofern er die Vorstellung des mensch-
lichen Körpers hat, als insofern er die Vorstellung der
vorausgesetzten fremden Körper hat (II. L. 7 Z.). Nun
nehme man an, dass der menschliche Körper von einem
fremden Körper durch das erregt wird, was er mit ihm
gemein hat, d. h. durch A. Die Vorstellung dieser Er-
n. Theil. Ueber die Seele. 83
regung wird die Eigenthümlichkeit von A.* enthalten
(11. L. 16), nnd deshalb wird die Vorstellung dieser Er-
regung, soweit sie die Eigenthümlichkeit von A. enthält,
YoUkommen sein in Gott, soweit er mit der Vorstellung
des menschlichen Körpers behaftet ist (II. L. 7 Z.) d. h.
insofern er die Natur der menschlichen Seele ausmacht
(U. L. 1*6). Folglich ist auch diese Vorstellung in der
menschlichen Seele eine zureichende (II. L. 11 Z.).
Z. Hieraus ergiebt sich; dass die Seele um so ge-
eigneter ist, Mehreres zureichend zu erfassen, je mehr
Gemeinsames ihr Körper mit anderen Körpern hat. ^)
L. 40. Alle Vorstellungen in der SeeUy welche
mi8 zureichenden Yoretellungen in ihr folgen^ sind
ebenfalls zureicJiend.
B. Dies ist klar. Denn wenn man sagt, dass in
der menschlichen Seele eine Vorstellung ans Vorstellungen
folgt, die in ihr zureichend sind, so wird damit nui*
gesagt, dass es in dem göttlichen Verstände eine Vor-
stellung giebt, wovon die Ui-sache Gott ist, nicht insofern
er unen^ich ist und nicht insofern er durch die Vor-
stellungen mehrerer einzelnen Dinge erregt ist, sondern
nur, insofern er das Wesen der menschlichen Seele aus-
macht (11. L. 11 Z.).
£. 1* Hiermit habe ich die Ursache der Begriffe
dargelegt, welche Gemeinbegriffe genannt werden und
die Grundlagen unserer Schlussfolgerungen sind. Indess
giebt es von einigen Axiomen und Begriffen andere
Ursachen, die hier nach meiner Weise zu erklären
zweckmässig sein dürfte. Es würde nämlich daraus hervor-
gehen, welche Begriffe nützlicher sind als andere, und von
welchen kaum ein Gebrauch gemacht werden kann; fer-
ner, welche Begriffe allgemein, und welche nur Denen, die
nicht an Vorurtheilen leiden, als klar und bestimmt gelten ;
endlich welche schlecht begründet sind. Es würde sich
ausserdem ergeben, woher die Begriffe, welche man die
der zweiten Ordnung nennt und folglich auch, yoher
die auf sie gestützten Axiome ihren Ursprung haben, so
wie Anderes, was ich darüber beim Nachdenken gefunden
habe. Da ich indess dies einer anderen Abhandlung
vorbehalten habe; und da ich durch zu grosse Ausführ-
84 n, Theil. Ueber die Seele.
lichkeit ntcht ermüden mag^ so habe ich beschlossen,
hier davon abzusehen.
Um indess hier nichts Wissenswerthes zu übergehen,
will ich die Ursachen knrz angeben, von denen die so-
genannten transscendentalen Ausdrücke herkommen,
wie Bing, Gegenstand, Etwas. Diese Ausdrüke
entstehen dadurch, dass der menschliche Xörper, der ja
beschränkt ist, nur fähig ist, eine gewisse Anzahl von
Bildern bestimmt auf einmal in sich zu bilden. (Was
Bild ist, habe ich II. L. 17 E. erklärt.) Wird diese
Zahl überschritten, so beginnen diese Bilder sich zu
verwischen, und wenn die Zahl der Bilder, deren be-
stimmte Bildung auf einmal der Körper fähig ist, weit
tiberschritten wird, so verwischen sie sich alle gänzlich. Da
es sich' nun so verhält, so folgt aus n. L. 17 Z. u. Ln. 18,
dass die menschliche Seele so viel Körper auf einmal wird
bildlich vorstellen können, als Bilder in ihrem Körper
auf einmal sich bilden können. Wenn aber diese Bilder
im Körper sich gänzlich verwischen, so wird auch die
Seele alle Köi'per verworren und ohne Unterscheidung
bildlich vorstellen und daher gleichsam unter einem
Ausdruck zusammenfassen, nämlich unter dem Ausdruck:
Ding, Gegenstand u. s. w.
Es lässt sich dies auch daraus ableiten, dass die
Bilder nicht immer in gleicher Kraft bestehen und aus
anderen ähnlichen Ursachen, die ich hier nicht ausein-
anderzusetzen brauche; denn für das Ziel, dass ich er-
strebe, genügt die Betrachtung einer Ursache. Denn alle
Ursachen laufen darauf hinaus, dass diese Ausdrücke im
höchsten Grade verworrene Vorstellungen bezeichnen.
Aus äbnlichen Ursachen sind jene Begriffe entstanden,
welche man universale nennt, wie Mensch, Pferd,
Hund u. s. w. Weil nämlich in dem menschlichen Köiper
auf einmal z. B. vom Menschen so viel Bilder gebildet
werden, dass sie die bildliche Vorstellungskraft, wenn auch
nicht ganz und gar, doch so weit übersteigen, dass die
Seele die kleineren Unterschiede der einzelnen (wie die
Farbj, die Grösse jedes einzelnen) und ihre bestimmte
Zahl nicht bildlich vorstellen kann, so wird die Seele
nur das bestimmt bildlich vorstellen, worin alle überein-
stimmen, soweit der Körper von ihnen erregt worden ist.
Denn von diesen war der Körper am meisten, d. h. von
n. Theü. Ueber die Seele. 85
jedem einzelnen erregt, und dies drückt man mit dem
Worte Mensch aus und sagt es von den unzähligen Ein-
zelnen aus. Denn die Seele kann sich, wie gesagt, die
bestimmte Zahl der Einzelnen nicht bildlich vorstellen.
Mau muss indess festhalten, dass diese Begriffe nicht in
allen Seelen auf dieselbe Weise gebildet werden ; vielmehr
wechseln sie bei jeder nach Yerhältniss des Gegenstandes,
Yon dem der Körper oft erregt worden ist und den die
Seele leichter bildlich vorstellt und zurückruft. So ver-
stehen z. B. die, welche häufiger mit Bewunderung die
aufrechte Gestalt der Menschen betrachtet haben, unter
dem Namen: Mensch ein Wesen mit aufrechter Gestalt;
Andere, die ein Anderes zu betrachten gewöhnt waren,
werden ein anderes gemeinsames Bild der Menschen bil-
den, z. B., dass der Mensch ein lächerliches Geschöpf ist,
oder ein zweifüssiges ohne Federn, oder ein vernünftiges
Greschöpf. Und so wird Jeder nach der Beschaffenheit
seines Körpers auch von d«n Uebrigen die universellen
Bilder der Dinge bilden. Man kann sich daher nicht
wundem, dass unter den Philosophen so viele Streitpunkte
sich erhoben haben, da sie die natürlichen Dinge durch
die blossen Bilder derselben haben erklären wollen.
E. 2* Aus alle dem erhellt deutlich, dass wir vieles
auffassen und universelle Begriffe bilden 1) aus Einzelnen,
welche durch die Sinne verstümmelt, .verworren und ohne
Ordnung dem Verstände zugeführt werden (II. L. 29 Z.).
Deshalb habe ich gewöhnlich dergleichen Auffassungen
»die Kenntniss aus verworrener Erfahrung« genannt.
2) aus Zeichen, z. B. daraus, dass wir aus gewissen
gehörten und gelesenen Worten uns der Dinge erinnern
und gewisse Yorstellungen von ihnen bilden, ähnlich denen,
durchweiche wir die Dinge bildlich vorstellen (II. L. 18 E.).
Diese beiden Ai*ten, die Dinge zu betrachten werde ich
künftig die Kenntnis erster Ordnung, Meinung
oder Einbildung nennen;
3) endlieh daraus, dass wir Gemein -Begriffe und zu-
reichende Vorstellungen von den Eigenschaften der Dinge
haben (II. L. 38 Z. 39 Z. L. 40). Und dies werde ich
die Vernunft oder die Kenntniss der zweiten
Ordnung nennen.
Ausser diesen beiden Arten von Kenntniss giebt es
öoch, wie ich denmächst zeigen werde, eine dritte Art,
86 n. Theil. Ueber die Seele.
welche ich das anschauliche Wissen nennen werde.
Diese Art der Erkenntniss schreitet von der zureichenden
Vorstellung des wirklichen Wesens einiger Attribute Gottes
zu zureichender Erkenntniss des Wesens der Dinge vor.
Dies Alles will ich durch ein Beispiel erläutern. Es
werden z. B. drei Zahlen gegeben, um die vierte zu finden,
die sich zur dritten verhalten soll, wie die zweite zur
ersten. Die Kaufleute sind nicht zweifelhaft; dass mau
dazu die zweite Zahl mit der dritten multipliziren und
das Produkt durch die erste dividiren muss; weil sie
nämlich das, was sie von ihrem Lehrer ohne allen Beweis
gehört, noch nicht vergessen haben, oder weil sie es oft
an den einfachsten Zahlen erprobt haben, oder auf Grund
des Beweises von Lehrsatz 19 im siebenten ]^uche des
Euklid; nämlich aus der gemeinsamen Eigenthümlichkeit
der Proportionalzahlen. Bei den einfachsten Zahlen bedarf
es indess dessen nicht. Wenn z. B. die Zahlen 1, 2, 3 ge-
geben sind, so weiss Jeder, dass die vierte Zahl 6 ist
und dies viel deutlicher, weil wir aus dem Verhältnisse
das wir zwischen der ersten und zweiten Zahl auf den
ersten Blick erkennen, die vierte folgern.*^)
L. 41, Die Kenntniss der ersten Art ist die ein-
zige Ursache der Unwahrheit; die der zweiten und
dritten Art ist aber nothwendig wahr,
B« Zur Kenntniss der ersten Art gehören, wie wir
in der vorhergehenden Erläuterung gesagt haben, alle
jene Vorstellungen, welche unvollkommen und verworren
sind; daher ist dieses Wissen die einzige üisache des
Falschen (11. L. 35). Aber zur Kenntniss der zweiten
und dritten Art gehören nach dem, was ich gesagt, alle
zureichenden Vorstellungen; deshalb ist sie nothwendig
wahr (IL L, 34).
L. 42. Die Ke^intniss der zweiten und der dritten
Art, aber nicht die der ersteren, lehrt uns das Wahre
von dem Falschen unterscheiden,
B. Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst klar; denn
wer zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, muss
die zureichende Vorstellung des Wahren und des Falschen
haben, d. h, das Wahrö und Falsche in der zweiten oder
dritten Art der Kenntniss kennen. **)
n. Theü. Ueber die Seele. 87
L. 43* Wer eine wahre Vorstellung hat, weise
zugleich^ dass er eine wahre hat und kann über die
Wahrheit des Gegenstandes nicht zweifeln,
B. Die wahre Vorstellung in uns ist diejenige, welche
iu Gott zureichend ist, soweit er durch die Natur der
menschlichen Seele ausgedrückt wird (II. L. 11 Z.). Wir
wollen also annehmen, dass es in Gott, soweit er durch
die Natur der menschlichen Seele ausgedrückt wird, eine
zureichende Vorstellung von A. gebe. Von dieser Vor-
stellung muss es nothwendig in Gott auch eine Vorstel-
lung geben, welche auf Gott in derselben Weise bezogen
wird, wie die Vorstellung von A. (n. L. 20, dessen Be-
weis allgemein ist). Aber die Vorstellung von A. wird
nur vorausgesetztermaassen auf Gott bezogen, insofern er
durch die Natur der menschlichen Seele ausgedrückt ist;
deshalb muss auch die Vorstellung von der Vorstellung
des A. auf Gott in derselben Weise bezogen werden, d. h.
diese zureichende Vorstellung der Vorstellung des A. wird
in derselben Seele sein, welche die zureichende Vorstel-
lung des A. hat (II. L. 11 Z.). Wer deshalb eine zu-
reichende Vorstellung hat, und wer eine Sache wahrhaft
kennt (11. li. 34), muss zugleich die zureichende Vor-
stellung seiner Kenntniss oder ihre wahre Kenntniss haben,
d. h. er muss zugleich derselben gewiss sein (wie von
selbst offenbar ist).
£• In der Erläuterung zu II. Lehrsatz 21 habe ich
auseinandergesetzt, was die Vorstellung einer Vorstellung
ist; indess ist der vorstehende Lehrsatz auch an sich
emleuchtend. Denn Jeder, der eine wahre Vorstellung
hat, weiss, dass die wahre Vorstellung die höchste Gewiss-
heit in sich schliesst; denn eine wahre Vorstellung haben,
bedeutet nichts weiter, als einen Gegenstand vollkommen
und auf das Beste kennen. Hierbei kann sicherlich Nie-
mand Zweifel haben, er müsste denn die Vorstellung für
etwas Stummes halten, gleich dem Gemälde auf der Tafel,
und nicht für eine Art des Denkens, d. h. nicht für das
Erkennen selbst; und ich frage: Wer kann wissen, dass
er eine Sache einsieht? d. h. wer kann wissen, dass er
einer Sache gewiss ist, wenn er nicht vorher der Sache
gewiss ist? Was kann es endlich Klareres und Gewisse-
res geben, um als Kennzeichen der Wahrheit zu gelten,
88 n. Theü. Ueber die Seele,
als die wahre Vorstellnng? Sowie das Licht sich selbst
und die Finsterniss offenbart, so ist die Wahrheit das
Eichtmaass ihrer und des Falschen. Ich glaube damit
auch folgende Zweifel erledigt zu haben, nämlich: Wenn
die wahre Vorstellung nur, insofern ' als von ihr aus-
gesagt wird, dass sie mit ihrem Gegenstande übereinstimme,
von der falschen sich unterscheidet, so sagt man, dass
dann die wahre Vorstellung an Bealität und Vollkommen-
heit nichts vor der falschen voraus habe (weil sie nur
durch eine äusserliche Bezeichnung unterschieden wer-
den), und folglich habe au^h ein Mensch mit wahren
Vorstellungen vor einem Menschen mit falschen Vorstel-
lungen nichts voraus. Ferner fragt man, woher es komme,
dass die Menschen falsche Vorstellungen haben, und end-
lich woher Jemand es gewiss wissen könne, dass er Vor-
stellungen habe, die mit ihren Gegenständen überein-
stimmen. Auf diese Frage habe ich nach meiner Mei-
nung schon geantwortet. Denn was den Unterschied
zwischen der wahren und falschen Vorstellung anlangt,
so erhellt aus U. L. 35, dass jene zu dieser sich vorhat,
wie das Seiende zu dem Nicht-Seienden. Die Ursachen
des Falschen habe ich von II. L. 19 bis 35 Z. völlig
deutlich dargelegt, und daraus ergiebt sich auch, welcher
Unterschied zwischen einem Menschen besteht, der wahre
Vorstellungen hat und einem, der nur falsche hat. Was
endlich die letzte Frage anlangt, nämlich woher der
Mensch wissen könne, dass er eine Vorstellung habe,
welche mit ihrem Gegenstande übereinstimme, so habe
ich eben ausführlich gezeigt, dass dies nur daher komme,
weil er eine Vorstellung hat, die mit ihrem Gegenstande
übereinstimmt, oder weil die Wahrheit ihr eigenes ßicht-
maass ist. Dem ist noch hinzuzufügen; dass unsere
Seele, insofern sie die Gegenstände wahr auffasst, ein
Theil des unendlichen Verstandes Gottes ist (II. L. 11 Z.),
folglich müssen die klaren und bestimmten Vorstellungen
der Seele so wahr sein, als die Vorstellungen Gottes. *»*}
L. 44:. JEs liegt nicht in der Naiur der Vernunft,
die Dinge als zufällig zu betrachten, solidem als
nothwendig»
B. Die Natur der Vernunft ist, die Dinge wahrhaft
aufzufassen (II. L. 41), d. h. wie sie in sich sind
n. Theil Ueber die Seele. 89
(I. A. 6), d. h. nicht als zufällige, sondern als nothwen-
dige (I. L. 29).«^)
Z. 1. Hieraus ergiebt sich, dass es blos von dem
bildlichen Vorstellen kommt, wenn wir die Dinge sowohl
in Bücksicht des Vergangenen wie Zukunftigen als zufällig
betrachten.
E. Wie dies geschieht, will ich mit Wenigem erklä-
ren. Ich habe oben gezeigt (II. 17 mit Z.), dass die
Seele die Dinge, obgleich sie nicht existiren, doc^ immer
als sich gegenwärtig bildlich vorstellt, wenn nicht Ur-
sachen eintreten, die deren gegenwärtige Existenz aus-
schliessen. Dann habe ich gezeigt (II. L. 18), dass,
wenn der menschliche Körper einmal von zwei fremden
Körpern erregt wurden ist, die Seele später bei der bild-
lichen Vorstellung des einen sich auch sofort des andern
erinnern wird, d. h. sie wird Beide als sich gegenwärtig
auffassen, wenn nicht Ursachen eintreten, welche deren
gegenwärtige Existenz ausschliessen. Ausserdem zweifelt
Niemand, dass wir uns auch die Zeit bildlich vorstellen,
weil wir uns vorstellen, dass gewisse Körper sich lang-
samer oder schneller, oder gleich schnell mit anderen
bewegen.
Nehmen wir also einen Knaben an, der gestern zum-
ersten Male früh den Feter, Mittags den Faul und Abends
den Simeon gesehen hat und heute wiederum früh den
Peter. Aus II. L. 18 erhellt, dass er, sobald er das
Morgenlicht erblickt, sich auch die Sonne bildlich vor-
stellen wird, wie sie von da . aus denselben Theil des
Himmels durchlaufen wird, wie er es den vorigen Tag
gesehen hat, d. h. er wird sich den ganzen Tag vor-
stellen und zugleich mit der Morgenzeit den Peter, mit
der Mittagszeit den Paul und mit der Abendzeit den
Simeon ; d. h. er wird die Existenz von Paul und Simeon
mit Bezug auf die künftige Zeit vorstellen und umge-
kehrt, wenn er am Abend den Simeon sieht, so wird er
den Paul und Peter auf die vergangene Zeit beziehen,
indem er sie mit der vergangenen Zeit verbunden vor-
stellt. Dies wird um so sicherer geschehen, je öfter er
sie in dieser Ordnung gesehen hat. Wenn es sich ein-
mal trifft, dass er an einem andern Abend statt des Simeon
den Jacob sieht, so wird er am folgenden Morgen mit
der Abendzeit bald den Simeon, bald den Jacob, nicht
90 n. Theil. üeber die Seele.
aber Beide zugleich yorstellen. Denn es ist angenommen
worden, dass er nur einen von Beiden, nicht aber Beide
zugleich zur Abendzeit gesehen hat Sein bildliches Yor-
stellen wird daher schwanken und mit der folgenden
Abendzeit bald diesen, bald jenen vorstellen, d. h. Keinen
gewiss, sondern Jeden wird er als ein zufälliges Künf-
tiges yorstellen. Dieses Schwanken des bildlichen Yor-
stellens wird ebenso eintreten, wenn es sich um das
bildlich^ Vorstellen von Dingen handelt, welche wir in
derselben Weise mit Beziehung auf die vergangene oder
gegenwärtige Zeit betrachten und folglich werden wir
die Dinge, welche auf die gegenwärtige oder vergangene
oder zukünftige Zeit bezogen werden, als zuföUig yor-
stellen. W)
Z. 2. Es liegt in der Natur der Vernunft, die Dinge
unter der Form der Ewigkeit aufzufassen.
B. Es liegt in der Natur der Vernunft, die Dinge
als nothwendig und nicht als zufallig zu betrachten
(II. L. 44). Diese Nothwendigkeit der Dinge erfasst aber
die Vernunft wahrhaft (IT. L. 4), d. h. wie sie in sich ist
(I. A. 6). Aber diese Nothwendigkeit der Dinge ist die
eigne Nothwendigkeit der ewigen Natur Gottes (I. L. 16);
es liegt also in der Natur der Vernunft, die Dinge unter
dieser Bestimmung der Ewigkeit vi betrachten. Man
nehme hinzu, dass die GrundOÜagen der Vernunft Begriffe
sind, welche das darlegen (II. L. 38), was allen gemein
ist, und welche nicht das Wesen einer einzelnen Sache
ausdrücken (II. L. 37), und welche deshalb ohne alle Be-
ziehung auf die Zeit unter der Form der Ewigkeit anf-
gefasst werden müssen. *•)
L. 45. Jede Vorstellung irgend eines wirklich
eaistirenden Körpers oder einzelnen Dinges enthält
nothwendig die ewige und unendliche WesenJieit Gottes»
B« Die Vorstellung eines einzelnen, wirklich existi-
renden Dinges enthält nothwendig sowoM das Wesen wie
die Existenz (II. L. 8 Z.) dieses Dinges. Die einzelneu
Dinge können aber nicht ohne Gott vorgestellt werden
(I. L, 15), denn sie haben Gottr^üur Ursache (II. L. 6),
insofern er unter dem Attribut aui^gefasst wird, dessen
Zustände Jone Dinge sind, und es müssen deshalb noth-
wendig ihre Vorstellungen die Vorstellung ihres Attributs
II. Theil. Ueber die Seele. 91
(I. A. 4), d. h. die ewige und unendliche Wesenheit
Gottes, einschliessen (L. B. 6).
£• Ich verstehe unter Existenz hier nicht die zeit-
liche Bauer, oder eine Existenz, soweit sie ahstrakt und
als eine Art der Grösse aufgefasst wird. Denn ich spreche
hier von der eigenen Natur der Existenz, welche den
einzelnen Dingen beigelegt wird, weil aus der ewigen
Natur Gottes Unendlich-Vieles auf unendlich viele Weise
folgt (I. L. 16). Ich spreche also von der Existenz der
Dinge, soweit sie in Gott sind. Denn wenn auch jedes
Einzelne von einem Andern auf eine gewisse Weise zur
Existenz bestimmt wird, so folgt doch die Kraft, durch
welche Jedes in der Existenz verharrt, aus der ewigen
Nothwendigkeit der Natur Gottes (I. L. 24 Z.).
L. 46» Die Kenntntss des ewigen und unendlichen
Wesens Gottes, welche in jeder Vorstellung enthalten
ist, ist zureichend und vollkommen,
B« Der Beweis des vorgehenden Lehrsatzes gilt allge-
mein; mag der Gegenstand als Theil oder als Ganzes be-
trachtet werden, so enthält seine Vorstellung, sowohl von
ihm als Ganzes, wie als Theil die ewige und unendliche
Wesenheit Gottes (II. L. 45). Deshalb ist dasjenige, was
die Kenntniss des ewigen und unendlichen Wesens Gottes
gewährt, ein allen Dingen Gemeinsames und ebensowohl
in dem Theile, wie im Ganzen enthalten, und daher ist
diese Kenntniss eine zureichende (IL L. 38).
L. 47. Die menschliche Seele hat eine zureichende
Kenntniss von dem ewigen und unendlichen Wesen
Gottes,
B. Die menschliche Seele hat Vorstellungen (11. L. 22),
durch welche sie ihren Körper (IL L. 23, 19) und die
fremden Körper (IL L. 17, 16 Z.) als wirklich existirend
erfasst; folglich hat sie eine zureichende Kenntniss von
dem ewigen und unendlichen Wesen Gottfes (IL L. 45, 46).
E. Hieraus sieht man, dass das unendliche Wesen
und die Ewigkeit Gottes Allen bekannt sind. Da aber
Alles in Gott ist und durch Gott vorgestellt wird, so
folgt, dass wir aus dieser Erkenntniss viele zureichende
Kenntnisse ableiten können. Damit erwerben wif jene
dritte Art der Erkenntniss, von welcher IL L. 40 E.
92 n. Theil. Ueber die Seele,
gesprochen worden ist, und deren Vorzügliclikeit und
Nutzen darzulegen im fünften Theil dieses Werkes der
Ort sein wird. Wenn aber die Menschen keine so klare
Kenntniss Crottes besitzen, wie von den Gremeinbegriffen,
so kommt das daher, dass sie Gott nicht so wie die Kör-
per sich bildlich yorstellen können, und dass sie den
Namen Gottes mit Vorstellungen von Dingen verbunden
haben, die sie zu sehen gewöhnt sind; welche Yerbindung
kaum vermeidlich ist, da die Menschen fortwährend von
fremden Körpern erregt werden. In Wahrheit bestehen
die meisten Irrthümer nur allein darin, dass man den
Bingen nicht die rechten Worte giebt. Denn wenn
Jemand sagt, dass die aus dem Mittelpunkt eines Kreises
nach dessen Umring gezogenen Linien ungleich seien, so
hat er offenbar, wenigstens hier, unter Kreis etwas anderes
im Sinn, als die Mathematiker. So haben die Menschen,
welche sich verrechnen, andere Zahlen im Kopfe, als auf
dem Papier. Sieht man auf deren Seele, so irren sie
nicht, sie scheinen uns nur zu irren, weü wir glauben,
dass sie dieselben Zahlen im Kopfe, wie auf der Tafel
haben. Wäre dies nicht, so wflrden wir nicht glauben,
dass sie irrten; so wie ich keinen Irrthum bei dem Men-
schen angenommen habe, der neulich schrie, dass sein
Hof auf des Nachbars Henne geflogen sei, weil ich wohl
verstand, was er eigentlich meinte. Davon kommen die
meisten Streitigkeiten, indem die Menschen ihre Memung
nicht richtig ausdrücken oder die eines Andern schlecht
auslegen. In der That denken sie da, wo sie sich am
heftigsten streiten, entweder Dasselbe oder Verschiedenes,
so dass die Irrthümer und Widersinnigkeiten, welche sie
bei dem Andern annehmen, gar nicht bestehen. *'')
L. 48. In dm* Seele giebt es keinen unbedingten
oder freien Willenj smidem die Seele wird zu diesem
oder jenem Wollen durch eine Ursache bestimmt,
welche ebenfalls von einer andern bestimmt ist, und
diese wieder von einer ande9*n und so fort ohne Ende,
B. Die Seele ist ein gewisser und bestimmter Zustand
des Denkens (II. L. 11), deshalb kann sie nicht die freie
Ursache ihrer Handlungen sein (I. L. 17 Z. 2), d. h. sie
kann nicht die unbedingte Fähigkeit des Wollens und
NichtwoUens haben, sondern sie wird zu diesem oder
n. Theil. Ueber die Seele. 93
jflnem Wollen von einer Ursache Iteatimmt {I. L, 28),
welche ebenfalls von einer andern bestimmt ist, mid diese
wieder von einer andern u. s. w.
E. Ebenso beweist' man, dass es in der Seele keine
nobedingte Fähigkeit des Einsehens, des Begehrens, des
Liebens n. s. v. giebt. Daraus folgt, dasg diese und
andere Vermögen gänzlich eingebildet sind nnd nnr meta-
physische oder imiverselle Wesen sind, welche man ans
den Einzelnen zn bilden gewohnt ist. Deshalb verhalten
sich Verstand und Wille zu dieser oder jener Torstellung
oder zu diesem oder jenem Wollen ebenso, wie die Stein-
heit zu diesem oder jenem Stein oder wie der Mensch
lam Feter oder Faul. Die Ursache aber, weshalb die
Henschen sich für frei halten, habe ich im Anhang zum
Theil I. dargelegt. Ehe ich indoss weiter gehe, mnss
ich bemerken, dass ich unter Willen die Fähigkeit zu
bejahen oder zn verneinen, nicht aber das Begehren
verstehe. Ich meine also damit das YermOgen, vermittelst
welchem die Seele das Wahre oder Falsche bejaht oder
verneint, und nicht die Begierde, vermittelst welcher die
Seele die Dinge begehrt oder verabscheut. Nachdem ich
gezeigt habe, dass diese Vermögen universelle Begriffe
sind, die sich von den Einzelnen, aus denen sie gebildet
werden, nicht unterscheiden, so ist zu untersuchen, oh
diese einzelnen Wollen etwas anderes sind, als die Tor-
stellangen der Dinge selbst. Es ist also, wie ich sage,
la untersnchen, ob es in der Seele noch ei]
Bejahung oder Verneiming giebt ausser der, n
Vorstellung, soweit sie Vorstellung ist, in siel
Hierüber lese man den folgenden Lehrsatz und
nition n. 3, damit das Denken nicht in gema
verfalle. Denn ich verstehe unter Yorstelluni
Bilder, wie sie im Grunde des Auges oder, ^
will, im Innern des Gehirns gebildet werden.
Vorstellungen des Denkens.
L. 49. In der Seele giebt es kein Wollt
Btjahen oder Verneinen, aitsser demjenigen, w<
Vorstellung, als solche, enthält.
B. In der Seele giebt es (II. L. 48) kein
tes Vermögen zn wollen oder nicht zu wollen,
nur einzelne Wollen, nämlich diese oder jene
94 n. Theil. Ueber die Seele.
und diese oder jene Verneinung. Nehmen wir daher ein
einzelnes Wollen, d. h. einen Znstand des Denkens, durch
welches die Seele bejaht, dass die drei Winkel eines
Dreiecks zwei rechten gleich sind.' Diese Bejahung ent-
halt die Aufifassung oder Vorstellung des Dreiecks; d. h.
ohne die Vorstellung des Dreiecks kann diese Bejahung
nicht gefasst werden. Denn es ist dasselbe, ob ich sage,
dass A. die Vorstellung von B. enthalte, wie, dass A.
ohne B. nicht vorgestellt werden kann. Femer kann
diese Bejahung auch nicht ohne die Vorstellung des
Dreiecks sein (11. A. 3). Diese Bejahung kann daher
weder sein noch vorgestellt werden ohne die Vorstellung
des Dreiecks. Femer muss diese Vorstellung des Drei-
ecks dieselbe Bejahung enthalten, nämlich dass die drei
Winkel desselben zwei rechten gleich sind. Deshalh
kann auch umgekehrt die Vorstellung des Dreiecks ohne
diese Bejahung weder sein noch gefasst werden. Folglich
gehört diese Bejahung zum Wesen der Vorstellung des
Dreiecks und ist nichts Anderes, als sie selbst (11. D. 2).
Was ich von diesem .WoUem hier dargelegt habe, gilt
(da es willkürlich herausgegriffen worden ist) auch von
jedem andern Wollen, nämlich dass es nichts Besonderes
neben der Vorstellung ist.
Z. Der Wille und der Verstand sind ein und dasselbe.
B. Der Wille und der Verstand sind nichts, als die
einzelnen Wollen und Vorstellungen (II. L. 48^ und E.);
aber das einzelne Wollen und die einzelne Vorstellung
sind ein und dasselbe (II. L. 49), folglich ist der Wille
und der Verstand ein und dasselbe.
E. Damit ist die Ursache beseitigt, welche gewöhnlich
für die Ursache des Irrthums gehalten wird. Ich habe
oben gezeigt, dass die Unwahrheit in einem blossen Man-
gel besteht, welchen die verstümmelten und verworrenen
Vorstellungen enthalten. Deshalb enthält die falsche Vor-
stellung, soweit sie falsch, keine Gewissheit. Wenn es
deshalb von einem Äenschen heisst, dass er sich bei dem
Falschen beruhige und nicht darüber zweifele, so soll da-
mit nicht gesagt sein, dass er desselben gewiss sei, son-
dem nur, dass er nicht zweifele; oder dass er sich bei
dem Falschen nur beruhige, weil keine Ursachen bestehen,
welche sein bildliches Vorstellen ins Schwanken bringen
(II. L. 44. E.). Wenn also auch ein Mensch noch so sehr
n. Theil. üeber die Seele. 95
dem Falschen anhängt, so kann man, doch nicht sagen,
dass er dessen gewiss sei; denn anter Gewissheit ver-
stehe ich etwas Positives, aber nicht den Mangel des
Zweifels (ü. L. 43 mit E.). Aber unter dem Mangel
der Gewissheit verstehe ich das Falsche.**)
Indess wird zur mehreren Yerdeutlichung des vorher-
gehenden Lehrsatzes noch Einiges zu sagen sein. Es ist
auch noch erforderlich, dass ich auf die Gründe antworte,
welche man dieser meiner Lehre entgegenstellen kann;
und endlich schien es mir, um alle Zweifel zu beseitigen,
rathsam, auf einige nützliche Folgen dieser Lehre hin-
zuweisen» Ich sage auf einige; denn die wichtigsten
werden durch die Ausführung des V. Theiles besser ver-
ständen werden.
Ich beginne mit dem ersten und erinnere die Leser,
genau zu unterscheiden zwischen Vorstellung oder Auf-
fassung der Seele und zwischen den Bildern der Dinge,
welche der Gegenstand unserer bildlichen Vorstellungen
sind. Ebenso muss zwischen den Vorstellungen und den
Worten, als Bezeichnung der Dinge, unterschieden werden.
Denn weil diese drei als die Bilder, die Worte und die
Vorstellungen von Vielen ganz vermengt oder nicht genau
genug oder nicht vorsichtig genug unterschieden wer-
den, 80 ist ihnen diese Lehre von dem Willen gänzlich
unbekannt, obgleich sie doch ebenso wissenswerth ist
für die Untersuchungen im Denken, als für die weise
Einrichtung des Lebens. Man glaubt nämlich, dass die
Vorstellungen in Bildern bestehen, welche in uns durch
die Begegnung der Körper sich bilden, und ist überzeugt,
dass jene Vorstellungen der Dinge, von denen man kein
ähnliches Bild sich herstellen kann, keine Vorstellungen
seien, sondern nur Einbildungen, die man sich aus freier
Willkür macht. Man betrachtet also die Vorstellungen
wie stumme Bilder auf einer Tafel, und von diesem Vor-
urtheil eingenommen, bemerkt man nicht, dass die Vor-
stellung als solche die Bejahung oder Verneinung in sich
enthält.
Ferner meinen die, welche die Worte mit der Vor-
stellung oder mit der in ihr enthaltenen Bejahung ver-
wechseln, dass sie anders wollen könnten, als sie vor-
stellen; da sie ja mit blossen Worten etwas gegen ihre
Meinung bejahen oder verneinen können.
96 ' n. TheiL Ueber die Seele.
Diese Vorurtheüe wird indess deijenige leicht ablegen
können, welcher anf die Xatur des Denkens Acht hat,
da dieses die Vorstellnng der Ausdehnung keineswegs
enthält, und er wird deshalb klar einsehen, dass cüe
Vorstellung als ein Zustand des Denkens weder aus dem
Bild einer Sache noch aus Worten besteht. Denn das
Wesen der Worte und Bilder besteht in blossen körper-
lichen Bewegungen, welche die Vorstellung des Denkens
keineswegs enthalten.
Dies Wenige wird genügen, und ich gehe daher zu den
übrigen Einwürfen über. Der erste ist, dass man als
gewiss ansieht, dass der Wille sich weiter erstreckt als
der Verstand, mithin von ihm verschieden sein müsse.
Der Grund aber, weshalb man meint, der Wille erstrecke
sich weiter als der Verstand, ist die angebliche Erfahrung
au sich selbst, wonach man zur Zustimmung, d. h. zum
Bejahen oder Verneinen unendlich vieler Dinge, die man
nicht kennt, keines grösseren Vermögens zur Zustimmung
bedarf, als man schon hat; aber wohl eines grösseren
Vermögens zur Erkenntniss. Man unterscheidet also den
Willen von dem Verstand, weil dieser beschränkt und
jener unbeschränkt sei. Man wendet zweitens ein, dass
man, wie die Erfahrung ganz deutlich zeige, sein ürtheil
zurückhalten könne, um den Dingen, welche man wahr-
nimmt, nicht beizustimmen. Auch dies soll beweisen,
dass man von Niemand beweisen kann, er werde ge-
täuscht, insofern er etwas wahrnimmt, sondern nur in-
sofern er beistimmt oder nicht beistimmt.
Wer sich z. B. ein geflügeltes Pferd vorstellt, erkennt
damit nicht schon an, dass es ein solches gebe; d. h. er
irrt nur erst dann, wenn er zugleich annimmt, dass es
ein geflügeltes Pferd gebe. Also zeigt die Erfahrung
offenbar, dass der Wille oder das Vermögen zuzustimmen
frei und von dem Vermögen der Einsicht verschieden
sei. Man kann drittens den Einwand erheben, dass die
eine Bejahung nicht mehi* Eealität enthalte, als die an-
dere, d. h. wir bedürfen keiner grösseren Macht, um das
für wahr zu behaupten, was wahr ist, als um etwas für
wahr zu behaupten, was falsch ist. Dagegen bemerken
wir, dass eine Vorstellung mehr Realität oder Vollkommen-
heit enthält, als die andere; denn um wieviel ein Gegen-
stand vor dem andern vorzüglicher ist, um soviel ist
n. Theil. üeber die Seele. 97
auch seine Vorstellung vorzüglicher als die des andern.
Auch daraus soll ein Unterschied zwischen Willen und
Verstand sich ergeben. Viertens kann man einwenden,
wäS) wenn ein Mensch nicht aus Freiheit des Willens
handele, dann werden solle, wenn er im Qleidigewicht
sich befinde, wie der. Esel des Buridan? Ob er dann
verhungern oder verdürsten würde? Denn wenn ich dies
behaupte, so behandele ich ihn wie einen Esel oder wie
die Bildsäule eines Menschen, aber nicht wie einen
Menschen; wenn ich es aber verneine, so folge, dass
ein Mensch sich selbst bestimme und folglich das Ver-
mögen zu gehen und Alles zu thun habe, was er wolle.
Man kann vielleicht noch andere Einwendungen erheben;
allein da ich nicht auf alle Träumereien zu antworten
verpflichtet bin, so will ich nur auf diese erwähnten
Einwände antworten, und zwar so kurz als möglich.
In Bezug auf den ersten Einwand räume ich ein, dass
der Wille sich weiter erstreckt als der Verstand, wenn
man unter diesem nur die klaren und bestimmten Vor-
stellungen versteht; aber ich bestreite es, dass der Wille
sich weiter erstreckt als die Wahrnehmungen und das
Vermögen vorzustellen. Ich sehe auch nicht ein, warum
das Vermögen zu wollen eher für unendlich zu erklären
ist, als das Vermögen der Wahrnehmung. Denn sowie
man mit demselben Vermögen des WoUens unendlich
Vieles bejahen kann (jedoch eins nach dem andern,
denn auf einmal kann man unendlich Vieles nicht bejahen),
ebenso kann man unendlich viele Körper (nämlich einen
nach dem andern) durch das Vermögen des Wahrneh-
mens vorstellen oder erfassen. Wenn die Gegner be-
haupten, dass es unendlich Vieles gäbe, was man nicht
erfassen könne, so erwidere ich, dass wir dasselbe auch
durch kein Denken und folglich auch durch kein Ver-
mögen des Wollans erreichen können. Aber man sagt,
wenn Gott bewirken wollte, dass wir auch dieses er-
fassen, so müsste er uns zwar ein grösseres Vermögen
des Wahrnehmens geben, aber kein grösseres Vermögen
des Wolkns, als wir schon haben. Dies ist indess
ebenso, als wenn man sagte, dass, wenn es Gott be-
wirken wollte, dass wir unendlich viele andere Wesen
erkennten, es zwar nöthig wäre, Uns einen grösseren
Verstand zu geben, aber nicht einen universelleren Begriff
Spinoza, Ethik. * 7
98 . n. TheiL Heber die Seele.
des Seins, als wir schon haben, um diese unendlich vielen
Wesen zu umfassen. Denn ich habe gezeigt, dass der
Wille ein universelles Ding ist, oder eine Yorstellung,
mit v^elcher wir alle einzelnen Wollen oder das ihnen
allen Gemeinsame bezeichnen. Wenn also die Gegner
diese allen einzelnen Wollen gemeinsame oder universelle
Vorstellung für ein Vermögen halten, so darf man sich
nicht wundem, wenn sie sagen, dass dieses Vermögen
über die Grenzen des Verstandes ohne Ende sich aus-
dehne. Denn das Universelle wird ebenso von dem Ein-
zelnen, wie von dem Mehreren und von unendlich vielen
Einzeldingen ausgesagt. Auf den zweiten Einwand
antworte ich, indem ich bestreite, dass wir die freie
Macht hätten, unser Urtheil aufzuhalten. Denn wenn
man sagt, dass Jemand sein IJrtheil anhalte, so soll dies
nur heissen, dass er einsieht, er verstehe die Sache noch
nicht zureichend; die Anhaltung des Urtheils ist deshalb
in Wahrheit eine Vorstellung und keine Willkür. Um
dies deutlicher einzusehen, nehme man einen Knaben an,
der sich ein Pferd bildlich vorstellt, aber sonst nichts
Anderes auffasst. Da diese bildliche Vorstellung des
Pferdes die Existenz einschliesst (II. L. 17 Z.) und der
Knabe nichts auffasst, was die Existenz des Pferdes auf-
hebt, so wird er nothwendig das Pferd als gegenwärtig
annehmen und wird auch über die Existenz des Pferdes
nicht zweifeln, obgleich er derselben nicht gewiss ist. Tnd
dies erleben wir täglich beim Träumen, und ich glaube,
dass Niemand meint, während des Träumens die freie Macht
zu besitzen, sein Urtheil über das, was er träumt, anzu-
halten, und zu bewirken, dass er das, was er zu sehen
träumt, nicht träume. Und dennoch trifft es sich, dass
man auch im Traume sein Urtheil hemmt, wenn man
nämlich träumt, dass man träume.
Ich g4be femer zu, dass Niemand getäuscht wird,
insofern er wahrnimmt, d. h. ich gebe zu, dass die bild-
lichen Vorstellungen der Seele als solche keinen Irrthum
enthalten (II. 17 E.) ; aber ich bestreite, dass der Mensch,
insofern. er wahrnimmt, nichts bejahe. Denn was ist die
Auffassung eines geflügelten Pferdes anders als die
Bejahung der Flügel am Pferde- Denn wenn die Seele
neben dem geflügelten Pferde nichts weiter vorstellte, so
würde sie es als ein sich Gegenwärtiges vorstellen, und
IL Theil. lieber die Seele. 99
sie würde keine Ursache haben, über seine Existenz- zu
zweifehl, und auch kein Yermögen^ dem nicht beizustim-
men, so lange nicht die Existenz des geflügelten Pferdes
mit einer Vorstellung verbunden ist, welche dessen Existenz
aufhebt, oder so lange sie nicht bemerkt, dass ihre Vor-
stellung des geflügelten Pferdes eine unzureichende ist,
aber dann wird sie nothwendig die Existenz dieses Pferdes
leugnen oder nothwendig bezweifeln.
Ich glaube damit auch auf den dritten Einwand
geantwortet zu haben, nämlich dass der Wille etwas
Universelles ist, was von allen Vorstellungen ausgesagt
wird, und dass er nur das bezeichnet, was allen Vor-
stellungen gemeinsam ist, nämlich eine Bejahung; das
zureichende Wesen dieser Bejahung, insofern sie so
abstrakt gefasst wird, muss deshalb in jeder Vor-
stellung sein, und nur in dieser Hinsicht muss sie in
allen dasselbe sein; aber nicht, insofern sie als das
Wesen der Vorstellung bildend aufgefasst wird; denn
insofern unterscheiden sich die einzelnen Bejahungen
ebenso von einander, wie die einzelnen Vorstellungen.
So unterscheidet sich z. B. die Bejahung, welche in der
Vorstellung eines Kreises enthalten ist, von der Bejahung,
welche in der Vorstellung eines Dreiecks enthalten ist,
ebenso, wie sich die Vorstellung des Kreises von der
des Dreiecks unterscheidet. Sodann bestreite ich ent-
schieden, dass wir einer gleichen Kraft des Denkens be-
dürfen, um das als wahr zu bejahen, was wahr ist, als
um das als wahr zu bejahen, was falsch ist. Denn beide
Bejahungen verhalten sich in Bezug auf die Seele, wie
das Sein zu dem Nichtsein. Denn in den Vorstellungen
ist nichts Positives, was das Wirkliche des Falschen
bildet (II. L. 35 E. L. 47 E.). Hier war deshalb vor-
zugsweise darauf aufmerksam zu machen, wie leicht man
irrt, wenn man das Universelle mit dem Einzelnen und
die Gebilde der Vernunft und das Abstrakte mit dem
Wirklichen verwechselt.
Was endlich den vierten Einwand anlangt, so gebe
ich zu, dass ein Mensch in solchem Gleichgewicht vor
Hunger und Durst umkommen wird (insofern er nämlich
nichts weiter vorstellt, als Hunger und Durst, und diese
Speise und diesen Trank, welche beide gleich weit von ihm
abstehen). Fragt man mich, ob ein solcher Mensch nicht
7*
100 IL Theü. üeber die Seele. ^
yielmehr als ein Esel, denn als Mensch gelten müsse, so
sage ich, dass ich dies nicht weiss, so wenig wie icli
weiss, wofür ich den halten soll, der sich aufhängt,
oder wofür Kinder, Thoren nnd Wahnsinnige zu halten
sind.**)
Ich habe endlich noch anzudeuten, wie nützlich die
Xenntniss dieser Lehre für das Leben ist, was man leicht
aus Folgendem entnehmen kann. Nämlich zuerst daraus,
dass sie uns lehrt, nach dem blossen Wink Gottes zu
handeln und der göttlichen Katur um so mehr theilhaft
zu werden, je vollkommenere Handlungen wir thun und
je mehr und mehr wir Gott erkennen. Diese Lehre hat
ausserdem, dass sie das Gemüth durchaus beruhigt, noch
das Gute, dass sie uns lehrt, worin unser grösstes Glück
und Seligkeit besteht, nämlich nur in der Kenntniss
Gottes, wodurch wir nur das zu thun veranlasst werden,
was Lie'be und Frömmigkeit rathen. Daraus erkennen
wir deutiich, wie sehr Jene von der wahren Schätzung
der Tugend abirren, welche für die Tugend und für die
besten Handlungen, wie für die schwerste Knechtschaft,
mit den höchsten Belohnungen von Gott geschmückt zu
werden erwarten, als wenn die blosse Tugend und der
Dienst Gottes nicht das Glück selbst und die höchste
Freiheit wäre.
Zweitens insofern sie uns lehrt, wie wir uns zu den
Glücksgütern zu verhalten haben, oder zu dem, was
nicht in unserer Macht steht, d. h. zu Dingen, die nicht
aus unserer Natur folgen; nämlich beide Antlitze des
Schicksals mit Gleichmuth zu erwarten und zu ertragen.
Weil Alles nämlich aus dem ewigen Beschluss Gottes
mit derselben Nothwendigkeit folgt, wie aus dem Wesen
des Dreiecks folgt, dass seine drei Winkel zwei rechten
gleich sind. Drittens nützt diese Lehre für das gemein-
same Leben, indem sie lehrt, Niemanden zu hassen, zu
verrathen, zu verspotten. Niemandem zu zürnen oder ihn
zu beneiden. Ferner indem sie lehrt, dass Jeder mit
dem Seinigen sich begnüge und dem Nächsten helfe;
^icht aus weibischem Mitleid, Parteilichknit noch Aber-
glauben, sondern bloss aus dem Gebot der Vernunft, je
nachdem es nämlich Zeit und jD^mstände erfordern, wie
ich im dritten Theile zeigen werde. Endlich nützt diese
Lehre viertens auch nicht wenig der bürgerlichen Gesell-
m. TheiL Von den Affekten. IQl
Schaft, indem sie lehrt, auf welche Weise die Bürger zn
regieren and zu leiten sind, damit sie nicht sklavisch
folgen, sondern frei das Beste vollbringen.
Damit ist der Zweclt dieser Erläutenmg erreicht, und
icli BCiiUesse hiermit diesen zweiten Theil, in welchem
ich die Natur der menschlichen Seele mit ihren Eigen-
thflmJichkeiten ausführlich und so deutlich, als es die
Schwierigkeit des Gegenstandes gestattet, dargelegt und
eine Lehre gegeben zu haben glaube, ans der viel Herr-
liches, höchst Nützliches und Wissen swerthes entnommen
werden kann, wie zum Theil das Folgende ergeben
Tfird.6») 81)
Drittel Theil.
Von dem Ursprünge und der Natur der
Affekte.
"V o r r e d e.
Die Meisten, welche über die Affekte und Lebensweise
der Menschen geschrieben haben, acheinen nicht natürliche
Dinge zu behandeln, welche den gemeinsamen ßesetzeu
der Katur folgen, sondern Dinge ausserhalb der Satur;
ja, sie scheinen den Menschen in der Natur wie einen
Staat im Staate aufzufassen. Denn sie glauben, dass der
Mensch die -Ordnung der Natur eher stört als befoM.-
dass er über seine Handlungen eine unbedingte Ma
hat und von Niemand als ihm selbst bestimmt w
Ebenso schieben sie die Schuld der menschlichen Schwa
heit und Unbeständigkeit nicht auf die allgemeine Ma
der Natur, sondern auf, ich weiss nicht, welchen Fei
der menschlichen Natur, die sie deshalb beweinen,
lachen, verachten, oder, wie meistentheils geschit
102 in. Theil. Von den Affekten. >
verwünschen. Wer die Ohnmacht der menschlichen Seele
am beredtsten und scharfsinnigsten zu verspotten versteht,
wird gleichsam für ein göttliches Wese^n gehalten.
Dennoch hat es viele ausgezeichnete Männer gegeben
(deren Arbeit und Fleiss ich Vieles zu schulden anerkenne),
welche über die rechte Weise zu leben viel Vortreffliches
geschrieben und den Sterblichen Eathschläge voll Klug-
heit gegeben haben; Niemand aber hat, soviel ich weiss,
über die Natur und Kräfte der Affekte und was die Seele
vermag, um sie zu massigen, etwas festgestellt. Ich
weiss zwar, dass der berühmte Carte sius, trotz seiner
Meinung, dass die Seele über ihre Handlungen eine un-
bedingte Macht habe, sich bestrebt hat, die menschlichen
Affekte durch ihre letzten Ursachen zu erklären und
zugleich den Weg zu zeigen, wie die Seele eine unbe-
dingte Herrschaft über die Affekte erlg,ngen kann; indess
hat er, meiner Ansicht nach, nur, die Schärfe seines
grossen Geistes gezeigt, wie ich an seinem Orte darlegen
werde.
Ich kehre daher zu denen zurück, welche die Affekte
und Handlungen der Menschen lieber verwünschen und
belachen, als erkennen wollen. Diesen wird es wahr-
scheiBlich wunderbar vorkommen, dass ich versuchen
will, die Fehler und Thorheiten der Menschen in geome-
trischer Weise zu behandeln und durch sichere Beweise
das darzulegen, was der menschlichen Vernunft wider-
spricht, und was sie als eitel, verkehrt und schauderhaft
beklagen.
Mein Grund ist aber folgender: es geschieht nichts
in der Natur, was einem Fehler von ihr zugeschrieben
werden könnte. Denn die Natur ist immer und überall
ein und dieselbe, nnd ihre Vorzüglichkeit ist dasselbe,
wie ihre Macht zu handeln; d. h. die Gesetze und Eegeln
der Natur, nach denen Alles geschieht und aus einer
Gestalt in die andere übergeht, sind Überali und immer
dieselben. Deshalb kann es nur eine Weise geben, die
Natur von irgend einem Gegenstande zu erkennen, nämlich
durch die allgemeinen Gesetze und Eegeln der i^atur.
Daher ergeben sich die Affekte des Hasses, des Zornes,
des Neides u. s. w., an sich betrachtet, aus derselben
Nothwendigkeit und Vorzüglichkoit der Natur, wie alles
Andere. Sie haben deshalb ihre bestimmten Ursachen,
m, Theil. Von den Affekten. 103
durch die man sie erkennen kann, und sie haben be-
stimmte Eigenschaften, die dieser Erkenntniss ebenso
würdig sind, wie die Eigenschaften irgend einer anderen
Sache, an deren blosser Betrachtung wir uns er-
götzen.
Ich werde daher über die Natur und Kraft der Affekte
und die Macht der Seele über ^sie in derselben Weise die
Untersuchung anstellen, wie ich es bis hief über Gott
und die Seele gethan habe,^ und ich werde die mensch-
lichen Handlungen und Begierden ebenso betrachten, als
wenn es sich um Linien, Ebenen oder Körper handelte. ^)
D. 1, Ich nenne eine Ursache zureichend, wenn ihre
Wirkung klar und deutlich durch sie aufgefasst werden
kann, unzureichend oder partiell aber dann, wenn ihre
Wirkung aus ihr allein nicht erkannt werden kann. *)
D, 2. Ich sage, dass wir dann handeln, wenn in oder
ausser uns etwas geschieht, dessen zureichende Ursache
wir sind, d. h. wenn aus unserer Natur etwas in
oder ausser uns folgt, das durch sie allein klar und
deutlich erkannt werden kann (D. 1). Dagegen sage ich,
dass wir leiden, wenn etwas in uns geschieht oder aus
unserer Natur etwas folgt, von dem wir nur die partielle
Ursache sind. *)
D» 3* Unter Affekte verstehe ich die Zustande des
Körpers, durch welche des Körpers Macht zu handeln
vermehrt oder vermindert, gesteigert oder gehemmt wird,
und zugleich die Vorstellungen dieser Zustände.
Wenn wir mithin die zuseichende Ursache eines dieser
Affekte sein können, dann verstehe ich unter Affekt ein
Handeln, soust ein Leiden. 4)
H. 1. Der menschliche Körper kann auf viele Weise
erregt werden, wodurch seine Macht zu handeln vermehrt
oder vermindert wird; ebenso aber auf andere Weisen,
welche seine Macht zu handeln weder vergrössern noch
verkleinem.
Dieser Satz oder dieses Axiom stützt sich auf II. H. 1.
und Ln. 6, 7, hinter L. 13.
H. 2« Der menschliche Körper kann viele Verände-
rungen erleiden und dennoch die Eindrücke oder Spuren
der Gegenstände behalten (II. H. 5) und mithin auch
dieselben Bilder dieser Gegenstände (11. L. 17 E.).
104 HL TheiL Von den Affekten.
L« 1. Unsef^e Seele handelt baldj bald leidet sie;
nämUchy so weit sie zureichende Vorstellungen Jtat,
so weit ist sie nothwendig handelnd, und so weit sie
unzureichende Vorstellungen hat, so weit ist sie noth-
wendig leidend,
B. In jeder menschlichen Seele sind zureichende Vor-
stellungen und solche, die verstümmelt und verworren siiid
(11. L. 40 E.). Nun sind die Vorstellungen, welche in der
Seele zureichend sind, in Gott zureichend, insofern er das
Wesen der menschlichen Seele ausmacht (II. L. 11 Z.), und
die, welche in der Seele unzureichend sind, sind ebenfalls
zureichend in Gott (11. L. 11 Z.), nicht insofern er nur
das Wesen der Seele, sondern insofern er andere Dinge
in sich enthält. Femer muss aus irgend einer ge-
gebenen Vorstellung irgend eine Wirkung nothwendig
folgen (I. L. 36), von welcher Gott die zureichende
Ursache ist (II. D. 1), nicht insofern er unendlich ist,
sondern insofern er mit jener Vorstellung behaftet auf-
gefasst wird (11. L. 9). Von der Wirkung nun, von
welcher die Ursache Gott ist, insofern er behaftet ist
mit einer Vorstellung, welche in einer Seele zureichend
ist, ist diese Seele die zureichende Ursache (11. L. 11 Z.)-
Sofern also unsere Seele zureichende Vorstellungen hat
(11. D. 2), ist sie nothwendig handelnd. Dies war das
Erste. Was femer nothwendig aus einer Vorstellung
folgt, die in Gott zureichend ist, nicht insofern er bloss
die Seele eines Menschen hat, sondern zugleich die Seelen
anderer Dinge mit der Seele dieses Mensehen in sicli
hat, von dieser Folge ist die Seele dieses Menschen nicht
die zureichende Ursache, sondem die partielle (II. L. 11 Z.),
und deshalb ist die Seele, soweit sie unzureichende Vor-
stellungen hat, nothwendig leidend. Dieses war das Zweite.
Also handelt unsere Seele u. s. w. *)
Z« Hieraus erhellt, dass die Seele um so mehr leidenden
Zustanden unterworfen ist, je mehr unzureichende Vor-
stellungen sie hat, und umgekehrt, dass sie um so mehr
handelt, je mehr zureichende Vorstellungen sie hat.
L« 2* Der Körper kann die Seele nicht zum
Denken j und die Seele den Körper nickt zur Bewegung
oder Ruhe oder sonst etwas bestimmen.
m. Theil. Von den Mekten. 105
B« Alle Zustände des Denkens haben Gott, insofern
er ein denkendes Wesen ist und nicht insofern er durch
ein anderes Attribut ausgedrückt ist, zu ihrer Ursache
(IL L. 6). Das, was die Seele zum Denken bestimmt,
ist folglich ein Zustand des Denkens und nicht der Aus-
dehnung, d. h. nicht der Körper (I. D. 1); dies war das
Erste. Ferner muss die Bewegung oder Ruhe des Kör-
pers von einem andern Körper ausgehen, welcher eben-
falls zur Bewegung oder Ruhe von einem andern bestimmt
worden ist, und überhaupt muss Alles, was in dem Kör-
per entsteht, von Gott entstehen, insofern er von einem
Zustande der Ausdehnung und nicht insofern er von
einem Zustande des Denkens erregt vorgestellt wird
(IL L. 6), d. h. es kann von der Seele, welche ein Zu-
stand des Denkens ist (ü. L. 11), nicht entstehen. Dies
ist das Zweite. Der Körper kann deshalb die Seele
u. s. w. •)
E. Dies erhellt deutlicher aus dem, was in der Er-
läuterung zu IL L. 7. gesagt ist, dass nämlich Seele und
Körper dasselbe Ding sind, was bald unter dem Attribut
des Denkens, bald der Ausdehnung aufgefasst wird. Daher
kommt es, dass die Ordnung und Verknüpfung der Dinge
nur eine ist, mag die Natur unter diesem oder jenem
Attribut aufgefasst werden, folglich auch, dass die Ord-
nung des Handelns und Leidens bei unserem Körper von
Natur zugleich ist mit der Ordnung des Handelns und
Leidens der Seele. Dies erhellt auch daraus, wie der
Lehrsatz II. 12 bewiesen worden ist. Obgleich dies sich
so verhält, dass kein Grund zum Zweifel übrig bleibt, so
glaube ich doch kaum, dass man, ehe ich es nicht aus
der Erfahrung bewiesen habe, sich entschliessen wird,
dies mit Gleichmuth zu überlegen ; so stark ist die Ueber-
zeugung, dass der Körper sich auf den blossen Wink der
Seele bald bewegt, bald ruht, bald Verschiedenes thut,
was bloss von dem Willen und der Kraft des Denkens in
der Seele abhängt.
Denn was der Körper vermag, hat bis jetzt noch
Niemand bestimmt, d. h. Niemand weiss bis jetzt aus
Erfahrung, was der Körper nach den blossen Gesetzen
der Natur, insofern sie nur als körperliche aufgefasst
wird, zu thun vermag, und was er, ohne durch die Seele
bestimmt zu werden, nicht vermag; denn Niemand hat bis
106 HL TheiL Von den Affekten.
jetzt diese Werkstatt des Körpers so genau erkannt, dass
er alle ihre Verrichtungen erklären könnte. Ich wül
dabei gar nicht erwähnen, dass. man bei den vemunft-
losen Thieren Manches beobachtet, was den menschlichen
Scharfsinn weit übersteigt, und dass die Nachtwandler im
Schlafe Vieles thun, was sie im Wachen nicht wagen
wurden ; dies zeigt zur Genüge, dass der Körper aus den
blossen Gesetzen seiner Natur Vieles vermag, was seine
Seele bewundert.
Auch weiss Niemand, auf welche Weise und durch
welche Mittel die Seele den Körper bewegt, noch wie
Yiel Grade der Bewegung sie dem Körper mittheüen kann,
und mit welcher Schnelligkeit sie ihn bewegen kann.
Daraus folgt, dass, wenn man sagt, diese oder jene Hand-
lung des Körpers rühre von der Seele her, welche die
Herrschaft über den Körper habe, man nicht weiss, was
man sagt, und dass man nichts Anderes thut, als mit
schönen Worten einzugestehen, dass man die wahre Ur-
sache jener Handlung nicht kenne und sich darüber nicht
wundere.
Aber man behauptet, dass, möge mau die Mittel, durch
welche die Seele den Körper bewege, kennen oder nicht,
man doch aus der Erfahrung wisse, dass der Körper sich
nicht regen werde, wenn die menschliche Seele nicht zum
Denken fähig wäre. Ebenso sagt man, dass man aus
Erfahrung wisse, dass es bloss in der Macht der Seele
stehe, zu sprechen und zu schweigen und vieles Andere
zu thun, was man deshalb als von dem Beschluss der
Seele abhängig hält.
Was nun das Erste anlangt,- so frage ich, ob die Er-
fahrung nicht auch lehii, dass wenn umgekehrt der Körper
träge ist, auch die Seele zugleich ungeeignet zum Denken
ist? Denn wenn der Körper im Schlafe ruht, so ist die
Seele zugleich mit ihm eingeschläfert und hat nicht die
Macht, wie im Wachen etwas zu überdenken. Ferner wird
Jedermann wohl erfahren haben, dass die Seele nicht
immer gleich geschickt ist, über einen Gegenstand nach-
zudenken. So wie vielmehr der Körper geeigneter ist,
dass das Bild dieses oder jenes Gegenstandes in ihm er-
weckt werde, so ist auch die Seele geschickter zur Be-
trachtung dieses oder jenes Gegenstandes.
Aber man sagt, aus den blossen Gesetzen der Natur,
m. TheiL Von den Affekten. 107
so weit sie nur als' eine körperliche betrachtet wird, sei
es mui^Öglich, die Ursachen abzuleiten von den Gebäuden,
Gemälden und ähnlichen Dingen, welche bloss durch die
menschliche Kunst entstehen; der menschliche Körper sei
nicht im Stande, einen Tempel zu bauen, wenn er nicht
von der Seele bestimmt und geleitet werde. Aber ich
habe schon gezeigt, dass man selbst nicht weiss, was der
Körper vermag, und was man aus. der Betrachtung seiner
Natur allein ableiten kann. Man erfahrt selbst, dass sehr
Vieles aus blossen Naturgesetzen entsteht, von denen man
nie geglaubt hätte, dass es anders als durch die Leitung
der Seele geschehen könne, z. B. das, was die Mond-
süchtigen im Schlafe thun, und was sie beim Wieder-
erwachen selbst bewundern. Ich beziehe mich ausserdem
noch auf den kunstlichen Bau des menschlichen Körpers,
welcher an Künstlichkeit Alles weit übertrifft, was mensch-
liche Kunst gefertigt hat, ohne das oben Dargelegte zu
erwähnen, dass aus der Natur unter der Aufi&.ssung eines
jeden Attributs unendlich Vieles folgt.
Was nun das Zweite betrifft, so würde es allerdings
mit den menschlichen Verhältnissen weit besser stehen,
wenn das Schweigen ebenso wie das Sprechen in der
Gewalt der Menschen wäre. Aber die Erfahrung lehrt
über und über, dass die Menschen nichts weniger in
ihrer Gewalt haben, wie ihre Zunge, und nichts weniger
vermögen, wie ihre Begierden zu massigen. Viele sind
deshalb der Ansicht, dass der Mensch nur da frei
handelt, wo er schwach begehrt, weil das Begehren sol-
cher Dinge leicht durch die Vorstellung einer andern
Sache beschränkt werden kann, deren wir uns häufig
erinnern, aber dass der Mensch bei den Gegenständen
nicht frei handelt, welche er mit Heftigkeit begehrt, und
wo dies Begehren durch die Erinnerung eines andern
Gegenstandes nicht beschwichtigt werden kann. Wenn
man indess nicht an sich die Erfahrung gemacht hätte,
dass man Manches thut, was Einen später gereut, und dass
man, wenn man nämlich von entgegengesetzten Affekten
bedrängt wird, das Bessere einsieht und das Schlechtere
thut, so würde der Meinung, dass man in Allem frei
handelt, kein Hinderniss entgegen stehen. So glaubt das
Kind, dass es die Milch freiwillig begehrt, und ebenso
hält der Knabe das Wollen der Eache, und der Furcht-
108 ^- 1^B>l> '^0° d^ Affekten.
same das Wollen zu fliehen föi ein IVeiwilliges. Femer
^lanbt der Betrunkene, dass er ans freiem Entgchlnss
der Seele das epreche, was er nüchtern gern verschwiegen
"•""«. So glaubt der Wahnsinuige, der Schwätzer, der
>be nnd viele andere dieser Art ans freiem Bescblnss
Seele zn sprechen, während sie doch ihre Begierde zu
tchen nicht bezähmen können.
So lehrt die Erfahrung nicht minder deutlich, wie die
nunft, dasa die Menschen sich nur. deshalb für frei
en, weil sie zwar ihre Handlungen kennen, aber niclit
Ursachen, vOn denen sie bestimmt werden. Die Ent-
risse der Seele sind nur dasselbe, was die Begehren,
daher verschieden nach dem verschiedenen Befinden
£&rpers. Ein Jeder bestimmt Alles nach seinen
kten, nnd die, welche von entgegengesetzten Affekten
lürmt werden, wissen nicht, was sie wollen; die endlich,
:he von keinem Affekt erregt sind, werden durch ein
inges hier oder dorthin 'getrieben.
Dies Alles zeigt deutlich, dass sowohl der Entschiusa
Seele, wie das Begehren nnd die Bestimmung des
pers, von Natur zugleich sind oder vielmehr; dass sie
und dieselbe Sache sind, welche, wenn man sie unter
. Attribut des Denkens auffasst und durch dieses ans-
^kt, Entschlnss heisst, und welche unter dem Attribut
Äusdehnnng aufgefasat und aus den Gesetzen der
'egung und Kühe abgeleitet, Bestimmung heisst. Dieses
l noch deutlicher au's dem bald Folgenden sich er-
m. Denn zunächst möchte ich noch an ein Anderes
nem, dass wir nämlich nur das in Folge eines Be-
usses der Seele thun können, dessen wir uns ent-
en. So gönnen wir z. B. kein Wort aussprechen, dessen
uns nicht erinnern. Aber es steht nicht in der freien
ht der Seele, sich einer Sache zu erinnern oder sie zu
ressen. Man meint deshalb, dass es nur in der Macht
Seele stehe, eine Sache, deren wir uns erinnern, zu
chweigen oder auszusprechen. Wenn wir aber träa-
, dasa wir sprechen, so glauben wir aus freiem Ent-
uss der Seele zu sprechen und apreclien doch nicht,
wenn wir sprechen, geschiebt es nur durch unwill-
iche Bewegungen des Körpers. Wir tränmen auch,
; wir den Menseben etwas verheimlichen, und zwar
demselben Entschlnss der Seele, mit dem wir wachend
m, Theil. Von den Affekten. 109
das, was- wir wissen, verschweigen. Wir träumen endlich,
dass wir nach dem Beschluss der Seele etwas vornehmen,
was wir wachend nicht wagen, und so möchte ich doch
wissen, ob es in der Seele zwei Arten von Beschliessungen
giebt, phantastische und freie?
Wenn man bis zu dieser tollen Annahme nicht gehen
kann, so folgt, dass der Beschluss der Seele, welchen
man für frei hielt, von der blossen Vorstellung oder von
dem Gedächtniss sich nicht unterscheidet, und dass dieser
Entschluss nichts ist, als jene Bejahung, welche jede
Vorstellung als solche nothwendig enthält (II. L. 49).
Daher entstehen diese Entschlüsse der Seele mit derselben
liothwendigkeit in ihr, wie die Wahrnehmungen der wirk-
lich existirenden Dinge. Wer also glaubt, aus freiem
Beschluss der Seele zu sprechen oder zu schweigen oder
etwas zu thun, der schläft mit offenen Augen. '^)
L. 3. Die Handlungen der Seele entspinngen nur
aus zureiche7ide7i Vorstellungen; ihre leidenden Zu-
stände hängen aber bloss von "unzureichenden Vor Stel-
lungen ab.
B. Zuerst erhellt, dass das, was das Wesen der
Seele ausmacht, nur die Vorstellung ihres wirklich existi-
renden Körpers ist (II. L. 11 und 13), welche sich aus
yielen andern Vorstellungen zusammensetzt (II. L. 15),
von denen einige zureichend (II. L. 38 Z.), andere un-
zureichend sind (II. L. 29 Z.). Alles mithin, was aus
der Natur der Seele folgt, und von dem die Seele die
nächste Ursache ist, durch die es erkannt werden muss,
ist nothwendig die Folge einer zureichenden oder unzu-
reichenden Vorstellung. Soweit aber die Seele unzu-
reichende Vorstellungen hat (III. L. 1), ist sie nothwendig
leidend. Daher folgen die Handlungen der Seele nur aus
zureichenden Vorstellungen, und die Seele leidet nur des-
halb, weil sie unzureichende Vorstellungen hat.
£• Man sieht daher, dass die leidenden Zustände auf
die Seele nur bezogen werden, sofern sie etwas hat, was
eine Verneinung enthalt, oder sofern sie als ein Theil
der Natur betrachtet wird, welchei: für sich und ohne
Anderes nicht klar und bestimmt aufgefasst werden kann.
Ich könnte auf diese Weise zeigen, dass die leidenden
Zustände ebenso auf die einzelnen Dinge, wie auf die
^.
110 III. TheiL Von den Affekten.
Seele sich beziehen und nicht anders aufzufassen sind;
indess geht meine Absicht nur auf die Untersuchung der
menschlichen Seele, ö)
L. 4. Jedes Ding kann nur von einer äussern
Ursache zerstört werden.
B. Dieser Lehrsatz versteht sich von selbst. Denn
die Definition einer jeden Sache bejaht das Wesen der
Sache und verneint es nicht; oder sie setzt das Wesen
der Sache und hebt es nicht auf. Wenn man daher nnr
auf die Sache selbst und nicht auf fremde Ursachen Acht
hat, so wird man nichts in ihr auffinden können, was sie
zerstören könnte. ®)
L* 5, Die Dinge sind in soweit entgegengesetzter
Natu/r, d. h, sie können in soweit nicht in demselben
Gegenstande sein, als das eine das andere zerstören
kann,
B. Denn wenn sie zusammenkommen oder in dem-
selben Gegenstande zugleich sein könnten, so wurde es
in ein und demselben Gegenstande etwas geben, was ihn
zerstören könnte, und dies ist widersinnig (III. L. 4).
Deshalb sind u. s. w. i^)
L. 6. Jedes Ding, soweit es in sich ist, strebt in
seinem Sein zu verJiarren,
B. Denn die einzelnen Dinge sind Zustände, durch
welche die Attribute Gottes auf gewisse und bestimmte
Weise ausgedrückt -werden (I. L. 25 Z.), d. h. Dinge,
welche die Macht Gottes, durch welche Gott ist und
handelt, auf gewisse und bestimmte Weise auscbrücken, und
kein Ding hat etwas in sich, was es zerstören oder seine
Existenz aufheben könnte (III. L. 4). Vielmehr stellt es
sich Allem, was seine Existenz aufheben kann; entgegen
(HE. L. 5). Deshalb strebt es, so viel es kann und in
sich ist, in seinem Sein zu verharren, i^)
L. 7. Das Streben, wodurch jedes Ding in seinem
Sein zu verhangen sucht, ist nichts als das wirkliclie
Wesen des Dinges.*
B. Aus dem gegebenen Wesen irgend einer Sache
folgt nothwendig etwas (I. L. 36), und die Dinge ver-
m. Tlieil. Von den Affekten. Hl
mSgen nar das, was aus ihrer bestimmten Katar noth-
vendig folgt (I. L. 39). Deshalb ist die Eraft oder das
Bestreben einer jeden Sache, wodurch sie entweder allein
oder mit Änderen etwas thnt oder zu thun strebt, d. h.
die Macht oder das Bestreben, mit dem sie in ihrem Sein
2U Terharren sucht, nnr das gegebene oder wirkliche
¥esen dieser Sache, **)
h. 8. Das Best/rebmi, mit dem jede Sache in ifirem
Sein eu verkarrren aneht, eiithäUt nicht eine bestimmte,
sondern eine jml>estimmte Zeit.
B. Denn wenn es eine bestimmte Zeit enthielte,
welche die Dauer der Sache bestimmte, so würde ans
der blossen Macht, durch welche die Sache existirt, folgen,
dass die Sache nach Ablanf dieser bestimmten Zeit nicht
eiiatiren könnte, vielmehr untergehen müssto; aber dies
ist widersinnig (III. L. 4). Folglich enthält das Bestre-
ben, mit welchem die Sache existirt, keine bestimmte Zeit,
sondern eine unbestimmte, weil sie mit derselben Macht,
dnrch welche sie existirt, zu existiren Immer fortfahren
wird, wenn sie nicht von einer fremden Ursache zerstört
wird.")
L. 9. Mag die Seele klare und bestimmte, oi
verworrene Vorstelbaiffen habest, so strebt sie in ihr
Sein auf unbestimmte Dauer mu verliarren und ist a
diese« Strebens bewusst.
B. Das Wesen der Seele wird aus zureichenden \
unzureichenden Vorstellungen gebildet (III. L. 3). D
halb strebt sie in ihrem Sein zu verharren, ebenso iu
fem sie diese, wie insofern sie jene hat {III. L. 7), \
zwar mit unbestimmter Dauer (III. L. 8). Da aber
Seele durch die Vorstellungen der körperlichen Zustäi
nothwendig eich ihrer bewusst ist {II. L. 23), so ist ai
die Seele sich ihres Bestrebens bewusst (III. L. 7).
E. Dieses Streben heisst, wenn es auf die Seele all
bezogen wird, Wille, wenn es aber auf Seele und 1
Ilagleich bezogen wird, heisst es Verlangen. Dieses
daher nur das eigene Wesen des Menschen, aus welch
nothwendig das folgt, was seiner Erhaltimg dient, i
deshalb ist der Mensch veranlasst, dies zu thun. Zwiscl
Verlangen und Begierde ist nur der Unterschied, d
m. Theil. Von den Affekten.
rde meistentheila nur auf den Menschen bezogen
eit er sich seines Verlangens bewasst ist, und
kann man die Begierde definiren, dass sie das
1 mit dem Bewusstsein seiner ist. Es erhellt
a diesem, dass der Mensch nach nichts strebt,
11, verlangt oder hegehrt, weil er es fflr gut
lern Tungekehrt hält er ea deshalb für gut, weil
trebt, will, yerlangt oder begehrt,**)
'. Eine Vorstellung, welche die Existenz
'i&iyer» ausschUeast, kann ea m unaerer SeeU
•en, sondetii sie ist üir ' ' '
Vas unseren Eorper zerstören kann, das kann
m nicht geben (III. L. 5). Deshalb kann es
Vorstellung einer solchen Sache in Gott nicht
sofern er die Vorstellung von unserem Eörper
L. 9 Z.), d. h. die Vorstellung dieser Sache
in unserer Seele nicht gehen (IL L. 11 13). Im
l1, weil das Erste, was das Wesen der Seele aus-
e Vorstellung des wirklich eiistirenden Körpers
t das Erste, und Wichtigste für das Streben
leele, die Existenz unseres Körpers zu bejahen
7). Daher ist die Vorstellung, welche die
duseres Körpers verneint, unserer Seele entgegen-
')
l. Alles, was die Macht zu /landeln in unserem
mehrt oder mindei-t, unterntütst oder hemmt,
orstellvitig mehrt oder mindert, unterstätzt odei-
naerer Seele Macht zu denken.
Meser Lehrsatz ei^ebt sich aus II. L. 7 oder
IL L. 14.»«)
lan sieht dalier, dass die Seele grosse Ver-
en erleiden und bald zu grösserer bald zu gerin-
llkommenheit übergehen kann, welche leidenden
die Affekte der Fröhlichkeit und Traurigkeit
ren. Unter Fröhlichkeit werde Ich deshalb später-
leidenden Zustand verstehen, wo die Seele zu
Vollkommenheit Dbergeht, und unter Traur^keit
sie zu einer geringeren Vollkommenheit übergeht,
e femer den Affekt der Fröhlichkeit, wenn er
er und Seele zugleich bezogen wird, Lust oder
m. Theil. Von den Affekten. 1 13
Heiterkeit und den Aflekt der Traurigkeit, in dieser Weise
bezogen, Schmerz oder Trübsinn. Doch ist zu bemerken,
dass Lust und Schmerz auf den Menschen bezogen wer-
den, wenn einer seiner Theile vor den übrigen erregt
ist; Heiterkeit aber und Trübsinn, wenn alle Theile
gleichmäss'g erregt sind.
Was femer Begierde ist, habe ich (III. L. 9) erklärt,
und ausser diesen dreien erkenne ich keinen ursprüng-
lichen Affekt an ; die übrigen entstehen aus diesen dreien,
wie ich später zeigen werde. Ehe ich jedoch weiter gehe,
möchte ich den Lehrsatz III. 10 ausführlicher erläutern,
damit man deutlicher einsehe, auf welche Weise eine
Vorstellung der andern entgegengesetzt ist. ^'^)
In der Erläuterung zu IL L. 17 habe ich gezeigt,
dass die Vorstellung, welche das Wesen der Seele aus-
macht, die Existenz des Körpers so lange enthält, als
der Körper selbst existirt. Eerner folgt aus dem, was
ich U. L. 8 Z. und E. gezeigt habe, dass die gegen-
wärtige Existenz unserer Seele nur davon abhängt, dass
die Seele die wirkliche Existenz des Körpers enthält.
Endlich habe ich gezeigt, dass die Macht der Seele, wo-
durch sie die Dinge sich bildlich vorstellt oder sich ihrer
erinnert, ebenfalls davon abhängt, dass sie die wirkliche
Existenz des Körpers einschliesst (11. L. 17, 18 E.).
Daraus folgt, dass die gegenwärtige Existenz der
Seele und ihre Vorstellungskraft aufgehoben wird, sobald
die Seele aufhört, die gegenwärtige Existenz des Körpers
zu bejahen. Die Ursache aber, weshalb die Seele aufhört,
diese Existenz des Körpers zu bejahen, kann nicht die
Seele selbst sein (III. L. 4) und auch nicht, dass der
Körper aufhört zu sein. Denn die Ursache, weshalb die
Seele die Existenz des Körpers bejaht, ist nicht die, dass
der Körper zu existiren angefangen hat (IL L. 6) ; des-
halb kann sie aus diesem Grunde die Existenz ihres
Körpers zu bejahen auch nicht aufhören, weil der Körper
zu sein aufhört, sondern dies konmit von einer andern
Vorstellung (IL L. 8), welche die gegenwärtige Existenz
unseres Körpers und folglich unserer Seele ausschliesst,
und welche mithin der Vorstellung, welche das Wesen
unserer Seele ausmacht, entgegengesetzt ist. ^*)
Li 12, Jjie Seele betttrebt sich, 8o viel nie kann,
Spiuox*. Ethik. ^
114 nL Theil. Von den Affekten.
dasjeniffd aie/i hildUeh voi'ZugleUifn, wag des Körpw»
Macht SU handeln vertneUrt oder imtt^siätüt.
So lange der menschliche Eßrper in einer Weise
irird, welche die Natur eines fremden Edrpere ein-
t, so lange betrachtet die menschliche Seele dieseu
als gegenwärtig (II. L. 17), und folglich ist, so
üe menschliclie Seele einen fremden Körper itls
irtig annimmt (II. L. 7), d. h. bildlich sich voratallt
7 Z.), der menschliche Körper so lange in einei
erregt, welche die Natur eines fremden Eöqiers
esst. Folglich ist, so lange die Seele das sich
vorstellt, was des Körpers Macht zu handeln
t oder unterstützt, der Körper in einer "Weise er-
elche seme Kraft zu handeln vermehrt oder unter-
III. H. 1), und folglich wird auch so lange die
1er Seele zu denken vermehrt oder unterstützt
11), und deshalb strebt die Seele, so viel sie
ich dies vorzustellen (HI. L. 6, 9).")
13. Wenn die Seele sich das hildlieh voi'sUÜt.
'.s Körpers Macht sw luzndeln mindet-t oder
so strebt sie, so viel sie kann, derjenigen
sieh zTi entsinnen, welche die Existenz jener
So lauge sich die Seele ao etwas vorstellt, so lange
e Kraft der Seele und des Körpers gemindert oder
it (III. L. 42), und dennoch wird sich die Seele dieses
! bildlich vorstellen, bis sie sich etwas Anderes bild-
rstellt, was die gegenwärtige Existenz jenes ans-
t (II. L. 17), d. h. (wie oben gezeigt worden) die
1er Seele und des Körpers wird so lange gemin-
Br gehemmt werden, bis die Seele sich etwas an-
orstetlt, was die Existenz von jenem ansachliesst
t daher der Mensch, so viel er kann, streben wird,
rausteilen oder zu erinnern (III. L. 9),
Daher kommt es, dass die Seele das sich vorzu-
scheut, was die Kraft ihrer selbst nnd die ihres
I mindert oder hemmt. ^)
Hieraus erhellt klar, was Liebe nnd was fiass
e Lieüe ist nfimlich nur die Fröhlichkeit, begleitet
Vorstellung einer äusseren Ursache, und der Haas
III. Theil. Von den Affekten. 115
die Traurigkeit, begleitet von der Vorstellung einer
äussern Ursache. Man sieht daher, dass der Liebende
Dothwendig strebt, den geliebten Gegenstand gegenwärtig
zu haben und zu erhalten, und dass umgekehrt der Has-
sende strebt, den gehassten Gegenstand zu entfernen und
zu zerstören. Doch über dies Alles später ausführlicher. ^)
L. 14. Wenn die Seele einmal durch zwei Affekte
erregt gewesen ist, so wirdy wenn sie später von einem
derselben wieder erregt wird, sie auch von dem andern
erregt werden,
B. Wenn der menschliche Körper einmal von zwei
Körpern zugleich erregt gewesen ist, so wird die Seele,
wenn sie später einen von diesen sich vorstellt, sofort
auch des andern sich erinnern (II. L. 18). Aber die
bildlichen Vorstellungen der Seele zeigen mehr die Er-
regungen dieses Körpers, als die Natur des fremden Kör-
pers an (II. L. 16 Z. 2). Wenn deshalb der Körper
und folglich auch die Seele (II. D. 3) von zwei Affekten
auf einmal erregt worden ist, und sie später wieder von
einem erregt wird, so wird sie auch von dem andern
erregt werden. ^
L. 15. Jeder Gegenstand kann durch Zufall die
Ursache einer Fröhlichkeit, einer Traurigkeit odcQ*
einer Begierde sein.
B. Man nehme an, dass die Seele durch zwei Affekte
zugleich erregt ist, nämlich durch einen, der ihre Kraft
zu handeln weder vermehrt noch vermindert, und durch
einen zweiten, der sie vermehrt oder vermindert (III. L. 1).
Aus dem vorgehenden Lehrsatz erhellt, dass wenn die
Seele später von jenem Affekte vermittelst seiner wahren
Ursache erregt wird, der (nach der Annahme) für sich
ihre Kraft zu denken weder mehrt noch mindert, sie so-
fort auch von dem andern erregt werden wird, welcher
ihre Kraft zu denken mehrt oder mindert; d. h. die Seele
wird fröhlich oder traurig erregt sein (III. L. 11 E.).
Mithin wird jene Sache nicht für sich, sondern durch
Zufall die Ursache der Fröhlichkeit oder Traurigkeit sein.
Auf diese Weise lässt sich auch leicht zeigen, dass jener
(Gegenstand durch Zufall die Ursache einer Begierde sein
kann.
8*
HL Theil. Von den Affekten.
)shalb allein, weil wir einen Gegenstand mit
t der Fröhlichkeit oder Trauer betrachtet haben,
r ihn lieben oder hassen, obgleich er nicht die
Ursache dieser Affekte ist.
enn dies kommt allein davon (III. L. 14), dass
indem sie sich diesea Gtegenstand später bEd-
dlt, von dem Affekt der Freude oder Trauer
rd, d. h. dasB die Macht der Seole und des
'ennehrt oder vermindert wird u. s. w. (IIL
und folglich, dass die ßeele begehrt (IIL L.
scheut, ihn sich vorzustellen (III. L. 13 Z),
I sie ihn liebt oder haast (III. L, 13 E.).
araus ersieht man, wie es möglich ist, dass wir
ieben oder hassen, ohne dass uns eine Ursache
uint ist, sondern nur aus Sympathie oder Anti-
e man sagt. Hierher gehören auch die Gegen-
ilche uns blos deshalb mit Freude oder Trauer
reil sie eine Äehnlichkeit mit den Gegenständen
Iche in uns dieselben Affekte zu erregen pflegen,
m folgenden Lehrsatz zeigen werde. Ich weiss
, dass die Schriftsteller, welche zuerst diese
mpathio nnd Antipathie eingeführt haben, damit
eheime Eigenschaften der Dinge haben bezetch-
i; dennoch glaube Ich, wird es.mir erlaubt sein,
len Worten auch bekannte oder offenbare E^en-
!u verstehen. *•)
• Deshalb allein, wM wir vna vorstelleri, dass
tistaaul eitdge Aehnliefikeit mit einem midettt
'«»■ die Seele j'röhlieh oder traurig zu erregen
rdun wir dienen Gegen»la/nd Ueben oder liaaxen,
(lag, worin beide ä/mltch stfid, niökt dvi wir-
■aaehe dienKi- Affekte ist.
as, was dem Gegenstände ähnlich ist, haben wir
Annahme) in diesem Gegenstände selbst mit
rt; der Fi'öhlichkeit oder Traurigkeit betrachtet;
rd, wenn die Seele von dessen Bilde erregt wird
-1), sie sofort auch von diesem oder jenem Affekt
rden; deshalb wird auch der zweite Gegenstand,
'ir dasselbe Aehnliche bemerken, durch Zufall die
1er Fröhlichkeit oder Trauer werden (III. L. 15) ;
rerden wir den Gegenstand lieben oder haüseu,
m. Theil Von den Affekten. 117
wenn auch das, worin er dem andern ähnlich ist, nicht
die wirkende Ursache dieser Affekte ist. (III. L. 15. Z.). *^)
Li 17. Wenn ein Gegenstandj welcher uns mit
dem Affekt de9* Traurigkeit z^t erfüllen pßegt uns
dne Aehulichkeit mit einem andern zu haben seheint,
der uns mit dem gleich starken Affekt der FröhUcßi-
keit zu erfüllen pßegt, so werden wi.r diesen Gegen-
stand zugleich hassen und lieben.
B. Denn dieser Gegenstand ist nach der Annahme
für sich die Ursache der Traurigkeit, und soweit wir ihn
mit diesem Affekte uns vorstellen, hassen wir ihn. So-
weit er ausserdem, nach unserer Vorstellung, etwas Aehn-
liches mit einem andern hat, welcher uns mit einem gleich
starken Affekt der Fröhlichkeit zu erfüllen pflegt, werden
wir ihn mit gleich starker Fröhlichkeit lieben (III. L. 16),
und daher werden wir ihn zugleich hassen und lieben.
E. Dieser Zustand der Seele, welcher nämlich aus
zwei gegensätzlichen Affekten entspringt, heisst das Schwan-
ken der Seele; es bezieht sich auf die Affekte, wie der
Zweifel auf die Vorstellungen (II. L. 44 E.). Auch
unterscheidet sich das Schwanken und Zweifeln der Seele
nur nach dem Mehr oder Weniger. Es ist aber zu be-
merken, dass ich im vorgehenden Lehrsatze diese Schwan-
kung der Seele aus Ursachen abgeleitet habe, wovon die
eine durch sich den einen Affekt und die andere durch
Zufall den andern Affekt verursacht hat. Ich habe dies
deshalb gethan, weil ich sie so leichter aus dem Vor-
grehenden ableiten konnte; aber ich leugne deshalb nicht,
dass die Schwankungen der Seele meistensfheils von einem
Gegenstände entstehen, welcher die wirkende Ursache von
beiden Affekten ist. Denn der menschliche Körper be-
steht aus sehr vielen Einzeldingen verschiedener Natur
(IL H. 1). Deshalb kann er von ein und demselben
Körper auf sehr verschiedene Weise erregt werden (II.
L. 13, A. 1. Ln. 3), und umgekehrt, weil ein und derselbe
Gegenstand auf viele Weise erregt werden kann, so wird
er auch auf viele verschiedene Weise denselben Körper-
theil erregen können. Hieraus kann man leicht anneh-
men, dass ein und derselbe Gegenstand die Ursache vieler
und entgegengesetzter Affekte abgeben kann.**)
1 18 m. Theil. Von den Affekten.
L. 18. Der Mensch wird durch das ßüd eines
vergangenen odei' zukünftigen Dinges mit demselben
Affekt der Fröhlichkeit oder Trauer beJiaftet, wie am
dem Bilde eines gegenwärtigen Dinges,
B. So lange ein Mensch von dem Bilde eines Dinges
erregt ist, so lange wird er es als gegenwärtig betrach-
ten, wenn es anch nicht existirt (11. L. 17 Z.). Und er
nimmt es nicht als gegenwärtig oder zukünftig, wenn
nicht dessen Bild mit dem Bilde einer kommenden oder
vergangenen Zeit verknüpft ist (11. L. 44 E.). Deshalb
ist das Bild des Dinges, für sich allein betrachtet, das
gleiche, mag es auf die zukünftige oder vergangene Zeit,
oder auf die Gegenwart bezogen werden, d. h. der Zustand
des Körpers oder der Affekt ist 'derselbe, gleichviel, ob
das Bild das eines vergangenen, kommenden oder gegen-
wärtigen Dinges ist (II. L. 16 Z. 2). Daher ist der
Affekt der Fröhlichkeit oder Trauer derselbe, mag das
Bild das eines vergangenen oder kommenden oder gegen-
wärtigen Dinges sein.
E, Ich nenne hier ein Ding insofern vergangen oder
zukünftig, als wir von demselben erregt gewesen sind
oder erregt werden, z. B. insofern wir ein Ding ge-
sehen haben oder sehen werden; insofern es uns gestärkt
hat oder stärken wird; insofern es uns verletzt hat oder
verletzen wird. Insoweit wir nämlich das Ding so uns
vorstellen, insoweit bejahen wir seine Existenz, d. h. der
Körper wird durch keinen Affekt erregt, welcher die
Existenz des Dinges ausschliesst, und deshalb wird der
Körper durch das Bild dieses Dinges ebenso erregt, als
wenn das Din^ selbst gegenwärtig wäre. Da ^s indessen
gewöhnlich ist, dass viel erfahrene Menschen schwanken,
so lange sie eine Sache als zukünftig oder vergangen be-
trachten, und über den Ausgang meistentheils zweifeln
(n. L. 44 E.), so kommt es, dass die aus solchen Bil-
dern entstehenden,Affekte nicht sehr beharrlich sind, son-
dern meistens durch die Bilder anderer Gegenstände gestört
werden, bis die Menschen über den Ausgang der Sache
mehr Gewissheit erlangen. *•)
E, 2. Aus dem eben Gesagten erhellt, was die Hoff-
nung, die Furcht, die Zuversicht, die Verzweiflung, die
Freude und die Gewissensbisse sind. Die Hofl&iung ist
ni. Theil. Von den Affekten. 119
nämlicli nichts Anderes, als die unbeständige Fröhlichkeit,
welche aus dem Bilde einer kommenden oder yergangenen
Sache entspringt, über deren Erfolg wii* zweifeln. Die
Furcht ist dagegen eine unbeständige Traurigkeit, welche
aus dem Bild einer zweifelhaften Sache entspringt.'* Wird
der Zweifel bei* diesen Affekten gehoben, so verwandelt
sich die Hoffnung in Zuversicht und die Furcht in Ver-
zweiflung, d. h. in eine Fröhlichkeit oder eine Trauer,
welche aus dem Bilde einer Sache entsprungen ist, welche
wir gefürchtet oder gehofft haben. Die Freude ist femer
eine Fröhlichkeit, welche aus dem Bilde einer vergange-
nen Sache entsprungen ist, über deren Erfolg wir zwei-
felten. Die Gewissensbisse sind eine Trauer, welche der
Freude entgegengesetzt ist. *^)
L. 19. W'e^m man sich vorstellt, dass dasj was
man lieht, zerstört wird, wird man sich betrüben; stellt
man sich aber t>or, dass es erhalten loird, so toird man
fröhlich sein,
B. Die Seele strebt soviel als möglich, sich das-
jenige vorzustellen, was des Körpers Macht zu handeln
vermehrt oder unterstützt (III. L. 12), d. h. das, was sie
liebt (III. L. 12 E.). Aber die bildliche Vorstellungs-
kraft wird von dem unterstützt, was die Existenz der
Sache setzt, und umgekehrt gehemmt von dem, was die
Existenz der Sache ausschliesst (II. L. 17), Deshalb
unterstützen die Bilder der Dinge, welche die Existenz
des geliebten Gegenstandes setzen, das Streben der Seele,
sich den geliebten Gegenstand vorzustellen, d. h. sie er-
füllen die Seele mit Fröhlichkeit (III. L. 11 E.). Um-
gekehrt wird das, was die Existenz des geliebten Gegen-
standes ausschliesst, dasselbe Streben der Seele hemmen.
d. h. die Seele mit Trauer erfüllen (III. L. 11 E.). Wer
also sich einbildet, dass das, was er liebt, zerstört wird,
wird sich betrüben u. s. w. *•)
L. 20. Wenn man sich vorstellt, dass das, was
man Iiasst, zerstm't wird, so wird man fröhlich
sein,
B. Die Seele strebt sich das vorzustellen (III. L. 13),
was die Existenz der Dinge, welche des Körpers Macht
zu handeln mindern oder beschränken, ausschliesst, d. h.
120 ni. Tbeil. Von den Affclvten.
sie streM sich das vorzustellen (III. L. 13 E.), was die
Existenz der Dinge, welche sie hasst, ausschliesst. Polg-
lich unterstützt das Bild eines Dinges, welches die Existenz
desjenigen, was die Seele hasst, ausschliesst, dieses Stre-
ben der Seele, d. h. sie erfüllt die Seele mit Fröhlichkeit
(III. L. 11 E.). Folglich wird der sich' freuen, welcher
sich vorstellt, . dass das, was er hasst, zerstört wird. **)
L. 21. Wer daSy was er Hebt, sich vorstellt als von
FVöhlichkeit odei* Iraxier erfüllt, wird eher^alls von
Fröhlichkeit oder Tratter erfüllt; und beide Affekk
werden in dem Ldeb enden grösser oder kleinei* sein^
je nachdem beide in dem geliebten Gegenstande grosse^'
oder kleiner sind,
B. Die Bilder der Dinge, welche die Existenz des
geliebten Gegenstandes setzen (III. L. 9), unterstützen
das Streben der Seele, den geliebten Gegenstand sich
vorzustellen. Die Fröhlichkeit setzt aber die Existenz des
fröhlichen Gegenstandes, und zwar um so mehr, je grösser
der Affekt der Fröhlichkeit ist; denn er ist ein üeber-
gang zu höherer Vollkommenheit (HI. L. 11 E.). Des-
halb unterstützt das Bild des Frohseins des geliebten
Gegenstandes in dem Liebenden das Streben seiner Seele,
d. h. es erfüllt den Liebenden mit Fröhlichkeit (III. L. 11 E.).
und zwar mit um so stärkerer, je starker dieser Affekt
in dem geliebten Gegenstand ist. Dies war das Erste.
Ferner wird ein Gegenstand insoweit zerstört, als er
von Traurigkeit erfüllt ist, und zwar um so mehr, je grösser
die Traurigkeit ist (III. L. 11 E.). Folglich wird der,
welcher sich vorstellt, dass das, was er liebt, mit Trau-
rigkeit erföllt ist, ebenfalls von Traurigkeit erfüllt wer-
den, und von um so grösserer, je grösser die Traurigkeit
in dem geliebten Gegenstande ist.'<*)
L. 22* Wenn wir uns vorstellerif dass Jemand die
Sacliej welche wir lieben, mit Fröhlichkeit erfüllt^ so
werden toir von Triebe zu ihm erfüllt werden, Wemi
wir uns aber vorstellen^ dass er die Sache mit Iran-
rigkeit erfüllt, so wei^den wir dagegen von Hass gegen
ihn erfüllt werden,
B. Wer einen Gegenstand, welchen wir lieben, mit
Fröhlichkeit oder Traurigkeit erfüllt, der erfüllt auch uns
m Theil. Von den Affekten. 121
selbst mit Fröhlichkeit oder Traurigkeit, insofern wir
nämlich den geliebten Gegenstand uns von Fröhlichkeit
oder Traurigteit erfüllt vorstellen (III. L. 21). Aber es
wird angenommen, dass diese Fröhlichkeit oder Trauer in
nn8 besteht in Begleitung der Vorstellung einer fremden
Ursache. Doshalb werden wir von Liebe oder Hass gegen
den erfüllt werden, von dem wir uns vorstellen, dass er
den Gegenstand, welchen wir lieben, mit Fröhlichkeit
oder Trauer erfülle (III. L. 13 E.). «)
E. Der Lehrsatz 21 erklärt, was das Mitleiden ist;
man kann es definiren als die Traurigkeit, welche aus
eines Andern Schaden entsprungen ist. Dagegen weiss
ich nicht, mit welchem Namen die Fröhlichkeit bezeich-
net werden soll, welche aus eines Andern Wohlsein ent-
springt Man nennt femer die Liebe für den, der
einem Andern wohlgethan hat, Gunst, und dagegen den
Hass gegen den, der einem Andern Uebles gethan hat: Er-
bitterung. Endlich ist zu bemerken, dass man nicht
Mos mit dem Gegenstande Mitleid hat, den man liebt
(III. L. 21), soudeiTi auch mit dem, für den man vorher
von keinem Affekte erfüllt gewesen ist, sofern man nur
den Gegenstand sich ähnlich erachtet (wie ich später
zeigen werde). "Wir sind daher auch dem günstig ge-
sinnt, welcher einem uns ähnlichen Gegenstande Gutes
gethan hat, und sind umgekehrt auf den erbittert, welcher
einem solchen Uebles zugefügt hat. *^)
L. 23, We9' sich vorstellt, dass das^ was er hasst,
von 2 r au ei* et^föllt istj loird fröhlich sein; umgekehrt,
icerm er sich vorstellt^ dass es von FröhUchkeit erfüllt
ist, wird er sich betrüben» Jeder dieser Affekte wird
(jross oder klein sein, je nachdem de7* entgegengesetzte
in dem geliassten Gegenstande gross oder klein ist.
B. Soweit der gehasste Gegenstand von Traurigkeit
erfÖUt ist, wird er zerstört, und zwar um so mehr, je
grösser die Traurigkeit ist (III. L. U E.). Wer also
sich vorstellt, dass ein gehasster Gegenstand von Trau-
rigkeit erfüUt ist, wird umgekehrt von Freude erfüllt
werden (III. L. 20), und zwar um so mehr, je grösser
er sich die Trauer in dem gehassten Gegenstande vor-
stellt Dies war das Erste. Femer setzt die Fröhlich-
keit die Existenz des fröhlichen Gegenstandes (III. L. 1 1 E.),
122 in. Theil. Von den Affekten.
DDd um 80 mehr, je grosser sie Totgestellt wird. Wenn
[ind sich vorstellt, dass der, den er hasst, von Fröli-
[eit erfQllt ist, so wird diese Yorstelliing sein Streben
men (III. L. 13), d. h. der Hassende wird tod Tntii-
ttit erfüUt sein (III. L. 11 E.).
S. Diese Fröhlichkeit kann kaum eine feste nnd TOm
pf der Seele freie sein. Denn (wie ich in L, 27
an werde) soweit Jemand einen ihm ähnlichen 6e-
tand als von Tianor erföllt sich voratellt, mnss m
ng werden, und nmg^ekehrt, wenn er sich denselben
lieh vorstellt. Hier ist indess nur der Haas in Be-
it zu ziehen. ")
[i. 24. Wenn vnr uns vorstellen, dass Jemand
n Geffenättmd, den wir kosten, mit Fröldichkeit
Üt, so icerden wir auch mit Heus ffegeri Um er-
Wenn wir lins umgekehrt vm-stellen, da»D er
in Gegenstand mit Trauer erfüllt, so werden mr
Lirbe gegen Um erfüUt.
1. Dieser Lehrsatz wird ebenso bewiesen, wie Lehr-
22.
l. Dieser nnd ähnliche ^Affekte des Hasses gehören
Neid, welcher mithin nnr der Hass selbst is^ in-
'n er einen Menschen so bestimmt, dass er sich ther
Debel eines Andern erfrent nnd Aber sein Gates
>bt. »*)
j. 35. Wir streben von ims und von dem geHehlen
imstande Alles ett bi^ahen, von dem wir uns vorntul-
dass es uns oder den geliebten Gegenstand mit
hlichkeit erfüllen werde; und umgekehrt Alles das m
einen, von dem wir uns vorstellen, dass es uns oder
geliebten Gegenstand mit Iraner erfüllen werde.
). Was einem geliebten Gegenstände Fröhlichkeit oder
er bringend vorgestellt wird, erfüllt uns mit Fröh-
;eit oder Traner (III. L. 21). Aber die Seele strebt
Möglichkeit sich das vorzustellen, was uns mit Fröh-
:eit erfüllt (III. L. 21), d. h, dies als gegenwärtig zu
ichten (II. L. 17 Z.). Umgekehrt streben wir von
was uns mit Trauer erfüllt, die Existenz zn heaei-
1 {III. L, 13). Deshalb werden wir von uns nnd
geliebten Gegenstände Alles zn bejahen streben, von
m. Theil. Von den Affekten. 123
dem vorgestellt wird, dass es uns oder den geliebten
Gegenstand mit Fröhlichkeit erfüllt, und umgekehrt.«*)
L. 26. Wir streben, von einem Gegenstände, den
wir hassen. Alles zu bejahen, was ihn nach unserer
Meinmig mit Trauer erfüllt y und umgekehrt das zu
verneinen, was ihn nach unserer Meinung mit F\*öh-
lichkeit erfüllt,
B. Dieser Lehrsatz folgt ebenso aus III. L. 23, wie
der vorgehende aus III. L. 21. «6)
E. Hieraus erhellt, dass ein Mensch von sich und
einem geliebten Gegenstande mehr hält, als recht ist, und
umgekehrt von einem Gegenstaude, den er hasst, weniger
hält, als recht ist. Diese Vorstellung heisst in Bezug
auf den Menschen, der mehr, als recht ist, von sich hält,
Stolz und ist eine Art von Wahnsinn, weil der Mensch
mit offenen Augen träumt, dass er Alles vermag, was er
in der blossen Einbildung erreicht. Er behandelt deshalb
dies AUes wie wirkliche Dinge und ist überglücklich dar-
über, so lange er sich das nicht vorstellen kann, was
dessen Existenz ausschliesst und seine Macht zu handeln
beschränkt. Der Stolz ist also eine Fröhlichkeit, welche
daraus entsprungen ist, dass der Mensch mehr, als recht
ist, von sich hält. Ferner nennt man die Fröhlichkeit,
welche daraus entsteht, dass man von Einem mehr, als
recht ist, hält, Ueberschätzung und die, welche daraus
entsteht, dass man weniger, als recht ist, von ihm hält,
Verachtung. ^'0
L. 27. Wenn wir uns voi'stellen, dass ein uns a/m-
licher Gegenstand, für den wir keinen Affekt gehegt
haben, mit einem Affekt erfüllt werde, so werden wir
mit dem gleichen Affekte erfüllt
B. Die Bilder der Gegenstände sind Zustände des
menschlichen Körpers, deren Vorstellungen fremde Körper
als uns gegenwärtig darstellen (II. L. 17 E.), d. h. die
Natur unseres Körpers und zugleich die gegenwärtige Natur
des fremden Körpers enthalten (II. L. 16). Wenn also die
Natur des fremden Körpers der Natur unseres Körpers ähn-
lich ist, so wird unsere Vorstellung des fremden Körpers die
Erregung unseres Körpers umfassen, welche der Erregung
des fremden Körpers ähnlich ist. Wenn wir uns also vor-
stellen, dass ein uns ähnlicher Gegenstand von einem Affekte
124 in.Theil. Von den Affekten.
erregt ist, so wird diese Vorstellung eine Erregim^
unseres Körpers ausdrücken, welche diesem Affekte ähn-
lich ist. Wenn wir uns mithin vorteilen, dass ein niis
ähnlicher Gegenstand von einem Affekt erfüllt sei, so wer-
den wir von einem diesem ähnlichen Affekte erfallt.
Wenn wir den uns ähnlichen Gegenstand hassen, so wer-
den wir von dem entgegengesetzten Affekte und nicht von
dem gleichen erfüllt (HI. L. 23).
E. Diese Nachfolge ähnlicher Affekte heisst, wenn
sie auf die Traurigkeit bezogen wird. Mitleiden (III. L.
22 E.), auf die Begierde bezogen, Nacheiferung,
welche mithin nichts Anderes ist, als die Begierde nach
einem Gegenstande, die in uns daraus entspringt, dass
wir uns vorstellen, Andere uns Aehnliche haben dieselbe
Begierde. **)
Z* 1. Wenn wir uns vorstellen, dass Jemand, der uns
gleichgültig ist, einen uns ähnlichen Gegenstand mit
Fröhlichkeit erfüllt, so werden wir ihn lieben. Wenn er
umgekehrt nach unserer Meinung ihn mit Traurigkeit er-
füllt, so werden wir ihn hassen.
B. Dies wird auf dieselbe Weise aus dem vor-
gehenden Lehrsatz bewiesen, wie III. L. 22 u. III. L. 21.
Z, 2. Wir können einen Gegenstand, den wir be-
mitleiden, nicht deshalb hassen, weil sein Elend uns mit
Traurigkeit erfüllt.
B. Denn wenn wir ihn deshalb hassen könnten, so
würden wir uns an seiner Traurigkeit erfreuen (III. L. 23),
was gegen die Voraussetzung ist.
Z. 3. Einen Gegenstand, den wir bemitleiden, streben
wir, so viel wir können, von dem Elend zu befreien.
B. Das, was den Gegenstand unseres Mitleidens mit
Trauer erfüllt, erfüllt auch uns mit gleicher Trauer
(III. L. 27), deshalb werden wir streben. Alles, was die
Existenz desselben aufhebt oder es zerstört, in uns wach
zu rufen (III. L. 13), d. h. wir werden es zu zerstören
verlangen oder zu dessen Zerstörung bestimmt werden;
folglich werden wir einen Gegenstand, den wir bemit-
leiden, von seinem Elend zu befreien suchen.
E, Dieser Wille oder dieses Verlangen wohlzuthun,
welches daraus entsteht, dass wir einen Gegenstand, dem
wir eine Wohlthat erweisen wollen, bemitleiden, heisst
Wohlwollen, welches daher nichts Anderes ist, als ein
m. Theü. Von den Affekten. 125
aas Mitleid entspringendes Begehren. TJebrigens sehe
man in Betreff der Liebe und des Hasses gegen den,
welcher einem uns ähnlichen Gegenstande Gutes oder
üebles zugefügt hat, die Erläuterung zu III. L. 22,**)
L. 28. Alles, was nach unserer Vo^'stellung zur
Fröhlichkeit führt, streben wir zu unterstutzerij dass
es sich verwirkliche; was aber nach unse9*e9* Var-
stdlung diesem widerstrebt und zwr Traurigkeit führt,
das strebeu wir zu entfernen oder zu zerstören.
B* Was nach unserer Vorstellung zur Fröhlichkeit
fuhrt, das streben wir nach Möglichkeit vorzustellen
(in. L. 12), d. h. wir werden nach Möglichkeit streben,
es als gegenwärtig oder wirklich existirend zu betrachten
(IL L. 17). Aber das Streben oder Vermögen der Seele
im Denken ist von Natur gleich und gleichzeitig mit dem
Streben oder Vermögen des Körpers zu handeln (IL L. 7 Z.
L. 11 Z.). Wir streben daher unbedingt dahin, dass es
existirt; d. h. wir begehren und bezwecken es (was nach
E. zu HL L. 9 dasselbe ist). Dies war das Erste.
Wenn wir femer das. iwras wir für die Ursache der
Traurigkeit halten, d. h. das, was wir hassen (III. L. 13 E.),
fiir zerstört halten, so werden wir fröhlich sein (III. L. 20).
Wir werden deshalb streben, es zu zerstören (nach dem
ersten Theil dieses Beweises) oder von uns zu entfernen
(in. L. 13), damit wir es nicht als gegenwärtig be-
trachten. Dies war das Zweite. Daher streben wir, dass
Alles, was zur Fröhlichkeit u. s. w. **<>)
L. 29. Wir werden auch streben^ Alles das zu
tJtun, wa^ nach unse^^ev Meinung die Menschen mit
Fröhlichkeit betrachten, und umgekehrt das zu thun
vermeiden, was die Menschen nach unserer Vorstelluna
revahscheuen. (Unter Menschen verstehe ich hier und
im Folgenden solche, die für uns gleichgültig sind.)
B, Wenn wir uns vorstellen, dass Menschen etwas lieben
oder hassen, so -werden wir es aus diesem Grunde eben-
falls lieben oder hassen (III. L. 27), d. h. wir werden
aus diesem Grunde an der Gegenwart derselben Sache
uns erfreuen oder betrüben (III. L. 15 E.). Wir werden
daher streben, Alles das zu thun, was die Menschen nacli
126 ni. Theil. Von den Affekten.
unserer Meinung lieben oder mit Fröhlichkeit (III. L. i
betrachten. ***)
£• Dieses Streben^ etwas zu thun oder zu unter-
lassen, blos um den Menschen zu gefallen, heisst Ehr-
geiz, vorzüglich wenn wir mit solcher Heftigkeit der
Menge zu gefallen streben, dass wir zu unserem oder
Anderer Schaden etwas thun oder unterlassen; anderen
Falls pflegt es Humanität genannt zu werden. Femer
nenne ich die Fröhlichkeit, mit der wir uns die Handlun-
gen eines Anderen vorstellen, durch welche er uns za
erfreuen gestrebt hat, Lob; aber die Traurigkeit,
mit welcher wir die Handlung desselben verabscheuen,
Tadel. 48)
L. 30. Wenn Jemand etwas gei^han hat, was
7iach seiner Meinung Andere mit Fröhlichkeit erfüllt,
so vnrd er mit Fröhlichkeit erfüllt werden, begleitet
von der Voi* Stellung seifier selbst als Ursache, oder
e7' wird sich selbst mit Fröhlichkeit betrachten. Wenn
ei* dagegen etwas gethan hat, was nach seiner Meinung
die Anderen mit 7rauer erfüllt so wird er sich selbst
mit Iraner betrachten. •
B. Wer nach seiner Meinung die Anderen mit Fröh-
lichkeit oder Trauer erfüllt, wird dadurch selbst fröhlich
oder traurig (III. L. 27). Da aber der Mensch durch
die Erregungen, welche ihn zum Handeln bestimmen,
seiner selbst bewusst wird (II. L. 19 und 23), so wird
auch der, welcher etwas gethan hat, was nach seiner
Meinung die Andern mit Fröhlichkeit erfüllt, auch selbst
mit Fröhlichkeit und dem Bewusstsein seiner als Ursache
erfüllt werden, d. h. er wird sich selbst mit Fröhlichkeit
betrachten, und umgekehrt.
£. Da die Liebe die Fröhlichkeit in Begleitung der
Vorstellung einer fremden Ursache und der Hass eine
Traurigkeit in Begleitung einer fremden Ursache ist (IIL L.
13. E.), so wird diese Fröhlichkeit oder Trauer eine Art der
Liebe oder des Hasses sein. Weil aber Liebe und Hass auf
fremde Gegenstande sich beziehen, so werden diese Affekte
andere Namen erhalten, nämlich die Fröhlichkeit be-
gleitet von der Vorstellung einer äusseren Ursache den
Namen Buhmgefühl und die diesem entgegengesetzte
Traurigkeit den Namen Scham. Ich meine damit den
III. Theil. Von den Affekten, 127
Fall, wo die Fröhlichkeit oder Traurigkeit daraus ent-
springt, dass der Mensch sich gelobt oder getadelt glaubt;
sonst nenne ich die Fröhlichkeit, in Begleitung der Vor-
stellung einer äussern Ursache, Selbstzufriedenheit^
und die ihr entgegengesetzte Traurigkeit Eeue. Weil
es endlich möglich ist (II. L. 17. Z.), dass die Fröh-
lichkeit, mit welcher Jemand Andere zu erfüllen meint,
eine blos eingebildete ist, und Jeder von sich Alles das
vorzustellen strebt, was ihn nach seiner Meinung mit
Fröhlichkeit erfüllt (III. L. 26), so kann es leicht kom-
men, dass der Euhmsüchtige stolz wird und meint, er
sei Allen angenehm, während er Allen lästig ist. ■**)
L. 31. Wenn wir meinen, dass ein Anderer etwas
liebt, begehrt oder hasst, was wir selbst lieben, be-
gehren oder hassen j so werden wir diesen Gegenstand
um so beharrlicher lieben u, s. w» Wenn wir aber
glauben, dass dei* Andere das, was wir lieben, ver-
ahscJieut oder umgekehrt, so werden wir ein Schwanken
der Seele erleiden.
B. Bios deshalb, weil ein Anderer nach unserer
Meinung etwas liebt, werden wir es auch lieben (III. L. 27)-
Es ist aber angenommen, dass wir es schon ohnedem
lieben, folglich tritt der Liebe eine neue Ursache hinzu,
welche sie verstärkt, und wir werden daher das, was wir
lieben, deshalb um so beharrlicher lieben. Ferner werden
wir deshalb, weil nach unserer Meinung ein Anderer
etwas verabscheut, es ebenfalls verabscheuen (III. L. 27).
Nehmen wir nun an, -dass wir zu gleicher Zeit es lieben,
so werden wir zu gleicher Zeit es lieben und verab-
scheuen oder in einem Schwanken der Seele uns befinden
(in. L. 17. E.).
Z. Aus diesem und dem Lehrsatz 28 folgt, dass
Jeder, so viel er kann, strebt, dass Alle das lieben, was
er liebt, und hassen, was er hasst; deshalb sagt der
Dichter:
Hoffen zugleich mid furchten zugleich muss Jeder, der liebt.
Eisern ist, wer das Herz liebt, das ein Andrer verliess.
E. Dieses Streben, dass Alle das billigen, was
man liebt oder hasst, ist in Wahrheit der Ehrgeiz
an. L. 29 K).
128 ni. TheU. Von den Affekten.
Daher sehen wir, dass Jeder von Natur verlangt, die
Andern sollen nach seinem Sinne lehen. Wenn dies Alle
in gleicher Weise verlangen, so sind sie Alle sich gleich
hinderlich; und wenn Alle von Allen geloht oder geliebt
sein wollen, so werden sie einander hassen. ^^)
L. 32. Wenn Jemand nach uftserer Meinung sich
einer Sache ef*/reut, die nur Einer besitzen kcmrij so
werden wir dahin 8(/rebe7i, dass Jener der Saclie sich
nicht bemächtigt
B. Bios deshalb, weil ein Anderer nach unserer
Meinung an einer Sache sich erfreut, werden wir sie
lieben und streben, uns ihrer zu erfreuen (III. L. 27.
Z. 1). - Aber dieser Fröhlichkeit steht nach unserer Mei-
nung entgegen (wie vorausgesetzt worden ist), dass
Jener sich derselben Sache erfreut; deshalb werden wir
dahin streben, dass er sich ihrer nicht bemächtigt
(III. L. 28).
E. Man versteht hieraus, weshalb die Natur der
Menschen meistentheils so beschafiten ist, dass sie die
bemitleiden, denen es schlecht geht, und die beneiden,
denen es gut geht, und zwar mit um so grösserem Hass,
je mehr sie den Gegenstand lieben, dessen ein Anderer
nach ihrer Meinung sich bemächtigt (in. L. 32). Man
versteht ferner, wie aus derselben Eigenthümlichkeit der
menschlichen Natur, welche die Menschen mitleidig macht,
auch folgt, dass sie neidisch und ehrgeizig sind. Wenn
wir die Erfahrung zu Eathe ziehen wollen, so sehen wir,
dass sie dies Alles bestätigt ; besonders wenn wir auf die
Zeit unserer Jugend zurücksehen. Denn man sieht, dass
Knaben, weil ihr Körper fortwährend wie im Gleich-
gewicht sich befindet, blos deshalb lachen oder weinen,
weil sie Andere lachen oder weinen sehen; ebenso wollen
sie das gleich nachahmen, was sie Andere thun sehen,
und ebenso begehren sie Alles, was nach ihrer Vor-
stellung Andere ergötzt. Der Grund ist, weil die Bilder
der Dinge, wie erwähnt, die eigenen Erregungen oder
Zustände des menschlichen Körpers sind, mittelst welcher
der menschliche Körper von fremden Ursachen erregt
und veranlasst wird, dies oder jenes zu thun. "**)
L, 33. Wenn wir einen uns ähnlic/ien Gegen
m. Theil. Von den Affekten. 129
stand liehen j so streben wir nach Möglichkeit zu be-
wirken, dass er uns wieder liebt, .
B. Wir streben, einen geliebten Gegenstand, vor den
übrigen, möglichst nns bildlich vorzustellen (III. L. 12.)
Wenn der Gegenstand also nns ähnlich ist, so werden
wir streben, ihn vor den übrigen mit Fröhlichkeit zu er-
füllen (III. L. 29); oder wir werden nach Möglichkeit
zu bewirken streben, dass der geliebte Gegenstand mit
Fröhlichkeit erfüllt werde, begleitet von der Vorstellung
unserer selbst, d. h., dass er uns wieder liebe (III. L.
13. E.) 46)
L, 34* Je grösser der Affekt ist ^ von dem ein
geliebter Gegenstand nach unserer Meinung für un»
ef füllt ist, desto mehr wei*den wir von Ruhmgefühl
erfüllt sein.
B. Wir streben soviel als möglich, dass der geliebte
Gegenstand uns wieder liebe (III. L. 33), d. h., dass der
geliebte Gegenstand mit Fröhlichkeit sich erfülle, unter
Begleitung der Vorstellung von uns. Je grösser daher
die Fröhlichkeit ist, von der wir den geliebten Gegen-
stand durch uns als Ursache erfüllt halten, desto mehr
wird dieses Streben befördert, d. h. mit desto grösserer
Fröhlichkeit werden wir erfüllt (III. L. 11. E.). Wenn
wir deshalb uns freuen, weil wir einen Andern, uns Aehn-
lichen, mit Fröhlichkeit erfüllt haben, so werden wir uns
selbst mit Fröhlichkeit betrachten (III. L. 30). Je grösser
also der Affekt ist, von dem, nach unserer Meinung, der
geliebte Gegenstand für uns erfüllt ist, mit desto grösserer
Fröhlichkeit werden wir uns selbst betrachten, oder ein
um so grösseres Euhmgefühl werden wir empfinden (III. L.
30. E.) 47)
L. 35. Wenn Jemand sich vorstellt, dass der ge-
liebte Gegenstand sich mit einem Andern in gleicher
oder engerer Freundshhaft verbindet, als in der er
den geliebten Gegenstand besessen hat, so wird er
dsn geliebten Gegenstand hassen und den Andern
beneiden,
B. Je grösser die Liebe ist, von der wir den
geliebten Gegenstand für uns erfüllt glauben, desto mehr
werden wir uns von Ruhm erfüllt fühlen (III. L. 34)
* Spinoza, £thik. 9
130 IIL Theil. V<m den Affekten.
d. h. uns erfreuen (ITE. L. 30. E.). Deshalb werden wir
so viel als möglich streben, uns vorzustellen, dass der ge-
liebte Gegenstand mit uns am engsten verbunden ist. Dieses
Streben oder Verlangen wird gesteigert, wenn wir glauben^
dass der Andere dasselbe begehrt (IIL L. 31). Aber es
ist vorausgesetzt, dass dieses Streben oder Verlangen von
dem Bilde des geliebten Gegenstandes unter Begleitung
der Vorstellung dessen, mit dem er sich verbindet, ge-
hemmt werde; wir werden also deshalb traurig sein
(III. L. 11. E.) unter Begleitung der Vorstellung des
geliebten Gegenstandes als Ursache und zugleich unter
Begleitung des Bildes des Andern; d. h. wir werden den
geHebten Gegenstand hassen und zugleich den Andern
hassen (III. L. 13. E; L. 16. Z.), den wir beneiden wor-
den, weil er sich an dem geliebten Gegenstande erfreut
(III. L. 23).
E. Dieser mit Neid verbundene Hass gegen den ge-
liebten Gegenstand heisst Eifersucht, welche mithin
nichts Anderes ist, als ein Schwanken der Seele, aus
Liebe und Hass zugleich entspringend, unter Begleitung
des Andern den man beneidet. TJeberdem wird dieser
Hass gegen den geliebten Gegenstand nach Verhalkniss
der Fröhlichkeit um so grösser sein, je mehr der Eifer-
süchtige aus der gegenseitigen Liebe des geliebten Ge-
genstandes erregt zu sein pflegte, und je mehr er auch
von dem Affekt gegen den ergriffen war, der nach seiner
Vorstellung den geliebten Gegenstand mit sich verbinden
will. Denn wenn er diesen hasste, so wird er auch den
geliebten Gegenstand, hassen (HE. L. 2,4), weil er sich
vorstellt, dass dieser sich dessen erfreut, den er hasst,
und auch deshalb (IIL L. 15. Z.), weil er genöthigt ist,
mit dem Bilde des geliebten Gegenstandes das Bild des
Gehassten zu verbinden, welcher Grund gewöhnlich bei
der Liebe zu einer Frau stattfindet. Denn wer sich vor-
stellt, dass eine Frau, welche er liebt, sich einem Andern
hingiebt, wird sich nicht blos betrüben, weil sein eigenes
Begehren gehemmt ist, sondern er wird auch, weil er das
Bild des geliebten Gegenstandes mit den Schamtheilen
und Ausleerungen eines Andern verbinden muss, das Weib
verabscheuen, wozu noch kommt, dass der Eifersüchtige
nicht mit denselben Mienen von ihr empfangen wird, di«
m. Tliwl. Von den Affekten. 131
sie ihm sonst zeigte, wodarch der Liebende ebenfalls be-
trübt wijd, wie ich gleich zeigen werde. -**)
L. 36. Wer eich eines Qegenatcmdea erinnert,
der Um einmal erfreut haty sucJd denselben unter glei-
cJiefi Umständen zu besitzen, als da er das erste Med
sich dessen erfreut hat
B. Alles, was man zugleich mit dem erfreuenden
Gegenstande gesehen hat, wird mittelbar eine Ursache der
Fröhlichkeit (III. L. 15), also wird er das AUes zugleich
mit dem erfreuenden Gegenstande zu besitzen wünschen
(in. L. 28), d. h. er wird den Gegenstand mit all den
Umständen zu besitzen wünschen, unter denen er das erste
Mal sich an demselben ergötzt hat.
Z. Wenn der Liebende deshalb den Mangel eines
dieser Umstände bemerkt, so wird er traurig werden.
B. Denn soweit er diesen Mangel bemerkt, soweit
stellt er sich etwas vor, was die Existenz dieses fehlenden
Gegenstandes ausschliesst. Da er aber nach diesem Ge-
göQstand oder Umstand aus Liebe verlangt (III. L. 36),
so wird er sich betrüben, so weit er sich vorstellt, dass
er fehlt (IH. L. 19).
E. Diese Traurigkeit in Bezug auf etwas, was wir
lieben, heisst Sehnsucht. ^^)
L. 37. Das Begehren, was aus Trauer oder Fröh-
liehkeity aus Hass oder Liebe entsteht, ist um so stär-
keTy je grösser dieser Affekt ist.
Bi Die Traurigkeit mindert oder hemmt des Men-
schen Macht zu handeln (III. L. 11. E.), d. h. sie mindert
oder hemmt das Bestreben des Menschen, in seinem Sein
zu beharren (HL L. 27) ; sie widerspricht deshalb diesem
Streben (TU. L. 5.), und das, was der von Traurigkeit erfüllte
Mensch strebt, ist diese Traurigkeit zu entfernen. Aber
je grösser die Trauer ist, einem desto grösseren Theile
von des Menschen Macht zu handeln muss sie sich noth-
wendig entgegenstellen; je grösser also die Trauer ist,
mit einer desto grossem Macht wird der Mensch streben,
die Traurigkeit zu entfernen, d. h. mit desto grösserer
Begierde oder Verlangen wird dieses geschehen (III. L.
9. E.). Weil ferner die Fröhlichkeit des Menschen Macht
zu handeln vermehrt oder unterstützt, so ist leicht auf
132 ni. Theil. Von den Affekten.
• dieselbe Weise zu beweisen, dass der von FröUiclikeit
erfüllte Mensch nichts Anderes wünscht, als sie sich zu
erhalten, und zwar um so heftiger, je grösser die Fröh-
lichkeit ist. Endlich folgt in derselben Weise, dass, da
Hass und Liebe die eignen Affekte der Fröhlichkeit sind,
das Streben, Verlangen oder die Begierde, welche
^us letzterer entspringt, im Verhaltniss des Hasses und
der Liebe wachsen wird. *•)
. L. 38. Wenn Jemand einen geliebten Gegenstand
anfängt zu hassen^ so dass die Liehe ganz versclmn-
detf so wird er diesen Gegenstand bei gleicher UrsacJie
stärker hassen, als wenn er Um nicht geliebt IiäUe^
und um so stärker y je grösser die Liebe vorJier ge-
toesen ist.
B« Denn wenn Jemand einen geliebten Gegenstand
zu hassen beginnt, so werden mehrere seiner Bestrebungen
gehemmt, als wenn er ihn nie geliebt hätte. Denn die
Liebe ist eine Fröhlichkeit, welche der Mensch so viel als
möglich sich za erhalten strebt (lU. L. 13. E. L. 28),
und zwar dadurch, dass er den geliebten Gegenstand als
gegenwärtig schaut (IH. L. 28. E.) und ihn, so viel er
kann, mit Freude erfüllt (III. L. 21). Dieses Streben ist
um so grösser (III. L. 37), je grösser die Liebe und das
Streben ist, dass der geliebte Gegenstand ihn wieder liebe
(III. L. 33.)
Diese Bestrebungen werden durch den Hass des geliebten
Gegenstandes gehemmt (III. L. 13. Z. L. 23), auch des-
halb wird der Liebende (III. L. 11. E.) mit Trauer und
um so mehr erfüllt werden, je grösser seine Liebe ge-
wesen ist; d. h. ausser der Trauer, welche die Ursache
des Hasses geworden ist, entsteht eine andere Trauer
daraus; dass er den Gegenstand geliebt hat, und er wird
deshalb den geliebten Gegenstand mit um so grösserer
Trauer betrachten, d. h. er wird ihn mehr hassen (III.
L. 13. E.), als wenn er ihn gar nicht geliebt hätte, und
um so mehr, je grösser seine Liebe gewesen ist. *^)
L. 39. Wer Jemand hasst, wird streben, ihm ein
XJebel zuzuwenden n wenn er nicht fürchtet, dass ein
g rössm'es Uebel daraus für ihn selbst entspringt; um-
in. TheiL Von den Affekten. 133
gekehrt wird der, welcher Jemand liebt ^ ihm nach
demselben Gesetze wohl zu thun streben,
B* Jemand hassen heisst, ihn als die Ursache einer
Traurigkeit sich vorstellen (IIL L. 13. E.);, deshalb wird
der, welcher Jemand hasst, ihn zu entfernen oder zu ver-
nichten streben (HL L. 28.). Wenn er jedoch daraus
etwas Trauriges oder ein grösseres Uebel (was dasselbe
ist) für sich befürchtet, und er glaubt, dies vermeiden
zu können, wenn er dem Gehassten das beabsichtigte
Uebel nicht zufügt, so wird er streben, dieses Uebel ab-
zuhalten (HI. L. 28), und zwar in stärkerem Grade (III.
L. 27), als mit dem er das Uebel zufQgen wollte; jenes
wird deshalb, wie gesagt, die Oberhand behalten. Der
zweite Theil des Beweises ist ebenso zu führen. Wer
also Jemand hasst, wird u. s. w.
E. Unter Gut verstehe ich hier alle Arten der Fröh-
lichkeit und femer, was zu ihr führt und was irgend ein
Begehren befriedigt; unter Uebel dagegen alle Arten
der Traurigkeit und vorzüglich das, was ein Begehren
vergeblich macht. Denn ich habe oben gezeigt (III L.
9. E.), dass wir nichts begehren, weil wir es für gut
halten, sondern umgekehrt, weil wir etwas begehren, nen-
nen wir etwas gut, und ebenso nennen wir das, was wir
verabscheuen, ein Uebel. Deshalb bestimmt oder schätzt
Jeder nach seinen Affekten, was gut, was schlecht, was
besser, was schlechter, und endlich, was das Beste und
das Schlechteste seL So hält ein Geiziger den Ueber-
fluss an Silber für das Beste und dessen Mangel für das
Schlimmste ; der Ehrgeizige verlangt dagegen nach nichts
so, als nach Buhm, und umgekehrt scheut er nichts mehr,
als Schande. Dem Neidischen ist ferner nichts ange-
nehmer als das Unglück des Andern, und nichts lästiger,
als das Glück desselben. So hält Jeder nach seinem
Affekte eine Sache für gut oder schlecht, für nützlich
oder schädlich. Uebrigens heisst der Affekt welcher den
Menschen bestimmt, das nicht zu wollen, was er will, und
das zu wollen, was er nicht will, Fürsorge. Diese ist
mithin nichts Anderes, als die Furcht, insofern der Mensch
dadurch bestimmt wird, ein kommendes Uebel durch ein
kleineres zu vermeiden (III. L. 28). Wenn das Uebel,
was er fürchtet, die Schande ist, so heisst die Furcht
Scham. Wenn endlich das Streben, ein kommendes
134 HL TheiL Yen den AfTekteiL
TJebel zu vermeiden durch die Furcht vor eisern andemHebel
so gehemmt wird, dass der Mensch nicht weiss, welches
er lieher will, so heisst diese Furcht: Bestürzung^ na-
mentlich, wenn die beiden gefürchteten Hebel zu den
grossen gehören.**)
L. 40. Wer steh vo7i Jemand für gelixisst Iiatt
und glavht, dass er ihnr keine Ursaclte dazu geg4i-
ben hoLe, wird ihn ebenfalls hassen,
B. Wer sich Jemand als von Hass erfüllt -vorstellt,
wird dadurch auch mit Hass erfüllt (III. L. 27) , d. h.
von einer Traurigkeit, welche von der Vorstellung «ner
äusseren Ursache begleitet ist (TU. L. 13. E.). Er stellt
sich aber keine andere Ursache seiner Traurigkeit ver
(nach der Annahme), al9 Jenen, von dem er gehasst
wird. Deshalb wird die Vorstellung, dass wir von Jemand
gehasst werden, uns mit Trauer erfüllen, unter Begl^iung
der Vorstellung Jenes, d&r uns hasst; d. h. wir werden
ihn ebenfalls hassen (III. L. 13. E).
E. Wenn man glaubt, dass man eine gerechte Ursache
zum Hass gegeben habe, so wi^d man von Scham erfüllt
(III. L. 30 u. E.). Doch geschieht dies selten (m. L. 35).
XJebrigens kann diese Gegenseitigkeit des Hasses audi
dadurch entstehen, dass aus dem Hass das Streben ent-
steht, dem Gehassten ein Uebel zuzufagen (III. L. 39).
Wer also sich von einem Andern für gehasst hält, wird
ihn als die Ursache eines Uebels oder einer Traurigkeit
vorstellen, und er ' wird deshalb von einer Trauer ergriffen
werden, d. h. von der Furcht unter Begleitung der Vor-
stellung dessen, von dem er gehasst wird, als Ursache;
er wird ihn also wieder hassen
Z..1. Wer glaubt, dass der Mensch, welchen er liebt,
ihn hasst, wird von Hass und Liebe zugleich erfasst wer-
den. Denn insofern er sich für gehasst hält, wird er
bestimmt, ihn wieder zu hassen (III. L. 40) ; aber er liebt
ihn nichts destoweniger, nach der Annahme; deshalb wird
er von Hass und Liebe zugleich ergriffen sein. ö8)
Z. 2. Wenn wir glauben, dass uns von Jemand, der
uns bisher gleichgültig gewesen ist, aus Hass ein Uebel
zugefügt worden sei, so werden wir sofort streben, ihm
diese Uebel ebenfalls zuzufagen.
B. Wer glaubt, dass ein Anderer ihu hasst, wird
m. Theil. Ton den Affekten. 135
ilm wieder Iiassen (UL L. 40), und er wird streben,- sieh
an Alles zu eriiuiem, was Jenen mit Traurigkeit erfüllen
kann (III. L. 26), und er wird streben, ilun dies zo-
lafngen (III. L. 39), Aber das Erste, an das er sich
erinnert, ist (nach der Toranssetzung) das Hebel, was
ilun selbst von Jenen zugefügt worden; deshalb wird er
sofort streben, ihm dieses auch zuzufügen.
E. Das Streben, dem, 'welchen wir hassen, ein
Uebel znznfQgen, heisat Zorn; und das Streben, ein
empfangenes Uebel zu vergelten, Bache. *4)
L> 41. Wmin Jemand sich von einem Änderen
für ffeUfbf hält vnd glaubt, dazu keine Va-anlcusuni;
gegeben zu haben (was nach. III. L. 15. Z. und L. 16.
möglich ist), so wird er ihn wieder lieben.
B. Dieser Lehrsatz wird ebenso wie .der vorgehende
twmsseu; auch ist dessen Erläuterung zu beachten.
E. Wenn Jemand glaubt, dem Andern ein genügende
Ursache znr Liebe g^eben zu haben, so wird er sich
dessen rühmen (UL L. 30 mit E.), was häufiger ge-
9cliieht (lU. L. 25), und dessen Gegentheil, wie erwähnt,
dann eintritt, wenn Jemand sich von einem Anderen für
gehasst hält (UL L. 40. E.). Femer heisst diese er-
widernde Liebe und damit das Streben, dem gut zu tbun
(EI. L. 39), der nns liebt, d. h. der uns gut zu tbnn
sucht (m. L. 39), Erkenntlichkeit oder Dankbarkeit.
Hieraus erhellt, dass die Menschen weit bereiter zur
Bache sind, als zur Erwiderung einer Wohlthat.
Z. Wer glaubt, dass der, welchen er hasst, ihn liebe,
wird zugleich von Hass and Liebe ergriffen sein; dies
wird ebenso wie der vorgehende Zusatz bewiesen.
E. TJeberwiegt der Hass, so wird er dem Liebenden
ein Uebel zufügen, welcher Affekt Grausamkeit go-
mumt wird, vorzüglich wenn man glanbt, dass der Lie-
bende, nach der gewöhnlichen Meinung, keinen Grund
zum Hass gegeben habe. ^} *
L. 42. Wenn Jemand aus Liebe oder in Hoi
ntmff eines RvJtmgefühls einem Andern eine Wohlth
meiesen hat, so wird er sich betnibenf wenn er siel
dms diese mit undankbarem Sinn empfangen wird.
B. Wer einen ihm ähnlichen Gegenstand liebt, wi
; in. Thea Ton den Affekten.
GhBt streben, dass dieser ibn wieder liebt (lEL L. 33).
daher aus Liebe einem Andern eiue Wohlthat a-
D hat, thnt ea aus der Ursache, wieder geliebt za
n, d. h. in Hoffnung eines BnhmgefiMs oder einer
Ichkejt (in. L. 34. L. 30. E.). Deshalb wird er
chet streben, diese Ursache des Buhmsgeföhls sich
stellen oder als geg^enwärttg za schauen. Abei
der Voraussetzung) stellt er etwas Anderes vor,
iie ExiatonE dieser Ursache ausachliesst; also wird
durch betrübt sein (m. L. 19). 'S«)
. 43. TJer Haas wird dure/i EnoidertiTiff des
•es vergröasert imd kamt umgekeftrt durch Liebe
r( werden.
. Wenn Jemand glaubt, dass der, den er haBst,
ihn basst, so entsteht daraus ein neuer Hass
L. 40), während der erste noch fortbesteht (nach
^nnaimie). Wenn er dagegen glaubt, dass der
iste von Liebe gegen ihn erfüllt ist, so betracbl«t
;h selbst mit Freude, so weit er sich dies vorstellt
L. 30), und insoweit wird er streben, ihm zu ge-
(in. L. 29), d. h. insoweit wird er streben, itui
Eu^assen oder nicht mit Traurigkeit zu erfüllen
L. 40). Dieses Streben wird gross oder klein sein
dem Affekt, aus dem es entspringt (III. L. 37).
} grosser, als das aus dem Hass entsprangene oder
as Streben, den Gehassten mit Traurigkeit zu er-
1 (III. L. 26), so wird es ftberwiegen und den Hass
r Seele vertilgen.
. 44. .Em Boss, der^ durch die Liebe vollständig
^t ist, geht in Liebe über, imd diese Liebe ist
fff'öaaeTj als wenn kein Hass voraasgegom-
. Dieser Beweis geschieht in derselben Weise irie
Lehrsatz III. 38. Denn wer einen Gegenstand,
len er haeste, üder mit Traurigkeit zu betrachtea
^e, za lieben anfingt, ist schon dadurch allein er-
dass er liebt, und zq dieser in der Liebe enthaltenen
ichkeit (IIL L. 13. E. u. D.) tritt jene hinzu,
le daraus entspringt, dass das Streben, dfe Trauer
itfemen, welche der Hass enthält, sehr unterstützt
m. Theü. Von den Affekten. 137
wird, unter Begleitung der YorstoUung des Gehassten
als Ursache (IH. L. 37).
£• Obgleich die Sache sich so verhält, so wird dock
Niemand hegehren, einen Gregenstand deshalb zu hassen
oder ihn mit Traurigkeit zu erfüllen, nur damit er selbst
die erwähnte höhere Fröhlichkeit daraus geniesse; d. h.
Niemand wird wünschen, dass ihm ein Schaden zugefügt
werde, um der Hoffnung willen, diesen Schaden ersetzt
zu erhalten, und Niemand wird sich eine Krankheit
wünschen um der Hoffnung des Genesens willen. Denn
Jeder wird immer streben, sein Dasein zu erhalten und
die Traurigkeit möglichst fern zu halten. Wäre es
indess möglich, dass ein Mensch begehrte. Jemand zu
hassen, um ihm dann mit um so grösserer Liebe zugethan
zu sein, Iso müsste er wünschen, ihn immer zu hassen«
Denn je grösser der Hass gewesen ist, desto grösser wird
die Liebe sein, und er wird deshalb immer wünschen,
dass der Hass noch "mehr wachse. Ebenso wird ein
Mensch begehren, noch immer kränker zu werden, um
eine grössere Freude aus der hergestellten Gesundheit
später zu gemessen; er müsste deshalb streben, immer
krank zu sein, was widersinnig ist (HE. L. 6).*'^)
L. 45. Wenn Jemand glaubt, dass ein anderer
ihm ähnlicher Gegenstand einen andern ihm ähnliclien
Gegenstand^ welclien er selbst liebty hasst, so vnrd er
ienen aitc/i hassen.
B. Denn der geliebte Gegenstand wird den, der ihn
hasst, wieder hassen (III. L. 40), folglich wird der Lie-
bende, welcher glaubt, dass Jemand den geliebten Gegen-
stand hasst, glauben, dass dadurch der geliebte Gegen-
stand von Hass, d. h. Traurigkeit erfüllt ist (HL L. 13 E.)
und folglich wird er betrübt sein (III. L. 21), und zwar
unter Begleitung der Vorstellung dessen, der den geliebten
Gegenstand hasst, als Ursache, d. h. er wird diesen selbst
hassen (in. L. 13. E.). »«)
L 46. . Wenn Jemand von einem Andern,
der anderen Standes, oder anderer Nation ^ mit
Fröhlichkeit oder Trauer erfüllt worden isty in Be-
gleitung einer Vorstellmig desselben unter dem aU-
genieinen Namen des Standes oder der Nation ais
138 ni. TheiL Von den Affektwu
Ur»acJi£, so wird er nicht blas diesen, sondern alle
Personen dieses Standes oder dieser Nation Ueben
oder hassen.
B. Der Beweis dieses Satzes erheUt aus HI. L. 16. *^)
L. 47. Die Fröhlichkeit^ welche davon kommt,
dass wir glauben , ein geJtasster Gegestand werde
zerstört oder mit einem Uebel behaftet^ entsteht nicht
ohne eine gewisse Iraurigieit der Seele.
B. Dies erhellt ans HI. L. 27, denn so weit wir
glauben, dass ein uns ähnlicher Gegenstand von Traurig-
keit erfüllt wird, werden wir selbst traurig.
£. Dieser Lehrsatz kann auch aus II. L. 17. Z. be-
wiesen werden. Denn so oft wir uns einer Sache er-
innern, so werden wir sie als gegenwärtig auffassen, ob-
gleich sie wirklich nicht existirt, und da: Körper wird
ebenso erregt werden. So lange daher das Andenken des
Gegenstandes besteht, so lange wird der Mensch be-
stimmt, sie mit Traurigkeit zu betrachten. Diese Be-
stimmung wird zwar, während das Büd der Sache noch
besteht, durch die Erinnerung jener Dinge gehemmt,
welche .deren Existenz ausschliessen ; aber sie 'wird davon
nicht aufgehoben. Der Mensch freut sich also nur in-
soweit, als diese Bestimmung gehemmt wird, und daher
kommt es, dass diese Fröhlichkeit, .welche aus dem Un-
glück einer gehassten Sache entspringt, so oft wieder-
kehrt, als wir uns derselben Sache erinnern. Denn wenn,
wie gesagt, das Bild dieser Sache erweckt wird, so be-
stimmt es, weil es die Existenz derselben enthält, den
Menschen, sie mit derselben Traurigkeit zu betrachten,
mit der es früher geschah , als sie existirte. Weil indess
der Mensch mit dem Bilde dieser Sache andere ver-
bunden hat, welche die Existenz derselben ausschliessen,
so wird diese Yeraulassung zur Traurigkeit sofort ge-
hemmt, und der Mensch ist wieder fröhlich, und zwar
so oft, als sich dies wiederholt.
Dies ist auch die Ursache, weshalb man si«h freut,
so oft man sich eines vergangenen Uebels entsinnt, und
weshalb die Erzählung von Gefahren, von denen man
befreit worden ist, Freude macht. Denn wenn man sich
eine Gefahr vorstellt, nimmt man sie als eine konunende
HL Theü. Von den Affekten. 139
und wird dadurch zur Furcht bestimmt; aber diese Be-
stimmung Tfird wieder dnrch die Yorstellung der Be-
freiimg gehemmt, welche sich mit der Vorstellung der
Gefahr verknüpft hat, als man von ihr befreit worden ist;
^jße macht wieder sicher, und man ist wieder froh. ®^)
L« 48. Die Liebe uud der Hass^ z, B, gegen
Peter ^ wird aufgehoben, we7in die Traurigkeitj welcJie
dieser, tmd wenn die Fröhlichkeit, welche jene enthält,
sich mit der Vorstellung einer asideren Ursache ver-
bindet Beide Affekte vermindern sichy wenn Peter
nic/d für die alleinige Ursache derselben gehalten
worden ist
B. Dies erhellt aus der blossen Definition der Liebe
und des Hasses (III. L. 13. E.), denn die Freude wird
nur deshalb zur Liebe und die Traurigkeit zum Hass
gegen Feter, weil er für die Ursache derselben gehalten
wird; ist die Annahme ganz oder zum Theü beseitigt, so
verschwindet auch der Affekt gegen Feter ganz oder zum
TheiL«)
L. 49. Die Liebe und der Hass gegen einen
Gegenstand y den man für frei hält, muss bei
gleicher Ursache gi^össer sein^ als gegen einen unfreien
Gegenstand,
B. Ein Gegenstand, den man für frei hält, muss
durch sich uud ohne Anderes vorgestellt werden (L. D. 7) ;
wenn wir daher einen solchen für die Ursache der Fröh-
lichkeit oder der Trauer nehmen (III. L. 13. E.), so wer-
den wir ihn lieben oder hassen, und zwar in der stärksten
Weise, welche for den gegebenen * Affekt möglich ist
(m L. 48). Wenn wir aber den Gegenstand, welcher
die Ursache derselben Affekte ist, für einen unfreien
halten, dann nehmen wir ihn nicht für die alleinige Ur-
sache derselben, sondern rechnen auch Anderes als Ur-
sache hinzu (L. D. 7), und deshalb wird die Liebe und
der Hass gegen den Gegenstand schwächer sein (III. L. 48).
£. Daraus erklärt sich, dass Menschen sich mehr
wie andei'e Dinge gegenseitig lieben oder hassen; sie
halten sich nämlich für frei, und dazu kommt noch die
Nachahmung der Affekte, worüber HL L. 27, 34, 40
und 43 einzusehen sind, ö^)
140 in. TheiL Von den Affekten.
L. 50« Jeder Gegenstand kann zufällig die Ur-
sache einer Hoffnung oder einer Furcht werden,
B« Dieser Lehrsatz wird auf dieselbe Weise be-
wiesen, wie in. L. 15 in Verbindung mit HE. L. 18. E.
£• Die Gegenstande, welch zuf^g die Ursache der
Hoffnung und Furcht sind, heissen gute oder schlechte
Vorzeichen. Soweit sie die Ursache der Hoffnung und
Furcht sind, soweit sind sie Ursachen der Fröhlichkeit
oder Trauer (III. L. 18. E. 2), and folglich lieben oder
hassen wir sie insoweit (lEL L. 15. Z.) und streben, sie
als Mittel für das, was wir hoffen, anzuwenden oder als
Hindemisse und IJrsachen der Furcht abzuwenden (in.
L. 28). Femer falgt aus III. L. 25, dass wir von Natur
80 beschaffen sind, dass wir das leicht glauben, was wir
hoffen, und schwer, was wir fürchten, und unser ürtheil
hierüber mehr, als recht ist, dadurch bestimmen lassen.
Daraus sind die abergläubischen Meinungen entstanden,
von denen die Menschen überall geplagt sind.
Uebrigens ist es wohl nicht nothwendig, hier die
Schwankungen der Seele darzulegen, welche aus der Hoff-
nung oder Furcht entspringen, da schon aus der blossen
Definition dieser Affekte sich ergiebt, dass es keine Hoff-
nung ohne Furcht, und keine Furcht ohne Hoffnung
giebt (wie an seinem Orte ausführlich erklärt worden ist).
Ausserdem lieben oder hassen wir etwas in demselben
Grade, wie wir es hoffen oder fürchten; das von der
Liebe und dem Hass Gesagte wird daher Jeder leicht
auf die Hoffnung und die Furcht anwenden können.^)
L. 61. Verschiedene MenscJien können von dem-
selben Gegenstande auf verschiedene Weise erregt
werden, und derselbe Mensch kann von demselben
Gegenstand zu verschiedenen Zeiten verschieden erregt
werden,
B, Der menschliche Körper wird von fremden Kör-
pern auf verschiedene Weise erregt (11. '»H. 3). Es können
deshalb zwei Menschen zu gleicher Zeit auf verschiedene
Weise erregt sein, folglich auch von ein und demselben
Gegenstande verschieden erregt werden (II. L. 13. Ln. 3,
A. 1). Ferner kann der menschliche Körper bald auf
diese, bald auf jene Weise erregt werden und daher von
m. Theil. Von den Affekten. ' 141
demselben Gegenstande, zn. verschiedenen Zeiten, ver-
schieden erregt werdeni (II. L. 13. Ln. 3. A. 1). *^)
£• Man sieht hieraus, wie es möglich ist, dass Einer,
liebt, was der Andere hasst, und Einer fürchtet, was der
Andere nicht fürchtet; und dass derselbe Mensch jetzt
das liebt, was er früher hasste, und jetzt das wagt, was
er früher fürchtete, u. s. w. Es ergiebt sich ferner,
dass weil Jeder nach seinen Gefühlen urtheilt, was gut
und schlecht, besser und schlimmer ist (III. L. 39. E.),
die Menschen sowohl in den TJrtheilen, wie in den Ge-
fühlen von einander abweichen. (Die Möglichkeit dazu,
trotzdem dass die menschliche Seele ein Theil des gött-
lichen Yerstandes ist, ist II. L. 17. E. dargelegt worden.)
Wenn wir die Menschen unter einander vergleichen, so
unterscheiden wir sie daher nach dem Unterschiede ihrer
Affekte von uns und nennen diesen kühn, jenen furcht-
sam, oder sonst wie. So werde ich z. B. den muthig
nennen, welcher ein Uebel verachtet, was ich zu fürchten
pflege. Wenn ich ausserdem bemerke, dass seine Be-
gierde, dem Gegner zu schaden und dem Freunde wohl-
zuthun, durch die Furcht vor einem Uebel nicht ge-
hemmt wird, vor dem ich gewöhnüch zurückweiche, so
werde ich ihn kühn nennen. Ferner wird mir derjenige
als furchtsam gelten, der ein Uebel fürchtet, was ich
zu verachten pflege; wenn ich ausserdem bemerke, dass
seine Begierde durch die Furcht vor einem Uebel gehemmt
wird, welches miqji nicht abschrecken kann, so werde
ich ihn kleinmüthig nennen.
In dieser Weise wird Jeder sein Urtheil fällen. Bei
dieser Natur der Menschen und der Unbeständigkeit
ihres Urtheils, und da die Menschen oft blos nach dem
Gefahl über die Dinge urtheilen, und da die Gegenstände,
welche sie für fröhliche oder traurige halten, und des-
halb zu befördern oder zu entfernen streben (III. L. 28),
oft nur eingebildete sind, so kann man, ohne dass ich
noch an die Ungewissheit der Dinge zu erinnern
brauche, wie sie im 11. Theil dargelegt worden sind,
leicht begreifen, dass die Menschen oft in die Lage
kommen können, sich zu betrüben oder zu erfreuen, oder
^ dass sie von diesen Affekten erfasst werden, unter
Begleitung der Vorstellung ihrer selbst als Ursache.
Hieraus ergiebt si<^ leicht, was die Eeue und die Selbst-
142 ni. Theil. Von den Affekten.
Zufriedenheit ist. Die Bene ist nämlicli die Traurigkeit
unter Begleitung der Vorstellung seiner selbst als Ursache,
und die Selbstzufriedenheit ist eine Fröhlichkeit in
gleicher Weise. Diese Affekte sind sehr heftig, weil die
Menschen sich für frei halten. (III. L. 49). ®^)
L. 52. Einen Gegenstandy den wir zugleich vnä
andern frülier gese/ien haben, oder der nach imserer
Meinung nichts an sich hat, was nicht mehreren Gegenr ^
ständen gemeinsam ist, werden wir nicht so lange he-
tracliten^ als einen, der na^h unserer Auffassung eticas
JEigentkumliches hat.
B« Sobald wir uns einen Gegenstand vorstellen, den
wir mit anderen gesehen haben, so w^den wir uns sofort
dieser andern entsinnen (II. L. 18. £.), und so werden
wir aus der Betrachtung des einen in die Betrachtung
des andern gerathen. Ebenso verhält es sich mit einem
Gegenstande, der nur Gemeinsames mit andern enthalt.
Denn eben deshalb meinen wir in ihnen nichts zu schauen,
was wir nicht vorher schon mit andern gesehen haben.
Wenn wir aber annehmen, dass wir uns in einem Gegenstand
etwas Eigenthümliches vorstellen, was wir vorher noch
nicht gesehen haben, so heisst dies nichts Anderes, als
dass die Seele bei der Beschauung dieses Gegenstandes
nichts in sich hat, auf dessen Betrachtung sie durch
die Betrachtung dieses gerathen könnte; sie ist daher
nur veranlasst, diesen zu betrachte^. Deshalb werden
wir einen Gegenstand u. s. w. ®*)
E. Diese Erregung der Seele oder diese bildliche
Vorstellung einer besonderen Sache heisst, so weit sie Wos
in der Seele besteht, Bewunderung. Kommt sie von
einem Gegenstande, den wir furchten, so heisst sie
Bestürzung, weil die Bewunderung eines Uebels den
Menschen in dessen Betrachtung so schwebend erhält,
dass er nicht vermag, an das zu denken, wodurch er dieses
Uebel vermeiden könnte. Wenn aber das, was wir be-
wundem, eines Menschen Klugheit, Fleis oder dergl. ist,
so wird jene Bewunderung Ehrfurcht genannt, indem
wir sehen, dass der Mensch dadurch uns weit übertriM.
Wenn wir eines Menschen Zorn, Neid u. s. w. bewun- *
dem, so heisst dies Abscheu. Wenn wir femer eines
Menschen, den wir lieben, Klugheit, Floiss u. s. w. be-
HL Theil. Von den Affekten. 143
wundern, so wird die Liebe dadurch steigen (III. L. 12).
und diese mit Bewunderung oder Ehrfurcht verbundene
Liebe heisst Ergebenheit. Auf diese Weise kann man
sich anch den Hass, die Hoffnung, die Sicherheit und
andere Affekte mit Bewunderung verbunden vorstellen und
so mehr Affekte ableiten, als gebränchliche Worte dafür
vorhanden sind. Daraus erhellt, dass die Namen der
Affekte mehr nach ihrem gewöhnlichen Gebrauche, als
nach ihrer genauen Kenntniss gebildet worden sind.
Der Bewunderung steht die Verachtung gegenüber,
deren Ursache meist folgende ist. Wenn wir sehen,
dass Jemand eine Sache bewundert, liebt, fürchtet, oder
wenn wir einen Gegenstand wegen seiner zunächst her-
vortretenden Aehnlichkeit mit bewunderten, geliebten oder
gefürchteten Gegenständen ebenfalls bewundern, Hellen,
fürchten n. s. w., alsdann aber durch die Gegenwart oder
genauere Betrachtung des Gegenstandes genöthigt sind.
Alles das von ihm zu verneinen, was die Ursache der
Bewunderung, der Liebe, der Furcht u. s. w. sein kann,
so ist die Seele durch diese Gegenwart der Sache mehr
veranlasst, an das darin Fehlende, als an das darin Be-
findüche zu denken; während sie doch sonst wegen der
Gegenwart des Gegenstandes an das Vorzügliche zu den-
ken pflegt, was in dem Gegenstande ist. So wie nun die
Ergebenheit aus der Bewunderung einer Sache entsteht,
die wir lieben, so entsteht der Spott aus der Verach-
tung eines Gegenstandes, den wir hassen oder fürchten;
ebenso die Geringschätzung aus der Verachtung der
Dummheit, wie die Verehrung- aus der Bewunderung
der Klugheit.
Auf diese Weise kann man sich auch eine Verbindung
der Liebe, der Hoffnung, des Ehrgeizes und anderer Affekte
mit der Verachtung denken und so mannigfache Affekte
daraus ableiten, welche man ebenfalls nicht mit besondem
Worten zu bezeichnen pflegt. ^')
L. 63, Wenn die Seele sich seihst und ihre Macht
zu handeln betrachtet y so ist sie erfreut, und zwar
um so mehr y je bestimmter sie sich und diese Macht
vorstellt',
B. Der Mensch kennt sich selbst nur durch die Zu-
stände seines Köi-pers und deren Vorstelungen (IL L. 19. 23).
144 m. Theil. Von den Affekten.
Wenn es also geschieht, dass sich der Mensch selbst
betrachten kann, so wird angenommen dass er dadurch zu
grösserer Vollkommenheit yorschreitet, d. h. dass er Ton
Frende erfüllt ist (IIL L. 11. E.), nnd zwar nm so mehr,
je bestimmter er sich und seine Macht zu handeln vor-
stellen kann.
Z. Diese Fröhlichkeit wird gesteigert, je mehr ein
Mensch sich von Andem gelobt vorstellt. Denn je mehr
dieses geschieht, desto höher hält er die Freude, welche
Andere über ihn empfinden, und zwar unter Begleitung
seiner als Ursache (III. L. 29. E.), und deshalb wird er
selbst von grösserer Fröhlichkeit erfüllt, unter Begleitung
der Vorstellung seiner selbst als Ursache. (III. L. 27.)**)
L. 54, Die Seele strebt, nur das vorzusteUen, was
üire Macht zu hundein setzt
B. Das Streben oder die Macht der Seele ist ihr
eigenes Wesen (III. L. 7). Das Wesen der Seele bejaht
aber hur das, was die Seele ist und vermag (wie von
selbst klar ist), und nicht das, was sie nicht ist und nicht
vermag; deshalb strebt sie, nur das vorzustellen, was ihre
Macht zu handeln bejaht oder setzt. ^•)
L# 66. Wenn die Seele ihre Ohnmacht sich vm^
stellt, wird sie dadurch hetrbüt,
B. Das Wesen der Seele bejaht nur das, was die
Seele isx oder vermag, d. h. es ist der Natur der Seele ent-
sprechend, sich nur das vorzustellen, was ihre Macht zu han-
deln setzt (IIL L. 44,). Wenn ich also sage^ dass die
Seele, wenn sie sich selbst betrachtet, ihre Ohnmacht be-
trachtet, so heisst dies nur, dass das Streben der Seele,
sich etwas vorzustellen, was ihre Macht zu handeln setzt,
gehemmt werde, d. h. dass die Seele sich betrübe (III.
L. 11. E.).
Z. 1. Die Traurigkeit steigert sich, daher wenn man
sich von Andern getadelt glaubt, was ebenso bewiesen
wird, wie der Zusatz zu III. L. 53.
E. Diese Traurigkeit in Begleitung der Vorstellung
unserer Schwäche heisst: Niedergeschlagenheit; die
Fröhlichkeit aber, die aus der Betrachtung unserer ent-
springt, Selbstliebe oder Selbstzufriedenheit. Da
diese so oft sich wiederholt, als der Mensch seine Tu-
m. TheU. Von den Affekten. 145
genden und seine Macht zu handeln betrachtet, so kommt
es, dass Jeder so gerne seine Thaten zu erzählen und die
Kraft seines Körpers wie seiner Seele zu zeigen sich
beeifert, so dass die Menschen einander deshalb lastig
werden. Es folgt daraus femer, dass die Menschen yon
Natur neidisch sind (III. L. 24 E. L. 32 E.), d. h. dass
sie sich über die Schwäche ihrer Nebenmenschen freuen
und über deren Tugenden betrüben. Denn so oft Jemand
an seine Handlungeu denkt, so oft wird er fröhlich (Ul,
L. 53), und zwar um so mehr, je mehr Vollkommenheit
nach seiner Meinung seine Handlungen ausdrücken, und
je deutlicher er sie sich vorstellt, d. h. je mehr er sie
von andern unterscheiden und als eigenthümliche Gegen-
stände betrachten kann. Daher wird sich Jeder bei der
Betrachtung seiner dann am meisten freuen, wenn er
etwas in sich bemerkt, was den Andern fehlt Wenn
aber das, was er von sich bejaht, sich auf die universelle
Vorstellung des Menschen oder des Geschöpfes bezieht,
so wird er nicht so fröhlich sein. Umgekehrt wird er sich
betrüben, wenn er bei Vergleichung seiner mit Anderer
Handlungen die seinigen für die schwächeren hält. Er
wird streben, diese Traurigkeit zu entfernen (III. L. 28),
indem er die Handlungen seiner Nebenmenschea herab-
zieht oder die seinigen möglichst verschönert
Es erhellt, dass die Menschen von Natur zu Hass
und Neid geneigt sind un4. die Erziehung befördert dies.
Denn die Eltern pflegen die Kinder nur durch die Beiz-
mittel der Ehre und des Neides zur Tugend anzuhalten.
Man kann mir indess entgegnen, dass wir ja oft die
Tugenden der Menschen bewundem und sie verehren.
IJi% diesen Einwand zu heben, will ich folgenden Zusatz
beifügen.
Z. 2. Niemand beneidet Jemand um seine Tugend,
ausgenommen wenn dieser Seines gleichen ist.
B. Der Neid ist ein Hass (III. L. 24 E.) oder eine
Traurigkeit (III. L. 13. E.), d. h. ein Zustand, welcher
des Menschen Macht oder Begehren hemmt (III. L. 11 E.).
Aber der Mensch strebt und wünscht nur das zu thun
(in. L. 9 E.), was aus seiner gegebenen Natur folgen
kann. Daher wünscht der Mensch nicht, dass eine Macht
zu handeln oder (was dasselbe ist) eine Tugend ihm bei-
gelegt werde, welche der Natur eines Andern eigenthüm-
Bpinoza, Ethik. lÖ
146 in. Theil. Von den Affekten.
lieh und seiner eignen fremd ist. Deshalb kann sein
Begehren nicht gehemmt, d. h. er selbst nicht betrübt
werden (III. L. 11 E.), wenn er in einem ihm unahn-
lichen Gegenstande einen Yorzng bemerkt, und folglich
wird er ihn auch nicht deshalb beneiden, wohl aber- Seines
gleichen, der gleichen Natur mit ihm ist.
E. Wenn ich daher oben (HI. L. 52 E.) gesagt
habe, dass wir einen Menschen deshalb verehren, weil wii
seine Klugheit, Tapferkeit u. s. w. bewundem, so geschielit
es, weil wir diese Tugenden für solche halten, welche
ihm eigenthümlich angehören, und nicht for solche, welche
gemeinsame mit unserer Natur sind (in. L. 55). Wir
werden deshalb ihn um dieser ebenso wenig beneiden,
wie die Bäume um ihre Höhe und die Löwen um ihre
Starke. W)
L. 56. Es giebt ebenso viel Arten der FröhUchkeU,
der Traurigkeit und des Begehrens, so wie der dar(m
zusammengesetzten Affekte und Schwankungen de\'
Seele und de9* daraus abgeleiteten Affekte^ wie Liebe^
HasSy Hoffnung, Furcht w. s. «?., als es Arten der
Gegenstände giebt, von denen man etregt wird,
B. Die Fröhlichkeit und die Trauer und die daraus
gebildeten oder abgeleiteten Affekte sind leidende Zu-
stande (in. L. 11 E.). Wir leiden aber nothwendig
(in. L. 1^ soweit wir unzureichende Vorstellungen haben,
und soweit wir sie haben, soweit leiden wir nur (III. L. 3),
d. h. wir leiden nur soweit nothwendig (IL L. 40 E.)-
soweit wir uns in bildlichen Vorstellungen bewegen, oder
soweit wir durch einen Affekt erregt werden (IE. L. 17. E.)»
welcher die Natur unseres Körpers und die eines freiideü
einschliesst. Die Natur irgend eines leidenden Zustandes
kann daher nur so erklärt werden, dass sie durch die
Natur des Gegenstandes ausgedrückt wird, welcher uns
erregt. So enÖiält die Fröhlichkeit, welche aus dem Ge-
genstande A. entspringt, die Natur desselben Gegenstandes
A., und die Fröhlichkeit, welche aus dem Gegenstande B.
entspringt, die Natur desselben Gegenstandes B. Mithin
sind diese beiden Affekte der Fröhlichkeit von Natur ver-
schieden, da sie aus Ursachen verschiedener Natur ent-
springen. So ist auch der Affekt der Traurigkeit, welcher
aus dem einen Gegenstand entspringt, in seiner Natur
•■ -1
1
. in. TheiL Von den Affekten. 147 |
yerscliieden von der Traurigkeit, welche aus einer andern
Ursache entsteht. Dies gilt auch von der Liebe, dem Hass, I
der Hoffnung, der Furcht, den Gemüthsschwankungen u. s. w.
Es giebt also nothwendig so viele Arten der Fröhlichkeit,
Traurigkeit, der Liebe, des Hasses u. s. w., als es Arten
der Gegenstände giebt, durch die wir erregt werden.
Die Begierde aber ist die Natur oder das Wesen eines
Jeden, soweit es aufgefasst. wird als durch eine gegebene
Verfassung desselben zu einer Thätigkeit bestimmt (III.
L. 9 F.). Je nachdem also in Jemand von äusseren Ur-
sachen diese oder jene Art der Fröhlichkeit, der Traurigkeit,
der Liebe, des Hasses u. s. w. erregt wird, d. h. je nach-
dem seine Natur in diese oder jene Verfassung geräth,
so muss auch sein Begehren ein anderes werden, und die
Natur des einen muss sich von der Katar des andern
ebenso unterscheiden, wie die Affekte sich unterscheiden,
aus denen sie entspringen. Es giebt also so viele Arten
des Begehrens, als Arten der Fröhlichkeit, Traurigkeit,
Liebe u. s. w., und mithin (wie bereits gezeigt worden)
so viele, als es Arten der Gegenstände giebt, von denen
wir erregt werden,
E. JDie wichtigeren unten den Arten der Affekte, deren
es sehr viele geben muss (III. L. 56), sind die Schwelgerei,
die Trunkenheit, die Wollust, der Geiz und die Ehrsucht.
Sie sind nur Arten der Liebe und des Begehrens, und die
Natur dieser beiden Affekte besondert sich in ihnen durch
die Gegenstände, auf welche sie sich 'beziehen. Denn unter
Schwelgerei, Trunkenheit, Wollust, Geiz und Ehrsucht
versteht man nur die unmässige Liebe und Begierde nach
Schmausereien , nach Begattung, nach Beichthum und
ßuhm. Uebrigens haben diese Affekte keiuGegentheil, sofern
man sie blos nach dem Gegenstande, auf den sie sich be-
ziehen, von einander unterscheidet. Denn die Massigkeit,
welche man der Schwelgerei, und die Nüchternheit, welche
man der Trunkenheit, und die Keuschheit, welche man
der Wollust entgegen zu stellen pflegt, sind keine Affekte
oder leidende Zustände, sondern bezeichnen die Macht der
Seele, wodurch diese Affekte gemässigt werden.
Im TJebrigen kann ich die andern Alien der Affekte
Mer nicht auseinandersetzen, da deren so viele sind, als
Arten der Gegenstände (und selbst wenn ich es könnte,
wäre es nicht nöthig). Denn um die Kräfte der Affekte
10*
148 ni. Theil. Von den Affekten. •
und die Macht der Seele über sie zu bestimmen, was
allein mein Zweck ist, genügt die allgemeine Definition
eines jeden Affektes. Es genügt, sage ich, die Xenntniss
der allgemeinen Eigensch^en der Affekte der Seele, um
bestimmen zn können, welche Macht nach Art und Grösse
die Seele besitzt, um die Affekte zu massigen und zu
hemmen.' Wenn also auch ein grosser Unterschied zwischen
diesem oder jenem Affekt der Liebe, des Hasses und des
Begehrens besteht, z.B. zwischen der Liebe zu den Kin-
dern und der zu der Gattin, so brauchen wir doch nicht
diese Unterschiede zu kennen, und die Natur und den
Ursprung dieser Affekte weiter zu erforschen, ''i)
L. 57. Jeder Affekt eines Einzeldinges unter-
scheidet sich von dem Affekt eines andern JDinges um
so viel, als sich das Wesen des einen Einzeldinges
von dem des andern unterscheidet
B. Dieser Lehrsatz ergiebt sich aus n. L. 13 E.
Ln. 3 A. 1. Nichtsdestoweniger will ich ihn durch die
Definition der ursprünglichen drei Affekte beweisen.
Alle Affekte beziehen sich auf das Begehren, die
Fröhlichkeit und die Traurigkeit, wie die von mir gegebenen
Definitionen derselben beweisen. Aber das Begehren ist die
Natur oder das Wesen selbst von einem Jeden (HE. L 9
D. in E.), deshalb unterscheidet sich das Begehren eines
jeden Einzelnen von dem*des Andern gerade so weit, als
die Natur oder das Wesen des Einen von dem des Andern
abweicht. Die Fröhlichkeit oder die Trauer sind ferner
leidende Zustände, durch welche eines Jeden Macht oder
Streben, in seinem Sein zu verharren, vermehrt oder ver-
mmdert, unterstützt oder gehemmt wird (HE. L. 11 u. E.).
Unter dem Streben, in seinem Sein zu verharren wird, so
weit es auf Seele und Körper zugleich bezogen wird, das
Verlangen und die Begierde verstanden (III. L. 9 E.).
Daher ist die Fröhlichkeit und Traurigkeit das Begehren
oder Yerlangen selbst, insofern es von einer fremden Ur-
sache vermehrt oder vermindert, unterstützt oder gehemmt
wird, d. h. es ist die Natur eines Jeden (III. L. 9 E.)-
Mithin unterscheidet sich die Fröhlichkeit oder
Trauer des Einen von der des Andern auch insoweit,
als die Natur und das Wesen des Einen von dem des
in. TheiL Von den Aflfekten. 149
Andern abweicht. Folglich unterscheidet sich der Affekt
des einen Einzeldinges von dem des andern n. s. w.
E. Hieraus ergiebt sich, dass die Affekte der Thiere,
welche unveniünftig heissen (denn wir können nicht zwei-
fehi, dass auch sie Vorstellungen haben, nachdem wir
den Ursprung der Seele kennen gelernt haben), von denen
der Menschen um so weit abweichen, wie ihre Natur von
der des Menschen abweicht. Das Pferd wird, wie der
Mensch, von der Lust sich zu begatten getrieben; aber
jenes von einer pferdeartigen und dieser von einer mensch-
lichen Lust. So müssen auch die Lüste und Begehren
der Fische, der Insekten und der Vögel bei jedem ver-
schieden sein.
Wenn daher auch jedes Einzelwesen mit seiner Natur,
welche es ausmacht, zufrieden lebt und sich derselben
erfreut, so ist doch das Leben, mit welchem jedes zu-
frieden ist und seine Freude nur die Vorstellung oder Seele
dieses Einzelgeschöpfes, und deshalb unterscheidet sich
die Freude des Einen von der des Andern in ihrer Natur
um so viel, als das Wesen des Einen von dem Wesen des
Andern.
Endlich ergiebt sich aus dem vorstehenden Lehrsatz,
dass ein grosser Unterschied ist zwischen der Freude, die
z. B. einen Betrunkenen beherrscht, und der Freude, die
ein Philosoph besitzt, wie ich im Vorbeigehen be-
merken will.
So viel über die Affekte, welche sich auf den Menschen
beziehen, sofern er leidet. Es bleibt noch Einiges über
die hinzuzufügen, die sich auf ihn beziehen, sofern er
handelt. '«)
L. 58« Ausser der Fröhliehkeit und Begierdej
welche leidende Zustände sind, giebt es noch andere
Affekte der Fröhlichkeit und Begierde^ welche sich auf
uns, als Handelnde, beziehen,
B. Die Seele freut sich, wenn sie sich und ihre
Macht zu handeln vorstellt (in. L. 53). Die Seele be-
trachtet sich aber noth wendig selbst, wenn sie eine wahre
oder zureichende Vorstellung fasst (II. L. 43). Die Seele
fasst aber einzelne zureichende Vorstellungen (II. L. 40
E. 2); sie freut sich also auch, soweit sie zureichende
Vorstellungen fasst, d. h. soweit sie handelt (III. L. 1).
150 ni. Theil. Von den AflFekten.
Ferner strebt die Seele, sowohl inwiefern sie klare und
bestimmte, als inwiefern sie yerworrene Vorstellungen
hat, in ihrem Sein zu verharren (III. L. 9). Unter Streben
versteht man aber das Begehren (III. L. 9 E.); die
Begierde gehört also zu uns auch, inwiefern wir einsehen,
oder inwiefern wir handeln (m. L. 1).
L. 69, Alle Affekte^ welche sich anxf den Men-
schen, sofern er handelt, bezieJien, beziehen sich iwif
auf die Fröhlichkeit oder auf das ßegeJifren.
B. Alle Affekte haben auf das Begehren, die Fröh-
lichkeit und die Traurigkeit Bezug, wie die von mir ge-
gebenen Definitionen zeigen. Unter Traurigkeit wird aber
verstanden, dass der Seele Macht zu denken vermindert
oder gehemmt wird (HI. L. 11. u. E.). Daher wird, so-
weit die Seele sich betrübt, ihre Macht einzusehen, d. h.
zu handeln gemindert oder gehemmt (m. L. 1). Daher
kann kein Affekt der Traurigkeit auf die Seele, sofern sie
handelt, bezogen werden; sondern nur die lYöhlichkeit
und das Begehren, welche sich insoweit auch auf die
Seele beziehen (III. L. 58).
E. Alle Handlungen, welche aus Affekten folgen, die
auf die Seele als thatige bezogen werden, rechne ich zur
Tapferkeit, welche ich in Seelenstärke und Edel-
sinn theile. Denn unter Seelenstärke verstehe ich ein
Begehren, durch welches Jeder sein Sein wegen des blossen
Gebotes der Vernunft zu erhalten sucht, und unter Edel-
sinn ein Begehren, durch welches Jeder wegen des blossen
Gebotes der Vernunft strebt, die übrigen Menschen zu
unterstützen und sich in Freundschaft zu verbinden. Die
Handlungen, welche nur den Nutzen des Handelnden ver-
folgen, rechne ich zur Seelenstärke; die, welche den Nutzen
eines Andern verfolgen, zum Edelsinn. Massigkeit, Nüch-
ternheit und Geistesgegenwart bei Gefahren sind Arten
der Seelenstärke ; dagegen sind Bescheidenheit, Milde u.s. w.
Arten des Edelsinns.'^*)
Hiermit glaube ich die erheblichen Affekte und
Schwankungen der Seele, welche aus der Verbindung der
drei ursprünglichen Affekte, nämlich der Fröhlichkeit, der
Traurigkeit und dem Begehren entstehen, erklärt und nach
ihren letzten Ursachen dargelegt zu haben. Es erhellt
daraus, dass wir durch fremde Ursachen auf viele Weise
m, Theil. Von den Affekten. 151
erregt werden, und dass wir hin- nnd herachwanken, wie
die, von entgegengesetzten Winden bewegten Wellen des
Meeres, nnkundig nnsers Erfolgs und Schicksals. Ich
iib« indess schon gesagt, dass ich ncr die erheblichsten
Brregnngen der Seele nnd nicht alle miJglichen habe dar-
legen wollen. Denn wenn wir so, wie oben, fortschreiten,
so können wir zeigen, dasa die Liebe mit der Keue "■'*
der Geringschätzung, mit dem Schamgefühl sich
bindet. Ja, ich glanbe, es ist Jedem aus dem Sishe
klar, dass die Affekte sich mit einander auf so
Arten verbinden, nnd dass daraus so grosse Mannigfi
keilen entstehen können, dass man keine Zahl dafäi
geben kann. Für meinen Zweck genügt es indess
eihebUchsten aufgezählt zn haben; die, welche ich
erwähnt habe, dienen mehr der Ifeugierde als dem Ni
Doch muss ich von der Liebe noch bemerken, da
nämlich sehr oft vorkommt, wie der Körper, wahrem
des begehrten Gregenstandes geniesaen, durch den Gr<
in eine neue Verfassung geräth, welche ihn anders best
nnd andere Bilder in ihm erregt. Damit beginnt zug
die Seele Anderes vorzustellen und zu begehren. ^
wir z. B. etwas Gu (schmecken des uns vorstellen, b<
gehren wir, es zu genieagen, d. h. zq easen. Abel
dem Genuas wird der Hagen angefüllt und der KOrj
eine andere Verfassung gebracht. Wenn bei dieser
änderten Verfassung des Körpers, das Bild der S]
weil sie gegenwärtig ist, gesteigert wird, und damit
das Streben oder die Begierde, sie zu essen, so wird
neue Verfassung des Körpers diesem Begehren oder St:
iriderstehen nnd deshalb wird die Gegenwart dei
gehrten Speise lästig. Dies ist, was man üeberd
nnd Ekel nennt.
TTebrigens babe ich die äusseren Zustände des KCl
welche man bei den Affekten beobachtet, wie Zi
Biblassen, Schluchzen, Lachen u. s. w. bei Seite gab
weil sie blos zu dem Körper gehören, ohne alle Bezie
anf die Seele.'*)
Znm SchlusB bleibt noch Einiges über die Definit
der Affekte zu sagen. Ich werde sie deshalb hier der '.
nach aufnehmen und bei jedem das Nöthige bemerk
152 HL Theil. Von den Affekten.
Deflnitionen der Affekte.''^)
D. 1. Die Begierde ist das eigene Wesen des
Menschen, insofern es Torgestellt wird, als dnrch irgend
eine gegebene Erregung bestimmt, etwas zn thnn.
Erkl. Ich habe oben III. ll 9 E. gesagt, die Be-
gierde sei das Verlangen ^it dem Bewusstsein semer;
das Verlangen aber sei das Wesen des Menschen selbst,
so weit es bestimmt ist, das zn thnn, was seiner Erhal-
tung dient. Aber in derselben Erläntemng habe ich auch
bemerkt, dass ich in Wahrheit zwischen dem Verlangen
und der Bergierde des Menschen keinen Unterschied an-
erkenne. Denn mag nun der Mensch sich seines Ver-
langens bewusst sein oder nicht, so bleibt doch das Ver-
langen dasselbe, und deshalb habe ich, um nicht in eine
Tautologie zu verfallen, die Begierde nicht durch das
Verlangen erklärt, sondern sie so zu definiren gesucht,
dass ich alles und jedes Streben der menschlichen Natur,
was man mit Verlangen, Wollen, Begierde, Heftigkeit
bezeichnet, darunter umfasse. Denn ich hätte sagen
können, die Begierde sei das menschliche Wesen selbst,
insofern es als zu einer Thätigkeit bestimmt aufgefasst
werde; indess hätte sich dann aus dieser Definition nicht
ergeben (11. L. 23), dass die Seele sich ihrer Begierde
oder ihres Strebens bewusst werden könnte. Um daher
die Ursache dieses Bewusstseins einzuschliessen, war es
nothwendig (11. L. 23), hinzuzusetzen: »insofern bestimmt
durch irgend eine Erregung u. s. w.€ Denn ich verstehe
unter Erregung des menschlichen Wesens irgend eine
Verfassung dieses Wesens, mag diese nun angeboren sein,
oder mag sie blos durch das Attribut des Denkens oder
blos durch das der Ausdehnung vorgestellt werden. Hier
verstehe ich also unter dem Wort: Begierde alle Stre-
ben, Verlangen, Begehren, Wollen des Menschen, welche
nach der verschiedenen Verfassung des Menschen unter-
schieden und oft einander entgegengesetzt sind, so dass
der Mensch nach verschiedenen Richtungen gezogen wird
und nicht weiss, wohin er sich wenden soll,
D. 2« Die Fröhlichkeit, ist der Uebergang des
Menschen von einer geringeren zu einer grösseren Voll-
kommenheit.
D. 8. Die Traurigkeit ist der Uebergang des
III. Theil. Von den Affekten. 153
Menschen von einer grösseren zu einer geringeren Voll-
kommenheit.
Erkl. Ich sage: TJebergang, denn die Fröhlichkeit
ist nicht die Vollkommenheit* selbst; denn wenn ein
Mensch mit der Vollkommenheit geboren würde, zu
welcher er übergeht, so würde er dieselbe ohne den Affekt
der Fröhlichkeit besitzen. Dies ergiebt sich deutlicher
ans dem diesem entgegengesetzten Affekt der Traurig-
keit. Denn Niemand kann bestreiten, dass die Traurigkeit
in einem Uebergange zu einer geringem Vollkommenheit
besteht, nicht in der geringem Vollkommenheit selbst,
da Niemand sich insoweit betrüben kann, als er noch
einer Vollkommenheit theilhaftig ist. Auch kann man
nicht sagen, dass die Traurigkeit in dem Mangel einer
grösseren Vollkommenheit bestehe, weil Mangel Nichts
ist. Der Affekt der Traurigkeit ist vielmehr ein Wirk-
liches und kann daher nichts Anderes sein, als der wirk-
liche TJebergang zu einer geringeren Vollkommenheit,
d. h. ein Vorgang, durch welchen des Menschen Macht
zu handeln vermindert oder gehemmt wird (III. L. 11 E.).
Ich übergehe die Definition der Heiterkeit, der Lust, der
Schwermuth und des Schmerzes, weil sie sich hauptsächlich
auf den Körper beziehen und nur Arten der Fröhlichkeit
und Trauer sind. '^^)
D. 4. Die Bewunderung ist die bildliche Vorstel-
lung eines Gegenstandes, auf welchem die Seele deshalb
haften bleibt, weil diese eigenthümliche Vorstellung keine
Verbindung mit anderen hat.
Erkl. In II. L. 18 E. habe ich gezeigt, weshalb die
Seele von der Betrachtung des eines G-egenstandes sofort
auf die eines anderen kommt, nämlich weil deren Bilder
mit einander verknüpft und so geordnet sind, dass eines
auf das andere folgt.
Dies kann nicht geschehen, wenn das Bild des Gegen-
standes ein neues ist, vielmehr wird die Seele in dessen
Betrachtung so lange festgehalten werden, bis sie durch
andere Ursachen zu anderen Gedanken bestimmt wird.
Die bildliche Vorstellung eines neuen Gegenstandes ist
daher an sich von gleicher Natur mit den übrigen Vor-
stellungen, und deshalb rechne ich die Bewunderung nicht
zu den Affekten; auch sehe ich keinen Grund, weshalb
ich dies thun sollte, da dieses Abziehen der Seele aus
m. Theil. Von den ÄffeWen.
iHitiven Ursache entspringt, welche die Seele von
abzOge, sondern nur darans, dass eine Ursache
It, wodurch der Mensch von der Betrachtnng des
^enstandea zu der eines anderen geführt wird.
Tkenne daher nnr drei nrgprüngliche oder erste
m (III. L. H E.); nämlich die Fri5hlichkeit,
rigkeit und die Begierde, nnd ich habe von der
;ung nnr gesprochen, weil es gebräuchlich ist,
ms jenen drei ursprünglichen abgeleitete Affekt«
rn Wort«i zn bezeichnen, wenn sie anf Gegen-
ezogen werden, die man bewundert. Dies be-
lieb auch hier, die Definition der Verachtung an-
Die Verachtung ist die Vorstellung eines
ndes, welcher die Seele so wenig berührt, dass
durch die Gegenwart desselben mehr veranlasst
i vorzustellen, was in ihm nicht ist, als das,
im ist (in. L. 52 E.). Die Definition der Ver-
iind der Geringschätzung lasse ich bei Seite,
iel ich weiss, keine Affekte davon ihren Namen
Die Liebe ist die Fröhlichkeit in Begleitung
tellung einer äusseren Ursache derselben.
Diese Definition giebt sehr deutlich das Wesen
I. Dagegen drnckt die Definition jener Schrift-
'eiche die Liebe definiren als den Willen des
1, sich mit dem geliebten Gegenstände zn ver-
nicht das Wesen der Liebe aus, sondern nur
r Eigen thDmlichkeit«n; nnd weil diese Schrift^
as Wesen der Liebe nicht genügend erkannt
a konnten sie auch von ihrer Eigenthämlicbkeit
ire Vorstellung haben, weshalb deren Definition
: sehr dunkel befunden worden ist. Man halt«
, dasE, wenn ich sage, in dem Liebenden sei das
mljche, dass er sich mit dem geliebten Gegen-
frbinden wolle, ich- unter diesem Wollen nicht
illigung oder eine Ueberlegnng oder einen freien
!B der Seele verstehe (denn diese sind blosse
Igen) (II. L. 48); anch meine ich damit nicht
irde, sieb mit dem geliebten, aber abwesenden
ade zn verbinden oder in seiner Gegenwart,
da ist, zn verharren; denn die Liebe kann ohne
III. Theil. Von den Affekten. 155
diese und andere Begierden sein. Vielmehr verstehe ich
unter diesem Wollen nur jene Befriedigung, welche in
dem Liebenden wegen der Gegenwart des geliebten Gegen-
standes besteht, und durch welchen die Fröhlichkeit des
Liebenden gestärkt oder mindestens genährt wird.'''«)
D. 7. Der Hass ist die Traurigkeit, begleitet von
der Vorstellung einer äussern Ursache derselben.
ErkL Was hier zu sagen ist, kann leicht aus dem
in der vorstehenden Erläuterung Gesagten abgenommen
werden (m. L. 11 B.).
B. 8. Die Neigung ist die Fröhlichkeit, begleitet
von der Vorstellung eines Gegenstandes, welcher die zu-
fällige Ursache der Fröhlichkeit ist.
D. 9. Der Widerwille ist eine Traurigkeit, begleitet
Ton der Vorstellung eines Gegenstandes, welcher die zu-
fallige Ursache der Traurigkeit ist (III. L. 15 E.).
D. 10. Die Verehrung ist die Liebe für den, den
wir bewundern.
Erkl. Ich habe gezeigt, dass die Bewunderung aus
der Neuheit des Gegenstandes entspringt (III. L. 52) ;
wenn es sich daher trifft, dass wir uns das Bewunderte
oft vorstellen, so wird die Bewunderung aufhören. Deshalb
sieht man, dass der Affekt der Verehrung oft in einfache
Liebe ausartet.
D. 11. Der Spott ist eine Fröhlichkeit, die daraus
entspringt, dass, nach unserer Vorstellung, in einem ge-
hassten Gegenstande sich etwas befindet, was wir ver-
achten.
Erkl. Soweit wir einen gehassten Gegenstand ver-
achten, soweit verneinen wir seine Existenz (III. L. 52 E.),
und insoweit sind wir fröhlich (III. L. 20). Da wir
aber annehmen, dass der Mensch das Terspottete dennoch
hasst, so folgt, dass die Fröhlichkeit keine feste ist
(in. L. 47 E.).
D. 12. Die Hoffnung ist eine unbeständige Fröh-
lichkeit, welche aus der Vorstellung einer kommenden
oder vergangenen Sache entsteht, über deren Ausgang
wir zweifeln.
D. 13. Die Furcht ist eine unbeständige Traurigkeit,
welche aus der Vorstellung einer kommenden oder ver-
gangenen Sache entspringt, über deren Ausgang wir noch
zweifeln (HL L. 18 E. 2).'?»)
S m. Theil. Tod den Affekten.
IrU. Aus diesen Definitionen ergiebt sich, Aas& es
I Hoffnung ohne Fnicht nnd keine Furcht ohne HofT-
' gieht Denn wer hofft nnd über den Anegang nocli
'elt; stellt sich etwas vor, was die Existenz der körn-
ten Sache ansachliesst; er wird sich also insoweit
iben (III. L. 19), nnd folglich während seines Haffena
iten, daas ea so geschehe.
Ter dagegen fürchtet, d. h. über den Ausgang des
•Staa zweifelt, wird sich ebenfalls etwas Torstellen,
die Existenz desselben ausschliesst; daher wird er
ich Bein, nnd folglich insoweit hoffen, dass es nicht
etön wird.
). 11. Die Zuversicht ist eine Fröhlichkeit, welche
der Vorstellung einer kommenden oder vergangenen
e entsteht, bei welcher der Zweifel beseitigt ist.
}, 16. Die Verzweiflung ist eine Tranrigkeit, ect-
igend aus der Vorstellung einer kommenden oder ver-
^nen Sache, bei welcher der Zweifel beseitigt ist
irkl. Die Hoffnung verwandelt sich also in Sicber-
nnd die Furcht in Verzweiflung, wenn der Zweifel
den Ausgang gehoben ist, und dies geschieht, wenn
Mensch glaubt, dass die vergangene oder kommende
.e da sei, und sie als gegenwärtig betrachtet, oder
I er ein Anderes voretellt, was die Existenz der
:e ausschliesst, welche ihn zweifeln machten. Deun
■gleich wir fiber den Ausgang der einzelnen Ding«
als gewiss sein kdnnen (II. L. 31 Z.), so kann es
. kommen, dass wir Aber deren Ausgang nicht zweifelu.
1 ich habe gezeigt, dass der Zweifel nicht dasselbe
die Gewissheit ist (It. L. 49 E.). So kann es
nen, dass man sich an dem Bilde einer vergangeneu
kommenden Sache ebenso erfrent oder betrübt, vie
lern emer gegenwärtigen Sache, wie ich in HL L, 18
>■ gezeigt habe,
>. 10. Die Freude ist eine Fröhlichkeit, begleitet
der Vorstellung eines vergangenen Gegenstandes, der
irhofit eingetreten ist.
). 17. Die Gewiseensbisse sind eine Traurigkeit,
Bitet von der Vorstellung eines vergangenen Gegen-
äes, welcher uuverhofft eingetreten ist. "••)
». 18. Das Mitleiden ist eine Traurigkeit, begleitet
der Vorstellung eines Uebels, was einem Andem
in. Theil. Von den Affekten. 157
begegnet, den wir fSr Unsereagleichen halten (m. L.
22 E., L. 27 E.).
ErkL ¥nter Uitleiden oder Barmbemglieit scheint nur
der UnteTHchied za bestehen, dass HiUeiden den ein»
ASekt, Banolierzigkeit aber den znr Gewohnheit geword
Affekt ausdrückt.
D. 19. Gunst ist die Liebe zn Jemandem, der e
Aodem wohlgethan hat.
D, äO. Der Unwille ist der Haas gegen Jemai
der einen Andern Hebels getban hat.
Erkl. Ich weiss, dass diese Worte im gewOhnli
Gebrauche etwas Anderes bezeichnen. Heine Auf
ist aber nicht, die Bedeutung der Worte, sondern
Natnr der Dinge za erläutern und sie mit Worte
bezeichnen, deren gewGhuliche Bedeutnng von der, wi
icli ihnen gebe, nicht zu sehr abweicht; was ich ein
allemal bemerkt haben will, üeber die Ursachen d
Affekte sind einzusehen III. L. 27 Z. 1 u. L. 22 E
D, 81. tJeberschätzung ist es, wenn man vone
Andern aus Liebe mehr, als recht ist, hält.
D. 2S, Geringschätzung ist, wenn man von e
Andern aus Hass weniger, als recht ist, hält.
ErU, Die Ueberschätzung ist daher eine Wirkung
Eigenschaft der Liebe, und die Geringschätzung eine s(
des Hasses. Die Ueberschätzung kann deshalb auch
flnirt werden als die Liebe, welche den Menschen S(
regt, dass er von dem geliebten Gegenstände mehr
recht ist, hält, und Geringschätzung als Hass, wel
den Menschen so erregt, dass er von dem Oehai
weniger, als recht ist, hält (III. L. 26 E.).
». 28. Der Neid ist ein Hass, welcher den Mens
so erregt, dass er sich an des Anderen Glück betrübt
an des Ajideren Uebel erfreut.
Erkl. Dem Neid wird gewöhnlich die Barmherzij
g'flgenOber gestellt, welche daher, gegen die gewöhn
Bedeutung dieses Wortes, sich so definiren läaat:
D. 24, Die Barmherzigkeit ist die Liebe, wi
einen Menschen so erregt, dass er sich an des An
Guten .erfreut und über des Andern Uebel betrübt. •'
Erkl. Man sehe Qbrigens über den Neid III. L. 2
L. 32 E.
Dies sind Affekte der Fröhlichkeit und Traurigkeit
158 ni. Theil. Von den Affekten.
gleitet von der Vorstellung einer äusseren Sache als
unmittelbarer oder zufälliger Ursache. Ich gehe nun zu
den Affekten über, welche die Vorstellung einer inneren
Sache als Ursache begleitet.
B« 25. Die Selbstzufriedenheit ist eine Fröh-
lichkeit, welche daraus entspringt, dass der Mensch sich
und seine Macht zu handeln betrachtet.
D. 20. Die Niedergeschlagenheit ist eine Trau-
rigkeit, welche daraus entspringt, dass der Mensch seme
Ohnmacht oder Schwäche betrachtet.
Erkl. Die Selbstzufriedenheit steht der Niederge-
schlagenheit gegenüber, insofern sie als eine Fröhlichkeit
aufgefasst wird, welche aus der Betrachtung unserer Macht
zu handeln entspringt; insofern wir sie aber als eine
Fröhlichkeit nehmen, begleitet von der Vorstellung einer
Handlung, welche wir aus freiem Entschluss gethan zu
haben glauben, bildet sie den Gegensatz zu Beue, welche
ich so deiinire:
D. 27. Die Reue ist eine Traurigkeit, begleitet von
der Vorstellung einer Handlung, welche wir aus freiem
Entschluss der Seele gethan zu haben glauben.
Erkl. Die Ursachen dieser Affekte habe ich bei III.
L. 51 E., L. 53, 54 u. 55 E. gezeigt. Ueber die Frei-
heit des Willens sehe man II. L. 35 E. Es ist nicht
wunderbar, dass allen Handlungen, welche gewöhnlich
schlechte genannt werden, Traurigkeit folgt, .und denen,
die rechte genannt werden, Fröhlichkeit. Denn aus
dem Obigen kann man leicht abnehmen, dass dies vor-
züglich von der Erziehung abhängt. Indem die Eltern
jene tadelten und die Kinder wegen derselben oft aus-
schalten, diese dagegen begünstigten und lobten, be-
wirkten sie,' dass die Erregungen der Trauer sich mit
jenen und die der Freude mit diesen verbanden. Dies
bestätigt auch die Erfahi'ung; denn die Sitten und die
Eeligion sind nicht bei Allen gleich; vielmehr, was bei
Einigen heilig, ist bei Andern sündlich, und was bei
Einigen rechtlich, ist bei Andern scihändlich. Je nach-
dem also Jemand erzogen ist, bereut er eine Handlung
oder rühmt sich derselben, ß^)
D. 28. Stolz ist, wenn man aus Eigenliel)e mehr,
als recht ist, von sich hält.
Erkl. Es unterscheidet sich also der Stolz von der
m. Theil. Von den Affekten. 159
Ueberschätzung dadurch, dass diese auf einen fremden
Gegenstand, der Stolz aber auf das eigene Selbst be-
zogen wird, indem man melir, als recht ist, von sich
hält. So wie übrigens die Ueberöchätzung die Wirkung
oder Eigenthtimlichkeit der Liebe ist, so ist der Stolz
eine solche von der Selbstliebe. Man kann ihn daher
auch definiren als die Selbstliebe oder Selbstzufrieden-
heit, insofern sie einen Menschen so erregt, dass er mehr,
als recht ist, von sich hält (III. L. 26 E.). Zu diesem
Affekt giebt es keinen Gegensatz; denn Niemand hält
aus Selbsthass weniger yon sich, als recht ist; ja dies
geschieht nicht einmal, wenn er sich vorstellt, dass er
dies oder jenes nicht könne. Denn wenn der Mensch
sich vorstellt, dass er etwas nicht könne, so stellt er
sich dies mit Nothwendigkeit vor und wird durch diese
Vorstellung so bestimmt, dass er wirklich das nicht kann,
was nicht zu können er sich vorstellt. Denn so lange er
sich vorstellt, dies oder jenes nicht zu können, so lange
ist er zum Handeln nicht entschlossen, und so lange ist
folglich das Handeln unmöglich. Wenn wir aber blos
auf das Acht haben, was von der Meinung allein ab-
hängt, so erscheint es allerdings als möglich, dass ein
Mensch, weniger als recht ist, von sich hält. Denn es
ist möglich, dass Jemand, indem er traurig seine Schwäche
betrachtet, sich für von Allen verachtet hält, obgleich
dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Ausserdem kann
Jemand weniger, als recht ist, von sich halten, wenn er
jetzt etwas von sich verneint, mit Eücksicht auf die
Zukunft, über die er unsicher ist, z. B. wenn er verneint,
dass er nichts Gewisses sich vorstellen könne, und dass
er nur Schlechtes und Schändliches begehen oder thun
könne. Man kann auch dann sagen, dass Jemand weniger,
als recht ist, von sich hält, wenn man sieht, dass er aus
Furcht vor Schande das nicht wagt, was Andere wagen.
Diesen Affekt kann man also dem Stolz entgegenstellen.
Ich will ihn Kleinmuth nennen; denn wie aus der Selbst-
zufriedenheit der Stolz entsteht, so entsteht aus der Nieder-
geschlagenheit der Eleinmuth, den ich daher so definire:
D. 29, Kleinmuth ist, wenn man aus Traurigkeit
weniger, als recht ist, von sich hält.
Erkl. Man pflegt jedoch oft dem Stolze die Demuth
entgegenzustellen; dann wird aber mehr ihre Wirkung,
160 HL Theil. Ton den Affekten.
wie ihre Natnr beachtet. Hau pflegt nämlich den stoli
innen, der sich übertrieben rQhmt (III. L. 30 E.),
ur seine Tugenden und um Anderer Fehler erzählt,
llen vorgezogen sein will, nnd der endlich mit Bolcber
e Dud Schmuck eishergeht, wie die pflegen, welche
Iber ihm stehen. Dagegen nennt man den demflüiig,
rt errCthet, der seine Fehler eingesteht, von Änderer
iden spricht, der Allen Platz machte mid der endlich
'BDeigtem Haupte wandelt und sich herauszupntieu
iänmt. (Jebrigens sind die Affekte der Demntb
ies Eleinmuthes nur selten, denn die menachliclie
an sich stellt sich ihnen, soviel sie kann, entgegeo
L. 15, 34); deshalb sind die, welche man für die
thigsten und Eleinmüthigsten hält, meist die Ehr-
sten und Neidischsten.
80. Der Buhm ist die Fröhlichkeit, begleitet tou
orstellnng einer eigenen Handlung, welche Ander«,
unserer Meinung, loben.
. 81. Der Schimpf ist eine Traurigkeit, beglütet
är Vorstellung einer eigenen Handlung, welche Ander«,
nnBerer Meinung, tadeln.
rbL Mau sehe hierüber III. L. 30 E. Hier ist der
schied zwischen Schimpf und Scham zu bemerk«!!.
Ichimpf iet eine Traurigkeit, welche einer Handlung
deren man sich schämt. Die Scham ist aber eiue
t oder Sorge vor dem Schimpf, durch welche d«r
;h abgebalten wird, etwas Schlechtes zu begehen.
Scham pflegt die Unverschämtheit entgegengestellt
irden, welche in Wahrheit kein Affekt ist, wie icli
■ zeigen werde; denn die Namen der Affekte (wie
innert habe) beziehen sich mehr auf ihren Gebraocli,
if ihre Natur. *")
iermit habe ich die Afl'ekte der Freude nnd Traurig-
wendet, deren Erklärung ich mir vorgesetzt habe.
ehe nun zn denen über, welche ich auf die Be^erd«
kfübre.
. 83. Die Sehnsucht ist die Begierde oder das
m nach dem Besitze eines Gegenstandes, welches
die Erinnerung an diesen Gegenstand gesteigert
und zugleich dnrch die Erinnerung anderer Gegeo-
B, welche die Existenz des begehrten Gegenstandes
lilieesen, gehemmt wird.
m. Theil. Von den Affekten. 161
ErkL Wenn wir nns eines Gegenstandes entsinnen,
so werden wir, wie oft erwähnt, bestimmt, ihn mit dem-
selben Affekt zu betrachten, als wenn er gegenwärtig
wäre. Dieser Zustand oder dieses Streben wird indess im
Wachen meist von den Vorstellungen anderer Gegen-
stände gehemmt, welche dip Existenz dessen ausschliessen,
an den 'man denkt. Wenn wir uns also eines Gegen-
standes entsinnen, der uns mit einer Art von Fröhlichkeit
erfallt, so streben wir lediglich deshalb ihn mit demselben
Affekt der Fröhlichkeit, wie er bei einem gegenwärtigen Statt
hat, zu betrachten. Dieses Streben wird aber sofort gehemmt
durch die Erinnerung an die Dinge, welche seine Existenz
ausschliessen. Deshalb ist Sehnsucht in Wahrheit eine
Traurigkeit, welche jener Fröhlichkeit entgegengesetzt
ist, die aus der Abwesenheit eines gehassten Gegenstandes
entspringt (III. L. 47 E.). Weil indess der Name: Sehn-
sucht sich auf das Begehren zu beziehen -scheint, so
rechne ich diesen Affekt zu denen des Begehrens.
D, 88« Der Wetteifer ist das Begehren nach einem
(jegenstande, welches in uns dadurch erzeugt wird, dass
wir glauben, Andere haben . dasselbe Begehren.
Erkl. Wenn Jemand flieht, weil er Andere fliehen
sieht, oder fürchtet, weil er Andere furchten sieht,
oder wenn Jemand, welcher einen Andern 'die Hand sich
verbrennen sieht, deshalb seine eigene Hand zurückzieht
oder sich benimmt, als wenn seine Hand verbrenne, so
nennt man dies Nachahmung des Affekts, aber nicht VTett-
eifer. Es geschieht dies nicht, weil wir für Beide einen
Unterschied in ihren Ursachen kennen, sondern weil es
gebräuchlich ist, dass man nur von dem Menschen Wett-
eifer aussagt, der das nachahmt, was man für recht,
nützlich oder . angenehm hält. lieber die Ursache des
Wetteifers sehe man III. L. 27. E. Weshalb mit dem
Wetteifer meist der Neid sich verbindet, sehe man III.
L. 32. E.
D. 34. Die Erkenntlichkeit oder Dankbarkeit ist
ein Begehren oder Eifer der Liebe, mit dem wir dem
wohl zu thun streben, der uns aus einem gleichen Affekt
der Liebe wohlgethan hat (III. L. 39, 41. E.).
D. 85. Das Wohlwollen ist ein Begehren, dem
wohlzuthun, für den wir Mitleiden haben (III. L. 27. E.).
D. 86. Der Zorn ist ein Begehren, wo wir durch
Spinoza, Ethik. j^j^
?',- ^ "-
162 ni. TheiL Von den Affekten.
Hass angetrieben sind, dem Gehassten ein IJebel zuzu-
fügen (in. L. 39).
B« 37« Die Bache ist ein Begehren, wo wir durch
einen erwiderten Hass angetrieben werden, dem ein Uebel
zuzufügen, der uns in gleichem Affekt einen Schaden zu-
gefügt hat (HI. L. 40. Z. 2 u. E.).
D. 38. Die Grausamkeit oder Wuth ist 'ein Be-
gehren, wo Jemand angetrieben wird, dem- ein Uebel zu-
zufügen, den wir lieben oder bemitleiden.*^)
ErkL Der Grausamkeit steht die Milde gegenüber,
welche kein Leiden, sondern eine Macht der Seele ist,
durch welche der Mensch den Zorn öder die Bache mässigt
D. 39. Die Fürsorge ist das Begehren, ein grösseres
Uebel, was wir fürchten, durch ein kleineres zu ver-
meiden (ni. L. 39. E.).
D. 40. Die Kühnheit ist das Begehren, durch
welches Jeöiand angetrieben wird, etwas mit einer Ge-
fahr zu thun, welche Seinesgleichen zu übernehmen sich
scheuen.
D. 41. Die Aengstlichkeit wird von dem aus-
gesagt, dessen Begehren duroh die Furcht vor einer Ge-
fahr gehemmt wird, welche Menschen Seinesgleichen zu
übernehmen wagen.
Erkl. Die Aengstlichkeit ist daher die Furcht vor einem
Uebel, welches die Meisten nicht zu fürchten pflegen;
ich rechne sie deshalb nicht zu den Begehren. Doch
habe ich sie hier erwähnen wollen, weil, insoweit man
aui das Begehren achtet, sie in Wahrheit den Gegensatz
der Kühnheit bildet.
D. 42. Die Verzagtheit wird von dem ausgesagt,
dessen Begehren, ein Uebel zu vermeiden, durch dessen
Bewunderung des Uebels, was er fürchtet, gehemmt ist.
Erkl. Die Verzagtheit ist daher eine Art der Aengst-
lichkeit. Weil sie aber aus einer doppelten Furcht
entsteht, so kann man sie bequemer defiiiiren als eine
Furcht, welche einen betäubten oder schwankenden Men-
schen so erfasst, dass er das Uebel nicht abzuwenden
vermag. Ich sage; betäubt, so weit man sich vorstellt,
dass sein Begehren, ein Uebel abzuhalten, durch Bewun-
derung gehemmt ist; schwankend aber, sofern man
annimmt, dass sein Begehren durch die Furcht vor einem
anderen Uebel gehemmt ist, welches ihn ebenso peinigt,
IIL Theil. Von den Affekten. 163
so dass er nicht weiss, welches von beiden er abwenden
soll. Hierüber sehe man IIL L. 39. E. u. #k 52. E.
üebrigens sehe man über die Aengstlichkeit nnd die
Kühnheit m. L. 51. E.
D. 48. Die Leutseligkeit oder Bescheidenheit ist
ein Begehren, das zu thun, was den Menschen gefallt,
oder zu unterlassen, was ihnen missfällt.
B. 44. Die Ehrsucht ist ein unmässiges Begehren
nach Euhm.
Erkl. Die Ehrsucht ist eine Begierde, welche alle
Affekte steigert oder verstärkt; daher kann dieser Affekt
kaum überwunden werden (IIL L. 27, 31). Denn so
lange Jemand von irgend einer Begierde erfasst ist, ist
er zugleich von dieser erfasst. Cicero sagt: »Die besten
Menschen sind ehrgeizig; selbst die Philosophen setzen
ihren Namen auf die Bücher, welche sie über Verachtung
des Ruhmes schreiben.«
D. 45. Die Schwelgerei ist die unmässige Be-
gierde nach Schmausen oder die Liebe zu solchem.
D. 46. Die Trunksucht ist das unmässige Be-
gehren oder die Liebe zum Trunk.
D. 47. Der Geiz ist die unmässige Begierde oder
Liebe zum Eeichthum.
D. 48. Die Wollust ist die unmässige Begierde
und Liebe zur fleischlichen Vermischung.
Erkl. Man nennt es Wollust, mag die Begierde nach
Begattung massig sein oder nicht. Femer haben diese
fünf Begierden kein Gegentheil (wie in IIL L. 56. E.
bemerkt worden ist). Denn die Bescheidenheit ist eine
Art des Ehrgeizes (worüber HL L. 29. E.). Von der
Massigkeit, Nüchternheit und Keuschheit habe ich be-
reits gesagt, dass sie eine Macht der Seele und keinen
leidenden Zustand bezeichnen. Wenn es auch möglich
ist, dass ein geiziger, elirsüchtiger oder furchtsamer
Mensch des Uebermaasses im Essen, Trinken oder in der
Begattung sich enthält, so sind trotzdem der Geiz, die
Ehrsucht und die Furchtsamkeit nicht die Gegensätze von
Verschwendung, Trunkenheit und Keuschheit. Denn der
Geizige wünseht meistens mit fremder Speise und Trank
sich voll zu füllen; der Ehrsüchtige aber wird sich,
wenn er hofft, dass es nicht bekannt wird, in keiner
Weise massigen, und wenn er unter Trunkenbolden oder
11*
164 ni. Theil Von den Affekten.
Wollüstlingen lebt, wird er seiner Ehrsncht wegen um
so mehr-||u ihren Lastern neigen. Der FnrcMsame end-
lich thut/ was er nicht will. Denn wenn er auch, nm das
Leben zu retten, seine Eeichthümer in das Meer wirft,
bleibt er doch geizig, und wenn ein wollüstiger Mensch
traurig ist, weil er seiner Lust nicht fröhnen kann, so
hört er damit nicht auf, wollüstig zu sein. XJeberhaupt
beziehen sich diese Affekte weniger auf die Handlungen
des Verschwendens, des Trinkens u. s. w. als auf das
Begehen und die Liebe selbst. Man kann deshalb diesen
Affekten nichts entgegenstellen, als den Edelmuth und
die Seelenstärke, worüber in dem Folgenden.
Die Definitionen der Eifersucht und der übrigen
Schwankungen der Seele übergehe ich, theils weil sie
aus der Verbindung von Affekten entstehen, die schon
definirt worden sind, theils weil die meisten keinen
Namen haben, was zeigt, dass eine Kenntniss derselben
der Gattung nach für die Zwecke des Lebens hinreicht.
Diese Definitionen der dargelegten Affekte ergeben, dass
sie alle aus dem Begehren, aus der Fröhlichkeit oder
aus der Trauer entspringen oder vielmehr nur eines von
diesen dreien sind, die nur wegen ihrer verschiedenen
äusserlichen Beziehungen und Merkmale mit verschiedenen
Namen bezeichnet zu werden pflegen.
Wenn man auf diese ursprünglichen Affekte und das
oben über die Natur der Seele Gesagte Acht hat, so
können die Affekte, wenn man sie nur auf die Seele be-
zieht, so definirt werden:
Allgemeine Definition der Affekte.
Der Affekt, der ein leidender Zustand der Seele ge-
nannt wird, ist eine verworrene Vorstellung, wodurch die
Seele eine stärkere oder schwächere Kraft zu existiren,
als vorher in Bezug auf ihren Körper oder einen Theil
desselben bejaht, und wodurch auch die Seele selbst be-
stimmt wird, mehr an dies als an Anderes zu denken.
ErkL Ich sage zuerst: »Der Affekt oder das Leiden
der Seele ist eine verworrene Vorstellung.« Denn ich
habe gezeigt, dass die Seele nur so weit leidet, als sie
verworrene oder unzureichende Vorstellungen hat (ÜI.
L. 3). Ich sage ferner: »wodurch die Seele eine grössere
m. Theil. Von den Affekten. 165
oder geringere Kraft zu existiren, als vorher, bei ihrem
Körper oder einem Theile desselben bejaht.« Denn alle
Vorstellungen von Körpern, die wir haben, bezeichnen
mehr die wirkliche Verfassung unseres Körpers (11. L. 16
Z. 2) als die Natur der fremden Körper; das aber, was
das Wirkliche des Affektes ausmacht, muss die Verfassung
unseres Körpers oder eines Theiles desselben bezeichnen oder
ausdrücken, welcher unser Körper oder sein Theil deshalb
hat, weil seine Macht zu handeln oder Kraft zu existiren
vermehrt oder vermindert, unterstützt oder gehemmt wird.
Mit den Worten: »eine grössere oder geringere Kraft zu
existiren, als vorher,« meine ich nicht, dass die Seele
die gegenwärtige Verfassung des Körpers mit einer
früheren vergleicht, sondern dass die Vorstellung, welche
den Affekt eigentlich ausmacht, vom Körper etwas be-
jaht, was in Wahrheit mehr oder weniger Eealität als
vorher enthält. Und weil das Wesen der Seele darin
besteht (II. L. 11, 13), dass sie die wirkliche Existenz
ihres Körpers bejaht, und da ich unter Vollkommenheit
das Wesen eines Gegenstandes selbst verstehe, so folgt,
dass die Seele zu einer grösseren oder geringeren Voll-
kommenheit übergeht, wenn es sich trifft, dass sie von
ihrem Körper oder einem Theile desselben etwas bejaht,
was mehr oder weniger Eealität als vorher enthällt. Wenn
ich also oben gesagt habe, »dass der Seele Kraft zu
denken vermehrt oder vermindert werde,« so habe ich
gemeint, dass die Seele eine Vorstellung ihres Körpers
oder eines Theiles desselben gebildet hat, welche mehr
oder weniger Eealität ausdrückt, als sie vorher von
ihrem Körper bejaht hatte. Denn die Vorzüglichkeit der
Vorstellungen und die wirkliche Macht zu denken wird
nach der Vorzüglichkeit des Gegenstandes geschätzt.
Ich habe endlich noch hinzugefügt: »durch welche die
Seele bestimmt wird, mehr an dies als an Anderes zu
denken,« um neben der Natur der Fröhlichkeit und
Traurigkeit, welche der erste Theil der Definition darlegt,
auch die Natur des Begehrens auszudrücken. ^5) 86j
166 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
Vierter Theil.
Von der menschlichen Knechtschaft oder
von den Kräften der Affekte.
^V o r r e d e.
Die Ohnmacht des Menschen in Massigung oder Hem-
mung seiner Affekte nenne ich Knechtschaft; denn der
von seinen Affekten abhängige Mensch ist nicht Herr
seiner selbst, sondern dem Schicksal unterthan. Er be-
findet sich in solchem Grade in dessen Hand, dass er
oft gezwungen ist, dem Schlimmen zu folgen, obgleich
er das Bessere sieht. Die Ursachen hiervon und das
Gute und Schlimme, was die Affekte selbst haben, will
ich in diesem vierten Theile darlegen. Vorher ist es
indess rathsam, über Vollkommenheit und Unvoll-'
kommenheit und über gut und schlecht npch Einiges
vorauszuschicken.
Wer sich vorgentomen hat, eine Sache zu fertigen
und sie dann vollendet hat, hält nicht allein die Sache
für vollkommen, sondern ebenso jeder, welcher die Absicht
und den Zweck des Urhebers des Werkes richtig kennt oder
zu kennen meint. Wer z. B. einen Bau (der noch nicht
vollendet sein soll) ßieht und weiss, dass die Absicht des
Bauherren ist, ein Haus zu bauen, wird sagen, dass das
Haus unvollkommen ist; wenn er aber sieht, dass der
Bau so weit fertig gebracht ist, als ihn der Baumeister
bringen wollte, so wird er ihn für vollkommen oder vollstän-
dig erklären. Wenn aber Jemand ein Werk erblickt, von
dem er bis jetzt nichts Aehnliches gesehen hat, von dem
er auch die Absicht des Werkmeisters nicht kennt, der
wird offenbar nicht wissen, ob er das Werk für vollendet
oder nicht vollendet halten soll. Dies scheint die erste
Bedeutung dieser Worte gewesen zu sein.
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 167
l^achdem indess die Menschen angefangen hatten,
imiverselle Begriffe zu bilden und sich die Muster-Bilder
für Häuser, Gebäude, Thürme auszudenken und eines
dem andern Torzuziehen, so ist es gekommen, dass jeder
das vollkommen nennt, was dem universellen Begriffe,
den er von dergleichen Gegenständen hat, entspricht, und
dass er das für unvollkommen erklärt, was mit dem
von ihm gebildeten Begriffe weniger übereinstimmt, obgleich
es nach des Werkmeisters Ansicht ganz vollendet ist
Derselbe Grund ist es auch, weshalb die natürlichen
Dinge, welche des Menschen Hand nicht gefertigt hat,
gemeinhin vollkommen oder unvollkommen genannt werden.
Denn die Menschen pflegen ebenso von natürlichen Dingen,
wie von den gefertigten universelle Vorstellungen sich
zu bilden, die sie wie ihre Muster behandeln. Diese
schaut nach ihrer Meinung die Natur an und setzt sie
als Muster sich vor (da- sie meinen, die Natur handle
nur nach Zwecken). Wenn sie mithin in der Natur etwas
entstehen sehen, was mit dem vorgefassten Muster dieses
Gegenstandes weniger übereinstimmt, so glauben sie, dass
auch die Natur gefehlt oder gesündigt und die Sache
unvollkommen gelassen habe.
Man sieht also, dass die Menschen gewöhnt sind, die natür-
lichen Dinge mehr nach Vorurtheilen als nach deren wahrer
Erkenntniss vollkommen oder unvollkommen zu nennen.
Denn ich habe im Anhange zum ersten Theile gezeigt,
dass die Natur nicht nach Zwecken handelt, da jenes
ewige und unendliche Wesen, was ich Gott oder Natur
nenne, mit derselben Nothwendigkeit handelt, wie existirt;
und ich habe gezeigt, dass es aus der Nothwendigkeit,
mit der es existirt, auch handelt (I. L. 16). Der Grund
oder die Ursache, weshalb Gott oder die Natur handelt
und weshalb sie existirt, ist ein und dasselbe. So wie
die Natur also um keines Zweckes willen da ist, so han-
delt sie auch um keines Zweckes willen; vielmehr hat
sie für ihre Existenz, wie für ihr Handeln kein Prinzip
oder Zweck. Was man Zweck nennt, ist nur das mensch-
liche Begehren, aufgefasst als Prinzip oder erste Ursache
emes Gegenstandes. Wenn wir z. B. sagen, das Wohnen
sei der Zweck dieses oder jenes Hauses gewesen, so meint
man damit nur, dass der Mensch um der Vortheile eines
häuslichen Lebens willen das Begehren, ein Haus zu
168 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
bauen, gehabt hat. Das Wohnen als Zweck ist deshalb
nur dies einzelne Begehren ; dieses ist die wahre Ursache,
und sie gilt als die anfangliche, weil die Menschen ge-
wöhnlich die Ursache ihrer Begehren nicht kennen; denn
sie sind, wie ich oft gesagt, wohl ihrer Handlungen und
Begehren sich bewusst, aber sie kennen die Ursachen
nicht, von denen sie zu diesem Begehren bestimmt
werden. Die Eedensarten, dass die Natur manchmal
fehle oder sündige und unvollkommene Dinge zu Stande
bringe, zäMe ich deshalb zu den Erdichtimgen, über
die ich im Anhange zum ersten Theile gesprochen habe.
Vollkommenheit und UnvoUkonmienheit sind deshalb
in Wahrheit nur Weisen des Denkens, d. h. Begriffe,
die wir aus der Vergleichung der Einzeldinge einer Art
oder Gattung zu bilden pflegen. Deshalb habe ich oben
(ü. D. 6) gesagt, dass ich unter Eealität und Vollkom-
menheit dasselbe verstehe; denn man pflegt alle Einzel-
dinge der Natur auf eine einzige Gattung als die all-
gemeinste zu beziehen, nämlich auf den Begriff des
seienden, welcher unbedingt allen Einzeldingen der
Natur zukommt. . Wenn man daher die Einzeldinge der
Natur auf diesen Gattungsbegriff bezieht und mit einander
vergleicht, so bemerkt man, dass einige mehr Sein oder
Realität als andere haben, und man nennt " deshalb jene
vollkommener als diese.
Soweit man aber ihnen "etwas zutheilt, was eine Ver-
neinung enthält, wie Grenze, Ende, Ohnmacht, nennt
man sie unvollkommen, weil sie die Seele nicht ebenso
erregen, wie jene, die man vollkommen nennt. Es ge-
schieht dies also nicht deshalb, weil etwas ihnen Zu-
gehöriges fehlt, und weil die Natur gefehlt hat; denn
zur Natur einer Sache gehört nur, was aus der Noth-
wendigkeit der Natur der wirkenden Ursache folgt, und
es geschieht nothwendig, was aus dieser Nothwendigkeit
und Natur der wirkenden Ursache folgt.
Was das Gute und das Schlechte anlangt, so be-
zeichnen sie auch nichts Positives in den Dingen, wenn
sie an sich betrachtet werden. Sie sind nur Arten des
Denkens oder Begriffe, die man aus der Vergleichung
der Dinge bildet. Denn eine und dieselbe Sache kann
zu gleicher Zeit gut, schlecht und auch gleichgültig sein.
So ist z. B. eine Musik gut für den Schwermüthigen,
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 169
schlecht für den Trauernden, aber fnr den Tauben weder
gut noch schlecht. Obgleich sich dies so verhält, muss
ich dennoch diese Worte beibehalten. Denn weil ich
einen Begriff des Menschen als Muster der mensch-
lichen Natur, auf das man hinblicke, zu bilden wünsche,
wird es nützlich sein, diese Worte in dem erwähnten
Sinne beizubehalten. Unter gut werde ich also im Fol-
genden das verstehen, was wir gewiss als ein Mittel
kennen, welches mehr und mehr zu dem uns vorgesetzten
Muster der menschlichen Natur hinfuhrt; unter schlecht
aber das, von dem wir überzeugt sind, dass es uns
hindert, das Muster darzustellen. Ebenso werde ich die
Menschen vollkommener oder unvollkommener nennen, je
nachdem sie sich diesem Muster mehr oder weniger
nähern. Denn vor Allem ist festzuhalten, dass, wenn ich
sage, Jemand geht von einer niedem zu einer grossem
Vollkommenheit über und umgekehrt, ich nicht meine,
dass sein Wesen und Wirkliches sich in ein Anderes
verwandle (denn das Pferd geht z. B. zu Grunde, mag
es in einem Menschen oder in ein Insekt verwandelt
werden), sondern weil ich annehme, dass seine Macht
zu handeln, insofern sie seine eigene Natur bildet, sich
vermehrt oder vermindert.
Endlich verstehe ich unter Vollkommenheit, wie gesagt,
im Allgemeinen die Eealität, d. h. das Wesen ieder
Sache, sofern sie in bestimmter Weise existirt und wirkt,
ohne dabei auf ihre Dauer Rücksicht zu nehmen. Denn
keine Sache kann deshalb vollkommener als eine andere
genannt werden, weil sie längere Zeit im Existiren ver-
harrt; denn die Dauer der Dinge kann aus ihrem Wesen
nicht bestimmt werden, da dies keine feste und bestimmte
Zeit der Existenz einschliesst; vielmehr kann die voll-
kommenere Sache ebenso, wie die unvollkommenere, mit
der gleichen Kraft, in der sie begonnen, auch zu existiren
fortfahren, so dass alle Dinge hierin einander gleich sind. ^)
D. 1. Unter gut verstehe ich das, von dem wir
gewiss wissen, dass es uns nützlich ist.
D. 2. Unter schlecht verstehe ich das, von dem
wir gewiss wissen, dass es uns verhindert, ein Gutes zu
erreichen.
Hierüber sehe man den Schluss der obigen Vorrede. *)
D. 8. Die Einzeldinge nenne ich zufällig, insofern
170 IV. TheiL Von der menschlichen Bjiechtschaft.
ihre blosse Wesenheit nichts enthällt, was deren Existenz
nothwendig setzt oder nothwendig aufhebt.
D. 4. Ich nenne dieselben Einzeldinge möglich,
insofern man in Bezug auf die Ursachen, aus denen sie
hervorgehen sollen, nicht weiss, ob diese bestinmit sind,
sie hervorzubringen.
In I. L. 33 E. 1 habe iqh zwischen Möglichem
und Zufälligem nicht unterschieden, weil es dort nicht
nöthig war, sie beide genau zu unterscheiden. ')
D. 5. Unter entgegengesetzten Affekten verstehe ich
in Folgendem die, welche den Menschen nach entgegen-
gesetzten Eichtungen ziehen, wenn sie auch gleicher
Art sind, wie Schwelgerei und Geiz, welche beide Arten
der Liebe sind; sie sind auch nicht von Natur, sondern
nur zufällig Gegensätze.
D. 6. Was ich unter Affekt für einen zukünftigen,
gegenwärtigen oder vergangenen Gegenstand verstehe,
habe ich in IH. L. 18 E. 1, 2 erläutert
Es muss hier aber noch besonders erwähnt werden,
dass der Mensch Zeitgrössen wie Eaumgrössen nur bis
zu einer gewissen Grenze sich bildlich vorstellen kann.
So wie man pflegt, alle Gegenstände, welche über 200
Fuss von uns abstehen, oder deren Entfernung von unserer
Stelle weiter ist, als man sich deutlich vorstellen kann,
sich als gleich entfernt oder gleichsam in derselben Fläche
befindlich vorzustellen ; so geschieht dies ebenso mit Gegen-
ständen, die nach unserer Vorstellung von der Gegen-
wart zeitlich weiter entfernt sind, als man sich bestimmt
bildlich vorzustellen pflegt. Man hält sie alle gleich
weit von der Gegenwart entfernt und stellt sie gleichsam
in einen Zeitpunkt. ^)
D. 7. Unter Zweck, wegen dessen wir etwas thun,
.verstehe ich das Verlangen. *)
D. 8. Unter Tugend und Macht verstehe ich das-
selbe; d. h. die Tugend in Bezug auf den Menschen
(III. L. 7) ist des Menschen eignes Wesen oder Natur,
insoweit sie die Macht hat, etwas zu bewirken, was durch
die blossen Gesetze ihrer Natur erkannt werden kann. *)
A. Es giebt in der Natur keine einzelne Sache, die
mächtiger und stärker wäre als alle andern; vielmehr
giebt es über jede gegebene noch eine stärkere, von der
sie zerstört werden kann. '^) x
IV. Theil. Von der mensclilichen Knechtschaft. 171
L 1. Alles, was eine faUo/ie Vorstellung Positives
enthält, vrird durch die Gegenwart des Wahren, als
Wahlen, nicht aufgehoben.
B. Das Falsche besteht aus einem blossen Mangel
der Kenntniss, welchen die unzureichenden Vorstellungen
enthalten, und sie werden wegen keines in ihnen enthaltenen
Positiven falsch genannt (II. L. 35, 33), im Gegentheil,
auf Grott bezogen, sind sie wahr (II. L. 32). Wenn daher
das Positive einer falschen Vorstellung durch die Gegen-
wart des Wahren als Wahren aufgehoben würde, so
höbe die wahre Vorstellung sich selbst auf, was wider-
sinnig ist (III. L. 4).
£. Dieser Lehrsatz erhellt deutlicher aus II. L. 16. Z. 2.
Denn die bildliche Vorstellung ist eine Vorstellung, welche
mehr die gegenwärtige Verfassung des menschlichen
Körpers, als die Natur eines fremden Körpers anzeigt,
und zwar nicht bestimmt, sondern verworren; daher
kommt es, dass man sagt, die Seele iirt. Wenn man
z. B. die Sonne ansieht, so hält man sie für ohngefahr
200 Puss von sich entfernt, und man irrt so lange hierin,
als man ihre wahre Entfernung nicht Itennt. Mit der
Kenntniss dieser verschwindet zWar der Irrthum, aber
nicht die bildliche Vorstellung, d. h. die Vorstellung
der Sonne, welche deren Natur nur soweit darlegt, als
der Körper von ihr erregt wurde. Obgleich wir also die
wahre Entfernung der Sonne kennen, wird doch die
bildliche Vorstellung bleiben, wonach sie nahe bei uns
ist. Denn wie ich in II. L. 35 E. gesagt habe, stellt
man die Sonne nicht deshalb als nahe vor, weil man ihre
wahre Entfernung nicht kennt, sondern weil die Seele
die Grösse der Sonne nur so weit auffasst, als der Körper
von ihr erregt wird. Ebenso werden wir uns bildlich vor-
stellen, dass die Sonne im Wasser ist, wenn die auf die
Oberfläche des Wassers fallenden Sonnenstrahlen nach
unseren Augen zurückgeworfen werden, obgleich wir
ihren wahren Ort kennen. Dasselbe gilt von den übrigen
bildlichen Vorstellungen, durch welche die Seele getäuscht
wird; mögen sie nur die natürliche Verfassung des Kör-
pers oder eine Vermehrung oder Verminderung seiner
Macht zu handeln anzeigen; sie sind nicht die Gegen-
sätze des Wahren und erlöschen nicht durch dessen
Gegenwart. Es kommt zwar vor, dass, wenn wir falschlich
172 IV. Theil. Von der mensclilichen Knechtschaft.
ein TJebel fürchten, die Furcht bei Anhörung der wahren
Nachricht erlischt; aber ebenso erlischt auch die Furcht
vor einem wirklich kommenden Uebel beim Hören der
falschen Nachricht. Die bildlichen Vorstellungen er-
löschen daher nicht durch die Gegenwart des Wahren
als Wahren, sondern weil stärkere auftraten, welche der
eingebildeten Dinge gegenwärtige Existenz ausschliessen,
wie ich II. L. 17 gezeigt habe. *)
L. 2. Wir leiden, insoweit als wir ein Theü der
Natur sind, welclier für sich und ohne Anderes nicht
vorgestellt werden kann.
B. Wir leiden, wenn etwas in uns entsteht, wovon
wir nur die partielle Ursache sind (III. D. 2), d. h. etwas,
was aus den blossen Gresetzen unserer Natur nicht ab-
geleitet werden kann (III. D. 1). Wir leiden daher, so-
weit wir ein Theil der Natur sind, welcher für sich und
ohne Anderes nicht vorgestellt werden kann. ®)
L. 3* Die Kraft, mit der ein Mensch in seiner
Existenz verharrt, ist beschränkt und wird von der
Macht fremder Ursa^Jien unendlich übertroffen,
B. Dies erhellt aus dem obigen Axiom, denn giebt
es einen Menschen, so giebt es auch etwas Anderes, etwa A,
was stärker ist, und ist A gegeben, so giebt es femer
etwas Anderes, etwa B, was stärker als A ist, und so
fort ohne Ende. Die Macht eines Menschen wird deshalb
durch die Macht eines anderen Gegenstandes beschränkt
und von der Macht fremder Ursachen unendlich über-
troffen. 1«)
L. 4. Es ist unm^öglichy dass ein Mensch keinen
llieil der Natur bilde und nm^ Veränderungen erleide,
ivelche durch seine Natur allein erkannt loerden können,
und deren zureichende Ursache er ist,
B. Die Macht, durch welche die Einzeldinge und
folglich auch der Mensch ihr Sein bewahren, ist Gottes
oder der Natur Macht selbst (II. L. 24 Z.), und zwar
nicht als unendliche, sondern soweit sie durch des
Menschen wirkliches Wesen dargelegt werden kann (III.
L. 7). Die Macht des Menschen ist daher, soweit sie
sich durch sein eigenes Wesen darlegt, ein Theil von
rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 173
Gottes oder der Natur unendlicher Macht, d. h. von ihrem
Wesen (I. L. 34). Dies war das Erste. Wenn es femer
möglich wäre, dass der Mensch keine Veränderungen zu
erleiden brauchte, als solche, welche durch seine Natur
allem erkannt werden können, so wurde folgen, dass er
nicht untergehen könnte (IL L. 4, 6),« sondern dass er
immer nothwendig existirte. Dieses müsste aber aus einer
Ursache folgen, deren Macht Unendlich oder endlich wäre,
nämlich entweder aus der blossen Macht des Menschen,
der dann vermöchte, alle anderen Veränderungen durch
fremde Körper von sich abzuhalten, oder aus der unend-
lichen Macht der Natur, von der dann alles Einzelne so
geleitet werden müsste, dass der Mensch keine anderen
Veränderungen erlitte, als. die zu seiner Erhaltung dienten.
Das Erste ist widersinnig (nach IV. L. 3, dessen Be-
weis allgemein gilt und auf alle Einzeldinge anwendbar
ist). Wenn es also möglich wäre, dass ein Mensch nur
aus seiner Natur erkennbare Veränderungen erlitte, mithin,
wie gezeigt, immer nothwendig existirte, so müsste dies
aus der unendlichen Macht Gottes folgen, und folglich
müsste aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur
(I. L. 16), sofern sie durch die Vorstellung eines Menschen
erregt aufgefasst wird, die Ordnung der ganzen Natur,
sofern sie nach den Attributen der Ausdehnung imd des
Denkens aufgefasst wird, daraus abgeleitet werden. Daraus
ergäbe sich (IL L. 21), dass der Mensch unendlich wäre,
was (nach dem ersten Theil dieses Beweises) wider-
sinnig ist. Es ist deshalb unmöglich, dass der Mensch
nur solche Veränderungen erleide, von denen er die zu-
reichende Ursache ist. '^
Z. Hieraus ergiebt sich, dass der Mensch nothwendig
immer den Leidenschaften ausgesetzt ist, der allgemeinen
Ordnung der Natur folgt, ihr gehorcht und sich ihr fügt,
soweit es die Natur der Dinge fordert, i^)
L. 5. Die Kraft und der Zuwachs jeder Leiden-
schaft und ihre Beharrlichkeit zil existiren wird nicht
durch die Macht bestimmt, mit der wir streben^ in
unserem Sein zu beharren, sonde^m durch die Macht
der fremden Ursache im Vergleich mit unserer MachU
B. Das Wesen der Leidenschaft kann nicht durch
unser Wesen allein dargelegt werden (III. D. 1, 2), d. h.
174 ^* TheiL Von der menschlichen Sjiechtschaft
die Macht der Leidenschaft kann nicht bestimmt werden
durch die Macht, mit der wir in unserem Sein zu ver-
harren streben (IQ. L. 7), sondern sie muss noüiwendig
bestimmt werden durch die Macht einer fremden Ursache,
in Vergleich mit unserer Macht. ^*)
L. 6. Die Krdft einer Leidenschaft oder eines
Affektes kann des Mensehen übrige Handlungen oder
Macht so übersteigen^ dass der Affekt hartnäckig an
dem Mensclien haftet
B. Die Kraft und der Zuwachs jeder Leidenschaft
und ihre Beharrlichkeit zu sein wird durch die Macht
einer fremden Ursache bestimmt, in Vergleich zu unserer
Macht (IV. L. 5), deshalb kann sie die Macht des
Menschen so übersteigen, dass u. s. w.^*)
L. 7. Ein Affekt kann nur gehemmt oder caif-
gehohen werden durch einen AffekU der entgegengesetzt
und stärker* ist, als der zu hemmende,
B. Der Affekt, auf die Seele bezogen, ist eine Vor-
stellung, mit welcher die Seele eine gegen früher grössere
oder geringere Kraft zu existiren bei ihrem Körper bejaht
(III. Die allgemeine Definition der Affekte). Wenn also
die Seele von einem Affekt erfasst ist, ist zugleich der
Körper so erregt, dass seine Kraft zu handeln wächst
oder abnimmt. Nun erhält diese Erregung des Körpers
ihre Kraft, im Sein zu verharren, von ihrer Ursache; sie
kann mithin nur von einer körperlichen Ursache gehemmt
oder aufgehoben werden (II. L. 6), welche den Körper
in einer entgegengesetzten oder stärkeren Weise erregt
(HL L. 5 und IV. A.). Folglich wird die Seele von
der Vorstellung einer Erregung erfasst, die starker und
der früheren entgegengesetzt ist (II. L. 12); d. h. die
Seele wird von einem stärkeren und dem früheren ent-
gegengesetzten Affekt erfasst, welcher die Existenz des
früheren ausschliessen und aufheben wird (III. Allgemeine
Definition). Mithin kann ein Affekt nur durch einen
entgegengesetzten und stärkeren Affekt gehoben oder
gehemmt werden.
Z. Der Affekt der Seele kann nur gehemmt oder
gehoben werden durch die Vorstellung einer entgegen-
gesetzten Erregung des Körpers, die zugleich stärker ist,
IV. Theil. Von der menseliliehen Enechtschaffc. 175
«
als die gegenwärtige. Denn ein Affekt, unter dem wir
leiden, kann nur durch einen stärkeren und entgegen-
gesetzten Affekt gehemmt oder gehoben werden (IV. L. 6),
d. L nur durch die Vorstellung einer körperlichen Erregung,
die starker und jenem entgegengesetzt ist*^)
lu 8. Die Kenntniss des Guten und Schlechten
ist nur ein Affekt der Fröhlichkeit oder Traurigkeit,
mfem wir uns dessen bewusst sind,
B. Wir nennen das gut oder schlecht, was der Er-
haltung unseres Seins nützt oder schadet (IV. D. 1, 2),
d. h. was unsere Macht zu handeln mehrt oder mindert,
unterstützt oder hemmt (III. L. 7). Sofern wir also be-
merken, dass eine Sache uns mit Fröhlichkeit oder Traurig-
keit erfüllt, nennen wir sie gut oder schlecht (III. L. 11 E.
mit den Definitionen der Fröhlichkeit und Traurigkeit). Da-
her ist die Kenntniss des Guten und Schlechten nur die
Vorstellung der Fröhlichkeit oder Trauer, welche aus
dem Affekte der Fröhlichkeit oder Trauer selbst noth-
wendig folgt (II. L. 22). Diese Vorstellung ist aber in
derselben Weise mit dem Affekt geeint, wie die Seele
mit dem Körper (IL L. 21); d. h. diese Vorstellung
miterscheidet sich von dem Affekt selbst (II. L. 21 E. III.
Allgemeine Definition der Affekte) oder von der Vor-
stellung des betreffenden Körper zu Standes in Wahrheit
nur im Denken. Daher ist diese Kenntniss des Guten und
Schlechten immer der Affekt selbst, sofern wir uns seiner
bewusst sind.i*)
L. 9. Ein Affekty dessen Ursache wir als gegen-
wärtig und uns nahe vorstellen, ist stärker, als wenn
icir uns diese Ursache nicht als gegenwärtig vorstellen.
B. Die bildliche Vorstellung ist eine Vorstellung,
in welcher die Seele einen Gegenstand als gegenwärtig
betrachtet (IE. L. 17 E.), welcher aber doch mehr die
Verfassung des menschlichen Körpers als die Natur der
fremden Sache anzeigt (11. L. 16 Z. 2). Der Affekt ist
also eine bildliche Vorstellung, insofern sie. die Verfas-
sung des Körpers anzeigt (III. Allgemeine Definition).
Aber die bildliche Vorstellung ist stärker, so lange wir
uns nichts vorstellen, was die gegenwärtige Existenz der
fremden Sache ausschliesst (II. L. 17). Deshalb wird
176 IV« Theil. Von der menscliliclien Knechtschaft.
auch ein Affekt, dessen Ursache wit für gegenwärtig und
uns nahe vorstellen, in sich mächtiger oder stärker seic,
als wenn wir nns vorsteDen, dass sie nicht gegenwärtig ist.
E. Als ich oben (III. L. 18) sagte, dass wir aus
dem Bilde einer kommenden oder vergangenen Sache zu
demselben Affekt aufgeregt werden, als wenn die vor-
gestellte Sache gegenwärtig wäre, so habe ich ausdrück-
lich bemerkt, dass dies nur wahr sei, insofern wir blos
auf das Bild der Sache Acht haben (denn dieses bleibt
von gleicher Natur, mögen wir es uns vorgestellt haben
oder nicht); aber ich habe nicht bestritten, dass es
schwächer werde, wenn wir andere Dinge als gegen-
wärtig betra<Jhten, welche die Gegenwart der zukünftigen
Sache ausschliessen. Es ist dies damals nicht geschehen,
weil ich über die Kräfte der Affekte erst in diesem
vierten Theile handeln wollte.
Z. Das Bild einer kommenden oder vergangenen
Sache, d. h. einer Sache, welche wir mit Ausschluss der
gegenwärtigen Zeit, in Beziehung auf die kommende oder
vergangene Zeit betrachten, ist unter ^onst gleichen
Umständen schwächer |ils das Bild einer gegenwärtigen
Sache, und folglich wird auch ein Affekt für eine kom-
mende oder vergangene Sache, unter sonst gleichen
Umständen, gemässigter sein als ein Affekt för eine
gegenwärtige Sache. ^^)
L. 10. Pur eine kommende Sache, deren haldiges
Dasein man annimmt^ wird m,an stärker e7*regt, als
wenn man glaubt^ dass die Zeit ihreo* Existenz längei'
von de9* Gegenwart absteht; und durch das Andenken an
einen Gegenstand, den man für noch nicht lange ver-
gangen hält, wird man ebenfalls stärker ef^egt, als
wenn man ihn für länger vergangen hält,
B. Denn so weit man den Gegenstand für bald kom-
mend oder für nicht lange vergangen hält, stellt man
damit etwas vor, was die Gegenwart des Gegenstandes
weniger ausschliesst, als wenn man glaubt, dass die
Zeit seiner Existenz länger von der Gegenwart absteht,
oder ihn für schon lange vergangen hält (wie von selbst
klar ist); deshalb wird man auch stärker für ihn erregt
werden (IV. L. 9).
E. Aus dem zu IV. D. 6 Bemerkten ergiebt sieh,
rV. TheiL Von der menschlichen Knechtschaft. 177
dass, wenn die Gegenstände von der Gegenwart durch
einen längeren Zeitraum getrennt sind, als man sich diesen
Mdlich vorstellen kann, sie uns nur gleich schwach be-
rühren, wenn wir auch wissen, dass sie unter einander
durch einen grossen Zeitraum getrennt sind.*''')
L. 11. Der Affekt für einen als nothwendig vor-
gestsllten Gegenstand wird unteo^ sonst gleiclien Um-
ständen stärkei' sein als für einen möglichen oder zu-
fälligen, d, 1u nicht nothwendigen Gegenstand,
B. So weit man sich einen Gegenstand als nothwendig
vorstellt, so weit bejaht mann dessen Existenz und umge-
kehrt verneint man diese, so weit man sich ihn als nicht
nothwendig vorstellt (I. L. 33. E.). Daher wird der Affekt
für einen nothwendigen Gegenstand unter sonst gleichen
Umständen (IV. L. 9) stärker sein als für einen nicht
nothwendigen. **)
L. 12. Der Affekt für einen Gegenstand, von
dem man weiss, dass er geg^wärtig nicht existirt,
und den man sich als möglich vorstellt, wird unier
sonst gleichen Umständen stärker sein als für einen
zufälligen Gegenstand,
B. So weit man sich eine Sache als zufällig vorstellt,
ist man von dem Bilde keiner andern Sache erregt, welche
die Existenz jener setzte (IV. D. 3), vielmehr stellt man
(nach der Annahme) etwas vor, was deren gegenwärtige
Exitenz ausschliesst. So weit man sich aber die Sache
als m Zukunft möglich vorstellt, so weit stellt man sich
etwas vor, was ihre Existenz setzt (IV. D. 4), d. h. was
die Hoffnung oder die Furcht nährt (III. L. 18). Deshalb
wird der Affekt für einen möglichen Gegenstand heftiger sein.
Z. Der Affekt für einen als gegenwärtig nicht existi-
rend und als zufällig vorgestellten Gegenstand ist viel
schwächer, als wenn man sich den Gegenstand als gegen-
wärtig vorstellt.
B. Der Affekt für einen als gegenwärtig existirend
vorgestellten Gegenstand ist stärker, als wenn man ihn
sich bloss als einen zukünftigen vorstellt (IV. L. 9. Z.), und
ist heftiger, wenn man sich vorstellt, dass die kommende
Zeit von der gegenwärtigen nicht weit absteht (IV. L. 10).
Daher ist der Affekt für einen Gegenstand, dessen Zeit der
Spinoia, Ethik. 12
178 IV. Theil. Von der meBscblichen Knechtschaft.
Existenz man von der Gegenwart für weit entfernt vor-
stellt, viel schwächer, als wenn er als gegenwärtig vor-
gestellt wird. Nichtsdestoweniger wird er stärker sein,
als wenn man den Gregenstand als zufällig vorstellt.
Deshalb ist der Affekt für einen zufälligen Gegenstand
weit schwächer als für einen, den man sich als gegen-
wärtig vorstellt. ^•)
L. 13. Der Affekt für einen zufälligen Gegen-
stand, von dem man weiss, dass er in der Gegenwart
nicht existirt, ist, unter sonst gleichen umständen^
schwächer, als d&i^ Affekt für einen vergangenen
Gegenstand,
B. So weit man sich den Gegenstand als zuföllig vor-
stellt, wird man durch das Bild keines anderen Gegen-
standes erregt, welches seine Existenz setzt (IV. D. 3).
Man stellt sich im Gegentheil (nach der Annahme) etwas
vor, was dessen gegenwärtige Existenz ausschliesst. Wenn
man sich aber denselben Gegenstand mit Beziehung auf
eine vergangene Zeit vorstellt, so muss man sich insoweit
etwas vorstellen, was ihn in das Gedächtniss bringt, oder
was das Bild des Gegenstandes erweckt (II. L. l8. E.)
und damit bewirkt, dass man den Gegenstand als einen
gegenwärtigen betrachtet (II. L. 17. Z.). Daher wird der
Affekt für einen zufälligen Gegenstand, von dem man weiss,
dass er gegenwärtig nicht existirt, unter sonst gleichen
Umständen schwächer sein, als der Affekt für einen ver-
gangenen Gegenstand.^®)
L. 14. Die wahre Kenntniss des Guten und
Schlechten kann^ als wahre^ keinen Affekt hemineni
sondern nur, sofern sie als Affekt aufgefasst wird,
B. Der Affekt ist eine Vorstellung, durch welche die
Seele eine Kraft ihres Körpers zu existiren bejaht, die
grösser oder kleiaer ist, als vorher (III. Allgemeine Defi-
nition). Dieses Positive kann durch die Gegenwart des
Wahren nicht aufgehoben werden (IV. L. 1), und deshalb
kann die wahre Kenntniss des Guten und Schlechten, als
solche, keinen Affekt hemmen. Aber so weit sie Affekt
ist (IV. L. 8), kann sie, wenn sie stärker als jener ist
(IV. L. 7), ihn hemmen.«!)
IV. Theil. Von der menscblichen Knechtschaft. 179
L. 15. Die Begierde, welche aus der wahren
Kemitniss des Guten und Schlechten entsprittgt, kann
durch viele andere Begierden, die aus sich bekämpfen-
den Affekien entspringen^ erstickt oder gehemmt werden.
B. Ans der wahren Kenntniss des Guten und Schlechten,
so weit sie Affekt ist (IV. L. 8), entspringt nothwendig
eine Begierde (IV. B. 1), welche um so grösser ist, je
grösser der Affekt ist, aus dem sie entsteht (III. L. 37).
Weil aber diese Begierde (nach der Annahme) aus einem
wahren Wissen entspringt, so erfolgt sie in uns, so weit
wir handeln (III, L. 3), und muss also durch unser
Wesen allein erkannt werden (III. B. 2), und folglich
muss Kraft und Wachsthum in derselben durch die
menschliche Macht allein bestimmt werden. Femer sind
die Begierden, welche aus sich bekämpfenden Affekten
entspringen, um so grösser, je heftiger diese Affekte
sind; deren Kraft und Wachsthum muss also durch die
Macht fremder Ursachen bestimmt werden (IV. L. 5),
welche im Vergleich mit unserer Macht diese weit tiber-
steigt (IV. L. 3). Baher können die Begierden, welche
ans dergleichen Affekten entspringen, stärker sein, als
jene, welche aus der wahren Kenntniss des Guten und
Schlechten entspringt und sie mithin hemmen oder ersticken
(IV. L. 7). «8)
L. 16« Da^ Begehren, was aus der Kenntniss
des Guten und Schlechten in Beziehung auf einen
künftigen Gegenstand entspringt, kann leicht durch
das Begehren nach Dingen, die in der Gegenwart
angenehm sind, geJiemmt und ausgelöscht werden.
B. Ber Affekt für einen zukünftigen Gegenstand ist
schwächer, als für einen gegenwärtigen (IV. L. 9. Z.).
Aber das aus der Erkenntniss des Guten und Schlechten
entspringende Begehren kann, selbst wenn es sich auf
gegenwärtige gute Binge bezieht, durch irgend ein un-
besonnenes Begehren erstickt oder gehemmt werden (III.
L. 15, dessen Beweis allgemein ist). Baher wird ein
Begehren, was aus solcher Kenntniss für einen zukünf-
tigen Gegenstand entspringt, um so leichter gehemmt
oder getilgt werden können u. s. w. ^*)
L, 17. Das Begehren aus der Erkenntniss des
12*
180 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
Guten und Schleckten^ insoweit es einen zufalUgeti
Gegenstand hetriffty wird noch viel leichter durch ein
Begehren nach gegeiiwärtigen Dingen geliemmt wei'-
den können,
B. Der Beweis dieses Lehrsatzes wird anf dieselbe
^Veise von der des vorgehenden aus IV. L. 12. Z. ge-
führt.
E. Damit glaube ich die Ursachen dargelegt zu
haben, weshalb die Menschen mehr von ihren Meinungen
als von der wahren Vernunft sich bestimmen lassen, und
weshalb die Kenntniss des Guten und Schlechten die
Seele unruhig macht und oft jeder Art von Lust den
Platz räumt. Daher rührt jener Vers des Dichters:
»Ich seh und bill'ge das Bessere, aber dem Schlechteren
folge ich nach.« Dasselbe scheint auch der Prediger im
Sinne gehabt zu haben, als er sagte: »Was das Wissen
mehrt, mehrt den Schmerz.« Ich sage dies aber nicht des-
halb, um zu folgern, dass das Nicht- Wissen besser sei,
als das Wissen, oder dass der Verständige in Mässigung
der Ailekte sich von dem Dummen nicht unterscheide
sondern weil es nothwendig ist, dass man sowohl die
Macht wie die Ohnmacht seiner Natur kenne, um bestimmen
zu können, was die Vernunft in Mässigung der Affekte
vermag und nicht vermag. Und in diesem vierten Theil
habe ich nur von der Ohnmacht des Menschen handeln
wollen; denn die Macht der Vernunft über die Affekte
werde ich besonders behandeln.*'*)
L. 18. DcLS ßeg ehren y was aus der Fröhlichkeit .
entspringt, ist, bei sonst gleichen Umständen^ stärker,
als das Begehren, was aus der Traurigkeit entspringt.
B. Das Begehren ist das Wesen des Menschen
selbst (IV. D. 1), d. h. das Streben des Menschen, in
seinem Sein zu verharren (III. L. 7). Deshalb wird das
Begehren, was aus der Fröhlichkeit entspringt, durch den
Affekt der Fröhlichkeit selbst unterstützt oder vermehrt.
(Man sehe die Definition der Fröhlichkeit in E. zu ül.
L. 11). Dagegen wird das Begehren, was aus der Trau-
rigkeit entspringt, durch den Affekt der Traurigkeit selbst
vermindert oder gehemmt (III. L. 11. E.). Deshalb muss
die Kraft des Begehrens, was aus der Fröhlichkeit selbst
*—,..!.
»'■'•t"V
rv. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 181
entspringt, sowohl durch die Macht des Menschen, als
durch die Macht der frennien Ursache bestimmt werden,
aber die der Trauer nur durch die Macht des Menschen;
deshalb wird jenes stärker als dieses sein. 85)
E, Damit habe ich in Kürze die Ursachen der mensch-
lichen Ohnmacht und Unbeständigkeit dargelegt und wes-
halb die Menschen die Lehren der Vernunft nicht inne-
halten. Ich habe nun noch zu zeigen, was das ist, was
uns die Vernunft vorschreibt, und welche Affekte mit den
Vorschriften der menschlichen Vernunft übereinstimmen
und welche ihnen entgegen sind. Ehe ich jedoch dies
in meiner ausführlichen geometrischen Weise darzulegen
beginne, möchte ich zuvor noch die Vorschriften der
Vernunft selbst hier kurz aufzeigen, damit meine Ansicht
leichter gefasst werden kann. '
Da die Vernunft nichts gegen die Natur fordert, so
fordert sie also selbst, dass ein Jeder sich liebe, seinen
Nutzen, so weit er wahrhaft Nutzen ist, suche und Alles,
was den Menschen zu einer grösseren Vollkommenheit
wirklich führt, erstrebe; überhaupt, dass Jeder sein Sein,
so viel er vermag, zu erhalten strebe. Dies ist sicher-
lich so wahr als der Satz, dass das Ganze grösser
ist, als sein Theil (III. L. 4). Da nun die Tugend nichts
Anderes als ein Handeln nach den Gesetzen seiner
eigenen Natur ist (IV. D. 8) und Jedermann nur nach den
Gesetzen seiner eigenen Natur sein Sein zu erhalten
strebt (III. L. 7), so ergiebt sich daraus erstens: Dass
die Grundlage der Tugend in dem Streben besteht,
sein Sein zu erhalten, und das Glück darin, dass der
Mensch sein Sein erhalten kann. Es folgt zweitens:
Dass man die Tugend um ihrer selbst willen zu erstreben
hat und dass es nichts Vorzüglicheres oder uns Nütz-
licheres giebt, dessentwegen man die Tugend begehren
müsste. Endlich folgt drittens: Dass die Selbstmörder
ihres Verstandes nicht mächtig sind, und dass sie von
fremden Ursachen, welche ihrer Natur entgegengesetzt
sind, überwunden werden.
Femer folgt aus II. L. 4, dass es uns unmöglich ist,
für die Erhaltung unseres Seins nicht ausserhalb unserer
zu bedürfen und ohne allen Verkehr mit äusserlichen
Gegenständen zu leben; auch wäre unser , Wissen, wenn
man noch die Seele in Betracht nimmt, sicherlich unvoll-
182 IV. Theü, Von der menschlichen Knechtsehaft.
kommner, wenn die Seele allein wäre und nichts kennte,
als sich selbst. Vielmehi* giebt es Vieles ausserhalb
unser, was uns nützlich und deshalb zu erstreben ist.
Von diesem kann man sich nichts Besseres vorstellen,
als das, was mit unserer Natur ganz übereinstiinint.
Wenn z. B. Zweie von derselben Natur sich gegenseitig
verbinden, so stellen sie ein Einzelding dar, was noch
einmal so stark ist, als jedes für sich. Es giebt des-
halb für den Menschen nichts Nutzlicheres, als der
Mensch. Ich sage, es können die Menschen sich nichts
Besseres für die Erhaltung ihres Seins wünschen, als
dass Alle mit Allen so übereinstimmen, dass die Seelen
u^d Körper Aller gleichsam eine Seele und einen
Körper bilden, Alle so viel als möglich ihr Sein zu
erhalten suchen und Alle das für Alle Nützliche auf-
suchen. Daraus ergiebt sich, dass Menschen, die von
der Vernunft geleitet werden, d. h. die ihren Nutzen
nach Anleitung der Vernunft suchen, nichts für sich er-
streben, was sie nicht auch für die übrigen Menschen
wünschten, dass folglich solche Menschen gerecht, treu
und ehrlich sind.
Dies sind die Gebote der Vernunft, welche ich hier
in der Kürze darlegen wollte, ehe ich beginne, sie in
ausführlicher Weise zu beweisen. Es ist dies geschehen,
um, wo möglich, die Aufmerksamkeit derer für mich zu
gewinnen, welche meinen, dass das Princip, wonach Jeder
nur seinen Nutzen zu suchen brauche, die Grundlage
der Gottlosigkeit sei, aber nicht die der Tugend und
Frömmigkeit. Nachdem ich also kurz gezeigt habe, dass
die Sache sich umgekehrt verhalte, gehe ich auf dem
bisher betretenen Wege zu dem Beweise davon über. 2*)
L. 19. Jeder begehrt oder verabscheut nothwendig
nach den Gesetzen seiner Natur das, was er für gut
oder schlecht beti'achtet
B. Die Kenntniss des Guten und Schlechten ist der
Affekt der Fröhlichkeit oder Traurigkeit selbst (IV. L. 8),
insofern man sich desselben bewusst ist; deshalb begehrt
nothwendig Jeder das, was er für gut hält, und verab-
scheut, was er für schlecht hält (III. L. 28). Diese
Begehren sind aber nur das Wesen und die Natur des
lY. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft 183
Menschen selbst (IIL L. 9. E. und D. 1). Deshalb be-
gehrt oder verabscheut Jeder u. s. w. *J)
L. 20. Je mehr Jemand seilten Nutzen zu suchen
d. k. sein Sein zu erhalten strebt und vermag, mit
desto grösserer Tugend ist er begabt. Um,gekehrty so
weit Jemand seilen Nutzen, d, h, die Erhaltung seines
Seins vemaehlässigtj so weit ist er ohnmächtig,
B. Die Tugend ist die menschliche Macht selbst,
welche nur durch das Wesen des MenSchen bestimmt
Tvird (lY. D. 8), d. h. welche nur durch das Streben,
womit der Mensch in seinem Sein zu verharren strebt, be-
stimmt wird (III. L. 7). Je mehr also Jemand sein Sein
zu erhalten strebt und vermag, desto mehr ist er mit Tugend
begabt, und also ist der, welcher sein Sein zu erhalten ver-
absäumt, insoweit ohnmächtig (III. L. 4, 6).
E. Nur der, welcher von fremden, seiner Natur wider-
sprechenden Ursachen überwunden ist, versäumt seinen
Nutzen zu suchen und sein Sein zu erhalten. Niemand,
sage ich, verabscheut aus der Nothwendigkeit seiner
Natur, sondern nur in Folge Zwanges durch fremde Ur-
sachen das Essen oder nimmt sich das Leben, was auf
viele Art geschehen kann. So tödtet sich Jemand, weil
ein Anderer ihn zwingt, indem dieser seine Hand, mit
der er zufällig ein Schwert ergriffen hatte, umdreht und
ihn zwingt, das Schwert in sein Herz zu stossen; oder
weil er, wie Seneca, durch den Befehl eines Tyrannen
gezwungen wird, sich die Adern zu öffnen, d. h. weil er
ein grösseres Uebel durch ein kleinerem zu vermeiden
strebt; oder endlich, weil verborgene äussere Ursachen
seine Einbildung so bestimmen und seinen Körper so
erregen, dass dieser eine andere, der früheren entgegen-
gesetzte Natur annimmt, deren Vorstellung in der Seele
nicht möglich ist (III. L. 10). Dass aber der Mensch
aus der Nothwendigkeit seiner eigenen Natur streben sollte,
nicht zu sein oder sich in ein anderes Wesen zu ver-
wandeln, ist eben so unmöglich, als wie, dass aus Nichts
Etwas werde, und Jeder wird bei massigem Nachdenken
dies einsehen. 2»)
L. 21. Niemand kann toünschen, glücklich zu sein,
gilt zu handeln und gut zu leben, wenn er nicht zu-
184 IV. Tbeil. Von der metischlichan Knechtschaft.
•,h tWinacAf, zu »nin, zu handeln nnd leben, d. h.
■.lieh zu exigtiren.
I. Der £«wei8 dieses Lehrsatzes oder vielmehi die
le selbst ist durch sich allein klar und erhellt
i ana der Definition des Begehrens. Denn das Be-
en, glücklich und gut zu leben, zn handeln, ist das
ne Wesen des Meßschen (IT. D. 1), d. h. das
ben, wodurch sich Jeder in seinem Sein zu erhalten
t (UI. L.,7). Deshalb kann Niemand wflnschen
Li, 22. Kidne Tugend kann vor dieser (nämlich
dem Streben, sich selbst zu erlialten) gedaelit
ien.
B. Das Streben sich zn erhalten ist das Wesen jedes
anstandes seihst (III. L. 7). Wenn also eine Togedd
diesem Streben Torgeatellt werden könnte, so wörde
eigene Wesen eines Gegenstandes eher als er selbst
icbt (IV. D, 8), was (wie erhellt) widersinnig ist.
lalb kann keine Tugend vor dieser n. s. w.
Z. Das Bestreben sich zn erhalten ist die erste mid
ige Grundlage der Tugenfl. Denn vor diesem Princip
1 kein anderes vorgestellt werden (IV. L. 22), nnd
e Tugend kann ohne dasselbe (IV. L. 21) gedacht
ien. 3«)
L. 23, So weit ein MeTiseh zu einer Handlung
urck bestimmt wird, dass er unzweic/tende Vor-
'■ungen hat, Irann man, nicht unbedingt sagen, dans
(WS Tugend liandle, sondern nur, so weit er d'trck
ts bestimmt wird, was «■ et-kennt.
B. So weit ein Mensch zum Handeln dadurch be-
imt wird, dass er unzureichende Vorstellungen hat,
weit leidet er (III. L. l), d. h. er thut etwas, was
seinem Wesen aliein nicht erkannt werden kann, d. h-
aus seiner Tugend nicht folgt (IV. D. 8). So weit
aber zur Handlung durch etwas bestimmt wird, was
irkennt, so weit handelt er (III. L. l), d. h. er thut
ts (III. D. 2), was durch sein Wesen allein anfge-
t wild, oder was aus seiner Tagend allein hinreichend
t (IV. D, 8). 81)
laTT^
IV. Theil. Von der menschliclien Knechtschaft. 185
L. 24, Unbedingt aus Tugend handeln ist nichts
Anderes in wns^ als nach Jjeitung det^ Veimunft auj
der Grundlage des Strehens nach dem. eigenen
Nutzen handeln, leben wid sein Sein bewahren. {Diese
drei bedeuten dasselbe,)
B. Unbedingt aus Tugend handeln ist dasselbe, wie
nach den Gesetzen der eigenen Natur handeln (IV. D. 8).
Aber wir handeln nur, so weit wir erkennen (III. L. 3),
deshalb ist aus Tugend handeln nichts anderes in uns,
als nach Leitung der Vernunft handeln, leben und sein
Sein bewahren, und zwar auf der Grundlage des Strebens
nach seinem eigenen Nutzen (IV. L. 22. Z.) Ȋ).
L. 25. Niemand strebt, sein Sein eines andeQ'en
Gegenstandes icegen zu erhalten,
B. Das Streben, wodurch jede Sache sich in ihrem
Sein zu erhalten sucht, wird bloss durch das Wesen dieser
Sache bestimmt (III. L. 7) und folgt nur aus ihm allein
mit Nothwendigkeit, aber nicht aus dem Wesen einer
fremden Sache (III. L. 6). Dieser Lehrsatz erhellt auch
aus IV. L. 22. Z. Denn wenn der Mensch sein Sein
wegen einer andern Sache zu erhalten strebte, so wäre
diese Sache die erste Grundlage der Tugend (wie von
selbst erhellt), und dies ist widersinnig (IV. L. 22. Z.).
Deshalb strebt Niemand, sein Sein u. s. w,^)
L. 26. Alles y was man av^ Vernunft erstrebt,
ist mir die Erhenntniss , und die Seeie hält, so weit
sie' sich ihrer Vetmurifi bedient, nur das zur Erkennt-
niss Führende für nützlich.
B. Das Streben sich zu erhalten ist nichts Anderes,
als das Wesen des Gegenstandes (III. L. 7), der vennög^
seiner Existenz die Kraft hat, im Sein zu verharren und
za thun, was aus seiner Natur nothwendig folgt (III. L. 9.
E. D. vom Begehren). Das Wesen der Vernunft ist aber
nichts Anderes als unsere Seele, sofern sie klar und
deutlich erkennt (II. L. 40. E. 2). Deshalb geht Alles,
was man aus Vernunft erstrebt, nur auf Erkenntniss
(IL L. 40).
Da fenier dieses Streben der Seele, wodurch sie, so
weit sie vernünftig denkt, ihr Sein zu erhalten strebt
N
186 IV. TheU. Von der menso
t (wie ebei
dieses Streben nach Erkenotniss die erste und einzig«
Grundlage der Tugend (IV. L. 22. Z.), nnd man streM
nicht eines Zweckes wegen nach Erkenntniss (IV. L. 2b),
vielmehr kann die Seele, so weit sie vernünftig »eriabri,
nichts für sich gut halten, als das, was zur Erkenntiusj
führt {IV. D. 1). '<)
L. 27. Wir wissen mir von dem gewiss, datg
es gut ist, was zw Erteiintnisi wirklieli führt, und
niw von dem, dasa e» schlecht ist, was die Erkenntnise
hindern kann.
B. Die Seele verlangt, so weit sie ihre Vernunft ge-
hraucht, nur zu erkennen und hält nichts für sich nQti-
lich, als was zur Erkenntniss führt (IV. L. 26). Die
Seele aber hat nur Gewiasheit von den Dingen, so weit
aie zureichende Vorstellungen hat (III. L. 41. 43. E.)[
oder (was dasselhe ist II. L. 40. E.), insofern sie ihre
Vernunft gebraucht
Daher hält man nur das mit Qewissheit für gut, ms
wahrhaft zur Erkenntniss führt, und umgekehrt das für
schlecht, wa^ die Erkenntjiiss hindern kann. ^^)
L. 28. JJas höchste Gut der Seele ist die Er-
kenntniss Gottes, und die höchste Tugend der S*ele
Gott erkennen.
B. Das Höchste, was die Seele erkennen kann, ist
Gott, d. h. (I. D. 6) das unbedingt unendliche Wesen,
ohne das Nidits sein, noch vorgestellt werden kann (L
L. 1.5); daher ist (IV. L. 26. 27) das höchste Nütz-
liche nnd Gut (IV. D. 1) der Seele die Erkenntniss
Gottes. Ferner handelt die Seele nur, so weit sie er-
kennt (in. L. 1. 3), nnd nur dann kann man unbedingt
von ihr sagen, dass sie aus Tugend handelt (IV. L. 23).
Die unbedingte Tagend der Seele ist daher das Erkennen,
das Höchste aber, was die Seele erkennen kann, ist Qott
(wie bereits gezeigt worden), folglich ist die höchsie
Tugend der Seele, Gott zu erkennen oder zu begreifen. ••)
L. 29. Jeder Einzelyegenatand, dessen Natar
von der unsrigen dwchaits verschieden ist, kann
unsere Macht zu Jumdeln weder unterstützen noch
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 187
Jdndern, überhaupt karm nur derjenige Gegenstand
fitr wrtB gut oder schlecht sein, der etwas mit uns ge-
mevusam hat
B. Die Macht eines jeden einzelnen Gegenstandes
und folglich auch des Menschen (II. L. 10. Z.) , durch
welche er existirt und wirkt, wird nur von einer andern
einzelnen Sache bestimmt (I. L. 28), deren Natur durch
dasselbe Attribut erkannt werden muss (II. L. 6), durch
welches die menschliche Natur begriffen wird. Unsere
Macht zu handeln, wie man sie auch vorstellen mag,
kann daher nur von der Macht einer andern einzelnen
Sache bestimmt, und folglich unterstützt oder gehemmt
werden, welche mit uns etwas Gemeinsames hat, und
nicht durch die Macht einer Sache, deren Natur von der
unsrigen ganz verschieden ist. Weil wir aber gut und
schlecht nur das nennen, was Ursache der Fröhlichkeit
oder Traurigkeit ist (IV. L. 8), d. h. was unsere Macht
zn handeln mehrt oder mindert, unterstützt oder hemmt
(m. L. 11 E.), so kann eine Sache, die von unserer
Natur durchaus verschieden ist, für uns weder gut noch
schlecht sein.*'')
L, 30» Kein Gegenstand kann durch das, was
er mit unsefrer Natur gemeinsam hat, schlecht sein,
vielmehr ist er , so weit er für uns schlecht ist, uns
entgegengesetzt
B. Wir nennen das schlecht, was Traurigkeit ver-
ursacht (lY. L. 8), d. h. was unsere Macht zu handeln
mindert oder hemmt (III. L. 11. E.). Wenn daher eine
Sache durch das, was sie mit uns gemeinsam hat, für
uns schlecht wäre, so könnte die Sache dieses selbst,
was sie mit uns gemeinsam hat, vermindern oder hemmen;
was widersinnig ist (III. L. 4). Keine Sache kann da-
her durch das, was sie mit uns gemein hat, für uns
schlecht sein, vielmehr ist sie nur insoweit schlecht, als
sie unsere Macht zu handeln mindern oder hemmen kann
(wie eben gezeigt worden), d. h. so weit sie uns ent-
gegengesetzt ist (III. L. 5). »«)
L, 31. So weit ein Gegenstand mit unse9*er Natur
^übereinstimmt, ist er nothwendig gut
1«8 IV. Theil. Von der ntenscUictien Knechtschaft.
B. So weit ein Gegenstand mit nnserer Natur üter-
!timmt, kann er nicht schlecht sein (IT, L. 30). Er
'S also entweder ^t ctder gleichgültig sein. Im
ten Falle nämlich, dass er weder gut noch schiedst
fulgt aus seiner Natnr nichts, was der Erhaltmig
erer Natur nützt (IV. A. 3), d. h. (nach der Aa-
me) nichts, was der Erhaltong seiner eigenen Natur
st. I'ieses ist aber widersinnig (III. L. 6). Er mnes
I, so weit er mit unserer Natur Qbereiii stimmt, notb-
idig gut sein.
Z. Hterans crgiebt sich, dass je mehr ein Gegenstand
unserer Natur Qbereinstimmt, er um so nfitzlicher
besser für nns ist; und umgekehrt, je nützlicher ein
'enstand für nns ist, nm so mehr stimmt er mit
erer Natnr überein. Benn soweit er damit nicht
reinstimmt, muss er von nnserer Natur verschieden
r ihr entgegengesetzt sein. Ist Eretercs, so kann er
er gnt noch schlecht sein (IV. L. 29); ist er ent-
engesetzt, so ist er auch dem entgegengesetzt, was
unserer Natur übereinstimmt, d. h. er ist dem Gnten
fegengesetit, oder schlecht (IV. L. 30). Es kann da-
nur das mit unserer Natur Ceberein stimmende gut.
, und je mehr es damit übereinstimmt, desto nutz-
er ist es, und umgekehrt. 88)
L. 32. So weit die Menschet Heren Ijeidengeki^ttai
•rw(y>-fen mnd, kann man nicht soffen , das» gie
Natur übereinstimmen.
B. V?enn man von Dingen sagt, dass sie von Natur
-einstimmen, so meint man, dass sie in der Macht
-einstimmen (HI. L. 7), aber nicht in der Ohnmacht
■ Verneinung, und folglich anch nicht in einem lei-
len Zustande (II. L. 3. E.). Mau kann daher tob
Menschen, die den Leidenschaften unterworfen sind,
it sagen, dass sie von Natur übereinstimmen.
E. Der Satz erhellt auch ans sich selbst; denn wer
;, dass weiss und schwarz nur darin übereinstinunen.
i beide nicht roth sind, der bejaht unbedingt, dass
IS und schwarz in Nichts übereinstimmen. Ebenso
es, wenn Jemand sagt, dass ein Stein und ein Meuscli
darin übereinstimmen, dass sie Beide endlich, ohn-
htig sind, oder dass sie nicht durch die Nothwendig-
IV. TheiL Von der meoschlichen Knechtschaft 189
keit ihrer Natur eiistii-en, oder daas sie von der Macht
fremder Ursachen ohne Schranke übertroffen wer'
denn er bejaht damit, dass der Stein und der Me
in Nichts Obere iDstimmen. Denn Dinge, die nur in
Verneinung, oder in dem, was sie nicht haben, übei
stimmen, stimmen in Wahrheit in Nichts überein. **
L, 33> Die Mensc/ten können von Natur
■pon einander untersciieiden , so wnt sie von Äff ei
welche Tieidenschaften sind, aufgeregt wm-dsn, uii'
>o tneit ist anc/i ein und derselbe Men/ioh verändet
und rmbeständiff.
B. Die Natur oder das Wesen der Affekte '.
nicht ans unserm Wesen und unserer Natur allein
klärt werden (III. D. I. 2), sondern sie muss d
die Macht, d. h. durch die Natur fremder Ursache
Vergleichung mit unserer Natur bestimmt werden (III. ]
Daher kommt es, dass es von jedem Affekt so
Arten giebt, als Arten der Gegenstände sind, von d
man erregt wird (III. L. 56), and dass die ^ens
Ton ein und demselben Gegenstände verschieden ei
werden (ni. L. 56) nnd insoweit sich von ü
unterscheiden; endlich dass derselbe Mensch von i
selben Gegenstande auf verschiedene Weise erre^
und insoweit veränderlich ist {III. L. 51). **)
1. 34. So weit die Mensc/ien v<m Affekten
faJist sind, welche Leidenacliaften sind, Können
einander entgegengesetzt sein.
B. Ein Mensch, i. B. Peter, kann Ursache sein,
der Paul sich betrübt, weil er einem Gegenstande
lieh ist, welchen Paul hassi (HI. L. 16), oder weil I
«inen Gegenstand besitzt, weichen auch Paul liebt
Ij, 32, E,}, oder aus andern Gründen. (Die erhebli
sehe man III. L. 55. E.). So kann es kommen,
Panl den Peter hasst (lU. D. 7), und folglieh' is
leicht möglich, dass Peter den Paul wieder hasst
L- 40. E.). Sie werden sieh also gegenseitig Uebles
zufügen suchen (III, L. 39), d. h. sie werden eina
entgegengesetzt sein (IV. L. 30.) Die Affekte der 1
rigkeit sind aber immer leidende Zustände (III. L.
Deshalb können Menschen, so weit sie von Affekten
190 TV. Theil. Von der mensc
facist sind, welche eine Leidenschaft enthalten, einander ent-
gegengesetzt sein. /
E. Ich habe gesagt, dass der Paul den Feter hasse,
weil BT fiich vorstellt, dass jener das besitze, was er selbst
auch liebt. Auf den ersten Blick scheint daraus it
folgen, dass Beide, weil sie ein und dasselbe lieben nnd
folglich, weil sie von Natur übereinstinimen , einander
zum Schaden sind. Wäre dies richtig, so würden die_
l*hr8äzte IV, 30 a. 31 falsch sein. Untersucht man die'
Sache jedoch nnparteiisch, so wird man Alles in Ueber-
einstimmnng finden. Denn Faul und Feter sind sich ein-
ander nicht lästig, so weit sie von Natur ühereinstinmieD,
d. h. so weit jeder dasselbe liebt, sondern so weit sie
von einander abweichen. Denn so weit Jeder dasselbe
liebt, wird eines Jeden Liebe dadurch gesteigert (Ol.
L. 31), d. h. so weit wird Jedee Fröhlichkeit dadurch
gesteigert (III. D. 6). So weit sie also dasselbe lieben
und von Natur übereinstimmen, sind sie weit entfernt,
einander Ustig zn sein ; vielmehr ist die Ursache desseo
nur, dass sie von Natur sich unterscheiden; denn wir
haben angenommen, Feter habe die Vorstellung des g^
liebten Gegenstandes als eines, den ersterer in Besitz
hat, Paul dagegen die Vorstellung des geliebten Gegen-
standes als eines verlornen. Daher kommt es, dass dieser
von Trauer und jener von Pröhlichkeit eifüllt ist, aod
dass sie in so weit einander entgegen sind. Auf diese
Weise kann man leicht zeigen, dass alle Ursachen des
Hasses daher kommen, dass die Menschen von Natur sich
unterscheiden, aber nicht von Ktwas, worin sie überein-
stimmen. ^2)
L. 35. So weit die Menschen nach der Leiiunif
der Vffi'nitnft leben, insoweit alkin stimmen sie von
Natur notltwendig immer über ein.
B. So weit die Menschen von Affekten erfasst sind,
welche ein Leiden sind, können sie von Natur verschieden
sein (IV. L. 33) und einander entgegen (IV. L. 34).
Aber von den Menschen kann man nur in sofern s^n,
dass sie handeln, als sie nach der Leitung der Vernunft
leben (III. L. 3), folglich muss Alles, was aus der mensch-
lichen Natur, so weit sie von der Vernunft bestimmt
wird, folgt, durch die menschliche Natnr allein, als Ihitr
rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 191
nächsten Ursache, erkannt werden (III. D. 2). Weil
aber Jeder nach den Gesetzen seiner Natur das begehrt,
was er fiir gut, und das verabscheut, was er für schlecht
hält (IV. L. 19), und weil Alles, was man nach dem
Ausspruch der Vernunft für gut oder schlecht hält, noth-
wendig gut oder schlecht ist (II. L. 41), so thun die
Menschen in so weit, als sie nach der Vernunft leben,
nothwendig das, was der menschlichen Natur, und folg-
lich auch jedwedem einzelnen Menschen nothwendig gut
ist, d. h. das, was mit der Natur eines jeden Menschen
übereinstimmt (IV. L. 31. Z.). Polglich müssen auch die
nach der Leitung der Vernunft lebenden Menschen noth-
wendig unter sich immer übereinstimmen.
Z. !♦ Nichts Einzelnes giebt es in der Natur, was
dem Menschen nützlicher wäre, als ein Mensch, der nach
der Vernunft lebt. Denn dem Menschen ist das am
nützlichsten, was mit seiner Natur am meisten überein-
stimmt (IV. L. 31. Z.), d. h. der Mensch (wie von selbst
erhellt). Der Mensch handelt aber unbedingt nach den
Gesetzen seiner Natur, wenn er nach Leitung der Ver-
nunft lebt (ni. D. 2), und nur insoweit stimmt er
mit der Natur des andern Menschen nothwendig über-
ein (rV. L. 34). Es giebt also für den Menschen unter
den Einzeldingen nichts Nützlicheres, als den Menschen.
Z. 2. Je mehr ein Mensch nur seinen Nutzen sucht,
desto mehr sind die Menschen einander gegenseitig
nützlich. Denn je mehr ein Mensch seinen Nutzen sncht
und sich zu erhalten strebt, desto tugendhafter ist er
(IV. L. 20), oder, was dasselbe ist, desto mehr Macht
bat er, nach den Gesetzen seiner Natur zu handeln (IV.
B. 8), d. h. nach Leitung der Vernunft zu leben (IIL
L. 3). Die Menschen stimmen aber dann am meisten
überein, wenn sie nach der Vernunft leben (IV. L. 34),
folglich werden sich die Menschen dann am nützlichsten
sein, wenn ein Jeder am meisten seinen eigenen Nutzen
sncht (IV. L. 35. Z. 1).
E. Was ich hier dargelegt habe, wird auch täglich
von der Erfahrung so oft und durch so viele schlagende
Zeugnisse bestätigt, dass es hiernach ein Sprüchworfc
geworden: Der Mensch ist dem Menschen ein Gott. Es
geschieht jedoch selten, dass die Menschen nach der
Vernunft leben, sondern es ist mit ihnen so bestellt, dass
192 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
sie meist neidisch und einander lästig sind. Dessen un-
geachtet können sie 'kaum ein einsames Leben fahrcD;
den Meisten gefällt deshalb die Definition sehr, dass der
Mensch ein geselliges Thier sei. In Wahrheit verhält
sich auch die Sache so, dass aus dem gemeinsamen Zq-
sammenlehen den Menschen mehr Nutzen als Schaden
entsteht. Mögen also die Satyriker , die menschlichen
Dinge verspotten, so viel sie wollen, mögen die Theologen
sie verwünschen und die Schwermüthigen das rohe und
häurische Leben preisen, so viel sie können, und die
Menschen verachten und die unvernünftigen Thiere be-
wundern, so werden sie doch die Erfahrung machen, dass
die Menschen durch gegenseitigen Beistand ihren Bedarf weit
besser sich verschaffen und nur mit vereinten Kräften die
ihnen überall drohenden Gefahren vermeiden können. Dabei
will ich gar nicht erwähnen, dass es viel vorzüglicher
und unserer Erkenntniss würdiger ist, die Handlungen
der Menschen als die der unvernünftigen Thiere zu be-
trachten. Doch hierüber an einem andern Orte ausführ-
licher. 48)
L. 36. Das höcliste Gut dei'e^'y welche der liigend
folgen j ist Allen gemein nnd alle können sich dessen
in gleicher Weise erfreuen,
B. Tugendhaft handeln, ist nach der Leitung der
Vernunft handeln (IV. L. 24), und alles, w^as wir nach
der Vernunft zu thun streben, ist zu erkennen (IV. L. 26).
Folglich ist das höchste Gut derer, welche der Tugend
folgen, Gott zu erkennen (IV. L. 28), d. h. das Gut (ü.
L. 47. E.), welches allen Menschen gemein ist und von
allen Menschen, so weit sie gleicher Natur sind, in
gleicher Weise besessen werden kann.
E, Wenn aber Jemand früge, wie nun, wenn das
höchste Gut derer, welche der Tugend folgen, nicht Allen
gemein ist? Ob daraus nicht folge, wie oben (IV. L. 34),
. dass die Menschen, welche der Vernunft folgen, d. L die
Menschen , so weit sie von Natur^ übereinstimmen , ein-
ander entgegen sein müssen? Diesem diene zur Antwort,
dass es nicht durch Zufall, sondern aus der eigenen
Natur der Vernunft kommt, dass des Menschen höchstes
Gut ein Allen gemeinsames ist; weil es nämlich aus dem
menschlichen Wesen, so weit es durch die Vernunft be-
rv*. TheU. Von der menschlichen Knechtschaft. 193
stimmt ist, abgeleitet wird, und weil der Mensch nicht
sein und nicht begriffen werden könnte, wenn er nicht
die Macht hätte, sich dieses höchsten Gntes zu erfreuen.
Denn es gehört zum Wesen der menschlichen Seele (H.
L. 47), eine zureichende Kenntniss von dem ewigen und
unendlichen Wesen Gottes zu haben. 4^)
L. 37. Das Gtit, was Jeder, welclier der Tugend
folgt, für sich hegehrt, wünscht er auch den übrigen
Menselien, und zwar um so mehr, je grösser seine
ErJcenntniss Gottes ist,
B. Die Menschen sind sich am nützlichsten, so weit
sie nach der Vernunft leben (IV. L. 36. Z.), und deshalb
werden wir unter Leitung der Vernunft nothwendig zu
bewirken streben, dass die Menschen nach der Leitung
der Vernunft leben (IV. L. 19). Das Gute aber, was
Jeder, der nach Leitung der Vernunft lebt, d. h. welcher
der Tugeiid folgt (IV. L. 24), für sich begehrt, ist zu
erkennen (IV. L. 26). Deshalb wird Jeder, welcher der
Tngend folgt, das Gut, was er begehrt, auch den TJebri-
gen wünschen.
Femer ist das Begehren in Beziehung auf die Seele
ihr Wesen selbst (IV. D. 1); das Wesen der Seele be-
steht aber im Erkennen (IL L. 11), welches die Kennt-
niss Gottes einschliesst (IL L. 47), und ohne welche die
Seele weder sein noch vorgestellt werden kann (I. L. 15).
Eine je grössere Kenntniss Gottes daher das Wesen der
Seele einschliesst, desto grösser wird das Begehren sein,
mit welchem der, welcher der Tugend folgt, das Gut,
was er für sich begehrt, auch Andern wünscht.
B. 2. Ein anderer Beweis. Das Gut, was der
Mensch verlangt oder liebt, wird er beharrlicher lieben,
wenn er sieht, dass Andere dasselbe lieben (III. L. 31),
imd er wird deshalb streben, dass auch Andere es lieben
(HI. L. 31. Z.), und weil dies Gut Allen gemein ist
(IV. L. 36) und Alle sich seiner erfreuen können, so wird er
deshalb streben (aus demselben Grunde), dass Alle sich
dessen erfreuen, und zwar um so mehr, je mehr er selbst
dieses Gut geniesst (III. L. 37).
E. 1. Wer aus blossem Affekt verlangt, dass die
üebrigen das lieben, was er liebt, und dass die Uebrigen
nach seiner Weise leben, handelt in blosser Aufwallung
Spinoza, Ethik. 23
194 IV. Tbeil. Von der menschlichen Knechtschaft.
und ist deshalb widerwärtig, vorzüglich denen, die andere
Neigungen haben, und die ebenfalls sich bestreben und
mit derselben Aufwallung yerlangen, dass die üebrigen
vielmehr nach ihrer Weise leben. Weil femer das
höchste Gut, was die Menschen im Affekt begehren, oft
der Art ist, dass nur Einer dessen theilhaftig werden
kann, so kommt es, dass die, welche lieben, sich in ihrem
Sinne nicht gleich bleiben, und dass sie, während sie mit
Freude Löbliches von dem geliebten Gegenstande erzählen,
dabei fOrchten, dass man ihnen glaube.
Wer dagegen die Andern durch Vernunft zu leiten
sucht, handelt nicht in der Hitze, sondern menschlich
und sanft und bleibt sich in seinem Sinn am meisten
gleich. Ferner rechne ich Alles, was wir wünschen und
tiiun, wovon wir die Ursache sind, so weit wir die Yor-
stelluug von Gott haben, oder so weit wir Gott kennen,
zur Eeligion. Ferner nenne ich das Begehren wohlzu-
thun, was daraus entspringt, dass wir nach der Leitung
d^r Yemunft leben, Frömmigkeit. Bas Begehren endlich,
von dem ein Mensch, der nach der Leitung der Ver-
nunft lebt, erfüllt ist, sich Andere in Freundschaft zu
verbinden, nenne ich Ehrbarkeit, und ehrbar das, was
die Menschen loben, die nach der Vernunft leben, und
umgekehrt das sündlich, was der freundschaftlichen Ver-
bindung entgegen ist. Ausserdem habe ich auch gezeigt,
welches die Grundlagen des Staats sind.
Ferner ergiebt sich der Unterschied zwischen der
wahren Tugend und der Ohnmacht leicht aus dem Obigen.
Die wahre Tugend ist nämlich nur das Leben in Leitung
der Vernunft; die Ohnmacht besteht daher nur darin,
dass der Mensch von Dingen, die ausser ihm sind, sich
führen lässt und von diesen bestimmt wird, das zu thun,
was die gemeinsame Verfassung der äusserlichen Dinge
fordert, und nicht das, was seine eigene Natur, für sich
betrachtet, verlangt. Dies ist das, was ich in IV. L. 18.
E. zu. beweisen versprochen habe, woraus erhellt, dass
jenes Gesetz, die unvernünftigen Thiere nicht zu schlachten,
mehr in einem eitlen Aberglauben und einem weibischen
Mitleid, als in gesunder Vernunft begründet ist. Denn
die Vernunft lehrt uns wohl, in Verfolgung unseres
Nutzens freundschaftliche Bande mit den Menschen zu
knüpfen, aber nicht mit den unvernünftigen Thieren, oder
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 195
mit Dingen, deren Natur von der menschlichen Natur
verschieden ist; vielmehr lehrt die Vernunft, dass das-
selbe Becht, was jene gegen uns haben, wir auch gegen
sie haben. Ja, da eines Jeden Becht sich nach seiner
Tugend oder Macht bestimmt, so haben die Menschen
weit mehr ein Becht gegen die Thiere, als diese gegen
die Menschen.
Ich bestreite deshalb nicht die Empfindung bei den
Thieren, aber ich bestreite, dass es deshalb nicht erlaubt
sein soll, auf unsern Nutzen Bedacht zu nehmen, sich
ihrer nach Belieben zu bedienen und sie so zu behandeln,
wie es uns am Besten passt, indem sie ja in der Natur
nicht mit uns übereinstinunen und ihre Affekte von den
menschlichen von Natur verschieden sind (III. L. 57).
Es bleibt noch übrig, dass ich erkläre, was Becht und
was Unrecht ist, was Sünde und was Verdienst ist. Die
folgende Erläuterung ist hierüber einzusehen. '^^)
£• 2. Im Anhang zu Th. I. habe ich versprochen,
zu erläutern, was Lob und Tadel, Verdienst und Sünde,
Eecht und Unrecht sei. In Bezug auf Lob und Tadel
ist es III. L. 29. E. geschehen; von den übrigen soll
es hier geschehen. Vorher ist aber noch Einiges über
den Natur- und bürgerlichen Zustand der Menschen zu
sagen.
Jeder existirt nach dem höchten Becht der Natur,
und deshalb thut Jeder mit dem höchsten Becht der Natur
das, was aus der Nothwendigkeit seiner Natur folgt, und
deshalb beurtheilt Jeder mit dem höchsten Becht der
Natur, was gut, was schlecht ist, und sorgt für
seinen Nutzen nach seinem Sinne (IV. L. 19, 20) und
rächt sich (III. L. 40. Z. 2) und strebt, das zu erhalten,
was er liebt, und das zu zerstören, wass er hasst (III.
L. 28). Lebten nun die Menschen nach Leitung der
Vernunft, so würde Jeder von diesem seinem Bechte Ge-
brauch machen, ohne irgend einen Schaden des Andern
(IV. L. 35. Z.). Weil sie aber den Affekten unterworfen
sind (IV. L. 4. Z.), welche die Macht oder Tugend des
Menschen weit übersteigen (IV. L. 6), so werden sie oft
nach entgegengesetzten Bichtungen gezogen (IV. L. 34)
und sind sich einander entgegen (IV. L. 34), während
sie doch gegenseitiger Hülfe bedürfen (IV. L. 35. E.).
Damit also die Menschen in Eintracht leben und sich
13*
196 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
einander zu Hülfe sein können, ist es nöthig, dass sie
ihr natürliches Becht aufgeben und sich gegenseitig die
Sicherheit gewähren, nichts thun zu wollen, was zu eines
Andern Schaden gereichen könnte. Wie aber dies mög-
lich ist, dass Menschen, die nothwendig den Afekten
unterworfen (IV. L. 4. Z.) und unbeständig und ver-
änderlich sind (rV. L. 33), sich gegenseitig Sicherheit
gewähren und Wort halten können, erhellt aus IV. L. 7
und III. L. 39; nämlich daraus, dass jeder Affekt nur
durch einen stärkeren und entgegengesetzten gehemmt
werden kann, und dass ein Jeder sich der Beschädigung
Anderer enthält aus Furcht vor eigenem grösseren Schaden.
Durch dieses' Gesetz kann die Gesellschaffc gesichert
werden, sobald sie das Eecht sich aneignet, was ein
Jeder hat, sich zu rächen und über gut und schlecht das
ürtheil zu fallen. Sie muss daher die Macht haben, die
gemeinsamen Segeln des Lebens vorzuschreiben und Gesetze
zu geben und diese nicht durch Vemunftgründe, welche
die Affekte zu hemmen nicht yermögen, sondern durch
Drohungen zu befestigen (IV. L. 17. E.). Eine solche
Gesellschaffe, die durch Gesetze und die Macht sich zu
erhalten befestigt ist, heisst Staat, und diejenigen, welche
durch dessen Becht geschützt sind, heissen Bürger.
Hieraus ist leicht abzunehmen, dass es in dem Natur-
zustand nichts giebt, was nach der Uebereinstimmung
Aller gut oder schlecht ist; da in dem Naturzustände
Jeder nur für seinen Nutzen sorgt und durch kein Ge-
setz gebunden ist, einem Andern, als sich selbst, zu
folgen. Im Naturzustand giebt es deshalb keine Sünde,
wohl aber im bürgerlichen Zustande, wo durch allge-
meine Uebereinstimmung bestimmt wird, was gut und
was schlecht ist, und wo Jeder dem Staate zu gehorchen
gehalten ist. Die Sünde ist daher nur ein Ungehorsam,
welcher deshalb nur durch das Staatsgesetz bestraft
wird, und umgekehrt gilt der Gehorsam den Bürgern als
Verdienst, indem er dadurch für würdig erachtet wird,
die Vortheile des Staates zu gemessen.
Femer ist im Naturzustande Niemand nach allge-
meiner Uebereinstimmung Eigenthümer einer Sache, und
in der Natur giebt es nichts, was diesem oder jenem
Menschen gehören könnte. Vielmehr gehört Alles Allen
gemein, und man kann deshalb im Naturzustand auch keinen
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 197
Willen annehmen, Jemandem das Seinige zn geben oder
einem das, was sein ist, zu nehmen, d. h. es geschieht
nichts, was Eecht oder Unrecht genannt werden könnte;
wohl aber im bürgerlichen Zustande, wo durch gemeinsame
üebereinkunft festgestellt wird, was diesem oder was
jenem gehören soll.
Hieraus erhellt, dass das Eecht oder das Unrecht, die
Sünde oder das Verdienst äusserliche Begriffe sind und
kein Attribut, welche die Natur der Seele ausdrücken.
Doch genug hiervon.'*^)
L» 38. Was den menschlichen Körper so bestimmt,
dass er auf mehrere Arten erregt werden kanii, oder
was ihn befähigt^ fremde Körper auf mehrere Arten zu
erregen, ist dem Menschen nützlich, und um so nütz-
licher, je mehr der Körper dadurch befähigt wird, auf
mehrere Weise erregt zu werden und andere Körper
zu erregen. Umgekehrt ist das schädlich, was den
Körper weniger fähig dazu macht
B. Je mehr der Körper hierzu fähig gemacht wird,
desto fähiger wird die Seele zum Auffassen (IL L. 14), folg-
lich ist das, was den Körper in dieser Weise bestimmt und ihn
hierzu befähigt, nothwendig gut oder nützlich (IV. L.26,27)
und um so nützlicher, je mehr es den Körper dazu befähigen
kann. Umgekehrt ist etwas schädlich (II. L. 14 u. IV. L. 26,
27), wenn es den Körper hierzu weniger geschickt macht. '*''')
L. 39. Was bewirkt, dass das Verhält7iiss von
Bewegung und Ruhe, was unter den Theilen des
menschlichen Körpers besteht, erhalten bleibt, ist gut,
und umgekehrt ist das schlecht, was bewirkt, dass die
Theile des menschlichen Körpers ein anderes gegen-
seitiges VerJiältniss von Bewegung und Muhe annehmen,
B. Der menschliche Körper bedarf, um zu bestehen,
vieler anderer Körper (II. H. 4). Das aber, was das
Wirkliche in dem menschlichen Körper ausmacht, besteht
darin, dass seine Theile sich ihre Bewegung in einer festen
Weise gegenseitig mittheilen (II. L. 13. Ln. 4. D.). Was
also auf Erhaltung dieses Verhältnisses von Bewegung und
ßuhe zwischen den Theilen des Körpers hinwirkt, das
erhält das Sein des menschlichen Körpers und bewirkt
folglich (II. H. 3 und 6), dass er auf viele Weise erregt
198 rV. Theil. Von der menschliclien Enechtscliaft.
werden und fremde Körper auf viele Weise erregen kann,
und das ist deshalb gut (IV. L. 38). Was dagegen den
Theilen des menschlichen Körpers ein anderes Verhältniss
von Bewegung und Ruhe mittheilt, das bewirlrt, dass der
menschliche Körper eine andere Wirklichkeit annimmt
(n. L. 13. Ln. 4. D.), d. h. dass er zerstört wird und
folglich unfähig gemacht wird (wie von selbst klar ist nnd
am Schluss der Vorrede bemerkt worden ist), auf ver-
schiedene Weise erregt zu werden, und deshalb ist es
schlecht (IV. L. 38).
E. Wie viel dies der Seele schaden oder nützen
kann, wird im Theil V. erörtert werden. Hier ist nur
zu bemerken, dass ich dann annehme, dass der Körper
stirbt, wenn seine Theile so bestimmt werden, dass sie
ein anderes Verhältniss von gegenseitiger Bewegung und
Euhe bekommen.
Denn ich wage es nicht zu bestreiten, dass der
menschliche Körper mit Beibehaltung des Blutumlaufs
und von Anderem, weshalb er für lebend gehalten wird, den-
noch in eine andere, von seiner .völlig verschiedenen, Natur
umgewandelt werden kann. Denn kein Grund nöthi^
mich, anzunehmen, dass der Körper nur sterbe, wenn er
sich in einen Leichnam verwandelt; ja schon die Erfah-
rung lehrt es anders. Denn es trifft sich mitunter, dass
ein Mensch solche Veränderungen erleidet, dass ich ihn
nicht wohl mehr für denselben halten würde. So habe
ich von einem spanischen Dichter gehört, dass er von
einer Krankheit befallen worden war, und obgleich er von
ihr genass, doch die Erinnerung an sein früheres Leben
so gänzlich verloren hatte, dass er die Erzählungen und
Trauerspiele, welche er gemacht hatte, nicht mehr für
die seinigen hielt, und dass Mancher ihn für ein grosses
Kind hätte halten müssen, wenn er auch seine Mutter-
sprache vergessen gehabt hätte. Und wenn dies unglaub-
lich erscheint, was soll man von den kleinen Kindern
sagen? Der erwachsene Mensch hält deren Natur von
der seinigen so verschieden, dass man ihn nicht würde
überreden können, dass er je ein Kind gewesen sei, wenn
er nicht nach den Andern dasselbe auch von sich ver-
muthete. Um indess den abergläubischen Leuten nicht
Stoff zu neuen Fragen zu geben, wül ich lieber hier ab-
brechen. -*•)
lY. Theil. Von der mensehlichen Enechtsohafb. 199
L. 40. Weis ztM* Vergesellschaftung des Mensehen
ßthrt oder die Mensehen zu einem einträehtigen Leben
bestmvmty ist nützlieh, und dagegen ist das sehlechtf
was Ztmetraeht in den Staat einführt
B. Denn das, was die Menschen einträchtig leben
macht, bestimmt sie auch zu einem Leben nach Leitung
der Vernunft (IV. L. 35> und ist deshalb gut (IV. L. 26,
27), und umgekehrt ist (aus denselben Gründen) das
schlecht, was Uneinigkeit erregt.-*»)
L. 41. Die Fröhliehheit ist nicht geradezu schlecht^
sondern gut; die Traurigkeit ist aber geradezu schleeht.
B. Die Fröhlichkeit ist ein Affekt, welcher des Kör-
pers Macht zu handeln yermehrt oder unterstützt (IV. L.
II. E.); die Traurigkeit ist dagegen ein Affekt, welcher
des Körpers Macht zu handeln mindert oder hemmt
(IV. L. 38), folglich ist die Fröhlichkeit geradezu
gut u. s. w.*<>)
L, 42. Has Wohlbehagen kann kein Uebermaass
haben, sondern ist immer gut; der Trübsinn ist dagegen
immer schlecht
B. Das Wohlbehagen (man sehe seine Definition
III. L. 11. E.) ist eine Fröhlichkeit, welche in Bezug auf
den Körper darin besteht, dass alle Theile des Körpers
in gleicher Weise erregt sind, d. h. wo des Körpers
Macht zu handeln vermehrt oder unterstützt wird (HI. L. 11),
so dass alle Theile das gleiche Verhältniss gegenseitiger
Bewegung und Euhe innehalten, daher ist das Wohlbe-
hagen immer gut und kann kein Uebermaass haben
(IV. L. 39). Aber der Trübsinn (man sehe dessen Defi-
nition ni. L. 11. E.) ist eine Traurigkeit, welche in
Bezug auf den Körper darin besteht, dass des Körpers
Macht zu handeln unbedingt gemindert oder gehemmt
wird; deshalb ist er immer schlecht (IV. L. 38). **)
L. 43. Die Wollust kann ein Uebermcuiss hohen
oder schlecht sein; der Schmerz aber kann insoweit
gut sein, als die Wollast oder die Fröhlichkeit
sehlecJU ist.
200 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
B. Die Wollust ist eine Fröhlichkeit, welche in Bezug
auf den Körper darin besteht, dass einer oder einige
seiner Theile vor den übrigen erregt werden (III. L. 11. E.).
Die Macht dieses Affektes kann so gross werden, dass er
die übrigen Thätigkeiten des Körpers unterdrückt (IV. L. 6)
und ihm zäh anhaftet. So verhindert er die Fähigkeit
des Körpers, auf mehrere Weise erregt zu werden
und kann deshalb schlecht werden (IV. L. 38). Ferner
kann der Schmerz, welcher die Traurigkeit ist, far sich
betrachtet, nicht gut sein (IV. L. 41); da indess seine
Kraft und sein Zuwachs durch die Macht einer fremden
Ursache im Vergleich mit unserer bestimmt wird (IV. L. 5),
so kann man von diesem Affekt sich unzählig viele Arten
und Grade der Stärke vorstellen (IV. L. 3) und sich ihn
auch so vorstellen, dass er die Wollust von dem IFeber-
maasse zurückhält und somit hindert, dass der Körper
unfähiger wird (nach dem ersten Theil dieses Lehrsatzes).
Insoweit wird der Schmerz gut sein. *^)
L, 44. Die Liebe und das Bege/ire^i können ein
üehermaass haben*
B. Die Liebe ist eine Fröhlichkeit, begleitet von der
Vorstellung einer fremden Ursache (IV. D. 6). Die
Wollust, begleitet von der Vorstellung einer fremden
Ursache, ist also Liebe (III. L. 11. E.); folglich kann
die Liebe ein Uebermaass haben (IV. L. 43). Femer ist
das Begehren um so stärker, je stärker der Affekt ist,
aus dem es entspringt (in. L. 37). So wie. nun ein
Affekt die übrigen Thätigkeiten des Menschen unter-
drücken kann (IV. L. 6), so kann auch das aus solchem
Affekt entspringende Begehren die übrigen Begehren unter-
drücken und deshalb dasselbe Uebermaass haben, was im
vorgehenden Lehrsatze von der Wollust dargelegt wor-
den ist.
E. Das Wohlbehagen, das ich für gut erklärt habe,
wird leichter vorgestellt als beobachtet. Denn die Affekte,
von denen wir täglich erfasst werden, beziehen sich
meistentheils auf einen Theil des Körpers, der vor den
übrigen erregt wird. Deshalb haben die Affekte meist
ein Uebermaass und halten die Seele in Betrachtung eines
Gegenstandes so fest, dass sie an nichts Anderes denken
kann. Wenn nun auch die Menschen mehreren Affekten
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft 201
ausgesetzt sind oder diejenigen Menschen selten sind, die
immer nur von ein oder demselben Affekt erfasst werden,
so giebt es doch Menschen, welchen ein und derselbe
Affekt hartnäckig anhaftet. Denn man sieht manchmal
die Menschen von einem Gegenstande so erregt, dass sie
denselben tor sich zu haben glauben, obgleich er nicht
gegenwärtig ist. Wenn dies einem wachenden Menschen
begegnet, so hält man ihn für irr- oder wahnsinnig; ebenso
werden die für wahnsinnig gehalten, welche von Liebe
entbrannt sind und Tag und Nacht nur von der Geliebten
oder Buhlerin träumen ; denn sie werden meist ausgelacht.
Aber wenn der Geizige dagegen nur an Gewinn und Gold
denkt und der Ehrsüchtige nur an Buhm, so werden
diese nicht für wahnsinnig gehalten, weil sie gewöhnlich
lästig sind und eher für hassenswerth erachtet werden.
Jndess sind in Wahrheit Geiz, Ehrsucht, Wollust u. s. w.
sämmtlich Arten des Wahnsinns, obgleich sie nicht zu
den Krankheiten gezählt werden.**)
L, 46. Der Hass kann niemals gut sein.
B. Einen Menschen, den man hasst, sucht man zu
vernichten (III. L. 39), d. h. man strebt nach etwas,
was schlecht ist (III. L. 37), deshalb u. s. w.
£. Man bemerke, dass ich unter Hass hier und im
Folgenden nur den gegen die Menschen verstehe.
Z. 1. Der Neid, der Spott, die Verachtung, der Zorn,
die Eache und die übrigen zu dem Hass gehörenden oder
aus ihm entspringenden Affekte sind schlecht. Dies er-
hellt auch aus HI. L. 39 und IV. L. 37.
Z, 2. Alles, was wir, von Hass errgt, begehren, ist
schlecht und im Staate unrecht. Dies ergiebt sich auch
aus in. L. 39 und aus der Definition von Schlecht und
Unrecht in IV. L. 37. E.
E. Zwischen Spott (den ich in Z. 1. schlecht genannt
habe) und Lachen erkenne ich einen grossen Unterschied
an. Denn das Lachen, wie der Scherz, ist reine Fröh-
lichkeit, und ist deshalb, soweit sie nicht in das Ueber-
maass geräth, gut (IV. L. 41). Nur der finstere und
traurige Aberglaube kann die Fröhlichkeit verbieten. Denn
weshalb ziemt es sich mehr, Hunger und Durst zu stillen,
als den Trübsinn zu vertreiben? Dies ist meine Ansicht
und meine Gesinnung. Kein höheres Wesen, und nur der
202 IV. Theil. Von der mensehliclien Knechtschaft.
Neidische erfrent sich an meiner Ohnmacht und meinem
Schaden nnd rechnet die Thränen, das Schluchzen, die
Furcht und ähnliche Zeichen eines ohnmächtigen Geistes
für Tugend an. Im Gegentheil, je fröhlicher wir siDd,
zu desto grosserer Vollkommenheit gehen wir über, d. L
desto mehr müssen wir an der göttlichen Natur Theil
nehmen. Ein weiser Mann gebraucht deshalb die Dinge
und ergötzt sich an ihnen, so viel als möglich (nur nicht
bis zum Ekel, denn dies ist kein Ergötzen mehr). Ein
weiser Mann, sage ich, stärkt und erfreut sich dnrch
massige und angenehme Speisen und Gekunke, ebenso an
Wohlgerüchen, an der Schönheit kräftiger Pflanzen, an
Schmuck, Musik, Eampfspielen, Theater und Aehnlichem,
was Jeder ohne Nachtheil des Andern gemessen kann.
Denn der menschliche Körper besteht aus vielen Theilen
ungleicher Natur, welche fortwährend des neuen und
wechselnden Unterhalts bedürfen, damit der ganze Körper
zu Allem, was aus seiner Natur folgen kann, gleich ge-
schickt sei, und damit folglich auch die Seele gleich ge-
schickt sei, Mehreres zugleich zu erkennen. Diese Lebens-
weise stimmt vortrefflich mit meinen Grundsätzen und
mit der allgemeinen Sitte. Daher ist, wenn irgend eine,
diese Lebensweise die beste und empfehlenswertheste, nnd
ich brauche nicht deutlicher und ausführlicher darüber
zu sprechen.**)
L. 46. TVer in T^itang der Vernunft leht^ sirebtj
so viel er kann, eines Andern Hass, Zorn, VerachU&ig
u. s, w, gegen sich durch Liebe oder Edelmuth zu
vergelten,
B« Alle Affekte des Hasses sind schlecht (IV. L. 46.
Z. 1). Wer daher nach der Vernunft lebt, wird die
Affekte des Hasses, so viel er vermag, von sich abzuhalten
suchen (IV. L. 19), und er wird folglich auch Andere
von diesen Affekten abzuhalten suchen (IV. L. 37). Der
Hass wird aber durch die Erwiderung desselben ver-
grössert und kann umgekehrt durch Liebe getilgt werden
(HI. L. 33), so dass der Hass sich in Liebe veiwandelt
(in. L. 44). Folglich wird der, der nach der Vernunft
lebt, eines Andern Hass u. s. w. mit Liebe auszugleichen
suchen, d. h. mit Edelmuth (siehe dessen Definition
III. L. 59. E.).
rV. Thcil. Von der menschlichen Knechtschaft. 203
E, Wer Beleidigungen mit Hass erwidert und dadurch
rächen will, lebt wahrhaftig elend. Wer dagegen den
Hass durch Liebe zu überwinden sucht, der kämpft fröh-
lich und sicher; der widersteht ebenso leicht vielen, wie
einem Menschen und bedarf der Hülfe des Glücks am
wenigsten. Die aber, welche er besiegt, weichen ihm fröh-
lich, und zwar nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus
Zniiahme derselben. Dies Alles folgt so klar aus den
blossen Definitionen der Liebe und des Verstandes, dass
ich es nicht einzeln zu beweisen brauche.**^)
L. 47. Die Affekte der Hoffnung und Furcht
können für sich nicht gut sein.
B. Die Affekte der Hoffnung und Furcht sind nicht
ohne Traurigkeit, denn die Furcht ist eine Traurigkeit
(IV. D. 13), und Hoffnung giebt es nicht ohne Furcht
(IV. D. 12, 13); deshalb können diese Affekte für sich
nicht gut sein (TV. L. 41), sondern nur so weit, als sie
das IJebermaass der Fröhlichkeit zn hemmen vermögen
(IV. L. 43).
E. Dazu kommt, dass diese Affekte einen Mangel der
Erkenntniss und ein Unvermögen der Seele anzeigen.
Deshalb sind auch die Zuversicht, die Verzweiflung, das
Entzücken und die Gewissensbisse Zeichen eines ohnmäch-
tigen Geistes. Denn wenngleich die Zuversicht und das
Entzücken Affekte der Fröhlichkeit sind, so setzen sie
doch voraus, dass ihnen eine Trauer vorausgegangen ist,
nämlich eine Hoffnung oder Furcht. Je mehr man daher
nach der Vernunft zu leben sucht, detso mehr wird man
sich von der Hoffnung unabhängig und von der Furcht
frei zu machen und dem Schicksal so weit als möglich
zu gebieten und seine Handlungen nach der bestimmten
Weisung der Vernunft einzurichten suchen, ^i»®)
L. 48. Die Affekte der üeher Schätzung und der
Geringschätzung sind immer schlecht
B. Denn diese Affekte widerstreben der Vernunft
(m. D. 21, 22) und sind also schlecht (IV. L, 26, 27).
L. 49. Die Ueberschätzung macht den Menschen,
welchen man überschätzt, leicht stolz,
B. Wenn wir sehen, dass Jemand aus Liebe mehr.
204 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft
als recht ist, von uns hält, so werden wir leicht aufge-
blasen (IIL L, 41. E.) oder von Freude erfüUt (IV. D. 29),
und wir glauben leicht das Gute, was wir über uns
sprechen hören (UI. L. 25); folglich werden wir aus
Idebe leicht mehr, als recht ist, von uns halten, d. h.
wir werden leicht stolz werden (IV. D. 27). *')
L. 50. Das Mitleiden ist hei einem MenscJien, der
nach der Vernunft lebt, für sich schlecht und xmnütz.
B» Denn das Mitleiden ist eine Traurigkeit (in. D. 18)
und deshalb an sich schlecht (IV. L. 41) ; das Gute aber,
was aus ihm folgt, nämlich, dass man den bemitleideten
Menschen von seinem Elend zu befreien sucht (III. L. 27.
Z. 3), strebt man schon aus dem blossen Gebote der Ver-
nunft zu thun (IV. L. 37). Auch kann man das, was
man gewiss für gut hält, nur aus dem blossen Vernunft-
Gebote thun (IV. L. 27). Daher ist das Mitleiden bei
einem Menschen, der nach der Vernunft lebt, an sich
schlecht und unnütz.
Z^ Hieraus ergiebt sich, dass ein Mensch, welcher
nach den Geboten der Vernunft lebt, so viel als möglich
strebt, nicht vom Mitleiden erfasst zu werden.
E. Wer erkannt hat, dass Alles aus der Nothweudig-
keit der göttlichen Natur folgt und nach den ewigen
Eegeln und Gesetzen der Natur geschieht, der wird für-
wahr nichts finden, was Hass, Lachen oder Verachtung
verdient; er wird auch Niemanden bemitleiden, sondern,
so weit die menschliche Tugend es mit sich bringt, stre-
ben, gut zu handeln, wie man sagt, und froh zu sein.
Dazu kommt, dass der, welcher sich leicht vom Mitleiden
erfassen lässt, oft etwas thut, was ihn später selbst reut;
theils weil man im Affekt nichts thut, was man sicher
als gut anerkennt, theils weil man leicht durch falsche
Thränen getäuscht wird. Ich spreche hier nur von einem
Menschen, der nach der Vernunft lebt; denn wer sich
weder durch Vernunft noch durch Mitleiden bestimmen
lässt, Andern zu helfen, wird mit Recht unmenschlich
genannt; denn er scheint einem Menschen nicht ähnlich
zu sein (III. L. 27). 5»)
L. 51» Das Wohlwollen loiderspricht nicht der
Vemunfti sondern kann mit ihr ühereinstim,men und
aus ihr entstellen.
rv. TheiL Von der menschliclien Knechtschaft. 205
B. Denn das Wohlwollen ist eine Liebe für den,
welcher einem Andern wohlgethan hat (III. D. 19); man
kann es daher anf die Seele beziehen, so weit sie als
handelnd aufgefasst wird (EEI. L. 59), d. h. so weit sie
erkennt, und folglich kann das Wohlwollen mit der Ver-
nunft übereinstimmen u. s. w. (III. L. 3).
Anderer Beweis. Wer nach der Vernunft lebt, wünscht
das Gute, was er für sich verlangt, auch dem Andern
(IV. L. 37); deshalb wird, wenn er sieht, dass Jemand
einem Andern wohlthut, sein Streben wohlzuthun auch
gesteigert, d. h. er wird fröhlich werden (III. L. 11) und
2war begleitet von der Vorstellung dessen, der einem
Andern wohlgethan hat (nach der Annahme), und deshalb
wird er ihm wohlwollen (III. D. 19).
E. Der Unwille, wie er von mir definirt worden
(ni. D. 20.)^ ist nothwendig schlecht (TV. L. 45). Doch
ist festzuhalten, dass, wenn die höchste Staats-Gewalt in
der Absicht den Frieden zu sichern, einen Bürger straft,
welcher einen andern verletzt hat, ich nicht annehme, dass
sie auf diesen Bürger unwillig sei; denn sie straft nicht
von Hass getrieben, um den Bürger zu verderben, sondern
aus Eechtüchkeit.«»)
L. 52. Die Selbstzufriedenheit kann aus der Ym^-
nunft entspringen und nur die daratis entspringende
ist die höchste, welche es gehen kann.
B. Die Selbstzufriedenheit ist eine Fröhlichkeit, welche
daraus entspringt, dass der Mensch sich und seine Macht
zu handeln betrachtet (III. D. 25). Aber des Menschen
wahre Macht zu handeln oder Tugend ist die Vernunft
selbst (ni. L. 3), welche der Mensch klar und bestimmt
betrachtet (II. L. 40, 43); folglich entspringt die Selbst-
zufriedenheit aus der Vernunft. Femer fasst der Mensch,
während er sich selbst betrachtet, nur das klar und be-
stimmt oder zureichend auf, was aus seiner Macht zu
handeln folgt (III. D. 2), d. h. was aus seiner Macht zu
erkennen folgt (III. L. 3). Folglich entspringt aus dieser
Betrachtung allein die höchste Selbstzufriedenheit, welche
möglich ist.
E. Die Selbstzufriedenheit ist in Wahrheit das Höchste,
was man erhoffen kann. Dann (wie IV. L. 25 gezeigt
worden) erstrebt Niemand die Erhaltung seines Seins um
206 ^* TheiL Von der menschlichen Enechtschaffc.
eines Zwecks willen; und weil diese Selbstzufriedenheit
mehi- und mehr durch Lob gesteigert und gestärkt wird
(L. 55. Z.) und umgekehrt durch Tadel mehr und mehr
gestört wird (III. L. 55. Z.), so gilt uns der Euhm als
das Höchste, und deshalb kann man ein Leben in Schande
kaum ertragen. 6®)
L. 63. Die Nieder geschlagenlieii ist keine Tugend
odefi' entspringt nicht aus der Vernunft
B. Die Niedergeschlagenheit ist eine Traurigkeit,
welche daraus entspringt, dass der Mensch seine Ohn-
macht betrachtet (III. D. 26). So weit aber der Mensch
sich selbst durch die wahre Vernunft erkennt, so weit
gilt er als ein solcher, der sein Wesen erkennt, d. h.
seine Macht (III. L. 7). Wenn daher ein Mensch bei
Betrachtung seiner selbst eine Ohnmacht seiner bemerkt,
so kommt dies nicht davon, dass er sich erkennt, sondern
davon, dass seine Macht zu handeln gehemmt ist (III. L. 55).
Wenn wir aber annehmen, dass ein Mensch seine Ohn-
macht davon ableitet, dass er etwas Mächtigeres, als er
selbst ist, erkennt, durch dessen Erkenntniss er seine
eigene Macht zu handeln begrenzt, so haben wir damit
nur vorgestellt, dass der Mensch sich selbst bestimmt er-
kennt (IV. L. 26), was seine Macht zu handeln unterstützt.
Deshalb entspiingt die Niedergeschlagenheit oder Trau-
rigkeit, welche aus der Betrachtung der eigenen Ohnmacht
hervorgeht, nicht aus einer wahren Betrachtung oder aus
der Vernunft und ist auch keine Tugend, sondern ein
leidender Zustand, ^i)
L. 54. Die Reue ist keine Tugend oder entspringt
nicht aus der Veimunft^ sondern d&i\ der eine Hand-
lung bereut, ist zwiefach elend oder ohnmächtig.
B. Der erste Theil dieses Lehrsatzes wird so bewiesen,
wie der vorgehende Lehrsatz; der zweite Theil ergiebt
sich aus der blossen Definition dieses Affektes (III. D. 27).
Denn ein solcher Mensch lässt sich erst durch eine
schlechte Begierde und dann durch Traurigkeit über-
winden.
£. Da die Menschen selten nach der Vernunft leben,
so bringen diese beiden Affekte, nämlich die Niederge-
schlagenheit und die Beue und neben ihnen auch die
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 207
Hoffnung und die Fnrcht mehr Nutzen als Schaden, und
wenn mithin einmal gesündigt werden soll, so möge man
mehr nach dieser Seite hin sündigen. Denn wenn die
ihrer Vernunft nicht mächtigen Menschen alle gleich stolz
wären, so würden sie sich keiner Sache schämen, und sie
würden nichts fürchten und durch keine Bande gefesselt
werden können. »Der Pöbel ist fürchterlich, wenn er
nicht förchtet.« Man "darf sich daher nicht wundem,
dass die Propheten, welche den Nutzen Aller und nicht
Einzelner im Auge hatten, die Niedergeschlagenheit, Reue
nnd Ehrfurcht so stark empfohlen haben. Und in W^ahr-
heit können die Menschen, welche diesen Affekten unter-
than sind, viel leichter als andere dahin gebracht werden,
dass sie nach der Vernunft leben, d. h., dass sie frei
sind und das Leben eines Seligen gemessen. ®^)
L. 55. Der höchste Stolz und der höchste Klein-
mut ist die höcliste Unkenntniss seiner selbst
B. Dies erhellt aus III. D. 28, 29.
L. 66« Der höchste Stolz und der höchste Klein-
muth bezeichnet die grösste Ohnmacht der Seele,
B. Die erste Grundlage der Tugend ist, sein Sein zu
erhalten (IV. L. 22. Z.), und zwar nach Vorschrift der
Vernunft (IV. L. 24). Wer also sich selbst nicht kennt,
kennt die Grundlage aller Tugenden und folglich auch
diese selbst nicht. Ferner ist das Handeln aus Tugend
nur das Handeln nach Vorschrift der Vernunft (IV. L. 24),
und wer nach Vorschrift der Vernunft handelt, muss sich
nothwendig dessen bewusst sein (II. L. 43). Wer also
sich selbst und folglich (wie eben gesagt worden) die
Tagenden durchaus nicht kennt, der handeltt nicht aus
Tugend, d. h. er ist geistig am ohnmächtigsten (IV. D. 8).
Mithin ist der höchste Stolz oder der höchste Klein-
mnth ein Zeichen der höchsten geistigen Ohnmacht
(IV. L. 55).
Z, Hieraus ergiebt sich, dass der Stolze und der
Kriechende am meisten den Affekten unterworfen sind.
E. Die Kriecherei kann indess leichter verbessert wer-
den als der Stolz, da dieser ein Affekt der Fröhlichkeit,
jener aber einer der Trauer ist; der Stolz ist deshalb
stärker als die Selbsterniedrigung (IV. L. 18). «*)
208 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
L. 67. Der Stolze liebt die Gegenwart de9* Schma-
rotzer Und Schmeichler^ aber hasst die der Edel-
müthigen,
B. Stolz ist eine Fröhlichkeit, welche daher kommt,
dass der Mensch mehr als recht ist von sich hält (in. D.
28 und 6), welche Meinung der Stolze möglichst zu stei-
gern sucht (ni. L. 13. E.). Deshalb wird er die Gegen-
wart der Schmarotzer und Schmeichler lieben (deren
Definition ich, als allbekannt, weggelassen habe) und wird
die der Edelsinnigen fliehen, die von ihm, was recht ist.
denken.
E. Es wäre zu lang, wollte ich hier alle Uebel des
Stolzes aufzahlen, da die Stolzen allen Affekten unter-
worfen sind und am meisten denen der Liebe und des
Mitleidens. Indess darf hier nicht verschwiegen werden,
dass auch derjenige stolz genannt wird, welcher die
übrigen für geringer, als recht ist, hält. In diesem Sinne
ist der Stolz eine Fröhlichkeit, welche aus der falschen
Meinung entspringt, dass ein Mensch sich über die andern
erhebt. Die Selbsterniedrigung, als das Gegentheil dieses
Stolzes, ist die Traurigkeit, welche aus der falschen Mei-
nung entspringt, dass ein Mensch sich für niedriger als
die andern hält. Bei dieser Annahme begreift man leicht,
dass der Stolze nothwendig neidisch ist (III. L. 35. E.)
und zugleich die hassen wird, welche wegen ihrer Tugen-
den gerühmt werden, und dass er diesen seinen Hass
nicht leicht durch Liebe oder Wohlthaten wird besiegen
lassen (III. L. 41. E.) und sich nur an der Gegenwart
derer erfreuen wird, die seinem ohnmächtigen Geiste den
Willen thun und aus einem Dummen einen Verrückten
machen. Die Selbsterniedrigung, obgleich dem Stolze
entgegengesetzt, ist doch dem Stolze am nächsten. Denn
da die Traurigkeit des Ersten daraus entspringt, dass er
seine Ohnmacht nach der Andern Macht oder Tugend
beurtheilt, so wird seine Traurigkeit erleichtert, d. h. er
wird fröUich werden, wenn sein Vorstellen sich mit der
Betrachtung der Fehler Anderer beschäftigt. Daher kommt
das Sprichwort: »Trost für die Unglücklichen ist's, Ge-
nossen des Unglücks zu haben.« Umgekehrt wird er
desto mehr betrübt, je mehr er unter Andern zu stehen
glaubt; deshalb sind die Kriechenden am meisten zum
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 209
Neid geneigt ; auch suchen sie am meisten das Thun des
Menschen zu beobachten, mehr, um zu verleumden, als
zu bessern; ebenso loben sie nur die Erniedrigung und
rühmen sich ihrer, aber so, dass sie immer den. Schein
der Niedrigkeit bewahren.
Dies Alles folgt aus diesem Affekte so nothwendig, als
aus der Natur des Dreiecks, dass seine drei Winkel
gleich zwei rechten sind. Ich habe schon gesagt, dass
ich diese Affekte schlechte nenne, insofern ich bloss
auf den Nutzen des Menschen Rücksicht nehme. Aber
die Naturgesetze nehmen auf die allgemeine Ordnung der
Natur, von der der Mensch nur ein Theil ist, Rücksicht. Ich
habe dies im Vorbeigehen hier bemerken wollen, damit
nicht Jemand meine, ich wollte hier nur die Fehler und
Verrücktheiten der Menschen erzählen und nicht die Natur
und die Eigenschaften der Dinge darlegen. Denn, wie
ich in der Vorrede zum dritten Theil gesagt habe, be-
trachte ich die menschlichen Affekte und deren Eigen-
schaften ganz wie natürliche Gegenstände. Und sicherlich
sind die menschlichen Affekte die Zeichen der Macht oder
Kunst, wenn nicht der Menschen, doch der Natur nicht
minder, als vieles Andere, was man bewundert, und an
dessen Betrachtung man sich erfreut. Doch fahre ich
fort, von den Affekten das aufzuzählen, was den Menschen
nützt und, was ihnen schadet. ®^)
L. 68. Der Ruhm widerstrebt nicht dei' Vemunftj
sondern kann aus ihr entspringen,
B. Dies ergiebt sich aus III. D. 30 und aus der
Definition des Ehrbaren IV. L. 37. E. 1.
E. Der sogenannte eitle Ruhm ist die Selbstzufrieden-
heit, welche bloss von der Meinung der Menge genährt
wird und, wenn diese aufhört, selbst aufhört. Sie ist das
höchste Gut (IV. L. 52. E.), was jeder liebt. Daher
kömmt es, dass, wer seinen Ruhm auf die Meinung der
Menge stützt, in täglicher Sorge sich müht, arbeitet und
versucht, seinen Ruhm zu erhalten. Denn die Menge ist
unbeständig und veränderlich, lässt sch&ell nach, wenn
der Ruf sich nicht erhält; ja, da Alle nach dem Beifall
der Menge streben, so drängt Einer leicht den Ruf des
Andern zurück. Daraus entspringt, weil es sich nach
ihrer Schätzung um das höchste Gut handelt, ein unge-
Spinoza, Ethik. ^^
210 IV. Theil. Von der menschlicfaeu Knechtschaft.
heurer Eifer, einander auf jede Weise zu unterdrücken,
nnd wer endlich als Sieger hervorgeht, rühmt sich mehr
dessen, dass er den Andern geschadet, als dass er sich
g^ützt habe. Daher ist dieser Eahm oder diese Sell)st-
Zufriedenheit in Wahrheit eitel, weil sie keine ist
Was über die Scham zu sagen ist, lässt sich leicht
aus dem abnehmen, was ich über das Mitleid oder die
Beue gesagt habe. Ich füge nur das hinzu, dass das
Erbarmen, wie die Scham, zwar keine Tugend, aber doch
gut ist, insofern sie erkennen lässt, dass dem Menschen,
der von Scham überlaufen wird, das Streben, rechtlich zu
leben, innewohnt; ebenso wie der Schmerz insoweit für
' gut gilt, als er anzeigt, dass der verletzte Theil noch
nicht verfault ist. Wenngleich also ein Mensch, der sich
einer Handlung schämt, in Wahrheit traurig ist, so ist
er doch besser als der Unverschämte, welcher gar keinen
Willen, ehrbar zu leben, hat.**)
Dies ist es, was ich über die Affekte der Fröhlichkeit
und Traurigkeit bemerken wollte. Was die Begierden
anlangt, so sind sie gut oder schlecht, je nachdem sie
aus guten oder schlechten Affekten entspringen. Doch
sind sie in Wahrheit blind, so weit sie aus Affekten in
uns erzeugt werden, welche ein Leiden sind (wie leicht
aus dem zu IV. L. 44. E. Gesagten zu entnehmen ist).
Sie hätten keinen Nutzen, wenn die Menschen leicht dahin
gebracht werden könnten, bloss nach den Geboten der
Vernunft zu leben, wie ich jetzt mit Wenigem zeigen will.
L. 59. Zu allen Handlung en^ zu welcJien wir aus
einem ein T^eiden enthaltenden Affekt bestimmt werden,
können wir, auch ohne solchen, durch die Vemunjt
bestimmt werden,
B. Aus der Vernunft handeln ist nichts Anderes
(III. L. 3. D. 2), als das thun, was aus der Nothwendig-
keit unserer Natur an sich folgt. Aber die Traurigkeit
ist so weit schlecht, als sie diese Macht zu handeln min-
dert oder henmit (IV. L. 41), mithin können wir durch
diesen Affekt zu keiner Handlung bestimmt werden, die
wir nicht vornehmen könnten, wenn die Vernunft uns
leitete. Femer ist die Fröhlichkeit nur insoweit schlecht,
als sie die Fähigkeit des Menschen znm Handeln hin-
dert (IV. L. 41, 43), und auch insoweit können wir zu
lY. Theil. Von der menschlicben Eneditschaft. 211
keiner HandluBg bestimmt werden, die wir nicht auch in
Leitung der Vernunft vornehmen könnten.
So weit endlich die Fröhlichkeit gut ist, stimmt sie
mit der Vernunft überein (denn sie besteht in einer Ver-
mehrung oder Unterstützung der Macht des Menschen zu
handeln), und sie ist nur ein Leiden, so weit des Men-
schen Macht zu handeln nicht so weit gesteigert wird,
dass er sich und seine Handlungen zureichend, begreift
(in. L. 3. E.). Wenn daher der durch Fröhlichkeit er-
regte Mensch zu solcher Vollkommenheit gebracht würde,
dass er sich und seine Handlungen zureichend begriffe,
so wäre er zu denselben Handlungen, zu denen er jetzt
durch die, ein Leiden enthaltenden Affekte bestimmt wird,
beföhigt, ja noch mehr als jetzt. Alle Affekte fallen aber
unter die Fröhlichkeit, Traurigkeit oder das Begehren
(in. D. 4), und das Begehren ist nur das Streben zu
handeln selbst (III. D. 1). Deshalb kann man zu allen
Handlungen, zu welchen ein leidender Affekt bestimmt,
auch ohce solchen durch die blosse Vernunft bestimmt
werden.
Ein anderer Beweis. Jede Handlung gut inso-
weit als schlecht, als sie aus dem Hass oder einem andern
schlechten Affekt entspringt (IV. L. 45. Z. 1). Keine
Handlung aber ist an sich gut oder schlecht (IV. Vor-
rede), sondern dieselbe Handlung ist bald gut, bald
schlecht. Folglich kann man zu einer Handlung, die
jetzt schlecht ist, oder die aus einem schlechten Affekt
entspringt, durch die Vernunft bestimmt werden (IV. L. 19).
E, Ein Beispiel wird dies deutlicher machen. Die
Handlung des Prügeins, physisch betrachtet und nur so
aufgefasst, dass der Mensch seinen Arm hebt, die Hand
schliesst, den ganzen Arm mit Kraft rückwärts bewegt,
ist eine Tugend, welche sich aus dem Bau des mensch-
lichen Körpers erklärt. Wenn also ein Mensch aus Zorn
oder Hass die Hand schliesst oder den Arm bewegt, so
geschieht es, wie ich in Th. II. gezeigt habe, weil die-
selbe Handlung mit mehreren Vorstellungen von Dingen
verknüpft werden kann. Man kann daher sowohl durch
verworrene bildliche Vorstellungen der Dinge, wie durch
klare und bestimmte zu einer und derselben Handlung
bestimmt werden. Es erhellt also, dass das Begehren,
was aus leidenden Affekten entspringt, überflüssig wäre,
14*
212 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
wenn die Menschen durch die Vernunft sich führen
Hessen. ®®)
Wir wollen nun sehen, weshalb die Begierde, welche
aus einem leidenden Affekt entspringt, von mir blind ge-
nannt worden ist.
L. 60. Ein Begehren, was aus einer Fröhlich-
keit oder Traiimgkeit entspringt^ welche nur auf
einen ode?' einige, nicht aber mvf alle 2 heile d^s Kör-
pers sich bezieht, hat keinen Nutzen für den ganzen
MenscJwn,
B. Man nehme z. B. an, dass der Theil A. des Kör-
pers durch die Kraft einer fremden Ursache so verstärkt
wird, dass er den andern überlegen ist (IV. L. 6), so
wird dieser Theil nicht streben, seine Kraft zu verliei'en,
damit die übrigen Theile des Körpers in ihrer Verrich-
tung bleiben ; denn er müsste dann eine Kraft oder Macht
haben, seine Kräfte zu verlieren, was widersinnig ist (HL
L. 6). Jener Theil und folglich auch die Seele werden
also streben, diesen Zustand zu erhalten (III. L. 7, 12),
und deshalb nimmt das aus einem solchen Affekt der
Fröhlichkeit entspringende Begehren keine Eücksicht auf
das Ganze. Nimmt man umgekehrt an, dass der Theil
A. so gehemmt wird, dass die übrigen ihm überlegen
sind, so ergeben die gleichen Schlussfolgerungen, dass
auch das aus der Traurigkeit entspringende Begehren
keine Eücksicht auf das (ranze nimmt.
E. Da mithin die Fröhlichkeit sich meistentheils nur
auf einen Theil des Körpers bezieht (IV. L. 44. E.), so
strebt man meistentheils, sein Sein zu erhalten, ohne Eück-
sicht auf den ganzen Gesundheitszustand. Dazu kommt,
dass die Begierden, von denen man am meisten erfasst
wird (rV. L. 9. Z.), nur Eücksicht auf die Gegenwart
und nicht auf die Zukunft nehmen.®'')
L. 61. Ein Begehren, was aus der Ve^munft ent-
springt, kann kein Uebermaass haben,
B« Das Begehren an sich und unbedingt betrachtet
(III. D. 1) ist das Wesen des Menschen selbst, so weit
es aufgefasst wird als irgeödwie zu einem Handeln be-
stimmt. Deshalb ist das Begehren, welches aus der
Vernunft entspringt, d. h. welches in uns erzeugt wird,
IV. TheiL Von der menschlich«!! Knechtschaft, f"
während wir handeln (III, L. 3), des Menschen Wi
oder Natur selbst, insoweit sie vorgestellt wird als
stimmt, das zu thnn, was durch das blosse Wesen
Menschen zureichend begriffen wird (III. D. 2). W
daher dieses Begehren ein üebermaass haben konnte,
~ kannte die menBchliche Natur, für sich betrachtet, :
seibat tbers oh reiten, oder sie könnte mehr als aie ki
TOS ein offenbarer Widerspruch ist. Mithin kann
solches Begehren kein Üebermaass haben. "")
L. 62. So weit die Seele einen Gegenstand n
dar VornchTift der Verftunit aujfaaat, low'rf aie gL
»refft, -mag die Vorateünng die ein^K kommew.
oder eines vergangaum, oder eines gegenwärtigen Get,
ftandes sem.
B. Alles, was die Seele unter Leitung der Terrn
auf^t, geschieht unter ein und derselben Bezieh
anf die Ewigkeit oder Noth wendigkeit (II. L. 44. Z.
und hat die gleiche Gewissheit (II. L. 43. E.). 1
also die Vorstellung die einer kommenden, oder e
veigangenen, oder einer gegenwärtigen Sache sein, ho
fasst die Seele die Sache immer mit derselben St
wendigkeit und hat dieselbe Gewissheit, und die Vors
lang wird gleich wahr sein, mag sie die einer kommen
Sache sein, oder einer vergangenen, oder einer geg
wärtigen (II. L. 41); d. h. sie wird immer die Eif
Schäften einer zureichenden Vorstellung haben (II. D.
So weit also die Seele einen Gegenstand nach der A
Schrift der Vernunft auflasst, wird aie gleich erregt, i
die Vorstellung die einer kommenden, vergangenen c
gegenwärtigen sein.
E. Wenn wir eine zureichende Kenntniss über
Dauer der Dinge hätten und vermöchten, die Zeit il
Existenz durch die , Vernunft zu bestimmen, so wüi
wir die kommenden und die gegenwärtigen Dinge
demselben Affekt betrachten, und die Seele würde
Gute, was sie sich als zukünftig vorstellt, ebenso wie
gegenwärtiges begehren. Sie würde dann ein gering
gegenwärtiges Gut nothwendig einem grösseren znküi
gen Gnte nachsetzen und das gegenwärtige Gute, sol
es die Ursache eines grösseren zukünftigen Uebels
nicht begehren, wie ich gleich zeigen werde. AI
214 IV. Theil. Von der menscblich^i Knechtschaft.
wir können über die Daner der Dinge nnr eine sehr un-
zureichende Eenntniss erlangen (IE. L. 31), und wir be-
stimmen die Zeit der Existenz der Dinge lediglich nach
dem bildlichen Vorstellen (11. L. 44. E.), welches von
dem Bilde einer gegenwärtigen und einer znkönftigen
Sache nicht gleieh erregt wird.
Daher kommt es, dass unsere wahre Kenntniss des
Guten und Schlechten nur abstract oder universal ist,
und dass dies IJrtheil, was wir über die Ordnung und
ursachliche Verknüpfung der Dinge fallen, um das für
die Gegenwart Gute und Schlechte zu bestimmen, mehr
Einbildung als Wirklichkeit ist. Man darf sich daher
nicht wundem, dass ein Begehren, was aus der Kenntniss
des Guten und Sohlechten, so weit es das Zukünftige be-
trifft, entspringt, leicht durch ein Begehren nach Dingen
gehemmt werden kann, welche in der Gregenwart ange-
nehm sind (IV. L. 18).«»)
L. 63. Wer durch die FurM sich bestimmen lässt
und das Gute tfiut, um das Schlechte zu vermeideny
/tändelt nicht in heitung der Vernwift
B. Alle Affekte, welche sich auf die Seele, sofern
sie handelt, d. h. welche sich auf die Vernunft beziehen
(in. L. 3), sind nur Affekte der Fröhlichkeit und des
Begehrens (III. L. 49). Wer sich also von der Furcht
bestimmen lässt (EH. D. 13) und das Gute nur ans
Scheu vor dem Uebel thut, der wird nicht von der Ver-
nunft geleitet.
E. Frömmler, welche mehr verstehen, die Laster zu
tadeln, als die Tugenden zu lehren, und welche die Men-
schen nicht durch die. Vernunft leiten, sondern in Furcht
erhalten wollen, damit sie mehr das Schlechte fliehen, als
die Tugend lieben, haben nichts Anderes im Sinne, als
dass die Anderen ebenso elend werden wie sie selbst;
man kaim sich daher nicht wundem, wenn sie den Men-
schen meist lästig und verhasst sind.
Z. Bei dem aus der Vernunft entspringenden Begehren
sucht man das Gute geradezu und flieht das üebel nur
mittelbar.
B. Denn das aus der Vernunft kommende Begehren
kann nur aus dem Affekt der Fröhlichkeit, welche kein
Leiden ist, entstehen (III. L. 59), d. h. aus einer Froh-
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 215
lichkeit, welche kein Uebermaass haben kann (IV. L. 61)
und nicht aus einer Traurigkeit. Femer entspringt dieses
Begehren aus der Eenntniss des Guten und nicht des
Schlechten (IV. L. 8); folglich erstrebt man in Leitung
der Vernunft das Gute geradezu und flieht nur deshalb
das Uebel.
E. Ich will diesen Zusatz durch das Beispiel eines
Kranken und Gesunden erläutern. Der Kranke nimmt
das, was er verabscheut, aus Furcht vor dem Tode ein;
der Gesunde freut sich aber der Speise und geniesst des-
halb sein Leben mehr, als wenn er den Tod fürchtete
und ihn geradezu vermeiden wollte. Ebenso wird ein
Eichter, welcher nicht aus Hass oder Zorn, sondern aus
Liebe für das öffentliche Wohl einen Schuldigen zum
Tode verurtheilt, nur von der Vernunft bestimmt.''^)
L. 64. Die Kenntnüs des Sehleehten ist eine
unzureieliende Kenniniss.
B. Die Kenntniss des Schlechten ist die Traurigkeit
selbst (IV. L. 8), welche sich ihrer bewusst ist. Die
Traurigkeit ist aber ein Uebergang zu einer geringeren
Vollkommenheit (III. D. 3), welche daher durch das
Wesen der Menschen nicht erkannt werden kann (IIL
L. 6, 7), und deshalb ist sie ein Leiden (III. D. 2), wel-
ches von unzureichenden Vorstellungen abhängt (IIL
L. 3), und deshalb ist ihre Kenntniss, d. h. die des
Schlechten (II. L. 29), eine unzureichende.
Z. Hieraus erhellt, dass wenn die menschliche Seele
nur zureichende Vorstellungen hätte, sie den Begriff des
Schlecten nicht bilden wurde. '5'^)
L. 65. Von zwei Gütern wird das grössere und
von zwei Uebeln das kleinei'e in Mehrung der Ver-
nunft verfolgt.
B: Ein Gut, was uns an dem Genuss eines grösseren
kiadert, ist in Wahrheit ein Uebel. Denn schlecht und
gut wird (wie IV. Vorrede gezeigt worden) von den
Dingen, sofern sie mit einander verglichen werden, aus-
gesagt. Ebenso ist das geringere Uebel in Wahrheit ein
öat (aus gleichem Grunde). Deshalb werden wir, wenn
wir der Vernunft folgen (IV. L. 64. Z.), nur das
216 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
grössere Gut und das, geringere Uebel begehren oder ver-
folgen.
Z. Wir werden ein geringeres Uebel um eines grösseren
Gutes willen in Führung der Vernunft verfolgen und ein
geringeres Gut, wenn es die Ursache eines grösseren
Uebels ist, bei Seite lassen. Denn das hier als das klei-
nere bezeichnete Uebel ist in Wahrheit ein- Gut, und da-
gegen das Gut ein Uebel; wir werden daher jenes be-
gehren und dieses bei Seite lassen (IV. L. 64. Z.). ^)
L. 66. In Leitiing der Vernunft wird man das
grösse^'e zukünftiga Ghit einem kleineren gegenwärtigen
vo7'ziehenj und ebenso ein kleineres gegenwärtiges Uebelj
was die zukünftige Ursache eines Gutes ist,
B. Wenn die Seele die zureichende Kenntniss einer
zukünftigen Sache haben könnte, so würde sie von der-
selben ebenso wie von einer gegenwärtigen en'egt werden
(IV. L. 62); beachtet man hier nur die Vernunft, wie
hier vorausgesetzt worden ist, so bleibt es sich gleich,
ob ein grösseres Gut oder Uebel als zukünftig oder als
gegenwärtig aufgefasst wird, und deshalb wird man ein
zukünftig grösseres Gut mehr als ein kleineres gegen-
wärtiges begehren u. s. w.
Z. Ein kleineres gegenwärtiges Uebel, was die Ursache
eines grösseren zukünftigen Gutes ist, werden wir, der
Vernunft folgend, begehren und ein geringeres gegen-
wärtiges Gut, was die Ursache eines grösseren kommen-
den Uebels ist, bei Seite lassen. Dieser Z. verhält sich
zu L. 66 wie der Z. zu L. 65.
E. Wenn man dies mit dem vergleicht, was ich in
diesem Theil IV. bis zu L. IS über die Kräfte der Affekte
dargelegt habe, so kann man leicht sehen, wodurch sich
ein Mensch, der sich nur vom Affekte und von der Mei-
nung leiten lässt, von dem unterscheidet, welchen die
Vernunft leitet. Denn Jener will und verabscheut und
thut das, was er am wenigsten kennt; dieser aber folgt
nur sich selbst und thut nur das, was er als das Wich-
tigste im Leben erkannt hat, und was er deshalb am
meisten begehrt. Jenen nenne ich deshalb einen Sclaven,
und diesen nenne ich einen Freien. Ueber dessen Geist
und Lebensweise will ich noch Einiges bemerken. '*)
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 217
L« 67. Dei* freie Mensel v denkt an nichts wenig ei'
ah an den 2od^ und seine Weis/ieit besteht im Nach-
denken über das Leben und nicht über den Jod.
B. Der freie Mensch, d. h. der nur nach den Geboten
der Vernunft lebt, wird von der Todesfurcht nicht be-
stimmt (IV. L. 63), sondern er begehrt geradezu das
Gute (IV. L. 63. Z.), d. h. er will handeln, leben und
sein Dasein erhalten auf der Grundlage der Verfolgung
seines eigenen Nutzens (IV. L. 24). Er denkt daher am
wenigsten an den Tod, vielmehr ist seine Weisheit ein
Nachdenken über das Leben. ''^)
L. 68. Wenn die Menschen frei geboren xcürden,
so vyurden sie keine Begriffne von Gut und Schlecht
bildenj so lange sie frei bUeben.
B. Ich habe den frei genannt, welcher bloss von der
Vernunft geleitet wird; wer daher frei geboren wird und
bleibt, hat daher nur zureichende Vorstellungen und mithin
keinen Begriff von- Schlecht (IV. L. 64. Z.), und folglich
auch nicht von Gut, da dies Wechselbegriffe sind.
£. Es erhellt aus IV. L. 4, dass die Voraussetzung
dieses Lehrsatzes eine falsche ist und nur angenommen
werden kann, wenn man bloss auf die menschliche Natur,
oder vielmehr auf Gott Acht hat, nicht sofern er unend-
lich ist, sondern sofern er bloss die Ursache ist, warum
der Mensch existirt. Dieses und Anderes, was ich hier
dargelegt habe, scheint schon von Moses in jener Ge-
schichte vom ersten Menschen angedeutet zu sein. In
dieser wird nämlich keine andere Macht Gottes angenom-
men, als die, wodurch er den Menschen geschaffen hat,
d. h. die Macht, welche nur für den Nutzen des Menschen
gesorgt hat. Deshalb sagt die Erzählung, dass Gott den
freien Menschen verboten habe, von dem Baume der Er-
kenntniss des Guten und Schlechten zu essen, und dass,
sobald er davon esse, er mehr den Tod fürchten als zu leben
wünschen würde. Femer, dass, als der Mann das Weib
fand, welches mit seiner Natur ganz übereinstimmte, er
erkannte, dass es in der Natur Nichts gäbe, was ihm
nützlicher als dieses sein könnte; als er aber später glaubte,
dass die unvernünftigen Thiere ihm ähnlich seien, habe er
sofort deren Affekte nachzuahmen begonnen (III. L. 27)
218 IV. TheiL Von der menschlichen Knechtschaft.
und seine Freiheit verloren, welche die Erz- Väter später
wiedergewonnen habra, geföhrt vom (reiste Christi, d. h.
geführt von der Vorstellung Gottes, welche allein es be-
dingt, dass der Mensch frei ist, und das Gute, was er
für sich begehrt, auch für andere Menschen begehrt, wie
ich oben gezeigt habe (TV. L. 37). '*)
L. 69. Die laugend des freien Mense/i-en zeigt sieh
gleich gross in Vermeidtmg, wie in Ueberwindung der
Gefa/tren,
B. Die Affekte können nur gehemmt und aufgehokn
werden durch einen entgegengesetzten und stärkeren Affekt
(IV. L. 9). Die Tollkühnheit und die Furcht sind
Affekte, die man sich als gleich gross (IV. L. 5, 3) vor-
stellen kann. Es ist daher eine gleich grosse Tagend
oder Stärke der Seele nothwendig, um die Tollkühnheit,
wie die Furcht zu hemmen (in. L. 59. E.), d. h. der
freie Mensch vermeidet die Gefahren mit derselben Tagend,
mit welcher er sie zu überwinden sucht (TV. D. 40, 41).
Z. Dem freien Menschen wird deshalb die zeitige
Flucht für eine ebenso grosse Herzhaftigkeit wie der
Kampf angerechnet, oder der freie Mensch wählt mit
derselben Herzhaftigkeit oder Geistesgegenwart den Kampf
wie die Flucht.
E. Was die Herzhaftigkeit ist und ich darnnter
verstehe, habe ich III. L. 59. E. erklärt. Unter Gefahr
verstehe ich aber Alles, was die Ursache eines üebels,
also der Traurigkeit, des Hasses, der Uneinigkeit u. s. w.,
sein kann. '5^*)
L. 70, Der freie Mensch, welcher unter Unwissen-
den lebt, sucht so viel als möglich deren WohÜhcUen
zu vermeiden,
B. Jeder beurtheilt nach seinem Verstände, was gut
ist (III. L. 39. E.). Deshalb wird der Unwissende, wel-
cher einem Andern eine Wohlthat erwiesen hat, diese
nach seiner Meinung abschätzen und sich betrüben, wenn
er sieht, dass der Empfänger sie geringer schätzt
(ni. L. 42). Aber ein freier Mensch sucht die Uehrigen
durch Freundschaft sich zu verbinden (IV. L. 37) und
ihnen keine Wohlthaten wieder zu erweisen, welche Jene
nach ihren Affekten für gleich gross halten, sondern sich
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 219
und die Andern nach der freien Bestimmung der Ver-
nunft za leiten and nur das zu thun, was er als das
Höchste erkannt hat. Daher wird der freie Mensch, um
nicht bei den Unwissenden in Hass zu gerathen und um
nur der Vernunft, aber nicht ihren Begierden zu folgen,
so viel als möglich deren Wohlthaten vermeiden.
E. Ich spreche: »so viel als möglich.« Denn wenn
die Menschen auch unwissend sind, so sind sie doch
Menschen, welche in der Noth menschliche Hülfe ge-
währen können, über die eö nichts Besseres giebt. Daher
ist es nöthig, Wohlthaten von ihnen anzunehmen und folg-
lich auch, ihnen nach ihrem Sinne dankbar zu sein. Es
kommt hinzu, dass auch bei Vermeidung der Wohlthaten
Vorsicht nothwendig ist, üamit es nicht scheine, als ver-
achte . man sie, oder scheute aus Geiz die Wieder- Ver-
geltung, so dass, während wir ihren Hass zu vermeiden
suchen, wir gerade dadurch sie beleidigen. Es ist deshalb
bei Vermeidung der Wohlthaten Eücksicht auf das Nütz-
liche und den Anstand zu nehmen. '^'7)
L^ 71« Ntir die freien Menaclien sind die dank-
barsten gegen einander.
B. Nur die freien Menschen sind einander die nütz-
lichsten und sind durch die Bande der Freundschaft am
stärksten mit einander verbunden (IV. L. 35. Z. 1) und
streben mit gleichem Liebeseifer, einander wohlznthun
(IV. L. 37). Daher sind nur die freien Menschen die
dankbarsten gegen einander (III. D. 34). ^
E. Die gefällige Gesinnung, welche Menschen für ein-
ander haben, welche von der blinden Begierde geführt
werden, ist meistentheils mehr Handel und Köder als
Dankbarkeit. Ferner ist die Undankbarkeit kein Affekt;
doch ist sie hässlich, weil sie meistens anzeigt, dass der
Mensch zu sehr von Hass, Zorn, Stolz oder Geiz erfüllt
ist. Denn wer aus Dummheit die Geschenke nicht .er-
widern kann, ist nicht undankbar, und noch weniger der,
welcher sich durch die Geschenke einer Buhlerin nicht
zum Diener ihrer Lüste machen lässt, oder durch die des
Diebes zum Hehler seiner Diebstahle oder durch ähnliche
Dinge. Denn dies zeigt vielmehr von Standhaftigkeit der
Sinnesart, die sich durch keine Geschenke zu seinem oder
dem allgemeinen Verderben verführen lässt.'*)
■w«- 'k -i(--
220 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
L. 72, Der freie Mensch handelt niemals m böser
Ahsichty sondern ininner ehrlich,
B. Wenn ein freier Mensch als solcher etwas in böser
Absicht thäte, so müsste er es als Gebot der Vernunft
thun (denn nur insoweit gilt er uns als frei). Mithin
wäre das Handeln ans böser Absicht eine Tugend
(IV. L. 24), nnd folglich wäre es für Jeden klüger, zur
Erhaltung seines Seins aus böser Absicht zu handeh
(IV. L. 24), d. h. die Menschen thäten klüger, nur in
Worten einig zu sein, in der Sache aber Gegner, was
widersinnig ist (IV. L. 31. Z.); deshalb wird ein freier
Mensch u. s. w.
E. Wenn man die Frage stellt, ob nicht, wenn ein
Mensch sich durch Treulosigkeit ron einer gegenwärtigen
Todesgefahr befreien könne, die Vernunft zur Erhaltung
seines Daseins fordere, dass er treulos werde, so kann
man in derselben Weise antworten, dass, wenn die Ver-
nunft dies rathe, sie es dann auch allen Menschen rathe;
folglich die Vernunft den Menschen überhaupt rathe, nur
in böser Absicht den Vertrag auf Verbindung ihrer Kräfte
und den Besitz gemeinen Rechtes abzuschüessen, d. h.
in Wahrheit einen Vertrag dahin, kein gemeines Recht
zu haben, was widersinnig ist.''^^)
L. 73. Ein Mensch, der von der Vernunft geleitet
wird, ist mehr frei in einem. Staate^ wo er nach ge*
meinsamem Beschlüsse lehtj als in der Einsamkeit, wo
er sich allein gehorcht.
B. Ein von der Vernunft geleiteter Mensch wird nicht
durch die Furcht zum Gehorsam bestimmt (IV. L. 63).
sondern so weit er nach dem Gebote der Vernunft sein
Dasein zu erhalten strebt, d. h. so weit er frei zu leben
strebt (IV. L. 66. E.), wünscht er die Weise eines ge-
meinschaftlichen Lebens und Nutzens einzuhalten (IV. L. 37)
und folglich (wie IV. L. 37. E. 2 gezeigt worden) nach
dem gemeinsamen Beschlüsse des Staats zu leben. Der
von der Vernunft geleitete Mensch sucht deshalb, um
freier zu leben, die gemeinen Rechte des Staats einzu-
halten.
E. Dies und Aehnliches, was ich über die wahre Frei-
heit des Menschen dargelegt habe, bezieht sich auf die
■^ii^:'-
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 221
Seelenstärke, d. h. auf die Geistesgegenwart und den Edel-
muth (HI. L. 59. E.). Ich halte es aber nicht für
nöthig, alle Eigenschaften der Seelenstarke hier besonders
darzulegen, und noch weniger, dass der tapfere Mann
Niemanden hasst, beneidet, über Niemand sich erzürnt
oder unwillig wird, Niemanden verachtet und noch weniger
stolz ist. Denn dies Alles, was zu dem wahren Leben
und der Eeligion gehört, ist leicht aus IV. L. 37, 46
ahzukiten, indem der Hass durch die Liebe besiegt wer-
den soll, und Jeder, der nach der Vernunft lebt, das
Gute, was er für sich erstrebt, auch für die Andern
wünscht. Hierzu kommt, was ich IV. L. 50. E. und
anderwärts bemerkt habe, nämlich, dass ein seelenstarker
Mann vorzüglich das bedenkt, dass Alles aus der Noth-
wendigkeit der göttlichen Natur folgt. Er weiss deshalb,
dass Alles, was er für lästig und übel hält, so wie
Alles, was als gottlos, abscheulich, ungerecht und schänd-
lich erscheint, nur davon kommt, dass er die Dinge selbst
verstört, verstümmelt und verworren auffasst. Deshalb
strebt er vor Allem, die Dinge, wie sie in sich sind, zu
begreifen und die Hindernisse der Erkenntniss zu ent-
fernen, wie den Hass, den Neid, den Zorn, den Spott, den
Stolz und Anderes dergleichen, was ich früher behandelt
habe. Deshalb sucht er, wie gesagt, so viel er vermag,
gut zu handeln und fröhlich zu sein. Wie weit aber die
menschliche Tugend reicht, um dies zu erlangen, und was
sie vermag, werde ich im folgenden Theile darlegen. ^
Anhang.
Das, was ich in diesem Theile über die rechte Weise
zu leben dargelegt habe, ist nicht so geordnet, dass man
es mit einem Blick übersehen könnte, sondern es ist zer-
streut von mir begründet worden, je nachdem ich nämlich
das Eine leichter aus dem Andern ableiten konnte. Ich
will es daher hier noch einmal zusammenfassen und in
Hauptsätzen zusammenstallen.
S. 1. Alle unsere Bestrebungen oder Begierden folgen
so aus der Nothwendigkeit unserer Natur, dass sie ent-
weder aus ihr allein, als ihrer nächsten Ursache, erkannt
werden können, oder sofern wir ein Theil der Natur sind,
222 rV. TheiL Von der menschlichen Enec](iechaft.
welche für sich und ohne die übrigen Einzeldinge nicht
zureichend begriffen werden kann.
S. 2« Die Begehren, welche aus unserer Natur so
folgen, dass sie aus ihr allein erkannt werden könuneo,
sind die auf die Seele sieb beziehenden, so weit diese
als aus zureichenden Vorstellungen bestehend yorgestellt
wird. Die übrigen Begehren treffen die Seele nur, soweit
sie sich die Dinge unzureichend vorstellt; die Kraft und
das Wachsthum dieser Begehren kann nicht ^urch die
menschliche Macht, sondern muss durch die der fremden
Dinge bestimmt werden. Deshalb heissen jene Begehren
mit Eecht Handlungen, und diese leidende Zustände;
jene sind immer ein Zeichen unserer Macht, diese da-
gegen unserer Ohnmacht und mangelhaften Kenntniss.
S. 8. Unsere Handlungen, d. h. jene Begehren, welche
durch die Macht oder Vernunft des Menschen bestimmt
werden, sind immer gut; die übrigen können gut oder
schlecht sein.
S. 4. Es ist deshalb im Leben das Nützlichste, den
Verstand oder die Vernunft so viel als möglich zu ver-
vollkommnen; darin allein besteht des Menschen höchstes
Glück oder seine Seligkeit. Denn die Seligkeit ist die
Seelenruhe, welche aus der anschaulichen Erkenntniss
Gottes entspringt. Die Vervollkommnung unseres Ver-
standes besteht aber auch nur in der Erkenntniss Gottes,
seiner Attribute und seiner Handlungen, welche aus seiner
Natur mit Nothwendigkeit folgen. Deshalb ist das höchste
Ziel eines von der Vernunft geleiteten Menschen, d. h.
sein stärkstes Begehren, wodurch er alle andere zu
massigen strebt, sich und Alles, was seiner Erkenntniss
erreichbar ist, zureichend zu begreifen.
S. 5. Es giebt daher kein vernünftiges Leben ohne
Erkenntniss, und die Dinge sind nur insoweit gut, als
sie den Menschen helfen, das Leben seiner Seele zu ge-
niessen, was in der Erkenntniss besteht. Was dagegen
den Menschen hindert, die Vernunft zu vervollkommnen
und ein vernünftiges Leben zu fuhren, dies allein ist das
Uebel. «1)
S. 6. Weil aber Alles, dessen wirkende Ursache der
Mensch ist, nothwendig gut ist, so kann dem Menschen
das Uebel nur von äusseren Ursachen kommen, nämlich
80 weit er ein Theil der ganzen Natur ist, deren Gesetzen
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 223
die menschliche Natur zu gehorchen und auf beinahe
unzählige Arten ihr sich anzubequemen genöthigt ist.
S« 7* Es ist unmöglich, dass der Mensch nicht ein
Theil der Natur ist und der gemeinsamen Ordnung nicht .
zu folgen braucht; vielmehr wird, wenn er mit solchen
Wesen verkehrt, welche mit seiner Natur übereinstimmen, .
gerade dadurch die Macht des Menschen gesteigert und
unterstützt. Ist der Mensch aber unter Wesen, welche
mit seiner Natur sehr wenig übereinstimmen^ so wird er
kaum ohne grosse Veränderung seiner selbst sich ihnen
anbequemen können.*^
S. 8. Alles, was wir in der Natur für ein Uebel
halten, d. h. was uns hindern kann, zu existiren und ein
vernünftiges Leben zu führen, das dürfen wir von uns
abhalten, und zwar auf die V\reise, welche als die sicherste
erscheint; was wir dagegen für gut und nützlich halten,
um unser Dasein zu erhalten und ein vernünftiges Leben
zu gemessen, das dürfen wir in Besitz nehmen und auf
alle Weise gebrauchen. XJeberhaupt ist nach dem
höchsten Eecht der Natur Jedem das zu thun erlaubt,
was nach seiner Meinung zu seinem Nutzen beiträgt.
S. 9. Nichts kann mehr mit der Natur eines Dinges
übereinstimmen, als die andern Einzeldinge derselben
Art; deshalb giebt es für den Menschen (nach S. 7)
nichts Nützlicheres zur Erhaltung seines Daseins und für
den Genuss eines vernünftigen Lebens als ein der Ver-
nunft folgender Mensch. Da wir femer unter den Ein-
zeldingen Nichts kennen, was besser wäre als ein von
der Vernunft geleiteter Mensch, so kann man durch Nichts
mehr z^gon, wie viel man an Kraft und Einsicht ver-
mag, als durch Erziehung der Menschen auf solche Art,
dass sie zuletzt nach den\ eigenen Gebot der Vernunft
leben. ««)
S. 10. So weit die Menschen von Neid oder einem
andern Affekt des Hasses gegen einander erfüUt sind,
insoweit sind sie einander entgegen und folglich um so
mehr zu fürchten, als sie mehr wie die andern Einzel-
wesen der Natur vermögen.
S. 11. Die Gemüther werden jedoch nicht durch die
Waffen, sondern durch Liebe und Edelmuth gewonnen.
S. 12. Den Menschen ist es besonders nützlich, in
Sitten sich an einander zu schliessen und die Bande
224 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft.
zwischen sich zu knüpfen, durch welche sie am bestea
aus Allen nur Einen machen und unbedingt das zu
thun, was zur Befestigung der Freundschaften beiträgt.
S. 13. Doch dazu gehört Kunst und Wachsamkeit;
denn die Menschen sind veränderlich (denn die, welche
nach der Vorschrift der Vernunft leben, sind selten) und
doch meist neidisch und mehr zur Rache als zum Mitleid
geneigt.
Es ist deshalb eine besondere Kraft des Gemüths
nothwendig. um Jeden nach seiner Sinnesart zu ertragen
und sich vor Nachahmung seiner Affekte zu hüten. Wer
aber dagegen versteht, die Menschen zu verkleinem und
mehr ihre Laster zu schelten, als die Tugenden zu lehren
und das Gemüth der Menschen nicht zu stärken, sondern
zu brechen, der ist sich und Andern zur Last. Deshalb
haben Viele aus zu grosser Ungeduld ihres Gemüths und
falschem religiösen Eifer lieber unter den wilden Thieren
als unter den Menschen leben wollen; so wie die Knaben
und Jünglinge, welche das Schelten der Eltern nicht mit
Gleichmuth ertragen können, zu den Soldaten gehen und
die Lasten des &ieges und die Herrschaft der Tyrannei
dem häuslichen Frieden und den väterlichen Ermahnungen
vorziehen und lieber jede Last sich auflegen lassen, nur
um sich an den Eltern zu rächen.*'*)
S. 14. Obgleich daher die Menschen Alles m6ist nach
ihren Neigungen einrichten, so ergeben sich doch aus
deren gemeinsamem Vereine viel mehr Vortheile als Nach-
theile. Deshalb ist es besser, ihre Unbilden mit Gleich-
muth zu ertragen und mit Eifer dem nachzugehen, was
der Eintracht und der Schliessung der Freun48chaften
dient.
S. 15. Was die Eintracht erzeugt, ist das, was znr
Gerechtigkeit, Billigkeit und Ehrlichkeit gehört. Denn
die Menschen werden nicht bloss durch das Ungerechte
und das Unbillige verletzt, sondern auch durch das Häss-
liche und dadurch, dass man die herrschenden Sitten des
Landes verachtet. Zur Gewinnung ihrer Liebe ist aber
das vor Allem nöthig, was sich auf Eeligion und Fröm-
migkeit bezieht. Man sehe hierüber TV. L. 37. E. 1, 2
und L. 46. E. und L. 73. E.
S. 16. Es pflegt ausserdem der Frieden meist ans
der Furcht hervorzugehen, aber ohne Verlass. Man
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 225
rechne hinzu, dass die Furcht aus der Ohnmacht der
Seele entspringt und deshalb nicht zum Gebrauch der
Vernunft gehört, so wenig wie das Mitleiden, wenngleich
es den Schein der Frömmigkeit annehmen sollte.
S. 17. Die Menschen werden ausserdem durch Frei-
gebigkeit gewonnen, vorzüglich Jene, welche keine Ge-
legenheit haben, sich ihren Lebensunterhalt zu erwerben.
Jedoch übersteigt es weit die Kräfte und den Nutzen
eines Privatmannes, jedem Bedürftigen zu helfen; denn
der ßeichthum eines Einzelnen ist viel zu unzureichend,
um dies zu bestreiten. Ausserdem ist eines Menschen
geistige Fähigkeit zu beschränkt, um Alle sich in Freund-
schaft verbinden zu können. Deshalb liegt die Sorge für
die Armen der ganzen Gesellschaft ob und zielt nur auf
den allgemeinen Nutzen ab. **)
S. 18* Ganz anders muss aber die Fürsorge sein in
Empfang von Wohlthaten und Erstattung des Dankes,
worüber IV. L. 70. E. und L. 71. E. nachzusehen sind.
S. 19. Die buhlerische Liebe, d. h. die Wollust,
welche aus der äusseren Gestalt entspringt und über-
haupt alle Liebe, welche eine andere Ursache als die
Freiheit der Seele hat, geht leicht in Hass über, wofern
sie nicht, was schlimmer ist, eine Art Wahnsinn ist und
dann mehr durch Streit als durch Einigkeit gesteigert
wird (III. L. 31. Z.).
§• 20. Was die Ehe anlangt, so ist sicher, dass sie
mit der Vernunft sich verträgt, wenn die Geschlechtslust
nicht bloss aus der äusseren Gestalt, sondern auch aus
dem Streben, Kinder zu erzeugen und weise zu erziehen,
entspringt, und wenn ausserdem die Liebe Beider, d. h.
des Mannes und der Frau, nicht bloss das Aeussere,
sondern vorzüglich die Freiheit der Seele zur Quelle
hat. «6)
S. 21. Ausserdem erzeugt Schmeichelei den Frieden,
aber durch das hässliche Vergehen der Knechtschaft oder
durch Treulosigkeit ; denn Niemand lässt sich mehr durch
Schmeichelei bethören, als die Stolzen, welche die Ersten
sein wollen, aber nicht sind.
S. 22. Der Selbsterniedrigung wohnt eine falsche
Art von Frömmigkeit und Keligion inne; und obgleich
sie das Gegentheil des Stolzes ist, so steht doch der sich
Wegwerfende dem Stolzen am nächsten (IV. L. 67. E.).
Spinoza, Ethik. 15
226 ^- Thefl. Von der menscbfichen Knechtschaft
S. 2S. Es nützt übrigens die Schaam der Eintracht
nur in solchen Dingen, die nicht yerhehlt werden können.
üebrigens gehört die Schaam, als eine Art der Traurig-
keit, nicht znm Gebiete der Yemnnft.
8« ^. Die übrigen anf And^e gerichteten Affekte
der Traurigkeit sind das gerade Gegentheil der Gerechtig-
keit, Billigkeit, Ehrlichkeit, Frömmigkeit nnd Beligiosität
nnd obgleich der Unwille den Schein der Billigkeit an
sich trägt, so lebt man doch da ohne Gesetz, wo Jeder
über fremde Handlungen richten und sich oder einem
Andern selbst Becht yerschaffen kann.
S» 25. Die Bescheidenheit, d. h. das Bestreben, den
Menschen zu gefallen, gehört, wenn sie sich nach der
Vemnnft bestimmt, znr Frömmigkeit (IV. L. 37. E.).
Entspringt sie aber aus einem Affekte, so ist sie ein
Ehrgeiz oder Begehren, welches durch den falschen
Schein der Frömmigkeit gewöhnlich Streit nnd Aufruhr
unter den Menschen erregt Denn wer seine Neben-
menschen durch Bath oder That zu unterstützen strebt.
damit sie des höchsten Gutes sich erfreuen, der wird
vorzüglich suchen, sich ihre Liebe zu erwerben, aber
nicht sie zur Bewunderung zu verleiten, so dass seine
Lehre von ihm den Namen erhalte, und durchaus keinen
Grund zum Neid geben.
In der geselligen Unterhaltung wird er sich hüten,
die Fehler der Menschen zu hinterbringen, und über die
menschliche Schwäche wird er nur sparsam sprechen,
aber reichlich über menschliche Tugend oder Macht und
über die Mittel, durch welche man es erreichen kann,
dass die Menschen somit nicht aus Furcht oder Abschen,
sondern nur aus dem Affekt der Fröhlichkeit nach den
Vorschriften der Vernunft, als solcher, zu leben sich be-
mühen. *''')
S. 26« Ausser den Menschen kenne ich kein Einzel-
ding in der Natur, an dessen Seele man sich erfreuen
und es durch Freundschaft und eine Art des Umganges
sich verbinden könnte. Daher fordert die Vernunft un-
seres Nutzens wegen nicht, irgend etwas neben den Men-
schen in der Natur zu erhalten; sondern sie lehrt uns,
je nachdem es der Bedarf verlangt, es zu erhalten, zu
zerstören oder auf irgend eine Weise unserem Gebrauch
anzupassen.
IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 227
S. 27« Der Nutzen, den man von fremden Sachen
zieht, ist ausser der Erfahrung und Kenntniss, welche
wir aus deren Beobachtung und Umgestaltung gewinnen,
vorzüglich die Erhaltung unseres Körpers, und aus diesem
Grunde sind vorzuglich jene Dinge nützlich, welche den
Körper so erhalten und ernähren können, dass alle seine
Theile ihre Verrichtungen richtig vollziehen können. Denn
je mehr der menschliche Körper fähig ist, auf viele Arten
erregt zu werden, desto fähiger ist der Mensch zum
Denken (IV. L. 38. 39). Von solchen Dingen scheint
es aber nur sehr wenige in der Natur zu geben, deshalb
muss man zur richtigen Ernährung des Körpers von
vielerlei Nahrungsmitteln Gebrauch machen. Denn der
menschliche Körper besteht aus sehr vielen Theilen ver-
schiedener Natur, welche fortwährend der mannigfachen
Ernährung bedürfen, damit der Körper zu Allem, was
aus seiner Natur folgen kann, gleich geschickt sei, und
damit folglich die Seele gleich geschickt sei. Verschiedenes
zu begreifen.
S, 28. Zur Erlangung dessen würden kaum die Kräfte
des Einzelnen hinreichen, wenn die Menschen sich nicht
gegenseitig unterstützten. Aber die bündigste Darstel-
lung von Allem hat erst das Geld gebracht; deshalb
pflegt sein Bild den Sinn der Menge am meisten zu be-
schäftigen; denn sie können kaum eine Art von Fröhlich-
keit sich denken, wo nicht die Vorstellung des Geldes,
als Ursache, dabei ist.
S^ 201 Zu einem Fehler wird dies aber nur bei
denen, welche nicht aus Bedürfniss und der Nothwendig-
keiten wegen das Geld suchen, sondern weil sie die Künste
des Spiels gelernt haben, mit denen sie sich in die Höhe
bringen. Im TJebrigen sorgen sie aus Gewohnheit für
ihren Körper, aber nur knapp, weil sie so viel von ihren
Gütern zu verlieren meinen, als sie auf Erhaltung ihres
Körpers verwenden. Wer indess den wahren Nutzen des
Geldes kennt und das Maass des Reichthums nach dem
Bedarf' abmisst, der lebt mit Wenigem zufrieden. »8)
S. 80. Da nun das gut ist, was die Theile des Kör-
pers in ihren Verrichtungen unterstützt, und da die Fröh-
lichkeit darin besteht, dasa sie die Macht des Menschen,
rücksichtlicb seiner Seele und seines Körpers, unter-
stützt und mehrt, so ist Alles gut, was fröhlich macht.
15*
228 rV. Theil. Von der mensclilicheii Knechtschaft
Da iudess die Dinge nicht zu dem Zweck thätig sind, um
uns fröhlich zu machen, oder deren Macht zu wirken nicht
durch unsern Nutzen geregelt wird, und endlich, weil die
Fröhlichkeit sich meist nur auf einen Theil des Körpers
hauptsächlich bezieht, so haben die Affekte der FröMcli-
keit (wenn nicht Vernunft und Wachsamkeit dabei ist)
und folglich die aus ihnen entspringenden Begehreu
meist ein üebermaass. Dazu kommt, dass man im Affekte
zunächst das Angenehme der Gegenwart im Auge hat
und das Zukünftige nicht mit gleicher Gemüthsrube
abzuschätzen vermag (III. L. 44. E, L. 60. E.).
S. 31. Der Aberglaube erklärt dagegen das für gut,
was Traurigkeit bringt, und das für schlecht, was Fröh-
lichkeit bringt. Indess, wie schon erwähnt (IV. L. 45.
E.), erfreut sich nur der Neidische an meiner Ohnmacht
und meinem Schaden. Denn je fröhlicher wir sind, desto
vollkommener werden wir und nehmen mehr an der gött-
lichen Natur Theil, und die Fröhlichkeit, welche von der
wahren Vernunft nach unserm Nutzen gemässigt wird,
kann niemals schlecht sein. Wer dagegen aus Furcht
das Gute thi^t, um das Schlechte zu vermeiden, handelt
nicht vernünftig.
S. 32. Die menschliche Macht ist meist sehr be-
schränkt und wird von der Macht der äusseren Ursachen
weit übertroffen ; wir haben daher keine unbedingte Macht,
die äusseren Dinge nach unserem Bedarf einzurichten.
Demnach werden wir die Nachtheile, welche dem ent-
gegen uns treffen, mit Gleichmuth ertragen, wenn wir
uns bewusst sind, dass wir unsere Pflicht erfüllt haben,
und dass unsere Macht nicht so weit gereicht hat, um
dies vermeiden zu können, und dass wir ein Theil der
ganzen Natur sind, deren Ordnung wir folgen.
Wenn wir dies klar und deutlich erkennen, so wird
der Theil von uns, der die Erkenntniss bildet, d. h. der
bessere Theil in uns, damit sich beruhigen und in dieser
Kühe zu beharren streben. Denn mit dieser Erkenntniss
können wir nur das Nothwendige verlangen und nur in dem
Wahren uns unbedingt zufrieden geben. So weit wir
also dies richtig einsehen, so weit stimmt das Streben
unseres besseren Theiles mit der Ordnung der ganzen
Natur überein.»») »»)
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 229
Fünfter Theil.
Ueber die Macht der Verstandes oder
über die menschliche Freiheit.
^V o r r e d e.
Ich komme nun endlich zu dem andern Theile der
Ethik, welcher die Weise oder den Weg betrifft, der zur
Freiheit führt. In diesem Theile werde ich also die
Macht der Vernunft untersuchen und zeigen, was diese
Vernunft über die Affekte vermag und ferner, was die
Freiheit der Seele oder die Seeligkeit ist. Es wird sich
daraus ergeben, um wie viel der Weise mächtiger ist,
als der Unwissende. In welcher Weise aber und auf
welchem Wege die Erkenntniss vervoUkommt werde^ und
mit welcher Kunst der Körper zu pflegen sei, damit er
das Seinige recht verrichte, gehört nicht hierher, sondern
letzteres zur Medizin und ersteres zur Logik.
Ich werde also, wie erwähnt, hier nur von der Macht
der Seele oder Vernunft handeln, und ich werde vor
Allem zeigen, wie gross und welcher Art ihre Gewalt
über die Affekte ist, um sie zu hemmen oder zu massigen.
Denn ich habe schon oben dargelegt, dass wir keine un-
bedingte Herrschaft über die Affekte haben. Die Stoiker
meinten zwar, dass sie lediglich von unserem Willen ab-
hängig seien, und dass wir sie unbedingt beherrschen
könnten; indess wurden sie durch die entgegengesetzte
Erfahrung, aber nicht durch ihre Prinzipien genöthigt,
einzugestehen, dass nicht wenig Uebung und Eifer zur
Mässigung der Affekte erforderlich sei. Es hat dies
Jemand durch das Beispiel zweier Hunde (wenn ich mich
recht entsinne), eines Haushundes und eines Jagdhundes
230 V. Theil. Von der menscbliclien Freiheit.
zu zeigen versucht, indem er es durch Uebung endlich dahin
bringen konnte, dass der Haushund zu jagen sich ge-
wöhnte und der Jagdhund der Verfolgung der Hasen
sich enthielt.
Dieser Ansicht istCartesius sehr zugethan; denn er
nimmt an, dass der Geist oder die Seele vorzugsweise
mit einem Grehirntheile, welcher die Zirbeldrüse heisst,
verbunden sei, durch deren Hülfe die Seele alle im Kör-
per erweckten BewegTingen und äussern G^egenstände
wahrnimmt, und welche die Seele durch ihr blosses Wollen
beliebig bewegen könne. Diese Eichel soll nach seiner
Annahme so in der Mitte des Gehirns schweben, dass sie
durch den leisesten Hauch der Lebensgeister bewegt wer-
den könne. Endlich nimmt er an, dass diese Eichel auf
so verschiedene Weise in der Mitte des Gehirns schwe-
bend erhalten werde, als die Lebensgeister auf sie an-
dringen, und dass ebenso viel verschiedene Spuren in sie
eingedrückt werden, als verschiedene Gegenstande die
Lebensgeister gegen die Eichel anstossen. Daher komme
es, dass wenn die Eichel später von dem Willen der Seele,
der sie verschieden bewege, auf diese oder jene Weise
schwebend erhalten werde, auf der sie einmal von den
Lebensgeistern erhalten worden, als diese so oder so
erregi wurden , dass diese Eichel die Lebensgeister
ebenso fortstösst und bestimmt, wie sie früher von der
ähnlichen Schwebung derselben zurückgestossen worden
sind. Er nimmt ausserdem an, dass jedes Wollen der
Seele mit einer bestimmten Bewegung der Eichel von
Natur verbunden sei. Wenn z. B. Jemand die Absicht
habe, einen entfernten Gegenstand zu betrachten, so be-
wirke dieses Wollen, dass der Augenstern sich erweitere.
Wenn er aber nur an die Erweiterung des Augensterns
denke, so nütze ihm ein solches Wollen dazu nichts, weil
die Natur die Bewegung der Eichel, welche dient, die
Lebensgeister gegen den Sehnerven zu treiben, um den
Augenstern entsprechend zu erweitem oder zu verengen,
nicht mit dem Wollen dieser Erweiterung oder Verengerung
verbunden habe, sondern nur mit dem Wollen entfernte
oder nahe Gegenstände anzuschauen. Endlich nimmt er
an, dass zwar jede Bewegung dieser Eichel mit einzelnen
Gedanken von Anfang unseres Lebens ab von Natur ver-
knüpft zu sein scheine, indess könne sie auch durch
V, TheiL Von der menschlichen Freiheit. 231
üebnng mit andern rerbanden werden, wie er Art. 50.
Tb. I. von den Leidenschaften der Seele zu beweisen sucht.
Hieraus folgert Cartesiue, dasa keine Seele so ohn-
mächtig Bei, um nicht bei richtiger Leitung die unbedingte
Herrschaft über ihre Ijeiden Schäften erwerben zu kfinnen.
Denn diese sind nach seiner Definition lÄuffassunj
Empfindungen oder Bewegungen der Seele, die t
eie inabesondere beziehen, und welche dnrch ein«
gung der Lebensgeister hervorgebracht, erhalten u
stärkt werden.! (Man sehe Art. 27. Th. I. TJe
Leidenschafton.) Da man nun mit jedem Wolli
Bewegung der Eichel und folglich auch der Leben
verbinden kOnne und diese Bestimmung unseres
bloss von unserer Macht abhänge, so könne m
vollständige Herrschaft über die Leidenschaften ge
wenn man seinen Willen nach festen und g
Urtheilen bestimme , nach denen man die Hani
^iues Lebens einrichten wolle, und mit diesen C
die Erregung der Leidenschaften verbinde, welc
baben woUe.
Dies ist (so viel ich aus seinen Worten entneh
Meännog dieses berühmten Mannes. Ich würdt
glauben, dass sie von einem so grossen Manne hi
wenn sie weniger scharfsinnig wäre. In Wahrhe
ich mich nicht genug wundem, dasa ein Philoso]
als Grundsatz aufgestellt hat, Alles nur aus Pr
at)zuleiten, die dnrch sich selbst klar seien, und i
klar und bestimmt Eingesehene zu behaupten, i
so oft die Scholastiker getadelt hat, dass sie dunkl
durch verborgene Qualitäten erklären wollen, eine
these aufstellt, die dunkler ist, als alle dunkeln
täten. Was versteht er, frage ich, nnter: Verbind
Seele und des Körpers? Welche klare und bestimra
Stellung hat er von der engsten Einigung des 1
mit einem Theilchen eines ausgedehnten Gegena
Ich wünschte wohl, dass er diese Einigung dui
nächste Ursache erklärt hätte. Aber Cartesins hat
and Efirper so von einander geschieden, dass et
für deren Einheit noch für die Seele selbst irge
einzelne Ureache angeben konnte und genöthigt w
die Ursache des ganzen Universums, d. h. au
zurück ZQgehen.
t2 V. TheiL Ton der meuBchlichen Freiheit.
Dann mOchte ich wohl wissen, wie viel Qrade tos
igat\g die Seele jener Zirbeldräse niittheilen, und mit
her Kraft sie sie schwebend erhalten kann? Denn ich
. keine Eenntniss, ob di^se Eichel langsamer oder
eller von der Seele bewegt wird, als von den Lehens-
^rn, and ob die Bewegung der Leidenschaften, die
an feste ürtheile eng geknüpft hat, nicht wieder
ti körperliche Ursachen abgetrennt werden kann. Denn
US würde folgen, dass, wenn auch die Seele sich vor-
mmen hätte, den Gefahren entgegen zu gehen nnd
diesem Wollen den Affekt der Kühnheit verbunden
), dennoch die Eichel dnrch den Anblick der Oefahr
chwebend gestellt werden könnte, dass die Seele nur
lie Flucht denkeo könnte. Da es kein Veihältnisa des
lens zur Bewegung giebt, so ist auch keine Ver-
ihung zwischen der Macht oder den Kräften der Seele
des Körpers möglich, und folglich können die Eräfl«
m nie nach den Kräften jener bestimmt werden.
1 nehme man, dass diese Eichel in keiner solchen
) in der Mitte des Gehirns angetroffen wird, dass si«
licht und so mannichfach herum bewegt werden könnte,
dass nicht alle Nerven bis in diese Höhlung dts
ms sich erstrecken,
ch lasse endlich Alles bei Seite, was Cartesius vou
WiUen und dessen Freiheit behauptet, da ich dessen
ahrheit genügend dargethan habe. Wenn sonach die
lit der Seele, wie oben gezeigt worden, nur durch
Erkenntniss bestimmt wird, so werden die HOlfs-
)l gegen die Affekte, welche Alle wohl, wie ich
be, an sich erfahren, aber nicht genau beobachten
bestimmt erkennen, nur aus der Erkenntniss der
) zu entnehmen sein, und ich werde daraus Alles.
ihre Seeligkeii betrifft, ableiten. *)
L. 1. Wenn in demselben Subjekt zwei entgegengesetrte
ilungen erweckt werden, so muss nothwendig ent-
>r in beiden Handlungen oder in einer eine Verün-
ng eintreten, bis sie aufhören," entgegengesetzt in
l. 2. Die Macht der Wirkung wird durch die Macht
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 233
ihrer Ursache bestimmt, so wfeit ihr Wesen durch das
Wesen ihrer Ursache erklärt oder bestimmt wird. *)
Dieses Axiom erhellt aus III. L. 7.
L. !• So wie die Gedanken und die Vorstellungen
der Dinge sich in der Seele ordnen und verknüpfen,
genau so ordnen und verknüpfen sich die körperUcJien
Erregungen oder Bilder der Dinge im Körper,
B. Die Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen
ist dieselbe (II. L. 7.), wie die Ordnung und Verknüpfung
der Dinge, und umgekehrt ist die Ordnung und Ver-
knüpfung der Dinge dieselbe (II. L. 6. Z. u. L. 7), wie
die Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen. So
wie daher die Ordnung und Verknüpfung der Vorstel-
lungen in der Seele nach der Ordnung und Verknüpfung
der Zustände im Körper erfolgt (II. L. 18.), so umgekehrt
ordnen und verknüpfen sich die Zustände des Körpers
wie die Gedanken und Vorstellungen der Dinge in der
Seele (IIL L. 2.). *)
L. 2« Wenn man die JEh'regung der Seele oder
den Affekt von der Vorstellung der äusseren Ursache
trennt und mit andern Gedanken verbindet, so werden
die Liebe oder det* Hass gegen die äusse9*e Ursache,
80 wie die Schwankungen der Seele, welche aus diesen
Affekten entspringen, beseitigt werden,
B. Denn dass, was das Eigenthümliche der Liebe oder
des Hasses ausmacht, ist die Fröhlichkeit oder Traurig-
keit, begleitet von der Vorstellung einer äussern Ursache
(in. D. 6. 7.); wird also diese Vorstellung beseitigt, so
hört auch die Liebe und der Hass auf, und diese Affekte
mit ihren Folgen werden beseitigt. ^)
Lt 3. Der Affekt, welcher ein Leiden ist, hört auf,
ein solches zu sein, sobald man seine klare und be-
stimmte Vorstellung bildet,
B. Der Affekt, welcher ein Leiden ist, ist eine verr
worrene Vorstellung (III. Allgemeine Definition). Wenn
man sich also von diesem Affekt selbst eine klare und
bestimmte Vorstellung bildet, so wird diese Vorstellung
von dem auf die Seele allein bezogenen Affekt nur im
234 V. Theil. Von der menscUidieD Freiheit
Denken unterschieden (11. L. 22. E.), mithin hOrt der
Affekt auf, ein Leiden za sein (III. L. 3.).
Z. £in Affekt Ist also am so mehr in unserer Gewall,
nnd die Seele leidet um so weniger von ihm, je bekannter
; ist.«)
4. Es ffielit keiru) Erre^mg des Köf^fvs, von
ir nicht eine klare und bestimmte Vorgteümg
könmm.
Das Allem Gemeine kann nicht anders als u-
id vorgestellt werden (111. L. 38.). Daher giebl
ne Erregung des Körpers (11. L. 12. Ln. 2. hinter
E.), von der mau nicht eine klare und bestimmt«
Hang bilden kann.
Hieraue ergiebt sich, dass man von jedem Affekt
ine bestimmte und klare Vorstellung bilden kann,
der Affekt ist die Vorstellung einer Erregui^ d«8
'S (III. Allgemeine Definition), welche deshalb (nädi
3.) eine klare und bestimmte Vorstellung ein-
sen mnss. ^)
Da 68 Nichts giebt, aus dem nicht eine Wirknng
EH. L. 36.), und da man Alles, was aus einet zo-
iden Vorstellung in uns folgt, klar und dentlici
it (III. L. 40.), so ergiebt sich, dass Jeder die
hat, sich und seine Affekte, wenn auch nicht nn-
t, doch zum Theil klar uni deutlich zu erkennen
alglich zu bewirken, dass er von ihnen weniger
Man hat daher vor Allem seine Anstrengungen
zu richten, dass man jeden Affekt, so viel als mög;-
lar und bestimmt erkenne, damit die Seele von dem
1 aus zu dem Denken dessen geführt werde, was
utlich und bestimmt einsieht und worin sie sich
nmen beruhigt; femer, dass der Affekt von der
llung der äusseren Ursache sich ablöse und mit
i Gedanken sich verbinde. Dann werden nicht nnr
Hass u. s. w.' verschwinden (V. L. 2.), sondern es
i auch die Gelüste oder Begehren daraus dann nicht
Oebermaass gerathen (IV L. 62,).
nn man muss vor Allem festhalten, dass es ein
asaelbe Begehren ist, wonach der Mensch sowohl
mdelnd wie als leidend gilt. So habe ich z. fi.
t, dass die menschliche Natur so besch^en ia(,
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit 235
dass Jeder will, die Andern sollen nach seinem Sinne
leben (III. L. 31. E.). Dieses Begehren ist bei einem
nicht von der Vernunft geleiteten Menschen ein Leiden, was
Ehrgeiz heisst und vom Stolz nicht weit entfernt ist;
dagegen ist es bei einem den Geboten der Vernunft nach-
lebenden Menschen eine Thätigkeit oder Tugend, welche
Frömmigkeit genannt wird (IV. L. 37. E. 1. mit dem
zweiten Beweis). In dieser Weise sind alle Verlangen
oder Begierden nur in soweit ein Leiden, als sie aus
unzureichenden Vorstellungen entspringen, und sie ge-
hören zur Tugend, sobald sie von zureichenden Vorstel-
lungen erweckt oder erzeugt werden. Denn alle Begier-
den,' welche uns zum Handeln bestimmen, ^können sowohl
von zureichenden wie unzureichenden Vorstellungen ent-
springen (IV. L. 69.). Un4 (um zum Ausgang zurück-
zukehren) 80 kann kein besseres, von unserer Macht ab-
hangiges Mittel gegen die Affekte erdacht werden, als
das, was in ihrer wahren Erkenntniss enthalten ist. Denn
es giebt in der Seele keine andere Macht, als zu denken
und zureichende Vorstellungen zu bilden, wie oben (lU. L. 3)
gezeigt worden. 8)
L. 5. I)er Affekt für einen Gegenstand, den man
einfach vorstellt und nicht als einen nothwendigen
oder mögliclien odei* zufälligen Gegenstand vo^'stellt,
ist bei gleielien sonstigen Umständen von allen der
stärkste,
B. Der Affekt für einen Gegenstand, den man für frei
hält, ist grösser als der für einen nothwendigeu Gegen-
stand (III. L, 49.) und daher auch grösser als für den,
welchen man als einen möglichen oder zufälligen vorstellt
(IV. L. 11.). Aber eine Sache als frei vorstellen kann
nichts Anderes sein, als sie sich einfach vorstellen, ohne
dass man Ursachen, von denen sie zum Handeln bestimmt
worden, kennt (II. L. 35. E.). Mithin ist ein Affekt für
einen Gegenstand, den man einfach sich vorstellt, unter
sonst gleichen Umständen grösser als für einen noth-
wendigen, möglichen oder zufälligen Gegenstand, mithin
der grösste von allen. ®)
L. 6. So weit die Seele alle Dinge als nothwen-
dige erke^mt, so weit hat die Seele eine grössere M(zeht
aber die Affekte oder leidet weniger von ihnen.
236 V- Theil. Von der menschlichen Freiheit
B. Die Seele erkennt, dass allo Dinge nothwendig
aind (I. L. 29.) und durch die unendliche Verknüpfung
der Ursachen zur Eiistenz und Thätigkeit bestimmt wer-
den (I. L. 28.). folglich bewirkt sie dadurch, dasa sie
Ton- den Affekten, welche die Biege erwecken, weniger
(III. L. 18.) und weniger für sie erregt wird.
Je mehr diese Erkenntnlss, dass nämlich die Dinge
indig sind, sich auf die Einzeldinge, die man
mter und lebhafter vorstellt, sich ausdehnt, desto
r wird dadurch diese Macht der Seele über die Affekt«,
ilbst die Erfahrung bezeugt. Denn man sieht Tran-
; Aber ein verlorenes Gut sich massigen, sobald der
h, der es verloren hat, bedenkt, dass es auf keine
hätte erhalten werden können. So sieiit man auch
liemand die kleinen Kinder bedauert, dass sie nictit
sprechen und VernunftschlflsBe machen können und
le Jahre gleichsam bewusstlos verleben. Wenn aber
listen Menschen als erwachsen und nur hie und da
als Kind geboren würde, dann würde Jeder die
■ bedauern, weil er dann die Kindheit nicht als eine
iche und nothwendige Sache, sondern als einen Fehler
i''erstoss der Natur betrachten wörde. In dieser
könnte ich noch hei vielem Andern das Gleiche
jen.««)
7. IHe Affekte, welelif. aus der Vernunft eiü-
•en odm- erweckt werften, sind, WMm auf die Zeä
ieht gtmommen vÄTd, stärker- als die, welche steh
limeldinffe bezielien, die man ah abwesend be-
et.
Eine abwesende Sache betrachtet man nicht mit
.fTekte, mit dem man sie bildlich vorstellt, sondern
isa der Körper auch durch einen andern Affekt
ist. welcher die Existenz dieser Sache ausschliesst
27.). Deshalb ist ein Affekt bezüglich einer als
ind erachteten Sache nicht der Art, daas er die
n Handinngen des Menschen und seine Macht über-
(IV. L. 6.), sondern vielmehr der Art, dass er von
ffekten, welche die Existenz der äussern Ursache
Affektes ausschliessen , in gewisser Art gehemmt
1 kann (IV. L. 9.). Ein aus der Vernunft entsprin-
Affekt bezieht sich aber nothwendig auf die ge-
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 237
meinsamen Eigenschaften der Dinge (II. L. 40. E. 2.),
die man immer als gegenwärtig betrachtet (denn es kann
Nichts geben, was ihre gegenwärtige Existenz ausschlösse),
und die man immer anf dieselbe Weise bildlich vorstellt
(IL L. 38). Beshalb bleibt ein solcher Affekt immer der-
selbe und folglich werden die Affekte (V. A. 1.), die ihm
entgegen sind, oder die von ihren äussern Ursachen nicht
unterstützt werden, sich ihm mehr und mehr anbequemen
müssen, bis sie nicht mehr entgegengesetzt sind, und in-
soweit ist der aus der Vernunft entspringende Affekt der
mächtigere. ^^)
L. 8. Von je mehr zugleich zusammentretenden
Ursaclien ein Affekt erregt wird, desto stärker* ist er.
B. Mehr Ursachen vermögen mehr als wenigere
(III. L. 7.), deshalb wird ein Affekt, von je mehr Ursachen
er zugleich erweckt wird, desto stärker sein (IV. L. 5.).
L. 9. Ein Affekt^ der aus vielen und. verschiedenen
Ursachen entspringt , die die Seele mit dem, Affekt
zugleich betrachtet^ ist weniger schädlich, und man lei-
det weniger von ihm, und man wird für die einzelne^i
Ursachen desselben weniger erregt als von einem anderen
ebenso starken Affekt, der nur auf eine oder wenige9*e
Ursachen sich bezieht.
B. Ein Aftekt ist nur insoweit schlecht oder schädlich,
als die Seele von ihm am Denken gehindert wird (IV. L.
26. 27.). Mithin ist ein Affekt, durch welchen die Seele
zur Betrachtung mehrerer Gegenstände auf einmal be-
stimmt wird, weniger schädlich, als ein anderer, gleich
starker Affekt, welcher die Seele nur durch die Kraft
eines oder weniger Gegenstände so in der Betrachtung
festhält, dass sie an andere Dinge nicht denken kann.
Dies war das Erste. Da ferner das Wesen der Seele,
d. h. ihre Macht (III. L. 7.), im blossen Denken besteht
(III. L. 11.), so wird die Seele durch einen Affekt, der sie
zur Betrachtung von Mehrerem bestimmt, weniger leiden,
als durch einen gleich grossen Affekt, welcher die Seele
mit der Betrachtung eines oder weniger Gegenstände be-
schäftigt. Dies war das Zweite. Endlich ist dieser Affekt,
sofern er auf mehrere äussere Ursachen bezogen wird,
auch für jede einzelne schwächer (III. L. 18.). 12)
238 V. TbeiL Ton dar menBchlichen Freiheit.
L. 10. So lange wir nickt von Affekten e>f<mt
sind, die unserer Natur entgegen gind, so lange haben
" xht, die Erregungen des Körpers nach der
des Verstandes zu ordnen und ai ver-
äkte, die nnaerer Nafur entgegen sind, d. L
t sind (IV. Ii. 30), Bind insoweit scliecht,
Seele an dem Erkennen hindern (IV. L. 37).
'ir also nicht von Affekten erfasst sind, die
tur entgegen sind, so lange wird die Entß
vomit sie die Dinge zu erkennen strebt, niclt
V, L. 26), und so lange hat sie also die
e und bestimmte Vorstellungen zu bilden and
r andern abinleiteu (II. L. 40. E. 2, L. 47. B.},
ge werden wir folglich die Macht haben (V.
Erregungen des EOrpers nach der Ordnsi^
des zu ordnen und zA verknüpfen.
■ch diese Macht, die Erregungen des Körpera
ordnen und zu verknüpfen, kann mau be-
la man nicht leicht durch schlechte Affekte
Denn es gehört eine grössere Eraft dazu
die nach der Ordnung des Verstandes ge-
id verknüpften Affekte zu hemmen , als di«
tn und schwankenden. Daa Beate also, was
:ann, so lange man nicht die vollkommene Er-
Biner Affekte hat, ist, die rechte Weise in
die festen Grundsätze des Lebens sich vot-
e in das Gedächtniss einzuprägen und sie anf
n im Leben oft vorkommenden Dinge fort-
anwenden, damit unsere Einbildungskraft weit-
en erregt werde, und sie uns immer zur Hand
abe ich z. B. als Lebensregel aufgestellt (IV.
dass man den Hass durch Liebe und Edel-
[en und nicht durch Erwiderung des Haases
>lle. Damit man aber diese Vorschrift d»
mer gegenwärtig habe, wo es uöthig ist, mnss
' gewöhnlichen Schadenzufilgungen der Uen-
in und häußg erwägen, wie und 'auf welchem
m besten durch Edelmuth fem gehalten wer-
ird man das Bild der Beschädiguug mit der
dieser Eegel verknüpfen, und sie wird uns
V. Theü. Von der menschlichen Freiheit. 239
immer gegenwärtig sein, wenn uns ein Schaden zugefügt
wird (II L. 18).
Wenn man nun auch die Eücksicht auf den wahren
Nutzen und das Gute sich gegenwärtig hält, welches
aus der gegenseitigen Freundschaft und gemeinsamen
Geselligkeit entspringt, und femer, dass aus der rechten
Lebensweise die höchste Seelenruhe entspringt (lY. L. 62),
und dass die Menschen, wie Alles, aus der natürlichen
Nothwendigkeit handeln, so wird das Unrecht oder der
Hass, der aus ihm zu entspringen pflegt, den geringsten
Theil unseres Vorstellens einnehmen und leicht über-
wunden werden.
Wenn auch der Zorn, der aus den grössten Beleidi-
gungen zu entspringen pflegt, sich nicht so leicht über-
windet, so wird er doch überwunden werden, obgleich
nicht ohne Schwankungen des Gemüths, und zwar in
kürzerer Zeit, als wenn man dies nicht so vorbedacht
gehabt hätte, wie aus V. L. 6, 7, 8 erhellt.
Ebenso muss man über die Entschlossenheit denken,
um die Furcht abzulegen. Man muss sich nämlich die
gewöhnlichen Gefahren des Lebens aufzählen und häufig
vorstellen, wie sie durch Geistesgegenwart und Tapfer-
keit am Besten vermieden und überwunden werden können.
Aber besonders muss man bei Ordnung seiner Gedanken
und Vorstellungen immer Acht haben auf das, was in
jeder Sache das Gute ist und so sich immer durclr den
Affekt der Fröhlichkeit zum Handeln bestimmen. Z. B.
wenn Jemand bemerkt, dass er zu sehr dem Euhme
nachstrebt, so muss er über dessen rechten Nutzen nach-
denken, und zu welchem Ende ihm nachzustreben sei, und
durch welche Mittel er erworben werden könne: aber
nicht über den Missbrauch und die Eitelkeit des Ruhmes
Uiid über die Unbeständigkeit der Menschen und Anderes
dergleichen, woran Niemand als der Seelenkranke denkt.
Denn durch solche Gedanken betrüben sich die Ehr-
geizigen am meisten, sobald sie an der Erlangung der
erstrebten Ehren verzweifeln und weise scheinen wollen,
während sie Zorn ausspeien. Diejenigen sind deshalb
sicherlich am geizigsten nach Ruhm, welche das meiste
Geschrei über dessen Missbrauch und die Eitelkeit der
Welt erheben. Auch ist dies keine Eigenthümlichkeit
der Ehrgeizigen, sondern Allen gemeinsam, welchen das
240 V. Theil. Von der menschliclien Freiheit.
Glück widrig ist, und die schwach von Geist aind. Denn
selbst der arme Geizige hört nicht auf, Aber den Miss-
brauch des Geldes und die Laster der Beichen zu schwaüen,
womit er nur sich selbst betrübt und Andern zeigt, dase
er nicht bloss seine' Armnth, sondern auch den Beichthnm
Indem mit Missmnth erträgt. So denken auch die,
le von der Geliebten schlecht empfangen worden
nur an die ünbeetändigkeit und den trügerischen
der Franen und an die übrigen überall besprochenen
jr der Franen; dies Alles wird aber sofort von ihnen
!ssen, wenn sie von der Geliebten wieder angenommeu
en. Wer also seine Affekte und Begierden durch
blosse Liebe der Freiheit massigen will, wird mög-
t streben, die Tugenden und deren Ursache zu er-
en und die Seele mit der Freude zu erfiillon, welc^
deren Erkenntniss entspringt, keineswegs aber die
chlichen Laster betrachten und die Uenschen scbelten
eich an einem falschen Bild der Freiheit ergötzen.
dies fleissig beachtet und ausübt, (denn es ist nichl
er) wird sicherlich in kurzer Zeit seine Handlungen
t nach den Geboten der Vernunft einrichten können. >'|
1, 11. Je mehr idn ßild auf mehrerti Gef/fii-
de xich bezieJd, desto limifige}- kommt ta, oder
) öftej- beateht es, und d«äto meler erfüllt es dU
t. Denn je grösser die Zahl der Gegenstände ist.
welche ein Bild oder Ätfekt sich bezieht, desto meli
eben giebt es, von welchen es erregt und gesteigert
en kann, welche die Seele sämnitlich (nach der An-
te) in dem Affekte zugleich betrachtet. Deshalb
der Affekt nm so häufiger kommen oder um Be
bestehen und die Seele mehr erfüllen (V. L. 8). **l
j. 12. THe ßilder der GejjenständH verbaidm
leichter mit Bildern, welche sich auf Gegenstände
then, welche man klm' und dmitUch einsieht, ah
andei-n.
). Die klar und bestimmt erkannten Gegenstände
entweder die gemeinsamen Eigenschaften der Din^,
was aus ihnen abgeleitet wird (IL L. 40. E. 3),
folglich werden sie häufiger in uns erweckt (V.
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 241
L. 11); es kann daher leichter geschehen, dass wir
andere Gegenstände eher mit diesen als mit andern zu-
gleich betrachten, und folglich leichter mit diesen als
mit andern verbinden (11. L. 18). i*)
t. 13. Je gvösaev die Zahl der Bilder ist, mit
denen ein andere» Bild verbunden ist, desto häufigem*
besteht das letztere,
B. Denn wenn ein Bild mit vielen andern verbunden
ist, so giebt es auch mehr Ursachen (IV. L. 18), von
denen es erweckt werden kann. ^•)
L. 14, THe Seele kann es bewirken, dass alle
Erreffungen des Körpers oder Bilder der Dinge auf
die Vorstellung Gottes bezogen werden.
B. Es giebt keine Erregung des Körpers, von wel-
cher die Seele nicht eine einigermassen klare und be-
stimmte Vorstellung sich bilden könnte (V. L. 4), folg-
lich kann sie bewirken (I. L. 15), dass alle auf die
Vorstellung Gottes sich beziehen, i'^)
L. 15. Wer sieh und seine Affekte klar und be-
stimmt erkennt j liebt Gott, und zwar um so meh*,
je mehr er sich und seine Affekte erkennt
B« Wer sich und seine Affekte klar und deutlich
erkennt, ist fröhlich (HI. L. 53), und zwar begleitet
von der Vorstellung Gottes (V. L. 14), folglich liebt er
Gott (III. D. 6), und zwar aus demselben Grunde um so
mehr, je mehr er sich und seine Affekte erkennt.
L, 16. Diese Liebe zu Gott muss die Seele am
meisten erfüllen,
B. Denn diese Liebe ist mit allen Erregungen des
Körpers verbunden (V. L. 14), wird durch sie alle ge-
steigert (V. L. 15) und muss daher (V. L. 11) die Seele
am meisten erfüllen, i*)
L. 17, Gott ist frei von allen leidenden Zu-
standen und wird durch keinen Affekt der FVöhUch-
keit oder der Traurigkeit erregt,
B. Alle auf Gott bezogenen Vorstellungen sind wahr
(II. L. 32), d. h. sie sind zureichend (11. D. 4), und
Spinoza, EthÜE. 16
242 V. Theil. Von der menBchlichen Freiheit.
folglich ist Gott frei von leidenden Znstanden (in. Allg.
Definition der Affekte). Femer kann Gott weder zn einer
grösseren, noch zn einer geringeren Vollkommenheit über-
gehen (I. L- 20. Z. 2), folglich von keinem Affekt der
Fröhlichkeit oder Traner erfasst werden (IV. D. 2.. 3).
Z. Gott liebt im eigentlichen Sinne I^iemand nnd
hasst Niemand. Denn Gott wird dnrch keinen Affekt
der Fröhlichkeit oder Traurigkeit erregt (V. L. 17),
und folglich liebt nnd hasst er Niemand QU D. 6. 7). i*)
L. 18. Niemand kann Gott Juiasen,
B. Die Vorstellung Gottes in uns ist zureichend und
vollkommen (II. L. 46, 47), folglich sind wir bei Be-
trachtung Gottes handelnd (HI. L. 3), und folglieh kann
es keine Traurigkeit, begleitet von der Vorstellung Gottes,
geben (in. L. 59), d. h. Niemand kann Gott hassen
(m. D. 7).
Z. Die Liebe zu Gott kann sich nicht in Hass ver-
wandeln.
E. Man kann einwenden, dass, da wir Gott als die
Ursache aller Dinge erkennen, damit Gott auch als die
Ursache der Traurigkeit ansehen. Hierauf erwidere ich,
dass, so weit man die Ursache der Traurigkeit erkennt,
diese so weit aufhört, ein Leiden zu sein (V. L. 3), d. h.
so weit hört sie auf, eine Traurigkeit zu sein (lH L. 59),
mithin sind wir, so weit wir Gott als Ursache der Traurig-
keit erkennen, fröhlich. *•)
L. 19. Wer Gott liebt y kann nickt woUefiy dass
Gott ihn wiederliebe.
B. V^enn ein Mensch dies wollte, so wünschte er
(V. L. 17. Z.), dass Gott, den er liebt, nicht Gott wäre,
xmd folglich wünschte er sich zu betrüben (HI. L. 19),
was widersinnig ist (III. L. 28). Folglich kann, wer
Gott liebt u. s. w. *i)
L. 20. Diese Liebe zu Gott kann weder durch
den Affekt des Neides ^ noch den der Eifersucht ver-
unreinigt werden, sondern wird um so mshr genäJirtj
je mehr Menschen durch dasselbe Band der Liehe
mit Gott verbunden angenommefii werden»
B. Diese Liebe zu Gott ist das höchste Gut, was
T. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 243
wir nach dem Gebot der Vernunft erstreben können (IV.
L. 28), und sie ist allen Menschen gemeinsam (IV. L. 36),
und wir wünschen, dass sich Alle ihrer erfreuen (IV.
L. 37), folglich kann sie durch den Affekt des Neides
nicht befleckt werden (IIL D. 23) und auch nicht durch
den Affekt der Eifersucht (V. L. 18 u. III. L. 35. E.),
sondern muss um so mehr gesteigert werden (III. L. 31),
als mehr Menschen nach unserer Meinung sich ihrer er-
freuen.
£• Man kann auf dieselbe Weise zeigen, dass es
keinen Affekt giebt, welcher dieser Liebe geradezu ent-
gegen ist, und" von dem diese Liebe zerstört werden
könnte. Daher kann man schliessen, dass diese Liebe
zu Gott von allen Affekten der beständigste ist, und dass
sie, so weit sie sich auf den Körper bezieht, nur mit dem
Körper zugleich zerstört werden kann. Von welcher
Natur aber diese Liebe ist, wenn sie bloss auf die Seele
bezogen wird, werden wir später sehen. *i)
Damit habe ich alle Mittel gegen die Affekte dar-
gelegt, d. h. Alles, was die Seele, für sich betrachtet,
gegen die Affekte vermag. Es erhellt daraus, dass die
Macht der Seele über die Affekte besteht: 1) in der Er-
kenntniss dieser Affekte (V. L. 4. E.); 2) darin, dass
die Seele den Affekt von der Vorstellung einer äussern
Ursache, die man sich verworren vorstellt, trennt (V.
L. 4. L. 2. E.); 3) in dem Zeiträume, in welchem die
Affekte für Gegenstände, die man erkennt, jene Affekte
überwinden, welche sich auf verworren und verstümmelt
vorgestellte Gegenstände beziehen (V. L. 7); 4) in der
Menge der Ursachen, durch welche jene Affekte genährt
werden, die sich auf gemeinsame Eigenschaften der Dinge
oder auf Gott beziehen (V. L. 9. 11); 5) endlich in der
Ordnung, mit welcher die Seele ihre Affekte ordnen
und gegenseitig verknüpfen kann (V. L. 10. E. L. 12.
13. 14). 82)
Damit indess diese Macht der Seele über die Affekte
besser erkannt werde, ist festzuhalten, dass man die
Affekte stark nennt, wenn man den Affekt des einen Men-
schen mit dem eines andern vergleicht, und wenn man ^
sieht, dass der eine mehr davon erfasst ist, als der
andere, oder wenn man die mehreren Affekte desselben
Menschen mit einander vergleicht und ihm von dem einen
16*
244 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit.
Affekt mehr als von dem andern erregt und bewegt
siebt. Denn die Kraft jedes Affektes bestimmt sich nach
der Macht der fremden Ursache im Verhältniss zn der
unsrigen. Die Macht der Seele wird aber bloss durch
die Erkenntniss bestimmt, und ihre Ohnmacht oder ihr
Leiden dagegen durch den blossen Mangel der Erkennt-
niss, d. h. diese Ohnmacht wird nach dem gemessen,
weshalb die Yorstellungen unzureichend heissen. Darans
ergiebt sich, dass jene Seele am meisten leidet, deren
grössten Theil unzureichende Vorstellungen ausmachen,
so dass sie mehr an dem, was sie leidet, als an dem,
was sie thut, erkannt wird. Dagegen ist diejenige Seele
hauptsächlich thätig,^ deren grösseren Theil zureichende
Vorstellungen erfüllen, so dass, wenn auch beiden Seelen
gleich viel unzureichende Vorstellungen innewohnen, die
letztere doch mehr durch jene Vorstellungen, welche der
menschlichen Tugend zugehören, als durch die, welche
von der menschlichen Ohnmacht zeugen, sich unterscheidet.
Man muss femer bedenken, dass die Sorgen und das
Unglück ihren Ursprung hauptsächlich aus der zu grossen
Liebe für einen Gegenstand ableiten, welcher vielen Ver-
änderungen ausgesetzt ist, und dessen wir niemals mächtig
sein können. Denn Jeder ist nur in Sorge und Angst
um der Dinge willen, die er liebt, und die Beschädi-
gungen, Verdächtigungen, Feindschaften u. s. w. kommen
nur aus der Liebe zu Dingen, deren Niemand in Wahr-
heit mächtig sein kann.
Hieraus kann man leicht abnehmen, was die klare
und bestimmte Erkenntniss über die Affekte vermag, und
insbesondere jene dritte Art der Erkenntniss (11. L. 47.
E.), deren Grundlage die Erkenntniss Gottes selbst ist.
Wenn auch diese Erkenntniss die Affekte, so weit sie
ein Leiden sind, nicht unbedingt beseitigt (V. L. 3.
L. 4. E.), so bewirkt sie doch, dass sie den kleinsten
Theil der Seele ausmachen (V. L. 14). Femer erzeugt
diese Erkenntniss die Liebe zu dem unveränderlichen und
ewigen Gegenstande (V. L. 15), dessen wir in Wahrheit
mächtig sind (II. L. 45), und deshalb kann sie dorch
die Fehler, mit welchen die gemeine Liebe behaftet ist,
nicht verunreinigt werden , sondern sie muss immer mehr
zunehmen (V. L. 15), den grössten Theil der Seele er-
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 245
füllen (V. L. 16) und sie in weiter Ausdehnung er-
regen. ^)
Damit habe ich das beendet, was das gegenwärtige
Leben angeht. Denn man wird leicht bemerken, dass,
wie ich im Beginn dieser Erläuterung gesagt, ich mit
diesem Wenigen alle Mittel gegen die Affekte erschöpft
habe, sobald man beachtet, was in dieser Erläuterung
und bei den Definitionen der Seele und ihrer Affekte
und endlich zu III. L. 1. 3. gesagt worden ist. Es ist
daher nun Zeit, dass ich zu dem übergehe, was die Dauer
der Seele, ohne Beziehung auf den Körper, betrifft.
L. 21. Die Seele kann nur während der Dauer
i/ires Körpers sich etwas bildlich vorstellen und der
vergangenen Dinge erinnern,
B. Die Seele drückt nur während des Bestehens
ihres Körpers die wirkliche Existenz^ ihres Körpers aus
und fasst nur während dem die Erregungen ihres Körpers
als wirkliche auf (11. L. 8. Z.) ; folglich stellt sie keinen
Körper als wirklich existirend vor (II. L. 26), als nur
während der Dauer ihres Körpers, und folglich kann sie
sich auch nichts bildlich vorstellen (II. L. 17. E.), noch
an Vergangenes sich erinnern, als nur während ihr Kör-
per besteht (H. L. 18. E.). «*)
L. 22« In Gott giebt es jedoch nothwendig eine
Vorstellung^ welche das Wesen dieses undjenes mensch-
lichen Körpers unter der Form der Ewigkeit aus-
drückt.
B. Gott ist nicht bloss die Ursache von der Existenz
dieses und jenes menschlichen Körpers, sondern auch von
dessen Wesenheit (I. L. 25). Diese muss deshalb durch
die Wesenheit Gottes nothwendig begriffen werden (I.
A. .4), und zwar mit einer gewissen ewigen Nothwendig-
keit (I. L. 16), und diese Vorstellung muss nothwendig
in Gott sein (II. L. 3).
L. 23« Die menschliche Seele kann nicht durch-
aus mit dem Körper zerstört werden , sondam es bleibt
von ihr etwas y was ewig ist.
246 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit.
■
B. In Grott giebt es nothwendig einen Begriff oder
eine Vorstellung, welche das Wesen des menschliclien
Körpers ausdrückt (V. L. 22), welche Vorstellung des-
halb mit Nothwendigkeit etwas ist, was zum Wesen der
menschlichen Seele gehört (II. L. 13). Aber man theilt
der menschlichen Seele nur eine durch die Zeit l)e-
stimmbare Dauer zu, so weit sie die wirkliche Existenz
ihres Körpers, welche durch Dauer bezeichnet und zeit-
lich bestimmt werden kann, ausdrückt, d. h. man ertheilt
der Seele (in. L. 8. Z.) nur Dauer während der Dauer
ihres Körpers. Da indessen doch dasjenige etwas ist,
was mit einer gewissen ewigen Nothwendigkeit durch die
eigene Wesenheit Gottes vorgestellt wird (V. L. 22), so
wird dieses Etwas, was zum Wesen der Seele gehört,
nothwendig ewig sein.
E. Es ist, wie gesagt, diese Vorstellung, welche das
Wesen des Körpers in der Form der Ewigkeit ausdrückt,
ein bestimmter Zustand des Denkens, welcher zur Wesen-
heit der Seele gehört, und welcher nothwendig ewig ist.
Es ist indess unmöglich, dass wir eine Erinnerung von
unserem Dasein vor dem Körper haben, da es im Körper
keine Spuren davon geben, und die Ewigkeit weder durch
die Zeit definirt, noch irgend ein Verhältniss mit der
Zeit haben kann. Dessenungeachtet fühlen und er-
fahren wir, dass wir ewig sind. Denn die Seele weiss
ebenso die Dinge, welche sie im Erkennen sich vorstellt,
als die, welche sie im Gledächtniss hat. Denn die Augen
der Seele, durch welche sie die Dinge sieht und beobachtet,
sind die Begründungen.
Obgleich wir uns daher nicht erinnern, vor dem Kör-
per existirt zu haben, so wissen wir doch, dass unsere
Seele, insoweit sie das Wesen des Körpers in der Form
der Ewigkeit enthält, ewig ist, und dass diese ihre
Existenz durch die Zeit nicht erklärt und durch die
Dauer nicht erläutert werden kann. Man kann deshalb
von der Seele nur insoweit sagen, dass sie dauert, und
ihre Existenz kann nur insoweit durch eine gewisse Zeit
ausgedrückt werden, als sie die wirkliche Existenz des
Körpers enthält, und als sie insoweit allein die Macht
hat, die Existenz der Dinge durch die Zeit zu messen
und sie als Dauer aufzufassen. ^^)
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 247
L. 24. Je mehr man die einzelnen Dinge er-
kennt, desto mehr erkennt man Gott.
B. Dies erhellt aus I. L. 25. Z.
L. 25« Das höchste Streben der Seele und die
höchste lugend ist, die Dinge in der dritten Art des
Wissens zu erkennen,
B. Die dritte Art des Wissens schreitet von der zu-
reichenden Vorstellung einiger Attribute Gottes zur zu-
reichenden Kenntniss des Wesens der Dinge fort (II.
L. 40. E. 2). Je mehr man die Dinge so erkennt, desto
mehr erkennt man Gott (V. L. 24), und deshalb ist die
höchste Tugend der Seele (IV. L. 28), d. h. die Macht
oder Natur der Seele (IV. D. 8), oder ihr höchstes Be-
streben (in. L. 7), die Dinge in der dritten Art des
Wissens zu erkennen.
L, 26. Je fähiger die Seele zwr Erkenntniss der
Dinge in dieser dritten Art des Wissens ist, desto
mehr strebt sie, die Dinge in dieser Art des Wissens
zu erkenneil,
B. Dies erhellt von selbst; denn so weit man sich
die Seele vorstellt als fähig, die Dinge in dieser dritten
Art des Wissens zu erkennen, insoweit stellt man sich
dieselbe auch vor als bestimmt zu dieser Erkenntniss;
folglich begehrt die Seele sie um so mehr (III. D. 1),
je fähiger sie dazu ist. ^*)
L. 27. Aus dieser 'dritten Art des Wissens ent-
springt die höchste mögliclie Seelenruhe,
B. Die höchste Tugend der Seele ist, Gott erkennen
(IV. L. 28) oder in der dritten Art des Wissens ein-
zusehen (V. L. 25). Diese Tugend wird um so grösser,
je mehr die Seele in dieser Wissensart die Dinge erkennt
(V. L. 24); mithin erreicht der, welcher die Dinge in
dieser Wissensart erfasst, die höchste menschliche Voll-
kommenheit und wird folglich von der höchsten Eröh-
lichkeit erfüllt (III. D. 2), und zwar begleitet von den
Vorstellungen seiner und seiner Tugend (Ö. L. 43). Mit-
hin entspringt aus dieser Art der Erkenntniss die höchste
Seelenruhe, die möglich ist (HI. D. 25).«'')
248 ^' Theü. Von der menschlichen Freiheit.
L« 28. DcLs Strebefi oder Bekehren , die Dinge
in dieser dritten Art des Wissens zu erkennen , kam
nicht aus der ersten Art des Wissens entspringen,
aber wohl aus der zweiten Art
B. Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst klar. Denn
was man klar und bestimmt erkennt, das erkennt man ent-
weder durch sich oder durch ein Anderes, welches durch
sich vorgestellt wird, d. h. die Vorstellungen, welche in
uns klar und bestimmt sind, oder welche zur dritten Art
des Wissens gehören (IL L. 40. E. 2), können nicht aus
verstümmelten oder verworrenen Vorstellungen hervor-
gehen, welche zur ersten Art des Wissens gehören (E
L 40. E. 2), sondern nur aus zureichenden Vorstellungen,
d. h. aus der zweiten und dritten Art des Wissens (H.
L. 40. E. 2), und deshalb kann das Streben nach £r-
kenntniss in der dritten Art des Wissens nicht aus der
ersten, wohl aber aus der zweiten Art des Wissens ent-
springen (in. D. 1).W)
L. 29« Alles y was die Seele in der Form der
Evoigkeit erkennt, erkennt sie nicht dadurch, dass sie die
gegenwärtige wvrkUeJie Existenz des Körpers e7*/a8stj
sonde^'n dadurch, dass sie das Wesen des Körpers in
der Form der Ewigkeit erfasst
B. So weit die Seele die gegenwärtige Existenz ihres
Körpers erfasst, insoweit stellt sie auch eine Dauer vor,
welche nach der Zeit gemessen werden kann, und inso-
weit hat sie nur die Macht, die Dinge mit Beziehung
auf die Zeit vorzustellen (IL L. 26. V. L. 21). Aber
die Ewigkeit kann durch die zeitliche Dauer nicht er-
klart werden (I. D. 8), mithin hat die Seele insoweit
nicht die Macht, die Dinge in der Form der Ewigkeit
zu erfassen, sondern sie hat diese Macht, weil es zur
Natur der Vernunft gehört, die Dinge in der Form der
Ewigkeit zu erfassen (11. L. 44. Z. 2), und weil es zur
Natur, der Seele gehört, das Wesen des Körpers in der
Form der Ewigkeit zu erfassen (V. L. 23) und ausser
diesen Beiden nichts weiter zu dem Wesen der Seele
gehört (IL L. 13). Mithin gehört diese Macht, die
Dinge in der Form der Ewigkeit aufzufassen, nur inso-
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 249
weit zur Seele, als sie das Wesen des Körpers in der
Form der Ewigkeit auffasst.
E. Die Dinge werden von uns in zwiefacher Weise
als wirkliche aufgefasst, entweder insoweit wir sie uns
vorstellen mit Beziehung auf eine bestimmte Zeit und
Art, oder als in Gott enthalten und aus der Nothwendig-
keit seiner göttlichen Natur folgend. Die auf diese
zweite Art als wahr und wirklich aufgefassten Dinge
werden in der Form der Ewigkeit aufgefasst, und ihre
Vorstellungen enthalten das unendliche und ewige Wesen
Gottes, wie II. L. 45. und E. daselbst gezeigt wor-
den ist. 8»)
L. 30. So weit unsere Seele sich und den Kör-
per in der Form der JEvrigkeit kennt j insoweit hat
sie nothwendig die Erkenntniss Gottes und weiss, dass
sie in Gott ist und durch Gott vorgestellt vnrd,
B. Die Ewigkeit ist Gottes Wesen selbst, so weit
dieses die nothwendige Existenz einschliesst (I. D. 8).
Daher ist die Erkenntniss der Dinge in der Form der
Ewigkeit die Erkenntniss derselben, so weit sie durch
das Wesen Gottes als seiende Dinge aufgefasst werden,
d. h. so weit sie durch das Wesen Gottes die Existenz
enthalten. Daher hat unsere Seele, so weit sie sich und
den Körper in der Foim der Ewigkeit auffasst, noth-
wendig die Erkenntniss Gottes und weiss u. s. w. *•)
L« 31t Die dritte Art des Wissens ist bedingt
von der Seele, als der wirklichen Ursache y insoferß^
als die Seele selbst ewig ist.
B. Die Seele erfasst in der Form der Ewigkeit
nichts, sofern sie nicht das Wesen ihres Körpers in der
Form der Ewigkeit erfasst (V. L. 29), d. h. nur inso-
weit sie ewig ist (V. L. 21. 23). So weit sie aber ewig
ist (V. L. 30), hat sie die Erkenntniss Gottes, welche
nothwendig zureichend ist (II. L. 46); mithin ist die
Seele, soweit sie ewig ist, zur Erkenntniss von Allem
geschickt, was durch diese gegebene Erkenntniss erlangt
werden kann (II. L. 40), d. h. zur Erkenntniss der Dinge
in der dritten Art des Wissens (II. L. 40. E. 2), und
deshalb ist die Seele, so weit sie ewig ist, hiervon die
zureichende oder wirkliche Ursache (III. D. 1).
250 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit.
E. Je mehr also Jemand in dieser Axt der Erkeimt-
niss stark ist, desto besser kennt er sich und Gott, d. h.
desto vollkommener nnd glücklicher ist er, wie ans dem
Folgenden noch deutlicher hervorgehen wird. Wenngleich
wir also gewiss sind, dass die Seele ewig ist, so weit
sie Dinge in der Form der Ewigkeit auffasst, so wollen
wir doch, um das Darzulegende fassbarer und vorstand-
licher zu machen , die Seele so betrachten , wie es
bisher geschehen ist, als ob sie einen Anfang im Sein
hätte und einen Anfang in der Erkenntniss der Dinge
unter der Form der Ewigkeit. Es wird dies ohne Gefahr
eines Irrthums geschehen können, sofern wir sorgfaltig
Acht haben, nur aus klaren Vordersätzen Schlüsse zu
ziehen. *^)
L. 32. Was man in der dritten Art des Wissens
erkennt, da/i*an erfreut man sich, und zwar begleitet
von der Vorstellung Gottes j als Ursache.
B. Aus dieser Art der Erkenntniss entsteht die höchste
mögliche Seelenruhe oder Fröhlichkeit (III. D. 25), nnd
zwar begleitet von der Vorstellung seiner (V. L. 27)
und mithin auch begleitet von der Vorstellung Gottes,
als Ursache (V. L. 30).
Z. Aus der dritten Art des Wissens entsteht noth-
wendig die geistige Liebe zu Gott. Denn aus dieser Art
der Erkenntniss entsteht eine Fröhlichkeit, begleitet von
der Vorstellung Gottes , als Ursache (V. L. 31) , d. h.
die Liebe zu Gott (III. D. 6), nicht insofern wir ihn als
gegenwärtig bildlich vorstellen (V. L. 29), sondern sofern
wir Gott als ewig seiend erkennen (V. L. 29), und dies
ist es, was ich die geistige Liebe zu Gott nenn«.
L« 33. Die geistige Liehe zu Gott, welche aus
der dritten Art des Wissens entsteht, ist ewig.
B. Denn die dritte Art des Wissens ist ewig (Y.
L. 31. u. I. A. 3). Folglich ist die Liebe, welche aus
ihr entspringt, auch nothwendig ewig (I. A. 3).
E. Obgleich diese Liebe zu Gott keinen Anfang hat
(V. L. 33), so hat sie doch alle Vollkommenheiten der
Liebe ebenso, als wenn sie entstanden wäre, wie V. L.
32. Z. angenommen worden ist. Es ist hier kein Unter-
schied, ausser, dass die Seele dieselben Vollkommenheiten,
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 251
welche wir dort als hinzutretend angenommen haben, von
Ewigkeit gehabt hat, und zwar begleitet von der Vor-
stellimg Gottes, als ewiger Ursache. Wenn die Fröhlich-
keit in dem IJebergange zu einer grösseren Vollkommen-
heit besteht, so muss die Seligkeit sicherlich darin be-
steben, dass die Seele mit der Vollkommenheit selbst
begabt ist.**)
L. 34« Die Seele ist nur^ so lange der Körper
besteht, denjenigen Affekten unterworfen , welcJie ein
Leiden entlialten.
B. Die Einbildung ist ein Vorstellen, wobei die Seele
den Gegenstand als gegenwärtig betrachtet (II. L. 17. E.),
welche Vorstellung aber mehr den gegenwärtigen Zu-
stand des menschlichen Körpers, als die Natur des
fremden Körpers angiebt (II. L. 16. Z. 2). Daher ist
der Affekt eine bildliche Vorstellung, soweit sie den
gegenwärtigen Zustand des eigenen Körpers darstellt
(in. Allg. Definition), und folglich ist die Seele nur
während der Dauer ihres Körpers den Affekten, welche
ein Leiden enhalten, ausgesetzt.
Z. Hieraus ergiebt sich, dass keine andere Liebe, ausser
der geistigen, ewig ist.
E. Wenn man auf die gewöhnliche Meinung der
Menschen Acht hat, so sieht man, dass sie zwar der
Ewigkeit ihrer Seele sich bewusst sind, aber diese Ewig-
keit mit der zeitlichen Dauer verwechseln und sie in das
hildliche Vorstellen oder in das Gedächtniss verlegen.
Was ihrer Meinung zufolge nach dem Tode bleibt. **)
L. 35. Gott liebt sich selbst mit einer wnend-
Ueken geistigen Liebe,
B* Gott ist unbedingt unendlich (I. D. 6), d. h.
Gottes Natur erfreut sich einer unendlichen Vollkommen-
heit (II. D. 6), und zwar begleitet von der Vorstellung
seiner (II. L. 3), d. h. von der Vorstellung seiner, als
Ursache (I. L. 11. u. A. 1), und dies ist, was in V.
L. 32. Z. die geistige Liebe genannt worden ist. '^)
L, 36. Die geistige Liebe der Seele zni Gott ist
Gottes eigene Triebe, durch welc/ie Gott sich selbst
Uebt; nicht so weit er unendlich ist, sondern so weit
252 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit.
er durch das in der Form der Ewigkeit erfoBste We^en
der menschlicJien Seele dargelegt werden kann, d. h.
die geistige Liebe der Seele zu Gott ist ein llieilder
tmendlichen Liebe, womit Gott sich selbst liebt
B. Diese Liebe der Seele gehört zn den Handinngen
derselben (Y. L. 32. Z. u. in. L. 3.) und ist eine Hand-
lung, wodurch die Seele sich selbst betrachtet, unter Be-
gleitung der Vorstellung Gottes als Ursache (V. L. 32.
Z.), d. h. eine Handlung, wodurch Gott, insoweit er
durch die menschliche Seele dargelegt werden kann, sich
selbst betrachtet (I. L. 25. Z. u. 11. L. 11. Z.), unter
Begleitung der Vorstellung seiner. Mithin ist diese
Liebe der Seele (V. L. 3ö) ein Theil der unendlichen
Liebe, mit der Gott sich selbst liebt.
Z. Hieraus ergiebt sich, dass Gott, insofern er sich
selbst liebt, die Menschen liebt, und folglich, dass die
Liebe Gottes zu den Menschen und die geistige Liebe
der Seele zu Gott ein und dasselbe sind.**)
£. Hieraus kann man deutlich erkennen, worin unser
Heil oder unsere Seligkeit oder Freiheit besteht, nämlich
in der beharrlichen und ewigen Liebe zu Gott oder in
der Liebe Gottes zu den Menschen. Und diese Liebe
oder Seligkeit wird in den heiligen Schriften nicht mit
Unrecht Buhm genannt; denn mag diese Liebe auf Gott
oder auf die Seele bezogen werden, so kann sie mit Itecht
die Euhe der Seele genannt werden, welche sich in Wahr-
heit von dem Euhme nicht unterscheidet (III. D. 25. 30),
Denn so weit sie auf Gott bezogen wird, ist es die Pröhr
lichkeit (V. L. 35) (wenn es noch gestattet ist, dieses
Wort zu gebrauchen), unter Begleitung der Vorstellung
Gottes, und dasselbe gilt, wenn diese Fröhlichkeit auf
die Seele bezogen wird (V. L. 27). Weil femer das
Wesen unserer Seele nur in der Erkenntniss besteht,
deren Prinzip und Grundlage Gott ist (I. L. 15. u. TL
L. 47. E.), so wird pun dadurch verständlich, wie und
auf welche Weise unsere Seele nach ihrer Wesenheit
und Existenz aus der göttlichen Natur folgt und fort-
während von Gott abhängt. Ich habe dieses hier er-
wähnen wollen, um an diesem Beispiel zu zeigen, wie
viel jene Kenntniss der Einzeldinge, welche ich die intui-
tive oder die dritte Art des Wissens genannt habe (II.
V. Theil. Von der menschKchen Freiheit. 253
Xi. 40. E. 2), vermag und die Erkenntniss des Allge-
meinen überwiegt, welche ich die zweite Art des Wissens
genannt habe. Denn obgleich ich im I. Theil überhaupt
gezeigt habe, dass Alles und mithin auch die mensch-
liclie Seele, von Gott nach Wesenheit und Existenz ab-
liäiigig ist, so ist doch jener Beweis, obgleich er richtig
und über allen Zweifel erhaben ist, doch für unseren
Verstand nicht so überzeugend, als wenn dies aus der
eigenen Wesenheit jeder einzelnen Sache, welche von
Gott abhängig erklärt worden, gefolgert wird.'*)
L. 37. Es gieht in der Natur nichts, was dieser
geistigen Liebe entgegen ist oder sie aufheben könnte.
B. Die geistige Liebe folgt nothwendig aus der
Natur der Seele, sofern sie als eine ewige Wahrheit
durch die Natur Gottes aufgefasst wird (V. L. 33. 29).
Wenn es also einen Gegensatz gegen diese Liebe gäbe,
so wäre dies ein Gegensatz gegen das Wahre, und mit-
hin bewirkte das, was diese Liebe aufzuheben vermöchte,
dass das Wahre falsch würde, was (wie von selbst klar
ist^ widersinnig ist. Es giebt deshalb nichts in der
Natur u. s. w.*'')
E. Das Axiom im Th. IV. bezieht sich auf die Ein-
zeldinge, sofern sie in Bezug auf eine bestimmte Zeit
und Ort aufgefasst werden, worüber, wie ich glaube,
Niemand zweifeln wird.
L. 38. Je mehr Dinge die Seele auf die zweite
und dritte Art des Wissens erkennt, desto weniger
leidet sie von Affekten, die schlecht sind, und fürchtet
desto weniger den Tod,
B. Das Wesen der Seele besteht in der Erkennt-
niss (IL L. 11); je mehr Dinge daher die Seele in der
zweiten und dritten Art des Wissens erkennt, ein um
so grösserer Theil von ihr erhält sich bleibend (V. L.
29. 35), und folglich wird ein um so grösserer Theil
nicht von Affekten erregt (V. L. 37), die unserer Natur
zuwider sind, d. h. welche schlecht sind (IV. L. 30).
Je mehr Dinge deshalb die Seele auf die zweite und
dritte Art des Wissens erkennt, desto grösser ist ihr
Theil, welcher unverletzt bleibt und deshalb weniger von
den Affekten leidet.
254 V. TheQ. Von der menschlichen Freiheit.
£• Hiennit yersteht man das in lY. L. 39. E. Be-
rührte, was ich in diesem Theile zn erklaren versprochen
habe, nämlich, dass der Tod um so weniger schädlich
ist, je grösser die klare und bestimmte Erkenntniss der
Seele ist, und folglich, je mehr die Seele Gott liebt.
Weil femer (V. L. 27) aus der dritten Art des Wissens
die höchste mögliche Seelenruhe entspringt, so folgt, dass
die menschliche Seele von solcher Art sein kann, dass
das, was von ihr mit dem Körper untergeht (V. L. 21),
im Vergleich zu dem, was von ihr bleibt, von kemer
Erheblichkeit ist. Doch hierüber bald ausführlicher. •*)
L. 39. Wer einen Körper hat, der zu Vielem
geschickt iatj hat. eine Seele, deren grösster Theil
ewig ist.
B. Wer einen Körper hat, der geschickt ist, Vieles
zu thun, wird von schlechten Affekten am wenigsten er-
fasst (IV. L. 38), d. h. von Affekten, die unserer Natur
zuwider sind (IV. L. 30), und er hat deshalb die Macht
(V. L. 10), die Erregungen des Körpers zu ordnen und
zu verbinden nach der Ordnung im Verstände, und mithin
zu bewirken (V. L. 14), dass alle Erregungen des Kör-
pers auf die Vorstellung Gottes bezogen werden, wodurch
er von einer Liebe gegen Gott erfasst werden wird (V.
L. 15), welche den grössten Theil der Seele einnehmen
oder ausmachen muss (V. L. 16). Mithin hat er eine
Seele, deren grösster Theil ewig ist (V. L. 33).'
E. Weil der menschliche Körper zu sehr Vielem
geschickt ist , so kann er unzweifelhaft von solcher Natur
sein, dass er auf eine Seele sich bezieht, welche eine
grosse Kenntniss ihrer und Gottes hat, und deren grösster
oder vorzüglichster Theil ewig ist, so dass sie mithin den
Tod nicht fürchtet. Damit indess dies deutlicher er-
kannt werde, ist hier zu bemerken, dass wir in einer
steten Veränderung leben, und je nachdem wir uns in
das Bessere oder SchlechtiBre verwandeln, dadurch glück-
lich oder unglücklich heissen. Denn wer von einem
Kinde oder Knaben in eine Leiche sich verwandelt hat,
heisst unglücklich, und umgekehrt wird es dem Glück
zugeschrieben, wenn man die ganze Lebenszeit mit ge-
sunder Seele in gesundem Körper hat verleben können.
Und in Wahrheit hat, wer einen Körper wie ein Kind
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 255
hat oder wie ein Knabe, der unr zn Wenigem geschickt
ist, und hauptsächlich von äusseren Ursachen abhängig
ist, eine Seele, die, für sich betrachtet, weder von sich,
noch von Gott, noch von den Dingen etwas weiss; wer
dagegen einen Körper hat, der zu Vielem geschickt ist,
hat eine Seele, welche , für sich betrachtet, viel von sich,
von Gott und den Dingen weiss. Wir müssen daher in
diesem Leben vorzüglich darauf bedacht sein, dass der
Körper der Kindheit, so weit seine Natur es gestattet
und es ihm zuträglich ist, sich in einen andern ver-
wandle, der zu Vielem geschickt ist, und der auf eine
Seele sich beziehe, welche ihrer und Gottes und der Dinge
am meisten bewusst ist; und zwar so, dass Alles, was
zu ihrer Erinnerung oder ihrem bildlichen Vorstellen ge-
hört, im Vergleich zu ihrer Erkenntniss, kaum von
Erheblichkeit ist, wie ich bereits V. L. 38. E. gesagt
habe. »»)
L, 40. Je mehr Vollkommenheit ein Ding he-
sitzt, um so mehr handelt es, und um so weniger leidet
es, und umgekehrt, je mehr es handelt, desto voll-
kommener ist es,
B* Je vollkommener ein Gegenstand ist, desto mehr
Bealität hat er (II. A. 6), und folglich handelt er um so
mehr und leidet um so weniger (III L. 3. E.); dieser
Beweis gilt auch in umgekehrter Ordnung, und daraus
folgt umgekehrt, dass ein Ding um so vollkommener ist,
je mehr es handelt.
Z, Hieraus ergiebt sich, dass der Theil der Seele,
welcher sich erhält, mag er so gross sein, wie er will,
besser als der übrige ist. Denn der ewige Theil der
Seele ist der Verstand (V. L. 23. 29), durch den allein
wir als handelnd gelten (III. L. 3); das aber, was, wie
gezeigt, untergeht, ist das bildliche Vorstellen (V. L. 21),
durch das allein wir leidend sind (HI. L. 3. und AUg.
Definition), und deshalb ist jener, mag er so gross sein,
wie er will, der vollkommnere. **•)
£• Das ist es, was ich über die Seele, insofern sie
ohne Beziehung auf die Existenz des Körpers aufgefasst
wü:d, habe darlegen wollen. Es ergiebt sich daraus, so wie
ans I. L. 21 und Anderem, dass unsere Seele, als erkennende,
256 V« Theil. Von der menschlichen Freiheit.
ein ewiger Zustand des Denkens ist, welcher dnrch einen
andern ewigen Zustand des Denkens bestimmt wird; dieser
wird wieder von einem andern bestimmt und so fort ohne
Ende; so dass alle zugleich den ewigen und unendlichen
Verstand Gottes ausmachen.*^)
L. 41« Wenn wir auch nicht vmasteni dctss
ivnsere Seele ewig ist, so würden wir doch die FVöm-
migkeit und die Religion und überhaupt Alles ^ was
sich nach der Darlegung in 21i, IV. auf die Seelen-
starke und den Edelsinn bezieht, für das Höcliste
halten.
B. Die erste und einzige Grundlage der Tugend
oder der richtigen Lebensweise ist die Sorge für seinen
Nutzen (IV. L. 22. Z. L. 24). Um aber das zu be-
stimmen , was die Vernunft für nützlich erklart, haben
wir keine Bücksicht auf die Ewigkeit der Seele ge-
nommen, die wir erst in diesem fünften Theil kennen ge-
lernt haben. Obgleich wir also damals nicht wussten,
dass die Seele ewig ist, so haben wir doch das für das
Höchste geschätzt, was, wie gezeigt, sich auf die Seelen-
stärke und den. Edelsinn bezog. Wenn wir daher
jetzt diese Ewigkeit auch nicht wüssten, so würden wir
doch diese Vorschriften der Vernunft für die höchsten
halten.
£. Die gewöhnliche Ansicht der Menge scheint eine
andere zu sein. Denn die Meisten scheinen sich nur in-
soweit für frei zu halten, als sie ihren Lüsten nachgehen
dürfen, und sie meinen insoweit ihre Selbstständigkeit
zu verlieren, als sie gehalten sind, nach den Vorschriften
des göttlichen Gesetzes zu leben. Sie halten deshalb
die Frömmigkeit und die Eeligion und Alles, was sich
auf die Geistesstärke bezieht, für lästig und hoffen davon
nach dem Tode frei zu werden und den Preis dieser
Knechtschaft, d. h. dieser ihrer Frömmigkeit und Beli-
gion, zu empfangen.
Sie werden auch nicht bloss durch diese Hof&iung,
sondern auch und vorzüglich durch die Furcht, nämlich
dass sie nach dem Tode nicht mit schrecklichen Martern
gestraft werden, bestimmt, dass sie nach der Vorschrift
des göttlichen Gesetzes leben, so weit ihre Schwächlich-
keit und ihre ohnmächtige Seele es vermag. Wohnte
V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 257
nicht diese Hoffnung und diese Furcht in den Menschen,
und glaubten sie, die Seele ginge mit dem Körper untei-,
und es stände den Elenden, mit der Last der Frömmig-
keit Beladenen nicht ein längeres Leben bevor, so wür-
den sie auf ihren eigenen Sinn zurück gehen und lieber
wollen, dass Alles nach der Lust gr^i^ge, und dass sie
lieber dem Glück als sich selbst unterthan wären. Solches
scheint mir ebenso widersinnig, als wenn Jemand, weil
er weiss, dass er durch gute Nahrungsmittel seinen Leib
nicht in alle Ewigkeit erhalten kann, sich lieber mit Gift
und tödtlichen Sachen sättigen wollte, oder weil er sieht,
dass die Seele nicht ewig oder unsterblich ist, lieber ver-
rückt sein und ohne Verstand leben wollte. Dieses ist
so widersinnig, dass es kaum eine Erörterung verdient. **)
L, 42* Die Seligkeit ist nickt der Ijohn der
Tilgend, sondern die Tugend selbst y und man erfreut
sich ihrer nicht j weil man die Ij&ste im Zawne hälty
sondern weil man sich ihrer erfreut, kann man die
Tjüste im Zaum /lalten,
B. Die Seligkeit besteht in der Liebe zu Gott (V.
L. 36. E.), welche Liebe aus der dritten Art des Wissens
entspringt (V. L. 32, Z.), und deshalb muss diese Liebe
(in. L. 59. u. 3j auf die Seele, so weit sie handelt, be-
zogen werden, und so weit ist sie die Tugend selbst (IV.
D. 8). Dies ist das Erste.
Femer erkennt die Seele um so mehr, je mehr sie
sich dieser göttlichen Liebe oder Seligkeit erfreut (V.
L. 32), d. h. um so grössere Macht hat sie über die
Affekte (V. L. 3. Z.), und desto weniger leidet sie von
Affekten, die schlecht sind (V. L. 38). Folglich hat die
Seele dadurch, dass sie sich dieser göttlichen Liebe oder
Seligkeit erfreut, die Macht zur Hemmung der Lüste,
weil die menschliche Macht über die Affekte nur in der
Erkenntniss enthalten ist. Niemand geniesst deshalb die
Seligkeit, weil er die Affekte gehemmt hat, sondern um-
gekehrt, die Kraft, diese Affekte zu hemmen, entspringt
aus der Seligkeit selbst.-**)
£• Hiermit ist das beendet, was ich rücksichtlich der
Macht der Seele über die Affekte und über die Freiheit
der Seele habe darlegen wollen. Hieraus erhellt, wie
viel der Weise den Unwissenden überwiegt und mächtiger
Spinoxa, Ethilr. ^' 17
258 V. Theil. Von der menschliclien Freiheit.
als dieser ist, der nur von den Lüsten getrieben wird.
Denn der Unwissende wird nicht allein von äusseren Ur-
sachen auf viele Weise getrieben und erreicht nie die
wahre Seelenruhe, sondern er lebt auch in Unkenntniss
von sich, von Gott und von den Dingen, und so wie sein
Leiden aufhört, hört auch sein Dasein auf; während da-
gegen der Weise, als solcher, kaum eine Erregung in
seinem Geiste empfindet, sondern in der gewissermassen
nothwendigen Erkenntniss seiner, Gottes und der Dinge
niemals aufhört, zu sein, mid immer der wahren Seelenruhe
geniesst. Wenn auch der Weg, welchen ich, als dahin
führend, aufgezeichnet habe, sehr schwierig erscheint, so
kann er doch aufgefunden werden. Und allerdings mag
er beschwerlich sein, weil er so selten gefunden wird.
Denn wie wäre es möglich, dass, wenn das Heil bei der
Hand wäre und ohne grosse Mühe gefunden werden
könnte, dass es von Allen fast vernachlässigt würde?
Indess ist alles Erhabene ebenso schwer, wie selten.**^)
Ende der Ethik. ^«)
Druck Ton Gebrfider Granert in Berlin.
Philosophische Bibliothek
oder
Sammlung
der
Hauptwerke der Philosophie
alter und neuer Zeit.
Herausgegeben y beziehungsweise übersetzt, erläutert
und mit Lebensbesehreibungen versehen
von
J. H. Y. Elrchmann.
Fünfter Band.
Erläuterungen zu Benedict von Spinoza's Ethik.
•O- <>o0=rr0«O^)«ö«=«W^= 0»-
Berlin^ 1869.
Verlag von L. Hei mann.
Wilhdlms- Strasse No. 91.
Erläuterungen
zu
Benedict von Spinoza's
Ethik
von
J. H. y. Slrchmann.
-* ^>«0=»€5::@)cS5C=fl6ocJs ofl*.
Berlin, 1869.
Verlag von L. Heimann.
Wilhelms > Strasse No. 91.
Das Recht der üehenetzung tcird vorbehalten.
Vorwort.
Bei jedem philosophischen Werke besteht ein Zusammen-
hang mit den Systemen seiner Zeit und der Vorzeit.
Durch die Aufdeckung dieses Zusammenhanges wird un-
zweifelhaft das Verständniss desselben gefördert; allein
bei grösseren, systematischen Werken tritt die Bedeutung
dieses Zusammenhanges zurück. Hier ist das Verständ-
niss vor Allem aus ihnen selbst abzuleiten, und solche
Werke haben das Eecht und die Macht, sich selbst zu
erklären und zu ergänzen. ^Dies gilt vorzugsweise von
der Ethik Spinoza's. Es ist deshalb schon in der
Vorrede zu derselben dem Leser empfohlen worden, trotz
der Schwierigkeiten des Anfangs in dem Studium des
Werkes selbst auszuhalten und nicht zu schnell nach
fremden Hülfsmitteln zu greifen. Deshalb schliessen sich
auch die hier gegebenen Erläuterungen unmittelbar den
emzelnen Definitionen und Sätzen des Werkes an, ohne
eine, in das Geschichtliche und Dogmatische der damali-
gen Philosophie eingehende Einleitung voranzuschicken.
Das davon zum Verständniss einzelner Lehrsätze Un-
entbehrliche ist bei diesen bemerkt; im Uebrigen wirkt
dergleichen Einleitung eher schädlich als nützlich, da sie,
anstatt zu dem Werke hinzuzufuhren, von demselben ab-
führt und den Eifer des Lesers erkaltet, ehe er noch zur*
Sache selbst gelangt.
Da die Begriffe und die Methode in Spinoza^s Ethik
dem Vorstellen der Gegenwart fem liegen, so haben die
Erläuterungen hier mehr als sonst in das Einzelne ein-
gehn müssen, und es müsste aus demselben Grunde sich
eine fortlaufende Kritik damit verbinden, da nur durch
Gegenüberstellung entgegengesetzter Ansichten der Sinn
von Spinoza's Sätzen voll dargelegt werden kann.
Eine solche Kritik kann einen dreifachen Standpunkt
einnehmen. Sie kann sich formal oder inamanent halten,
indem sie die Prinzipien oder die Methode des Werkes
VI Vorwort.
gelten lässt und nur prüft, ob die Ausführung danach
folgerichtig und erschöpfend geschehen ist. Die Kritik
kann aber auch eine materiale werden, wenn sie sich
auf die Y^ahrheit dieser Prinzipien richtet und unter-
sucht, ob die benutzten Mittel und Methoden geeignet
sind, die Wahrheit zu erreichen. Die Kritik wird endlich
spekulativ, wenn sie den gewöhnlichen Begriff der
Wahrheit aufgiebt und diese selbst in das Werden nnd
die Entwickelung hineinzieht. Einer solchen Kritik gilt
schon jede logische Kategorie als wahr in Bezug auf die
ihr vorgehenden und als unwahr in Bezug auf die ihr
nachfolgenden Begriffe. Diese Auffassung überträgt sie
auf die im Lauf der Zeit hervorgetretenen philosophischen
Systeme; sie gelten ihr nur als ein Moment in der Ent-
wickelung der Wahrheit selbst, die ihr ein Werdendes ist.
Diese spekulative Kritik ist hier nicht geübt woilüen,
weil nach realistischer Auffassung die Wahrheit, als die
Uebereinstimmung des Wissens mit dem Sein, ewig nnd
unveränderlich ist. Das, was wird und fortschreitet, ist
nicht die Wahrheit, sondern das menschlicheWissen
um die Wahrheit. Deshalb kann die Wahrheit nie fidsch
und das Falsche nie wahr werden. Deshalb ist das, was
heute die Ethik Spinoza's Falsches enthält, schon zu
seiner Zeit falsch gewesen, und die Kritik kann höchstens
darlegen, welche Umstände Spinoza zu diesem Falschen
verleitet haben. Auch hat solches Falsche nur in so fern
einen Werth für die Gregenwart, als es zeigt, auf welchem
Wege die Wahrheit nicht erreicht werden kann.
Es bleibt somit nur die formale und materiale Kritik
als berechtigt, und diese ist in den nachstehenden Er-
läuterungen geübt worden. Die formale ruht auf dem
Fundamentalsatz vom Nichtsein des sich Widersprechen-
den, und ihr Verfahren ist deshalb weniger bestritten.
Die materiale Kritik bedarf dagegen noch eines Prinzips
für die G^ewinnung des Seienden oder des Inhaltes.
Hier gehn die Systeme weit auseinander, und ein Beweis
für solche Prinzipien ist Unmöglich {E. 69). Die ma-
teriale Kritik hat daher ihren unmittelbaren Werth nur
für den, der ihre Prinzipien anerkennt; indess hat sie
selbst für ihre Gegner einen mittelbaren Werth, da sie
jedenfalls den Gesichtskreis erweitert.
Spinoza^s Ethik hat bereits zahlreiche Beurtheilungen
Vorwort. VII
gefunden. Abgesehn von frühern Schriften sind der-
gleichen von Jacobi, Herbart, Sigwart, Erdmann,
Trendelenburg und Kuno Fischer geliefert worden,
und k^zlich hat Dr. B. Avenarius eine verdienstliche
Arbeit über die verschiedenen Phasen des Fantheismus
innerhalb Spinoza's selbst geliefert.
Jene Beurtheilungen beruhn zum grössten Theile auf
den Prinzipien des Idealismus, nur Jacobi hat das Ge-
fühl (Glauben) und Herbart realistische Auffassungen
dabei zu Grttüde gelegt. Dagegen ist eine Kritik der
Ethik im Sinne des reinen Eealismus noch nicht vor-
handen. Ind^m eine solche hier geboten wird, kann sie
vielleicht auch für die Gegner des Eealismus von Interesse
sein, da kein philosophisches Werk so wie die Ethik
Spinoza's geeignet ist, die Grundsätze des Eealismus
durch Gegenüberstellung klar zu machen.
Kein Werk lehrt so wie diese Ethik, dass das Den-
ken für sich, trotz aller Schärfe und Konsequenz unfähig
ist, das Seiende oder die Wahrheit zu erreichen. Je
strenger es Spinoza versucht, desto mehr schwindet ihm
der Inhalt unter den Händen; es bleibt ihm zuletzt nur
ein künstliches Netz leerer Beziehungen, die dem Spiel
des Denkens allerdings keinen Widerstand leisten, aber
von dem Seienden keine Kunde geben.
Diese Verwechslung der Beziehungsformen des Denkens
mit den aus dem Wahrgenommenen abgeleiteten Begriffen des
Seienden bestand schon bei den Scholastikern und bildet
das charakteristische Kennzeichen der scholastischen
Philosophie. Statt das Seiende auf dem mühsamen
Wege der Beobachtung zu erforschen, trieb man das
Spiel mit den Beziehungsformen bis in die feinsten Sub-
tilitäten, ohne zu bemerken, dass man damit dem Seien-
den um keinen Schritt näher kam.
Auch Spinoza ist noch ganz in diesem Irrthum be-
fangen, wie der erste Theil seiner Ethik zeigt, und selbst
da, wo er in den späteren Theilen die Beobachtung des
Seienden zu Hilfe nimmt, werden die Ergebnisse durch
jene Ueberschätzung der leeren Beziehungen getrübt und
entstellt. Indem ^e Erläuterungen vorzugsweise diesen
Punkt im Auge behalten, war es möglich, Aufschlüsse zu
bieten und Irrthümer auf ihre Quelle zurückzuführen, wie
dies bisher noch nicht hat geschehen können.
VIII Erklärung der Abkürznngen.
Um Wiederholungen und eine zn breite Darstellung
zu vermeiden, ist in den Erlänterungen für wichtigere
Begriffe anf die Lehre vom Wissen Bezug genommen
worden, welche als Einleitung in das Studium philoso-
phischer Werke in B. I. der Philosophischen Bibliothek
vorausgeschickt worden ist.
Berlin, im Februar 1869.
V. Kirchmann
Erklärung der Abkärsuiigeii.
D. bedeutet Definition.
E. „ Erläuterung.
A. „ Axiom.
L. „ Lehrsatz.
Z. „ Zusatz.
Ln. „ Lehnsatz.
H. ^ Heischesatz.
S. „ Satz.
Erkl. „ Erklärung.
B. I. „ den ersten Band derPhilosophischenBibliothel.
{E. 23) „ Seite 23 der Einleitung in das Studium phi-
losophischer Werke im B. I. der Philosophi-
schen Bibliothek.
(Kr. 467) „ Seite 467 der Kritik der reinen Vernunft von
Kant B. IL der Philosophischen Bibliothek.
S. 104. , Seite 104 dieser Erläuterungen.
Die Ziffern vor jeder Erläuterung beziehn sich auf die ihnen
correspondirenden Ziffern der Ethik Spinoza's im IV. Band
der Philosphischen Bibliothek.
Aesthetik L 103 bedeutet Seite 103, Theil I. der Aesthetik
auf realistischer Grundlage von J. H. v. Kirchmann.
Berlin. 1868.
Philosophie des Wissens 375 bedeutet Seite 375 der Philo-
sophie des Wissens von J. H. v. Kirchmann. Berlin. 1864.
V
Erster Theil.
Von Gott.
1. Die DeberSOlirUt. Spiuoza hat sein Werk Ethik
genannt; allein der Inhalt ergiebt, dafis er ein beson-^
deres Prinzip des Sittlichen neben dem Prinzip des
Nutzens nnd der Selbsterhaltung nicht anerkennt. Spi*
noza's Ethik kann deshalb nicht als eine solche im ge-
wöhnlichen Sinne gelten (JE. 9. 95), sie ist mehr eine
Philosophie der Natur und der Seele (E. 95). Der. erste
Theil: »Von Gott« enthält die Philosophie der Natur;
der zweite Theil: »Von der Seele« enthält die Philosophie
des Wissens (JE, 95); der dritte Theil: »Von den
Affekten« enthält die Philosophie der seienden Zu-
stände der Seele, d. h. der (xefühle und Begehrungen
(K 7); der vierte Theil: »Von der menschlichen Knecht-
schaft« enthält die Lehre von dem Wider s^t reit der
Gefühle und Begehren und von der Klugheit; der
fünfte Theil: »Von der menschlichen Freiheit« enthält
die Lehre von der Macht des Denkens über die Ge-
fühle. Indess wird diese Eintheilung von Spinoza nicht
streng innegehalten; so enthält der fünfte Theil auch die
Lehre von der Unsterblichkeit der Seele^ Ebenso ist
Spinoza durch seine geometrische Beweismethode an einer
übersichtlichen Eintheilung und Folgeordnung des Inhalts
gehindert. Er springt oft plötzlich von einem Gegen-
stande weit ab, nur um in einem Lehrsatze die Unter-
lagen zu dem Beweise eines späteren, 4er dem Gedanken-
gange sich erst wieder anschliesst, zu gewinnen.
2« D. L Der Ausdruck: Ur&ache seiner enthält
in seinem Wortsinn einen Widerspruch; denn Etwas ka^n
drl&ateraiigeii za Spinoza's Ethik. 1
2 I. TheiL 2. (D. 1.)
nicht zugleich Ursache und Wirkung dieser Ursache
sein, d. h. es kann nicht sein vor seinem Sein, und es
kann sich nicht erzeugen, ehe es existiri Man könnte
deshalh meinen, dass mit diesem Worte nur das TJr-
sachlose, das Nicht-Erzeugte bezeichnet werden
solle ; allein der Ausdruck will mehr sagen als hlos eine
solche Verneinung. Die idealistische Philosophie hat
später den Begriff der Entwickelung daraus gebildet,
wo dier Wirkung zwar sich von der Ursache unterscheidet,
aber dabei doch mit der Ursache nur em und dasselbe
bleibt, so dass das Ding durch seine Entwickelung nur
seine eigne Natur offenbart und durch diese Entwicke-
lung nicht zu einem Anderm wird. Dieser Begriff, den
erst Hegel vollständig ausgebildet hat, ist bei Spinoza
nur erst im Keime vorhanden. Spinoza nimmt jedoch in
der Definition, die er hier von der »Ursache seiner« giebt,
diesen Gedanken noch nicht auf, sondern giebt diesem
Worte hier zunächst die ganz andere Bedeutung, wonach
es nur die Untrennbarkeit des Wesens von der
Existenz bezeichnet. Anselm von Canterbnry
hatte zuerst behauptet, dass aus dem blossen Begriffe Gottes
auch seine Existenz folge; Cartesius hatte diesen Satz,
den man als den ontologischen Beweis Gottes be-
zeichnet, aufgenommen, gebilligt und zu verstärken ge-
sucht. Von Cartesius ist dieser Satz auf Spinoza über-
gegangen, der ihn allgemein von jeder Substanz behaup-
tet, indess mittelbar dann ebenfalls auf Gott beschränkt,
weil nach Spinoza es keine Substanz ausser Gott giebt.
Kant hat später die Nichtigkeit dieses Beweises dar-
gelegt; und wenn auch Hegel wieder darauf zurück-
gegangen ist, so erkennt die neuere Philosophie doch
allgemein an, dass aus der blossen Vorstellung eines
Gegenstandes in der menschlichen Seele nicht auf das
Dasein desselben ausserhalb derselben geschlossen werden
könne {E, 11). So selbstverständlich dies der Gegenwart
selbst für den Gottesbegriff erscheint, so war doch zu
Spinoza's Zeit die Philosophie noch zu sehr von den reli-
giösen Vorstellungen durchzogen und getränkt, als dass
die Ableitung des Seins Gottes aus seinem Begriffe
der Philosophie nicht als etwas durchaus Natürliches nnd
Zulässiges hätte gelten sollen. So ist denn auch Spinoza
von der Wahrheit dieses Satzes durchdrungen und daher
L Theü. 2. (D. 1.) 3
erklärt es sich, dass er denselben in naiver Weise als
Definition bietet, wahrend es doch vor Allem darauf
angekommen wäre, die Wahrheit dieses Satzes zu be-
weisen.
Spinoza spricht in D. 1 vom Wesen (Essentta), ohne
dessen Begriff näher zu entwickeln. In II. D. 2 giebt
er zwar eine Definition vom Wesen; allein sie ist durch-
aus formal, da sie nur die Untrennbarkeit des Wesens
und der Sache aussagt, womit über die eigne Natur oder
den Inhalt des Wesens kein Aufschluss gegeben ist
Dennoch bildet der Begriff des Wesens einen
der wichtigsten in de): Ethik Spinoza*s; ja, er ist be-
deutender als der der Substanz; er zieht sich durch
alle Theile der Ethik, während der der Substanz in dem
3., 4. und 5. Theile nur selten hervortritt. Dieser Be-
griff des Wesens ist von Spinoza aus der scholastischen
Philosophie übernommen. Es wäre falsch, das Wesen
als mit Begriff im heutigen Sinne identisch zu nehmen;
unter Letzterem versteht man gewöhnlich eine nur vor-
gestellte oder eine Mehreren gemeinsame Be-
stimmung {E. 20); Spinoza unterscheidet aber die no-
twnes universales und transscendentales sehr bestimmt
von der Essentia und nimmt diese als ein Seiendes,
was auch für eine einzelne Sache gilt, wie aus 11. L. 37
und Y. L. 22 erhellt. Am besten erklärt das Wesen
sich aus dem von Spinoza aufgestellten Gegensatz des
bildlichen Yorstellens und des Erkennens im
menschlichen Denken. Das Wesen kann nicht durch
jenes, sondern nur durch dieses erfasst werden; es ist
deshalb eine »ewige Wahrheit«, welche zwar Existenz
hat, aber dennoch ausserhalb der Zeit steht, so
dass eine zeitliche Dauer, ein Anfang oder Ende von dem
Wesen jedes Dinges, das in Gott als eine ewige Wahr-
heit ist, nicht ausgesagt werden kann. Man sehe hier-
üher die Vorrede zu Th. IV. Allerdings ist auch damit
kein Inhalt für den Begriff des Wesens gewonnen.
Mher betrachtet erklärt sich dies daraus, dass das
Wesen zu den Beziehungsformen gehört {E, 50), welche,
da sie kein Bild des Seienden sind, deshalb auch keinen
Inhalt haben, vielmehr sich beliebig jedem Inhalt an-
fügen lassen. Es giebt deshalb auch kein Wesen ohne
etwas Unwesentliches, und man wird dem Begriffe, den
1*
4 L TheiL 3. 4. (D. 2. 3.)
Spinoza mit Wesen verbindet, am nächsten kommen,
wenn man von dem einzelnen Gegenstande sein ITnwesent-
licbes entfernt^ als welches Spinoza die zeitliche und von
etwas Anderm verursachte Existenz desselben ansieht
3. D» 2. Diese Definition des Endlichen und Un-
endlichen ist sehwankend und dunkel. Die Grenze
versteht man gewöhnlich nur von raumlich oder zeitlich
Ausgedehntem; man sieht deshalb nicht ein^ wie ein Ge-
danke ali solcher den andern begrenzen soll;; ja, wäre
dies der Fall, so könnte es überhaupt keinen Gedanken
des Unendlichen, geben, was gegen* Spinoza wäre. Spinoza
kam zu dieser Auffassung dadurch, dass er die Grenze
nur als Beziehung fasste, d. h. als Verneinung. Damit
hangt sein Satz zusammen, dass alle Bestimmung (deter-
minatio) eine Yemeinung sei (E. 35). So aufgefasst ist
nämlich ein, Aaderes gleicher Art nothwendig, wenn
für das Erste eine Grenze entstehen soll. Allein die
Grenze kann auch bejahend oder seiend au^efasst
werden, welche Auffassung gewöhnlich mit der Vor-
stellung des Bestimmten sich verbindet (^. 35). Dann
ist zur Endlichkeit des Einen gar nicht das Dasein eines
Andern gleicher Art nothwendig. Dies zeigt sich am
deutlichsten bei den Qualitäten und Gestalten,
welche mit der Grösse nichts. zu thun haben. So würde
das Eoth endlich oder bestimmt bleiben, wenn es aucli
keine andere Farben daneben gäbe; eben so würde das
Dreieck endlich bleiben, wenn es auch keine andere Ge-
stalten daneben gäbe.
4. Hs 3. Die Substanz hat man für den wichtigsten
Begriff in- der Philosophie Spinoza's erklärt. Indess
macht Spinoza nur in dem ersten Theile einen häufigen
Gebrauch davon, und selbst da wird dieser Begriff ebenso
oft von der Ursächlichkeit verdrängt oder mit ihr ver-
mischt. Eür das Verständniss der Ethik sind die Begriffe
dos Handelns und der Freiheit, welche später folgen,
viel wichtiger. Was die hier gegebene Definition der
Substanz anlangt, so wird der Leser sagen, dass er sich
bei diesem »In sich sein« nichts denken könne. Und
in Wahrheit hat Spinoza durch diese Definition auch nur
bestätigt, was im Band I. der Philosophischen Bibliothek
I. TheiL 6. (D. 4.) 6
(E. 47) ansgefüliTt worden ist, daes nämlich die Snbstans
nicht der Begriff eines Seienden ist, sondern eine 1)10680
Beziehung des Denkens. Nur deslbalb kiann man cricli
darunter Nichts bildlich Torstellen, und nur deshalb kann.
umgekehrt Alles und Jedes unter diese Vorstellung bezogen
werden; man kann jede Sache in sich beträchten, aber
auch auf Anderes bezieh en. — Der Begriff der Substanz,
ähnelt dem Begriffe des Dinges mit seinen Eigenschaften
und wird oft damit verwechselt. Weil man die Eigefö^
Schäften, das Bothe, das Harte, das Schwere nicht für
sich allein wahraimmt, sondern immer in Verbindung mit
Anderem, so gelten diese Eigenschaften als das tJnseB)st-
ständige, was einem Anderen, dem Selbstdtändigen , in-
härirt. Dies Letztere wurde damit die Materie, der
Stoff und, als Beziehung, die Substanz. Substanz be*
deutet deshalb das Selbstständige, das Beharrende,
das keines Anderen zu seinem Sein Bedtüiftige^, während
das Accidenz (Zustand, Modus) das ist, was nicht für
sich bestehen kann. Wenn Spinoza weiter sagt: dass die
Vorstellung der Substanz keiner anderen Vorstellung
bedarf, so nimmt Spinoisa da.bei die Substanz als daB
allen Dingen Gemeinsume, ohne das sie nicht vor-
gestellt werden können. Die Mangel dieses G-edankens
werden später dargelegt werden; hier ist nur zu erwäh-
nen, dass diese Selbstständigkeit der Substanz mit ihrer
Natur, als blosser Beziehungsform, fortwährend in Wider*
Spruch geräth und Spinoza in grosse Schwierigkeiten ver-
wickelt. Denn so wenig die Accidenzen ohne die Substanz
bestehen können, so wenig kann es die Substanz für sich,
ohne jene. Beide Begriffe sind die untrennbaren Stücke
derselben Beziehungsform.
Spinoza ist nur deshalb hier dunkel und unverständ-
lich, weil er eben die Natur der Substanz, als einer
blossen Beziehungsform, verkennt, und sie zu einem Seien*
den gegen ihre Natur umwandeln will.
5. D. 4. Der Begriff des Attributs hat viele An*
griffe gegen Spinoza veranlasst, und man hat die mannig-
fachsten Versuche gemacht, ihn zu rechtfertigen. Sind
die Substanz und. die Accidenzen nur eine Beziehungs-
form des Denkens, so kann allerdings kein drittes zwischen
sie eingeschoben werden ; so wenig wie zwisdien Ursache
6 L TheiL 6. (D. 5.)
und Wirkung. Allein da diese Beziehungsfonn am
Natur nach leer, d. h. ohne einen seienden Inhalt ist,
Spinoza sie aber doch als ein Seiendes nimmt und be-
hauptet, so war er zu dieser unnatürlichen Aushülfe ge-
zwungen, und die Attribute büden bei Spinoza den
seienden Inhalt, der der Substanz als solcher fehlt.
Später wird die Ausdehnung und das Denken von Spinoza
als dieser Inhalt eingefahrt. Die hier gegebene Definition
des Attributs als »Wesen der Substanz c ist ebenso dunkel
wie die vorgehende, weil das Wesen ebenfalls nur eine
Beziehungsform isi(E. 50), und weil, da man dann das
Unwesentliche auf die Accidenzen beziehen muss, för das
Wesen nur die Substanz übrig bleibt, mithin der Unter-
schied der Attribute von der Substanz selbst im Denken
nicht festzuhalten ist.
6. D. 5. Spinoza bezeichnet das Correlat der Substanz
in seiner Ethik nicht mit dem gebräuchlicheren Wort
Accidenz, sondern mit dem Wort Modus, was hier
mit Zustand übersetzt worden ist. Der Modus um-
fasst nicht blos die Eigenschaften, sondern auch die zeit-
lich wechselnden Zustände. Aus dem 4ten von Spmoza s
Briefen erhellt übrigens, dass er unter Modus dasselbe
wie unter Accidenz versteht.
Die hier gegebene Definition des »Zustandes« ist
nur die umgekehrte der Substanz und so inhaltleer, wie
diese. Dies bestätigt, dass es sich bei beiden um eine
blosse Beziehungsform handelt, aber nicht um ein Seiendes;
sonst hätten bejahende und seiende Bestimmungen von
denselben ausgesagt werden können.
In seinem 2ten Briefe giebt Spinoza ein Beispiel und
sagt: »Die Ausdehnung ist ein Attribut; sie wird för
»sich vorgestellt; aber nicht ihre Bewegung. Denn diese
»wird in einem andern vorgestellt und ihr Begriff ent-
»hält die Ausdehnung.« Dieses Beispiel zeigt, dass
Spinoza Substanz und Zustand mit dem Allgemeinen und
Besonderen verwechselt. Wenn auch in dem Besonderen
das darin mit enthaltene Allgemeine nicht entbehrt werden
kann, wie z. B. in dem Manne nicht der Mensch, so ist
doch das, was das Allgemeine besondert, ein Neues, m
dem Allgemeinen nicht Enthaltenes, und insofern sind
beide Bestimmungen von emander unabhängig und können
L Theü. 7. S. 9. (D. 6. 7. 8.) 7
sogar die Stellen wechseln; so ist Gold ein Besonderes
des Gelben und Gelb ein Besonderes des Goldes. In der
Beziehungsform der Substanz und ihrer Zustände sind
dagegen Beide untrennbar, und Keines kann ohne das
Andere gedacht werden.
7. D. 6. Spinoza giebt hier die Definition Gottes,
als eine zunächst von ihm gebildete, deren Wahrheit erst
später bewiesen werden soll. Diese Definition bietet für
das Yerständniss dieselben Schwierigkeiten, wie die vor-
gehenden. Der Grund ist, dass Spinoza blosse Be-
ziehangsformen des Denkens gewaltsam in Begriffe des
Seienden umwandeln wiU. Alles Seiende kann, auch selbst
in seinem Begriffe, bildlich vorgestellt werden (E. 19),
und selbst die Begriffe sind nur durch das in ihnen ent-
haltene Wahrnehmbare oder Bildliche verständlich. Indem
nun Spinoza dem Leser diese bildliche Ergänzung auch
bei den Beziehungen zumuthet, und dieses doch in Folge
ihrer Natur unmöglich ist, so entspringt daraus die
Dunkelheit imd Unverständlichkeit der hier vorgetragenen
Definitionen; denn auch die Definition Gottes ist, wie man
leicht bemerken wird, aus lauter Beziehungen zusanmien-
gesetzt, welche kein Seiendes bezeichnen.
8. D» ?• Spinoza kennt keine Willkür, sondern nur
Nothwendigkeit. Die Freiheit ist bei ihm nur eine
Art der Kothwendigkeit, nämlich die, welche aus der
eignen Natur des Gegenstandes folgt. So weit Jemand
aus der Nothwendigkeit seiner eignen Natur handelt,
handelt er nach Spinoza frei; unfrei, so weit diese Noth-
wendigkeit von aussen kommt. Spinoza kommt auf diesen
Punkt spILter ausführlicher zurück. Hegel hat genau den-
selben Begriff der Freiheit von Spinoza übernommen.
9. D. &• Die Ewigkeit ist bei Spinoza die zeit-
lose Existenz. In E. 2 zu I. L. 33 sa^ Spinoza: »Da
es in dem Ewigen kein Wenn und kein Vor und kein
Nach giebt.« Dieser Begriff wird nur dann fassbar,
wenn man die Zeit aus irgend einem Vorgestellten ganz
abtrennt und entfernt. So geschieht es z. B. in den
Lehrsätzen und Begriffen der meisten Wissenschaften;
z. B. in der Logik, Geometrie, Moral u. s. w. Die Lehr-
sätze dieser Wissenschaften enthalten keine Zeitbestim-
8 I. TbeiL M. (A. 1)
mwag m sidi nad gelten deskalb «Is ewige Walffheüen.
Die Scholastiker and Spinoza geben diesen ewigen Wsäir-
heiten eine besondere Existenz, und damit erreklien sie
dwi Begriff ekier Existenz ausserhalb der Zeit, oder
einer Ewigkeit ohne Zeitablaof. Dieser Begnff ist bei
Spinoza sehr wichtig; denn diese ewigen, zeitlosen Wahr-
heiten oder Gesetze büden nach Spinoza die Substaaz
Gottes, während alles zeitliche Bestehn nnd Vergehn und
alles Einzelne und Endliche zu Gottes Zuständen gehört.
Indess beruht diese zeitlose Ewigkeit doch nur auf
einem Abtrennen der Zeit innerhalb des Denkens; dass
auch im Sein eine solche Abtrennung ausfuhrbar sei oder
bestehe, ist damit nicht im Mindesten bewiesen (E. 19).
Die Begriffe des Seienden bestehen nicht aussei^alb der
einzelnen Dinge, sondern innerhalb derselben ; sie existiren
also in eben so viel Exemplaren als diese, und dasselbe
gilt von den seienden Verbindungen der Be^iffe oder
von den Gesetzen. Deshalb ist ein solches Bestehen der
Begriffe und Gesetze des Seienden, als ewiger Wahrheiten
in der Perm der Substanz, gegentiber den einzelne Din-
gen, als Zuständen jener, im Sein nicht vorhanden, und
deshalb besteht eine JBwigkeit ohne Zeitablauf nur im tren-
nenden Denken, nicht aber im Sein ; sie ist ein ens ima-
gmarium in Spini^a's Sprache» für dessen WiiftlielÜLeit
al]^ Anhalt fehlt.
10. A« 1- Die vorstehend von Spinoza aufgestellten
acht Definitionen sind als solche zu nehmen, welche
Spinoza 2.unächst willkürlich .aufgestellt hat, und bei denen
er den Beweis des Daseins von Gegenständen, welche
ihnen entsprechen, sich nodi vorbehält.
Es folgen nun die Axiome und die Lehrsätize.
Beide unterscheiden sich von den Definitionen dadurch,
dass sie die Wahrheit oder das Sein des von Ihnen Aus-
gesagten behaupten, was in den Definitionen dahin ge-
stellt bleibt. Bei den Axiomen wird diese Wahrheit
als selbstverständlich oder unbeweisbar angenommen;
wenn dagegen ein Satz si(^ nicht von selbstt versteht, so
bildet er einen Lehrsatz, der daher for seine Wahrheit
eines Beweises bed»rf.
Alle besonderen Wissenschaften müssen von Axiomen
ausgehen :{E. 92j; und Spinoza hat diese Me^ode, ke-
I. Thefl. 11. 12. (A. 1. 2. 3.) 9
beso&dere in Nacbahmtmg der Geometrie, hier anfgpenom*
men; allein er verkennt dabei den unterschied der Phtlo*
sopMe von den besonderen Wissenschaften. Während
letetere zn solchen Annahmen nnd YoranssetzHugen wohl
berechtigt sind, ist die Philosophie, als die höchste und
allgemeiiiste Wissenschaft, dazu nicht berechtigt; sie miiss
sich anf die letzten Fundamentsätze beschränken nnd
darf Yon da aus nur in Lehrsätzen mit Beweisen weiter-
gehen. Indem Spinoza dies verabsäumt, steht seine Phi-
losophie nidit höher als jede Erfahrungswissenschaft und
hat an seinen, aus der Erfahrung aufgerafften Axiomen
eine höchst unsichere und anfechtbare Unterlage.
U. A. 1 lUltf 2. Die Axiome 1 und 2 wiederholen
nur die vorher gegebenen Definitionen der Substanz und
der Zustände, und da sie sich nicht in seienden Be-
dtimmungen, sondern in Beziehungen bewegt haben,
so bieten auch diese zwei Axiome nur Tautologien. Jede
Beziehung hat allemal zwei Begriffe (z. B. Wesen und
Unwesentlich, Ursache und Wirkung, Substanz und Acci-
denz); da die Beziehungen nun an sich ohne InhaH
sind und für jedes Seiende angewendet werden können,
80 erhellt, dass man von jedem Gegenstände sagen kann,
er nmss, als Beziehung genommen, entweder das «ine
oder das andere sein, z. B. entweder Ursache oder Wir-
kung, entweder gleii^h oder ungleich, entweder Substanz
oder Zustand. Allein da diese Beziehungen für sich ohne
InhaH sind, so erhellt auch, dass dergleichen Sätze in
der Erkenntniss der Dinge, die auf den Inhalt geht,
nicht im Mindesten weiter führen. Ebendasselbe gilt von
dem pomphaften Satze der späteren Wolf fischen Philo-
sophie, dass von zwei oontradictorisch einander entgegen-
gesetzten Prädikaten jeder Sache eines Ton beiden zu-
kommen müsse. Auch dieser Satz ist, wie diese beiden
Anomen des Spinoza, nur ein Spiel mit Beziehungs-
formen, und nur wenn man, wie Spinoza, diese Bezi^ungs-
formen mit den Begriffen des Spenden verwechselt, kann
man meinen, damit in der Erkenntniss der Dinge vor-
zuschreiten.
12. A. 9. Ganz dasselbe gilt für dies dritte Axiom.
Ursache und Wirkung sind untrennbar; aber sie sind
10 L Thea 13. (A. 4.)
eine blosse Beziehungsform im Denken» welche yom dem
Sein der Dinge nichä aussagt (E. 41).
13« A. 4* Dieses Axiom geht viel weiter als Axiom 3.
Es bildet ein Qanptfandament zu den spätem Beweisen
Spinoza's. Nach Spinoza kennt man die Wirkung, wenn
man die Ursache kennt, und umgekehrt ist die Kenntniss
der Wirkung ohne Kenntniss ihrer Ursache unmöglich.
Soll dies nicht eine leere Tautologie mit A. 3 sein, so
muss dieses A. 4 von den einzelnen Gegenständen
gelten; man müsste also' danach, wenn man die Wanne
an sich kennte, auch alle Wirkungen derselben kennen.
In diesem Sinne ist aber A. 4 entschieden unwahr. Die
Wirkungen der Einzelnen Dinge können nur durch. Be-
obachtung festgestellt werden, und es kann ein Gegen-
stand für sich, in seinem seienden Inhalte, nach seinen
Bestandtheilen und Eigenschaften genau gekannt sein^
ohne dass man im Mindesten deshalb weiss, welche Wir-
kungen sich jnit ihm verbinden. Es ist gerade die Auf-
gabe der Naturwissenschaft, diese unbekannten Wirkungen
der bekannten Ursachen zu entdecken, während, wenn der
Satz Spinoza's richtig wäre, diese Wirkungen schon ans
der Ursache allein logisch abgeleitet werden könnten.
Spinoza nimmt zur Bechtfertig^ng seiner Ansicht eine
Gemeinsamkeit zwischen Ursache und Wirkung an
(I. L. 3). In seinem 4ten Briefe sagt er: »Wenn in der
»Wirkung nichts Gemeinsames mit der Ursache wäre, so
»würde die Wirkung Alles, was sie hat, von Nichts
»haben.« Also ist nach Spinoza die Wirkung, so weit
sie Wirkung ist, mit der Ursache jdentisch ; ein Satz,
den auch Hegel von Spinoza übernommen hat. Es er-
hellt indess, dass mit dieser Identität beider ihr Unter-
schied und somit die ganze Beziehungsform yerschwindet.
Ursache und Wirkung müsssen deshalb yerschieden sein,
und eben deshalb ist das Werden der Wirkung, wie
Spinoza richtig bemerkt, als seiender Vorgang, ein
Werden aus Nichts, und das Werden der Wirkung aus
der von ihr y^schiedenen Ursache ist eben nur ein Zu-
satz des Denkens, d. h. eine blosse Beziehung (E, 40).
Weil Spinoza dieses Werden aus Etwas für einen seien-
den Vorgang nahm, und dieser Vorgang ihm bei dem
Unterschied der Ursache von der Wirkung widersprechend
I. TheiL 14. (A. 5.) 11
erschien,' war er genöthigt, ein Gemeinsames (Commune)
zwischen beiden anzunehmen, was Spinoza nicht näher
bezeichnet, was aber nur ein Identisches sein kann. Nur
dadurch wurde es Spinoza möglich, zu behaupten, dass
die Eenntniss der Wirkung von der Eenntniss der Ur--
Sache abhänge, und dass in jener diese enthalten sei.
Haben beide ein Gemeinsames (Identisches im Inhalte),
so wfirde sich dißs allerdings Ton selbst verstehen.
Diese falsche Auffassung wird dadurch bei Spinoza
befestigt, dass er Ursache und Wirkung fortwährend mit
Erkenntni$0grund und Folge gleich stellt, ja, verwechselt
{E, 46). Die Conclusion beim Schluss entiiält allerdings
nur eine W^iederholung des Obersatzes für einen beson-
deren Fally und die Folge und der Beweis ruhen da auf der
Identität. Allein das Seiende ist, wenn es als Wirkung
gefasst wird, niemals identisch mit seiner Ursache. Die
Lehrsätze in der Geometrie sind alles nur Folgen, aber
nicht Wirkungen der vorgehenden Lehrsätze; denn
sie wiederholen einfach diese Sätze fär besondere Fälle
und Gestalten, bei denen die Hülfsconstruktionen der
Beweise darlegen, dass die früheren Gestalten in den
späteren enthalten sind, und deshalb das von jenen Be-
wiesene auch von diesen gelten muss {E, 79). Indem
Spinoza diese Identität in der Geometrie als Ursächlich-
keit auffasst, kommt es, dass er zwischen Ursache und
Wirkung dieselbe Gemeinsamkeit oder Identität behaup-
tet, wie sie zwischen Grund und Folge besteht. Dieser
fundamentale Xrrthum zieht sich durch alle seine Be-
weise und genügt allein, ihre GüRigkeit zu erschüttern.
Es ist ein Grundgedanke Spinoza's, die Welt mit ihren
endlosen Dingen nur als eine logische Folge aus dem
Wesen Gottes zu behandeln, welches Wesen er deshalb
mit einer Definition vergleicht, aus der die einzelnen
Dinge, ähnlich wie Lehrsätze, sich ableiten.
14. A» 5. Dieses Axiom wird durch die vorstehende
Erläuterung verständlich werden, so weit es bei der Un-
klarheit der hier von Spinoza benutzten Begriffe möglich
ist. Man kann einen Begriff und seinen Gegenstand in
Theile, Eigenschaften oder Elemente zulegen, und was
dann von diesen Trennstücken an sich gilt, gilt von ihnen
auch in ihrer Verbindung mit Anderem. So gelten die
12 I. TheiL M. 19. (A. 6. 7.)
Lehrsätze des Dreiedces auch im Ijreise, so wcät im
Kreise Dreiecke wieder auftreten. Issofem mag man M
der Definition eines Gegenstandes sagen, die Vorsteilim-
gen des Gegenstandes schliessen die Vorstellung seiner
'Merkmale oder einzelner Bestimmungen ein. Allein
Spinoza dehnt diesen Satz auf die Ursachen nnd Wir-
kungen aus; hier ist er entschieden fklsch; die Vor-
stellung der geffthlten W&rme schliesst z. B. niclrt die
Vorstdlung der vergrösserten räumlichen Ausdehnung
des Warmen ein; hier ist keine Gemeinsamkeit oder
Identität; die Verbindung beider im Sein kann- nur durch
Wahrnehmung festgestellt werden. Dennoch benutzt
Spinoza später die fehlende Gemeinsamkeit zwischen ver-
schiedenen Dingen zum Beweise, dass das eine nicht die
Ursache des anderen sein könne. Ueberhaupt ist das
Erkennen des einen durch ein u,n der es ein falscher
Begriff. Jedes Seiende kann nur durch sicli selbst er-
kannt werden; nur wenn Vorstellungen identisch sind,
und nur so weit sie identisch sind, kann, wie bei dem
logischen Schlüsse, das eine zur Erkenntniss des anderen
benutzt werden.
IS. A. 6. Dieses Axiom ist kein Axiom, sondern die
alte Definition der Wahrheit. Da indess nach Spinoza
zwiscben dem Gedanken und den Körpern gar keine Oe-
meinschaft und kern Einfiuss besteht, so gilt diese Defi-
nition der Wahrheit dem Spinoza nur als oine äusser-
liche, und es wird sp|ter in der zureichenden (adäq^ua-
fcen) Vorstellung ein ganz anderer Begriff der Wahrheit
auftreten (II. D. 4).
iS. A. 7. Dieses Axiom ist nur die Wiederholung
der D. 1 in verneinender Form, und hat der ontologische
Beweis keine Wahrheit, so hat au<* dieses Axiom keine
Wahrheit. Es ist dieser Schluss vom Wissen auf das
Sein bei Spinoza um so auffallender, als bÜde^ axK den
verscMedenen Attributen des Denkens und der 'Ausdeh-
nung beruhen und diese Attribute nacb Spinoza in gar
keinem Einflüsse auf einander stehen. Spinoza konnte
nur dadurch zu diesen Sätzen gelangen, dass hm ihm das
Sein in seiner wahren, auf der Wahrnehmung beruhen-
den Bedeutung (E. '66) fehlt. Bei Spinoza gflft das Sein
L TbeiL 17. lt. (&.• 1. 2.) 13
ebenso xou dem Gedanken wie von dem Körperlichan.
Beides sind Attribute, die ein Sein enthalten, Ist dies
der Fall, so hatte dies consequent festgehalten werden
sollen^ und es hätte das Sein nicht wieder von dem Den-
ken abgesondert werden sollen, und. Vorgänge und Zu-
stande innerhalb des Denkens hätten nicht als Beweise
für das Sein derselben von Spinoza benutzt wearden
dürfen. Diese Unklarheit und Yerworrmheit in dem Be-
griffe des Seins zieht sich durch das ganze System und
ist von hier auch in die Philosophie Hegers über-
gegangen.
17. Lt 1. Mit L. 1 beginnen die Lehrsätze, welche
sich nicht von selbst verstehen und deshalb von Spinoza
mit Beweise versäbuen werden. Das Vor {prior) in L. 1
ist zweideutig; ea kann ein Vor der Zeit nach oder dem
Grunde nach bedeuten. In der Geometrie gehen die
froheren Lehrsätze den spätem vor, im Sinne der Gründe,
aber nicht der Zeit. Was Spinoza hier meint, bleibt un-
gewiss. Aus dem Beweise, der sich blos auf die D. 3
und 5 stützt, scheint zu folgen, dass Spinoz» kein zeit-
liches Vor meint, sondern nur das Vor, welches der
Substanz vermöge ihrer Selbstständigkeit gegenüber dem
Accidenz zukommt. Allein dann enthielte dieser L. 1
durchaus nichts Neues; das Vor wäre dann identisch
mit dem In sich, und doch wird von diesem Vor in
I. L. 5 ein höchst wichtiger Gebrauch gemacht. Diese
Unklarheit ist die Folge der bereits gerügten Vermischung
der Begriffe des Seienden mit den Beziehungsformen.
Wäre die Substanz ein Seiendes, so Hesse es sich recht-
fertigen, dass man sie von ihren Zuständen trennte, diesen
voranstellte und unabhängig von ihnen machte; allein in
Wahrheit ist die Substanz nur Beziehung und deshalb so
wenig von ihren Accidenzen trennbar, wie die Ursache
von ihrer Wirkung.
18. L. 2. In diesem L. 2 kehrt die Zweideutigkeit
des Wortes Gemein (commune) wieder. Man kann
Spmoza entgegenhalten, dass er sich in diesem L. selbst
widerspreche; denn indem die verschiedenen Attribute
doch sämmtlich Attribute sind, haben sie eben damit ein
Gemeinfiames,. so wie zwei Menschen in dem Begriffe des
14 I. TheiL 19. 90. 91. (L. 3. 4. 5.)
Menschen ihr C^meinsame^ haben , was zugleich ein
Seiendes ist (E. 18). Spinoza ist jedoch in dieser Be-
ziehung durchaus Nominalist; er erkennt kein Seüi solcher
universalen Begriffe an; sie sind für ihn als NotionM
transscendentales und unwersalea nur Erdichtungen des
bildlichen Vorstellens ohne Wahrheit und Sein, wie er
in n. L. 40 £. 1 näher ausfahrt. Dagegen hat das
mehreren Gegenstanden Gemeinsame {Commune) bei
Spinoza Wirklichkeit und Mdet die Essentia der Dinge.
Dieses (remeinsame ist für Spinoza deshalb mehr als ein
blos Begrifflich-Gleiches; es hat vielmehr die Natur eines
Theiles oder Elementes oder einer Eigenschaft {E. 13. 14),
und so kann Spinoza den L.' 2 festhalten, wonach ver-
schiedene Attribute nichts unter sich gemein haben.
Indess bleibt dieser, für die Philosophie des Sp. überaus
wichtige Begriff des Gemeinsamen dennoch dunkel; eine
Folge davon, dass Sp. die Natur und die Besondenmgen
des Denkens nur sehr oberflächlich untersucht hat; das
Nähere folgt zu ü. L. 40. *
19. L. 3. Dieser Lehrsatz ist nur die Wiederholung
der A. 4 und 5. Er enthält nichts Neues; dennoch tritt
das Unwahre desselben erst in dieser Fassung deutlich
hervor, wenn nicht die Begriffe von Ursache und Wirkung
in einem Sinne genonmien werden, der von dem gewöhn-
lichen völlig abweicht und den Sp. selbst nicht fest-
halten kann.
20. L. 4. Auch dieser Lehrsatz wiederholt nur die
in dem Beweise angezogenen Definitionen uitd Axiome.
Sonderbar ist dabei das Einschiebsel: »ausser der Er-
kenntniss« (extra intelleetum). Wenn die Substanzen
und Zustände Alles umfassen, so muss auch die Er-
kenntniss oder der Yerstand des Menschen zu einem von
beiden gehören; es ist dies auch nach Sp's. späteren
Ausfahrungen der Fall,, und man sieht deshalb nicht,
wie hier die Erkenntniss ausserhalb der Substanzen und
Zustände gestellt werden kaim.
21. L. 5. Erst in diesem L. 5 tritt ein Neues auf,
was die bisherigen D. und A. nicht enthalten. In diesem
Lehrsatz wird die Mehrheit der Substanzen gleichen Attri-
buts geläugnet. Dies scheint auf den ersten Blick sehr
I. Theo. n. iL. 5.) 1&
sonderbar und wird nur yerständlich, wenn man bedenkt^
dass Sp. das Yereinzeltsein nach Ort and Zeit zn den
Zuständen der Substanz rechnet. Ist dies der Fall,
so müssen allerdings alle Körper nach Beiseitelassnng^
ihrer Zustände in eine unterschiedslose Substanz des Aus-
gedehnten zusammen fallen, und Aehnliches mnss dann
för die einzelnen Menschenseelen, als denkenden Wesen,
gelten. Nun lässt sieh wohl eine solche Abtrennung des^
Ortes und der Zeit an jedem Seienden im Denken aus-
führen, und darauf beruht auch die Einheit des Begriffes
gegenüber der Vielheit setner Exemplare. Allem was im
Denken ausführbar ist, ist es noch nicht im Sein (E, IB);
deshalb findet im Sein ein solches Zusammensinken des
Einzelnen in eine Substanz nicht statt; die Abtrennung-
des Ortes und der Zeit ist hier unmöglich, und deshalb
wird aus den Vielen auch nie die eine Substanz.
Alle späteren Systeme haben deshalb diese von Sp.
gesetzte Einheit der Substanz wieder Yerlassen. Leib-
nitz machte jede Monade zu einer Substanz; aber da er
Eaum und Zeit nur als Verhältnisse (Beziehungen) nahm,
so konnte er sie nicht mehr durch die Verschiedenheit
des Ortes und der Zeit unterscheiden {prvieipium in-
diseemibilium) und er mussto deshalb den Unterschied der
Monaden in ihre Vorstellungen legen. Kant hielt auch
die Vielheit der Substanzen fest;" da ihm aber Raum und
Zeit nur Formen der menschlichen Sinnlichkeit waren,
so verschwand auch bei ihm die Möglichkeit, die Dinge
an sich zu unterscheiden, und er war genöthigt, alle
unterschiede des Wahrgenommenen nur als Erscheinung-
zu nehmen. Dasselbe that Schopenhauer; die Vielheit
der Seelen gegenüber dem einen Willen gehört bei ihm
zur Erscheinung, d. h. zu dem Nicht-Seienden.
Sp. konnte diese Wendung nicht nehmen; weil die^
Accidenzen oder Zustände bei ihm ein Seiendes und Wirk-
liches, wie die Attribute und Substauieen sind, so blieb-
ihm nur übrig, die Vielheit zu den Zuständen zu rech-
nen. Hegel hält auch an der Einheit der Idee fest;
allein er findet das Sein derselben in den vielen mangel-
haften Exemplaren, welche erst in ihrer Gesammtheit die
Idee darstellen; die Einheit der Idee im Sein geht da-
durch verloren. Für Sp. war diese Einheit der Substanz
das Höchste, und deshalb schiebt er die Vielheit in dier
le I. Thefl.- 22. 2ii 24. (L. 6. 7. 8.)
Zuatände derselben. 8p. thut so dem Sein Gewak an^
urahrend Hegel dem Denken Gewalt anthut.
Was nun den Beweis anlangt, den Sp. för diesen
Lehrsatz beibringt, so liegt seine Kraft in dem Y or (prior)
des L. 1, und der Beweis gelingt nur scheinbar dmreh
die Zweideutigkeit dieses Vor. Bezeichnet es nur das
Yor der Ursache oder der Substanz dem Werthe naeh,
so kann man dieses Yor zugeben; aber ein solches Yor
bleibt untrennbar von seinem Nach (der Wirkung,
dem Zustande), und kann deshalb zu dem Beweise des
L. 5 nicht benutzt werden. Nur wenn man das Yor als
ein zeitliches Yor nimmt, kann man die Zustande bei
Seite lassen; nur dann k£um die Substanz sein ohne ihre
Zustande, nur dann ist der Beweis richtig. Dieses zeit-
liphe Yor ist aber in L. 1 nicht bewiesen und nach der
Natur aller Beziehuagsfbrmen überhaupt bei ihnen un-
möglich; deshalbrfftUt'^uch der hier gegebene Beweis.
22. L. 6. Der Inhalt des Beweises dieses L. 6 liegt
in den Definitionen der Ursache und des Gemein-
samen in A. 4 und 5. Nach Sp. haben Ursache und
Wirkung ein Gemeinsames; wo ein solches fehlt, ist des-
halb eine Ursächlichkeit nicht möglich. Diesen Grund be-
nutzt Sp. in beiden von ihm gegebenen Beweisen; sie sind
deshalb nicht unterschieden, wie Sp. meint.
Das Irrthümliche dieser Auffassung ist oben in No. 13"
und 18 dargelegt.
23« L* 7« Man kann Sp. zugeben, dass die Substanz
nicht hervorgebracht werden kann ; dann folgt doch nicht,
dass sie etistiren muss; es bleibt das dritte, daas sie
nicht existirt, weil sie eben nicht hervorgebracht werden
kann. Man sieht also, dass in dem Beweise schon die
Existenz vorausgesetzt ist, die erst bewiesen werden soU.
Aber freilich war für Sp. die Substanz ein so Gewisses
und Klares, dass ihre Existenz sich ihm von selbst ver»
stand und er deren Erschleichung in diesem Beweise
nicht bemerkte.
24. L. 8* Hier benutzt Sp. den in D. 2 gegebenen
Begriff des Endlichen und Unendlichen zum Beweis der
Unendlichkeit der Substanz. Dieser Beweis ist logisch
richtig; sein Mangel liegt nur in der Unwahrheit jener
I. Theü. 24. (L. 8.) . 17
Definition, die dabei als Prämisse benntzt wird. Wird die
Grenze blos als Beziehung (Nicht dieses) genommen,
so ist ein Zweites gleicher Natur zur Grenze und End-.
lichkeit nothwendig, und der Beweis Sp's. ist richtig. Aber
die Grenze oder Bestimmtheit ist auch ein Seiendes,
wie in No. 3 dargelegt worden; insoweit ist die End-
lichkeit nicht durch ein Zweites gleicher Natur bedingt
und der Beweis falsch. Da es sich hier nun um das Sein
der Substanz handelt, so ist es unzulässig, die Bezie-
hungsformen des Denkens zu dem Beweise zu benutzen.
In E. 1 wird das Unendliche als das Bejahende er-
klärt und das Endliche nur als die theilweise Yerneinung
jenes anerkannt. Es ist dies ein Hauptsatz der Philo-
sophie Sp's. Diese Ansicht herrscht schon bei Plato;
Sp. hat sie aus der scholastischen Philosophie übernommen
und Hegel hat sie weiter zu entwickeln gesucht. Es
hängt diese Auifassung des Unendlichen mit der Ver-
wechslung der Beziehungsformen zusammen. Indem man
deren Natur verkannte und sie als ein Seiendes nahm,
war es leicht, das Unendliche als das wahrhaft oder
allein Seiende zu behaupten. In Wahrheit ist aber alles
wahrgenommene und alles vorgestellte Sein ein bestimmtes
und somit ein Endliches ; weder da& Unendliche der Quan-
tität noch der Qualität kann wahrgenommen oder auch
nur seiend vorgestellt werden, wie in der Einleitung
(E. 35) näher auseinandergesetzt worden ist. Das Un-
endliche ist deshalb nur Beziehung, d. h. Yerneinung
der Bestimmtheit, welche das Ursprüngliche ist. Bei der
Grösse wird das Unendliche damit ein Grosses ohne Ende
und bei der Qualität ein Seiendes mit allen Qualitäten,
d. h. ohne irgend eine bestimmte Qualität. Da nun das
Grössere und das Qualitätenreichere dem gewöhn-
lichen Vorstellen leicht als das Höhere und Bessere gilt,
so war es natürlich, dass man dieses Unendliche über
das Endliche im Werthe stellte ; insbesondere war es das
Ewige, das Unveränderliche, das Alle-Bealität-in-sich-
Befassende, das Unbedingfte, was sich nun als das Höchste
darstellte und damit zur Aufgabe der Philosophie wurde.
In der Verblendung über den Werth dieses Absoluten
übersah man, dass es für das menschliche Wissen nur
aus Negationen entsprungen war,' und dass sein Dasein
daher weder bejahend vorgestellt, noch für seine Wahr-
Erläuternngeu zu Spinoza^s Ethik. 2
18 I. TheiL 25. (E. 2 m L. 8.)
»
heit irgend eine GewäJhr beigebracht werden kann. Die
Beligion kam diesem Spiel mit dem Absoluten unter-
stützend zu Hülfe, und so wurde das Absolute, oder
Unendliche, oder die Substanz oder die Idee das
Ziel und der wichtigste Gegenstand der meisten philoso-
phischen Systeme. Erst Kant bemerkte das Bedenkliche
dieses Begriffes; indem er ausführt, dass die Kategorien
ohne einen sinnlichen Stoff zu keiner Erkenntniss hin-
reichen, hat er damit die Ahnung, dass diese Kategorien
nur Beziehungsformen des Denkens sind, und dass das
Seiende nicht durch das Denken, sondern nur durch das
Wahrnehmen der Seele zugeführt werden kann. Kant
fehlte nur in der Begründung dieses Satzes, und die Auf-
gabe der Philosophie ist nicht, wie bei Hegel geschieht,
zu Spinoza zurückzukehren, sondern den Gedanken Kant's
bis zu seiner vollen Reinheit und Wahrheit fortzubilden.
So lange die Philosophie mit dem Unendlichen beginnt
oder diesem nachjagt, so lange verwandelt sie das
Seiende in blosse Beziehungsformendes Denkens, und so
lange spinnt sie sich in ein Netz leerer Gedankenfaden
ein, wo sich vielleicht behaglich wohnen lässt, aber was
dem Inwohner den Blick in die seiende Welt versperrt.
Hiemach ist also vielmehr das Umgekehrte von der
Erläuterung zu L. 8 die Wahrheit. Das Unendliche ist
nur im Denken und auch da nur als Verneinung. Das
Bestimmte, das Endliche ist das Seiende, das Bejahende
und das Erste; nur wenn die Bestimmtheit, die Grenze
in ihm verneint wird, kann die Vorstellung des Unend-
lichen im Denken sich entwickeln. Deshalb wird auch das
Unendliche in allen Sprachen nur durch verneinende Worte
bezeichnet; selbst das Absolute hat in dem abschere^
ablösen, loslösen von der Bedingung, das Nicht in sicL
25« B. 2 S511 L« 8. In dieser Erläuterung sucht
zwar Sp. den L. 7 näher zu begründen, indess bleibt es
im Grunde bei den vorgehenden Definitionen und Aus-
führungen, nur in andern Wendungen. Alles dreht sich
darum, dass, weil mit dem Begriffe der Substanz die
Existenz als untrennbar verbunden gedacht werde, des-
halb dieses vorgestellte Sein auch Wirklichkeit
haben müsse. Diese Meinung hat die Philosophie Jahr-
hunderte lang beherrscht, bis Kant den Irrthum aufzeigte.
I. TheiL 26. 27. (L. 9. L, 10 B. E.) 19
In dem zweiten Theile der Erläaterung wird an-
erkannt, dass aus der Definition (Vorstellung) einer Sache
die Anzahl ihrer daseienden Exemplare nicht folgt; dass
mithin für diese Anzahl eine besondere Ursache vorhanden
sein müsse. Man erwartet nun, dass Sp. zeigen werde, dass
aber bei der Substanz das Dasein aus der Definition allein
folge. Statt dessen dreht Sp. den Beweis um, indem er
sagt: »Da es aber zur Natur der Substanz gehört, zu
»existuren, so muss ihre Definition die Existenz ein-
»schliessen, und folglich kann man aus ihrer Definition
»die Existenz folgern.« Dies ist ein Schluss im Cirkel,
so offenbar, dass man staunt, wie dem Sp. dies entgehen
konnte.
26« L« 9. In diesem Lehrsatz tritt der Begriff der
Bealität zum ersten Male auf; er spielt bei Sp., wie in
der scholastischen Philosophie, eine wichtige Solle. Den-
noch giebt Sp. keine Definition davon. Er sagt nur:
»Bealität oder Sein.» Allein das reine Sein hat keine
GAde, keine Unterschiede; es ist überall Em- und Das-
selbe (E, 66). <Es muss deshalb unter Eealität der In-
halt des Seienden (die Qualitäten) verstanden werden,
aber nicht der Inhalt der Zustande, sondern nur der In-
halt der Attribute. Die Attribute ersetzen, wie früher
unter No. ö erwähnt ist, den Inhalt, der in der Substanz
als solcher fehlt; sie geben damit der Substanz gleich-
sam die ßealität. In den Zuständen wird diese Bealität
nicht vermehrt ; so vermehrt eine grössere Zahl der Men-
schen* nicht die Bealität der Attribute, aus denen 4iese
Menschen bestehen; so vermehren die Besonderungen des
Denkens, wie das Vorstellen, die Erinnerujig, die Phan-
tasie, das Wollen u. s. w., nicht die Eealität des Attributs
des Denkens; dagegen vermehrt sich die Bealität einer
Substanz, wenn sie zu dem Attribute der Ausdehnung
noch das Attribut des Denkens erhält. In diesem Sinne
ist der L. 9 zu nehmen. Wenn D. 4 als Beweis des-
selben angeführt ist, so ist dies eine Täuschung; denn in
dieser D. ist von Eealität keine Bede.
27. L, 10 B. E. Auch der L. 10 dreht sich in
leeren Beziehungen, und sein Beweis ist ungenügend.
Weil die Attribute das Wesen der Substanz sind, so
2*
20 I. TheiL 28. {L. 11 B.)
mnss das »in sich« und »durch sich«, was von der Snhstanz
gilt, nach Sp. auch Ton den Attributen gelten. Allein
bei einer Mehrheit der Attribute ist dieser Schluss zweifel-
haft und logisch unzureichend.
Widitiger ist das in der Erläuterung berührte Be-
denken. Man kann Sp. zugeben, dass eine Substanz
mehrere Attribute haben könne, allein es entstehen die
Fragen: 1) Was bildet in solchem Falle das Band dieser
Attribute, wodurch sie nur eine Substanz sind? 2) Wie
kann man dann diese Attribute yon den Zustanden unter-
scheiden? Auf beide Fragen fehlt bei Sp. die Antwort.
Für die Zustande (Modi) folgt daraus, dass sie der
einen Substanz inhäriren, ihre Einheit; gilt dieses
Inhäriren auch für die Attribute, so werden sie allerdings
dadurch eine Einheit, aber sie sinken dann durch dieses
Inhäriren zu blossen Modis herab; will man aber dieses
Inhäriren bei den Attributen nicht gelten lassen, so fehlt
far sie das einende Band, und man sieht nicht ein, weshalb
sie nur eine Substanz bilden. Aus diesem Dilemma kann
Sp. nicht dadurch herauskommen, dass er diese Attribute
für das Wesen der Substanz erklärt, denn dies berührt
die Frage nach der Einheit nicht. Wesen ist selbst
eine Beziehung, so leer wie jede andere; jedes Ding, jede
Eigenschaft kann wesentlich oder unwesentlich sein, je
nach dem Andern, auf das es bezogen wb-d (E. 50).
28. L« 11 B. Da Sp. in L. 7 bereits die Existenz
jeder Substanz bewiesen hat, so konnte es bei Lehrsatz 11
nur darauf ankommen, zu beweisen, dass auch eine*V er-
bindun g unendlich vieler Attribute zu einer Substanz,
wie sie in Gottes Definition von Sp. gesetzt ist, existirt
Das Existiren der Substanzen mit verschiedenen Attri-
buten kann man Sp. zugeben; allein weshalb sollen alle
diese Attribute in eine Substanz zusammenfliessen und
nur als eine Substanz existiren? Dies hatte Sp. hier zu
beweisen. Allein gerade diesen Beweis bleibt Sp. schuldig;
er stützt den Lehrsatz 11 nur auf L. 7; aber dieser be-
weist nur das Sein der Substanzen überhaupt, aber nicht
das Sein einer Substanz mit allen Attributen. Dieser
Mangel erklärt sich nur historisch. Das Dasein Gottes
war bei Juden und Christen im 17. Jahrhundert noch so
unerschüttert, dass man glauben konnte, es sei von dem
I Theü. 29. 30. (B. 2 und B. 3, E. zu L. 11.) 21
Begriffe untrennbar. Man konnte sich Gott nur als
existirend denken. Bei Sp. ist dieser Satz, wie der Satz
des Widerspruchs, ein Fundamentalsatz des Denkens, an
dessen Wahrheit gar nicht gezweifelt werden kann. Des-
halb bemerkt Sp. die Lücken in seinen Beweisen nicht.
Jedem frommen Christen begegnet dasselbe noch heute;
der religiöse Glaube, welcher auf der Autorität und den
Gefühlen ruht, kann vermöge der in ihm enthaltenen
Gewissheit leicht verleiten, diese Gewissheit oder per-
sönliche Ueberzeugung mit der Wahrheit zu verwechseln,
die doch nur aus den Fundamentalsätzen des Erkennens
hervorgehen kann (JB. 65).
29. B. 2 ZQ L. 11. Dieser zweite Beweis für das
Dasein Gottes beruht darauf, dass auch jedes Nichtdasein
seine Ursache haben müsse ; da nun eine Ursache für das
Nichtdasein Gottes unmöglich sei, so bleibe nur sein Da-
sein übrig. Das Nichts, wird hier wie ein Etwas oder
Seiendes behandelt; deshalb wird es ohne Ursache nicht
zugelassen. Es ist dies der höchste Grad von Verkennung
der Beziehungsformen und ein warnendes Beispiel, bis
wohin deren Verwechslung mit dem Seienden fahren
kann. Im Nicht-sein liegt von selbst die fehlende
Existenz, und es ist mithin verrückt, noch eine Ursache
dafür zn verlangen. Uebrigens bleibt der Kern dieses
indirekten Beweises derselbe, wie beim direkten Beweise;
der Widerspruch, der als Widerlegung der Gegner dienen
soll, entsteht erst, wenn mit der Substanz die Existenz
als verbunden angenommen wird; allein dies ist gerade
das zu beweisende Thema.
30. B. 3 B. ZQ L. 11. Dieser dritte Beweis ent-
hält den ontologischen Beweis Anselm's. Die wirk-
liche Existenz gilt dabei als eine höhere Vollkommen-
heit gegenüber der blos vorgestellten Existenz; Sp.
nennt jenes Vermögen, dieses Unvermögen. Ein höchst
vollkommenes (un'endliches) Wesen muss deshalb nach
diesem Beweise auch das wirkliche Existiren an sich
haben, da dies zur höchsten Vollkommenheit gehört. Die
Sophistik dieses Satzes liegt darin, dass das wirkliche
Sein als ein blosses Mehr des vorgestellten Seins be-
handelt wird, während Beides der Art nach völlig ver-
22 I. Theü. 31—34. (L. 12. L. 18 B., Z. u. E.)
schieden und gar nicht vergleichbar ist. Jede noch so
grosse Vollkommenheit im Sein kann anch in das Y er-
st eilen aufgenommen werden; der Inhalt ist immer in
beiden gleich vollkommen. Das, was sie unterscheidet,
ist die Form des Seins und des Wissens, in welche dieser
Inhalt gefasst ist. Yon diesen Formen ist die eine kein
Mehr oder Weniger der andern, sondern sie sind reine
Gegensätze und nur unterschieden. Selbst die höchste
Steigerung des Inhaltes ändert nicht die Natur der
Wissensform, in der er vorgestellt wird, und gestattet
keinen Sshluss auf das Dasein dieses Inhaltes.
31. Li 12. Man muss auch hier festhalten, dass nach
L. 5 das Yertheiltsein der einen Substanz in verschiede-
nen Orten und Zeiten nur zu den Zuständen der Sub-
stanz gehört, also keine Theilung der Substanz selbst
darsteUt. Dasselbe gilt von den verschiedenen Eigen-
schaften. Daraus folgt schon, dass nach dem von Sp.
aufgestellten Begriffe der Substanz eine Theilung* der-
selben nur dann vorhanden wäre, wenn die Theilungr nach
den verscdiedenen Attributen erfolgte. Die Unmöglich-
keit einer solchen Theilung stützt Sp. nur auf L. 6, wo-
nach keine Substanz von einer anderen hervorgebracht
werden kann. Indess ist T heilen durchaus ein Anderes,
wieHervorbringen; Sp. nennt es auch hier eonstttuere,
während er es dort (L. 6) producei^e nennt. Selbst wenn
L. 6 wahr wäre, würde er mithin hier nicht als Beweis-
grund benutzt werden können.
32. L. 13 B. Dieser L. soll die Dntheilbarkait
Gottes beweisen; der Beweis ist logisch richtig, wenn
L. 11, der dabei als Prämisse dient, wahr ist, was
aber nach dem Obigen nicht der Fall ist.
33. Zi ZQ L. 13. Man halte fest, dass das Yer-
einzeltsein in Eaum und Zeit oder das Dasein in ver-
schiedenen von einander getrennten Körpern nach Sp.
nicht die körperliche Substanz als solche trifft, sondern
nur ihre Zustände; dann wird das Yerständniss dieses
Zusatzes keine Schwierigkeit haben.
34. E. Zn L. 13. Auch dieser Beweis gilt nur far
die Theilung der Substanz in gleichartige Theile, wo
I. Theü. 35. 36. 37, (L. U B. Z. 2. L. 15 B.) 23
jeder Theil dieselben Attribute enthält , aber nicht für die
Theilung nach Attributen , wo jeder Theil ein anderes
Attribut enthält. Hier würde kein Theil -die Unendlich-
keit des andern beschränken, weil vorschiedene Attribute
nach Sp. einander nicht beschränken.
35. Li 14 B. Wenn Gott alle möglichen Attribute
in sich vereinigt, so folgt nach dem Eröhern allerdings,
dass neben ihm keine Substanz bestehen kann. Der
zweite Theil des Lehrsatzes folgt daraus, dass im Sinne
Sp's. die Vorstellung einer Substanz, ohne dass sie existirt,
nicht möglich ist.
36. Z. 2 Za L. 14. Wenngleich Gott nach Sp.
unendlich viele Attribute in sich enthält, so hat doch
die menschliche Seele nur die Vorstellung von zweien,
welche Sp. später als Ausdehnung und Denken be-
zeichnet (II. L. 1 und 2). Man erkennt darin leicht den
Inhalt der Sinnes- und der Selbst- Wahrnehmung, so dass
in dieser Beziehung Sp. mit der Auffassung des Bealis-
mus (E, 9 No. 13) zusammentrifft. Hierauf beruht der Z. 2.
37. L« 15 B. Der Beweis dieses Lehrsatzes ist lo-
gisch richtig; seine materiale Wahrheit hängt aber von
der der Prämissen ab und deren Mängel sind früher dar-
gelegt. Abgesehen hiervon, liegt der Kern des in L. lö
ausgesprochenen Gedankens in dem: »In Gott«. Es
fr^ sich, wie ist dieses In vorzustellen? Für die Attri-
bute ist bereits oben gezeigt, dass das einende Band,
dieses In, fehlt. Für die Zustände liegt es in derlnhä-
renz, womit sie einer Substanz anhaften. Aber auch
diese Inhärenz giebt keine bildliche Vorstellung, son-
dern bezeichnet nur eine Beziehungsform des Denkens
(jB. 47). Insbesondere darf darunter nicht die Verbin-
dung verstanden werden, in der die Eigenschaften und
Zustände der seienden Dinge «u einem Gegenstande
durch Aneinander und Ineinander geeint sind; denn
nach Sp. inhäriren auch die einzelnen -Körper und Seelen
trotz ihrer räumlichen und zeitlichen Trennung und
Selbstständigkeit der göttlichen Substanz. Wie daher
unter diesen umständen das In Gott als ein Seiendes
vorgestellt werden soll, bleibt unerklärt, und doch ist für
Sp. dies nöthig, weil er dieses Inhäriren als ein Seien-
24 .1. Theo., 37. (L. 15 B,) \
des und nicht als eine blosse Beziehung des Benkens
darstellt. Jede bildliche, ein Sein, eine Kraft n. s. w.
bezeichnende Vorstellung, wie die Einheit des Ortes in
Baum und Zeit, die Verbindung durch Kraft u. s. w.,
muss von diesem In abgehalten werden. Gescbieht dies, so
bleibt für dieses In nur eine Beziehungseinheit (J5. 52),
und der L. verliert f&r das Seiende seine Gültigkeit
Wenn dessenungeachtet dieses „*Ey xai nav'* als der
Gipfel aller Weisheit so oft gerühmt und gepriesen wor-
den ist, so erklärt sich dies nur daraas, dass man eben
dieser Einheit bildliche Vorstellungen und seiende
Einheitsformen {E, 26) unterschob, oder dass man sich
an dem Klange der Worte erfreute, ohne sich um den
Sinn derselben zu kümmern. Die angebliche Ueberwin-
dung des Dualismus durch Spinoza ist deshalb eine Täu-
schung; es kommt immer auf die Einheit an, welche
die Gegensätze heben soll. Verschwinden dürfen die
Unterschiede dabei nicht, wenn nicht die Einheit zur
todten Einerleiheit herabsinken soll; bleiben mithin
die Unterschiede, so kommt es auf die Natur des sie
einenden Bandes an, und hier bietet Sp. nichts weiter,
als die längst bekannten Beziehungsformen der Substan-
tialität und Causalität, bei denen er noch den Fehler be-
geht, sie als Einheiten zu nehmen, die im Sein bestehen,
während sie doch nur im Denken gelten«
Die Leerheit dieser Spinozistischen Einheit ergiebt
sich auch daraus, dass damit für die Erkenntniss der
seienden Welt, ihres Inhaltes und Beichthums und ihrer
Stellung zu dem seienden Gott nicht das Mindeste ab-
geleitet werden kann. Es bleibt immer bei dem leeren In.
Da nicht blos die Attribute, sondern auch die Zu-
stände zur Substanz gehören (D. 4. 5), so entJiält dieser
Lehrsatz die Identität von Gott und der Welt oder den
Pantheismus in seiner strengsten Bedeutung. Es ist des-
halb der von Hegel angeregte Streit, ob Sp. den Atheis-
mus oder den Akosmismus lehre, ein blosser Wortstreit.
Inwieweit Sp. dennoch Gott und die Welt wieder unter-
scheidet, wird sich später ergeben. Im Allgemeinen ist
klar, dass der Gott Sp*s. sich gänzlich von dem Gott der
jüdischen und christlichen Beligion unterscheidet; die
Beibehaltung des blossen Wortes: Gott kann deshalb
hier gar nichts entscheiden. Wenn der Gott der.Beligio-
L Theä 38. (E. za L. 15.) 25
nen aus Elementen des Wahrgenommenen durch die im
Dienste der Gefühle stehenden Phantasie gebildet worden
ist, so ist umgekehrt der Gott Sp^s. das Gebilde eines
reinen , in lanter Beziehnngsformen sich bewegenden Den-
kens. Wenn der Gott der Religionen des Beweises seiner
Wahrheit entbehrt, so hat er doch wenigstens die bild-
liche Yorstellbarkeit für sich ; der Gott Sp*s. ist aber als
seiender nicht einmal vorstellbar) weil er aus lauter
Beziehnngsformen besteht. Aus diesem Grunde kann er,
selbst philosophisch betrachtet, noch weniger Anspruch
auf Dasein machen, wie der Gott der Beligionen.
38« B. SQ L. 15a Diese Erläuterung ist nur wich-
tig für Sp's. Begriff der Substanz. Er erkennt eine
körperliche Substanz an, leugnet aber ihre Theilbar-
keit. Dies widerspricht der gewöhnlichen Vorstellung
Yon Körper und Baum; insbesondere kann die Theilbar-
keit von letzterem nicht abgehalten werden. Wie unter*
scheidet sich also die körperliche Substanz von den Kör-
pern und von dem Baume? Sp. setzt den Unterschied
in die Art des menschlichen Auffassens, je nachdem die
Grosse bildlich vorgestellt oder mit dem Verstände er-
fasst werde. Allein wie bei der Grösse (dem Baume) ein
solcher Unterschied im Auffassen möglich sein soll, bleibt
unverständlich; dasKäumliche muss auch der Verstand
in seiner Vorstellung behalten, wenn nicht der Begriff
verschwinden soll, und dann ist die Theilbarkeit zugleich
gegeben. Auch das Beispiel mit dem Wasser ist dunkel.
Vorher hat Sp. die Untheilbarkeit der körperlichen
Substanz darauf gestützt, dass es kein Vacuum giebt;
»deshalb können die Theile der körperlichen Substanz
»nicht real von einander unterschieden werden«; »alle
»Theile müssen zusammentreffen«; »deshalb lassen sich
»die. Theile nur zuständlich (modaliter), aber nicht
»wirklich (realiter) unterscheiden«. Hiemach erhellt,
dass Sp. sich die körperliche Substanz als die eine un-
endliche und erfüllte Ausdehnung des Baumes vorstellt,
welche in der Wirklichkeit nicht getheilt werden kann,
weil die Stetigkeit des Baumes und seiner Erfüllung im
Mangel eines Leeren nie unterbrochen werden kann. Alles,
was dem bildlichen Vorstellen als solche Unterbrechung
gilt, bezieht sich nur auf die Eigenschaften der den
26 I. Theü. 39. (L. 16 B.)
Baum erfüllenden Materie und gehört deshalb nur zu den
Zuständen der einen, stetigen unendlichen ErföUmig,
oder des Attributs der Ausdehnung. Solche Theilung
oder Trennung ist keine Theilung der Substanz selbst.
Dies wird der Sinn des Satzes sein. Was die E. sonst
noch enthält, besteht in Widerlegung religiöser Vorstel-
lungen und ist Yon keinem philosophischen Interesse.
39. Li 16 B. Bis hier ist Grott oder die unendliche
Substanz nur als ein Seiendes, Buhendes, Unbewegtes
von Sp. dargelegt worden; es hat sich nur um die Exi-
stenz, Unendlichkeit, Ursprünglichkeit, Einzigkeit, ün-
theilbarkeit der Substanz oder Grottes gehandelt Es
fragt sich nun, wie kommt die Bewegung in diese
Substanz, und widerspricht die Veränderung nicht der
Unendlichkeit und Ewigkeit der Substanz? Gehört das
Werden, die Bewegung und Veränderung zur Substanz
als solcher oder .zu ihren Zuständen? Diese iVagen sind
för das System Sp's. von der höchsten Bedeutung; sie
schliessen die Frage ein, wie das Endliche aus dem Un-
endlichen sich ableitet.
Sp. hat indess die volle Bedeutung dieser Fragen
nicht erfasst; vielmehr gilt ihm die Existenz des End-
lichen, der einzelnen Dinge schon auf Grund der Wahr-
nehmung als gegeben und erwiesen ; sie war ihm für die
menschliche Erkenntniss gewissermaassen das Erste, und
die Aufgabe war umgekehrt, aus diesem Endlichen oder
in demselben das Unendliche zu finden und zu erkennen.
Dies erreicht Sp. durch die Aufstellung und Entwicke-
lung seines Begriffes der Substanz und Gottes. Das
Unendliche glaubte er ebenso deutlich und sicher in dem
Verstände gegeben, und so verschwand für Sp. die Noth-
wendigkeit, das Eine aus dem Andern abzuleiten. Sie
waren beide da; es kam nun darauf an, ihre Verbmdung
oder Einh^t aufzufinden. Dazu dienen Sp. die Bezie-
hungen der Substantialität und Oausalität. Indem er das
Unendliche zur Ursache und Substanz des Endlichen
macht, wird das Endliche die Wirkung und der Zustand,
und die Ableitung ist so nachträglich gefunden. Dass
Sp. sich dabei in blossen Beziehungen des Denkens be-
wegt, dass er zunächst von dem Dasein beider, des End-
lichen und des Unendlichen, ausgeht und erst uachträg-
I. Th«iL 30. (L. 16 B.) 27
lieh die Beziehung zwischen sie einführt, blieb Sp. ver-
borgen. Die Natur des Denkens war zu seiner Zeit noch
zu wenig untersucht.
In dem B. tritt hier zuerst es deutlich auf, dass Sp.
den Erkenntnissgrund und die Ursache mit ein-
ander verwechselt und identificirt (E. 46). Deshalb ge-
braucht Sp. das Wort: Folgen (aeqtd), obgleich es sich
eigentlich um das Entstehen, Werden der Einzeldinge
handelt. Weil aus der Definition eines Gegenstandes
Vieles folgt, so entsteht nach Sp. aus dem G-egen-
stande dies Viele. Allein die Folgen liegen nur inner-
halb des Denkens und sind mit der Definition oder dem
Erkenntnissgrunde zugleich; die Wirkungen gehören
aber dem Sein an und entstehen zeitlich erst nach
ihrer Ursache {E, 46).
Diese Verwechslung von Ursache und Erkenntniss-
grund wird bei Sp. zur Identität von beiden und bildet
in dieser Identität einen Grundgedanken seines Systems,
der überall hervortritt. Diese Identität von Grund und
Ursache, die dem gewöhnlichen Vorstellen so widerstrebt,
hat sich bei Sp. dadurch gebildet, dass er die Zeit aus
dem Wesen Gottes und der Dinge ausschloss. Damit
war der Unterschied zwischen Ursache und Grund er-
schüttert.
Es ist für das Verständniss der Ethik Sp's. v4n Wichtig-
keit, diese Identität von Ursache und Grund sich immer
gegenwärtig zu halten. Sp. behandelt Gott und die Welt
ganz wie eine geometrische Figur. So werden in der
Geometrie z. B. aus der Definition des Kreises oder aus
einer einzelnen wesentlichen Eigenschaft- desselben (gleiche
Entfernung aller Punkte des Umrings vom Mittelpunkt)
alle weitem Lehrsätze, welche für den Kreis gelten, ab-
geleitet, und diese weitem Lehrsätze, wie z. B. von der
Natur der Tangente, von der doppelten Grösse des Centri-
wtnkels, erscheinen als etwas Neues, was nicht in der
Definition des Kreises enthalten ist und doch mit Noth-
wendigkeit aus derselben folgt. Allein in Wahrheit
enthalten diese Lehrsätze nichts Neues, sondem nur
Wiederholungen früherer Lehrsätze von dem Dreieck,
und der Schein des Neuen entspringt nur daraus, dass
die Gestalten des Dreieckes verhüllt (implieite) in der
Gestalt des Kreises enthalten sind, und das Enthaltensein
28 I* TheiL 39. (L. 16 B.)
jener in diesem nicht sofort Jedem in die Angen föllt,
sondern erst mittel^ der Hülfsconstmktionen anschaulich
{explicite) gemacht wird.
Diese Verhältnisse überträgt nun Sp. auf Gott. Gott
ist ihm gleichsam der Kreis in seinem Wesen oder in
seiner Definition, aus dem die einzelnen Dinge, wie die
besonderen Lehrsätze ans dem Kreise, mit Nothwendigkeit
folgen. Die einzelnen Dinge sind deshalb bereits ihrem
Wesen nach (wie Lehrsätze) in dem Wesen oder der
Definition Gottes enthalten, and so wie bei dem Kreise
keine Zeitlichkeit in Bezng auf die besonderen Lehrsatze
Statt hat, so anch nicht zwischen dem Wesen Gottes
nnd dem Wesen der besonderen Dinge.
Dieses ist die Auffassung Sp's., und nur wenn man
diese festhält, kann man seine Ethik Terstehen. Der
Mangel dieser Auffassung ist, dass die Wirkungen in der
Natur sich zu ihren Ursachen keineswegs so verhalten,
wie die besonderen Lehrsätze in der Geometrie zu den
Definitionen der Gmndg^stalt, sondern dass hier 1) eine
zeitliche Folge Statt hat, und dass 2) die besondere
Wirkung nicht aus der besonderen Ursache für sich durch
blosse Betrachtung oder Zerlegung dieser abgeleitet, son-
dern nur aus der Beobachtung entnommen werden kann.
Deshalb ist es unzulässig, jene Verhältnisse der Geometrie *
auf das Varhältniss Gottes und das Eintreten der ein-
zelnen Dinge zu übertragen. Sp. fühlte sehr wohl, dass
hier das zeitliche Entstehen des Einzelnen einen Unter-
schied macht; um dieses Hemmniss zu beseitigen, benutzt
er den Begriff des Wesens der Dinge im Unterschiede
von ihrer Existenz. Dadurch kommt das Wesen der
Einzeldinge ausserhalb der Zeit; nur die Existenz fallt
bei den endlichen Dingen in die Zeit, und dadurch ist
Sp. im Stande, das Wesen der endlichen Dinge, als Ton
Ewigkeit in dem Wesen Gottes enthalten, darzulegen
und die Uebereinstimmung mit jenen mathematischen Be-
griffen zu erreichen.
Dieser Auffassung Sp*s. steht indess entgegen, dass ans
der Trennbarkeit eines Gegenstandes in sein Wesen
und seine zeitliche Existenz innerhalb des Denkens
nicht folgt, dass diese Trennung auch im Sein möglich
und wirklich ist; vielmehr lehrt die Erfahrung, so weit
diese reicht, das Gegentheil.
I. TheiL 40. 41. (Z. 1. 2. 3 m L. 16. L. 17 B. Z. 1. 2.) 29
40» Z. li 2w 3 Sil L. 16« Die wirksame Ursache
(causa effidma) ist nur ein Pleonasmus; es wird damit
das bezeichnet, was man jetzt nnter Ursache überhaupt
versteht. Bei den Scholastikern und noch zu Sp's. Zeit
unterschied man nach dem Vorgänge des Aristoteles
Yon der causa effißtena die causa finalisy welche man
jetzt Zweck nennt. Man glaubte, der Zweck habe eine
eigne erzeugende Kraft, wodurch er sich aus der blossen
Yorstellung zur Wirklichkeit umsetze, eine Ansicht, die
auch in der modernen Philosophie vonTrendelenburg und
Anderen festgehalten wird. Allein der Zweck ist ohne
Wollen unmöglich und wenn dieses Wollen zu der Vor-
stellung hinzutritt, so fällt es genau unter den Begriff
der Ursache oder Causa ef/ieiens.
Für Sp. hat es keine Schwierigkeit, die unendliche Beihe
der Ursachen abzubrechen und in Gott die erste yr-
Sache zu setzen« Es ist dies aber eine Gewaltsamkeit gegen
den Begriff der Ursächlichkeit, wie Kant in seinen Anti-
nomien gezeigt hat
41. L. 17 B. Z« 1« 2. Dieser Lehrsatz mit seinen
Zusätzen folgt unzweifelhaft aus den von Sp. angezogenen
Prämissen. Keu ist dabei nur der Begriff des Han-
delns. Bis hier hat Sp. nur von den Folgen {sequi)
der Natur Gottes gesprochen. Die Definition des Han-
delns und Leidens giebt Sp. erst Theil III. D. 2. Im
gewöhnlichen Sinne ist Handeln und Folgen durchaus
yerschieden; jenes besteht innerhalb des Seins 9 dieses
innerhalb des Denkens; jenes geht von dem Wollen der
Seele aus und hat einen zeitlichen Anfang; die Folgen
(z. B. eines Lehrsatzes) sind vom Wollen ganz unabhän-
gig und haben kein zeitliches Entstehen, weil die Z^it
von dem Lehrsatze abgetrennt ist Sp. kann diesen Be-
griff des Handelns nicht beibehalten, nachdem er die
Ursache und den Erkenntnissgrund als dasselbe gesetzt
hat. Wenn bei ihm alles Werden aus dem Wesen
Gottes, wie die Lehrsätze aus den Definitionen der geo-
metrischen Figuren, folgt, so muss auch das menschlidie
Handln sich in ein bloss logisches Folgen aus dem zeit-
losen Wesen Gottes umwandeln. Damit fällt natürlich
auch die Wahlfreiheit hinweg.
Es ist wichtig, dass man diesen Spinozistischen Be-
30 I. TheiL 42« (£. za L. 17.)
griff des Handelns festhalte; man mnss jederzeit ^e lo-
gische Folge darunter verstehen und darf sich dBrdi
den gewohnlichen Sinn dieses Wortes hierin nicht iiren
lassen.
42. B. ZU Lt 17i In dieser Erläuterung wird das
hier unter No. 40 und 41 Bemerkte bestätigt; die Bei-
spiele für die Natur Gottes sind hier sämmtiich aus der
Geometrie entnommen, und Sp. sagt ausdrücklich: »dass
»Alles, wie bei dem Dreieck, aus der Natur Gottes her-
»vorgegangen ist oder immer folgt.« Das Hervor-
gehen enthalt den Zeitverlauf, das Folgen nicht; diesen
wichtigen Unterschied überspringt Sp. als unwesentUcL
Die Allmacht Gottes liegt für Sp. nicht in der Ver-
wirklichung eines WoUens, sondern in der reinen logi-
schen Folge des Besonderen aus der Substanz od«r
dem Wesen Gottes. Es ist daher auch nur conseqaent,
wenn Sp. das menschliche Wollen aus der Natur Gottes
ganz entfernt. Gott ist nur der Inbegriff der unendlich
vielen Attribute, aus denen in geometrischer Weise die
Folgen, d. h. das Besondere, sich von selbst und mit Noth-
wendigkeit ergeben.
Die Schwierigkeit ist nur, wie, wenn nach Sp. die
zeitliche Folge und das WoUen in Gott nicht vorhanden
ist, dieses dennoch in seinen Zuständen sich einfinden
kann; denn die einzelnen Dinge und insbesondere die
einzelnen Menschen sind nur Zustände von Gott, also
Theile von Gott.
Dies ist der Widerspruch, welcher dem System Sp's.
anhaftet. Zuerst identificirt Sp. Gott mit der Welt,
Alles ist nnr in Gott; dann trennt er Gott wieder ym
der Welt, und nicht blos im Denken, sondern auch im
Sein und der Art nach; deshalb der spätere Gregensatz
von Natura naiurans und Natura naiurataj wo die
Einheit nur noch im Worte besteht.
Damit hängt zusammen, dass Sp. in dem zweiten Ab-
satz der E. die Ursache von ihrer Wirkung als unter-
schieden behauptet, während er I. A. 4. 5 und L. 3 aus-
drücklich die Gemeinsamkeit beider behauptet hat. Diese
Verwirrung ist nicht aufzuklären, ja, sie ist dem Systeme
unentbehrlich.
L Theil. 43. 44. (L. 18 B. L. 19 B. E.) 31
43« L« 18 B« Die moderne Philosophie ist stolz
darauf, Gott als die in wohnen de oder immanente
Ursache der Welt erkannt zu haben. Nach den Religio-
nen ist Grott zwar auch die Ursache (der Schöpfer) der
Welt, aber diese ist ausserhalb Gottes und nur sein
Werk; na€h der Auffassung Sp's. ist dagegen diese Ur-
sächlichkeit Gottes eine inVrohnende; die Wirkung ist
nicht ausserhalb Gottes. Untersucht man diesen Begriff
der immanenten Ursache naher, so ist sein Unterschied
von der äussern Ursache schwer festzuhalten. Ein räum-
liches Drinsein der Ursache ist offenbar nicht gemeint;
Tielmehr folgt aus dem Gegensatz der Causa trafisiens, dass
die Wirkung bei der Causa tmmanens nichts Fremdes
d. h. nichts Anderes als die Ursache ist; dass die Ur-
sache, wie Hegel sagt, in ihrer Wirkung bei sieh selbst
bleibt. Die Causa immanens iot daher nur ein anderes
Wort für die Causa sui und der in dieser enthaltene
Widerspruch ist schon «oben (S. 2) dargelegt worden.
Sp. denkt bei der Causa immanens an die Substanz
und ihre Modi; er nimmt die Modi als Wirkungen und
da diese in der Substanz sind, so ist die Substanz eine
inwohnende Ursache. Dies ist die schon gerügte Ver-
mischung der Ursächlichkeit mit den Substantialität, die
bei Sp. fortwährend hervortritt; in keinem Falle ist damit
ein neuer Begriff gewonnen.
44. L« 19 B. B. Uni er ewig ist hier nicht ein
nnendlicher Zeitverlauf zu verstehen, sondern eine Exi-
stenz ausserhalb der Zeit, wo mithin weder Entstehen
noch Vergehen noch Dauer möglich ist, welche Begriffe
den Zeitablauf voraussetzen. Sp. stellt diesem das Sein ent-
gegen, was mit dem Begriff oder der Definition zugleich
gegeben ist. Der Beweis in Sp's, Prinzipien des Car-
tesius lautet dahin: »Gott ist das vollkommenste' We-
isen und daraus folgt seine Existenz. Wollte man ihm
»nur eine beschränkte Existenz zutheilen, so würde Gott,
»als der höchste Verstand, diese Schranken erkennen;
>also würde Gott jenseit dieser Schranken sich, d. h. das
»vollkommenste Wesen, als nicht existirend erkennen,
»was widersinnig ist.« * — Man sieht, dass dieser Beweis
sich im Kreise dreht; zuerst wird ein Beweis versprochen,
dass mit der Vollkommenheit die Ewigkeit verbunden ist,
32 I. Theil. 45. 46. 47. (L. 20 Z. 1. 2. L. 21 B. L. 22 B.)
und nachher wird dieser Beweis dadurch geführt, dass
die Vollkommenheit sich mit der Endlichkeit nicht yertrage.
45« L« 20 Z. 1, 2, Es wird hier von Sp., wie
später von Hegel, der Begriff des Identischen yer-
falscht. Das Identische ist ohne allen Unterschied;
das Eine und dasselbe o^r Identische ist nur eis
Beziehungsbegriff; im Sein ist das Identische nicht, son-
dern jede Sache einfach das, was sie ist (E, 37). Hier
wird aber neben der Identität noch der Unterschied fest-
gehalten; Wesen und Existenz sollen identisch seis;
offenbar aber sind sie auch unterschieden, und Sp. lässt
diesen Unterschied nicht fallen. Sp. hätte daher richtiger
sagen müssen: Wesen und Dasein sind bei Gott un-
trennbar verbunden; das Eine mag selbst als die
logische Folge des Andern gelten, deshalb sind sie aber
noch nicht identisch.
46. L« 21 B« Das Yerständniss des Beweises dieses
Lehrsatzes hat seine grossen Schwierigkeiten. Man kann
sich zunächst über die Umständlichkeit dieses Beweises
wundern, da in dem Begriffe der logischen Folge ohne
weiteres liegt, dass die Folge untrennbar von der Prä-
misse ist, und mithin, wenn diese ewig oder ausserzeitlich
ist, es auch die Folge sein muss; wie es z. B. mit den
aus der Gestalt des Dreiecks abgeleiteten geometrischen
Lehrsätzen der Fall ist. Man begreift also nicht, wes-
halb Sp. nicht einfach diese Natur der Folge zum Beweis
benutzt.
Sodann ist der Beweis deshalb dunkel, weil das Wort:
»Vorstellung Gottes« (idea dei) zweideutig ist; es kann
eine Vorstellung von Gott, wo Gott den Gegenstand
bildet, bezeichnen; es kann auch eine Vorstellung be-
zeichnen, die Gott als Subjekt zugehört. Hier ist es in
beiderlei Sinn zu nehmen, also so, dass damit Gottes eig^e
Vorstellung von sich zu verstehen ist. Nur dann ist der
Beweis verständlich.
47. L. 22 B. Dieser Satz so wie L. 23 hat den
Auslegern viel Schwierigkeiten gemacht. Ei^ wird hier
der Begriff einer »Modification« des Attributs ein-
geführt, und es bleibt zweifelhaft, ob darunter dasselbe
L Theil. 47. (L. 22 B.) 33
wie unter Modus (Zustand) zu verstehen ist. Nach
L 23 muss man dies annehmen; sonach führt hier Sp.
«inen Unterschied in den Zuständen ein, wonach einige
ewig und anendlich sind, wie die Attribute, andere ^-
gegen endlich. und vergänglich (L. "24). Da nun beide
Arten ihre Ursache in Gott haben oder aus ihm folgen,
fio bleibt dieser Unterschied unerklärlich; denn wenn die
Ewigkeit der ersten Art auf ihr Folgen aus Gott ge-
stutzt wird, so müssten auch die Zustände der zweiten
Art ewig sein, da sie ja auch aus Gott folgen. Sp. hilft
sich hier, wie sich später ergeben wird (L. 28), mit der
Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Folgen.
Bei den endlichen und veränderlichen Zuständen ist nur
die ganze Beihe derselben zusammengenommen die
anmittelbare Folge Gott-es; die einzelnen Dinge sind aber
nur die unmittelbaren Folgen eines anderen Einzeldinges.
Hier ist also nur die Totalität aller endlichen Zustände
eine ewige (zeitlose) Folge aus Gott. Dagegen sind die
Zustande der ersten Art an sich selbst ewig.
Es entsteht nun die Frage: welche Zustände gehören
hierher? Sp. hat dies hier ganz unerörtert gelassen,
obgleich die Frage für sein System von der höchsten
Wichtigkeit ist. In dem 65sten Briefe fragt ein Freund
nach solchen Beispielen, und zwar 1) nach Beispielen von
dem, was Gott unmittelbar hervorgebracht hat, und 2) von
dem, was durch eine unendliche Modüication von ihm
hervorgebracht wird. Sp. nennt in seiner Antwort
(Brief 66) als Beispiele der ersten Art im Denken den
unbedingt unendlichen Verstand und in der Ausdehnung
die Bewegung und Buhe; als Beispiel der zweiten Art: die
Gestalt des gaqzen Universums, welche immer dieselbe
bleibt, obgleich sie in unendlich vielen Zuständen wechselt
— Dies wird indess dem Leser schwerlich genügen.
Diese Unklarheit ist die unvermeidliche Folge davon, dass
Sp. die Attribute zwischen Substanz und ihren Zuständen
eingeschoben hat. Indem dadurch ein Inhalt, also ge-
wisse Eigenschaften, in die Substanz selbst kommen,
konnte Sp. nur das Allgemeinste davon zulassen, damit
es durch diese Allgemeinheit sich in allem Wechsel
der Zustände erhielt und somit der Ewigkeit der Substanz
nicht widerstritt. Als solches schien dem Sp. nur das
Oeistige und das Körperliche zu passen, und indem er
Erliaternngen zu Spinoza's Ethik. 3
34 I. Theil. 48. (L. 23 B.)
dies Denken und Ausdehnung nennt (freilicli gegen
den natürlichen Sprachgebrauch) , wurden dies die' zwei
dem Menschen erkennbaren Attribute Gottes. Allein die
Betrachtung ergab bald, dass noch andere AUgeüfein-
heiten aus dem Endlichen ausgetrennt werden können,
welche eben so, wie jene zwei, sich bei allem Wechsel
«rhalten, z. B. das Vorstellen im Greistigen und die Be-
wegung im Körperlichen. Da nun Sp. sich nicht ent-
scMiessen konnte, diese Allgemeinheiten mit als Attribute
in die Substanz aufzunehmen, weil ihre grosse ZaM
offenbar die Einheit seiner Substanz gefährdet hatte, so
blieb ihm nichts übrig, als sie zu den Zustanden zu
rechnen. Da sie nun aber hier wegen ihrer beharrlichen,
durch allen Wechsel sich hindurchziehenden Natur nicht
mit in die causale Eeihe der endlichen Zustände gestellt
werden konnten, so musste Sp. sie zu unendlichen Modi-
ficationen machen, die unmittelbar aus den Attributen
Gottes folgen und deshalb an der Natur der Attiibute
Theil nehmen.
Hier tritt das Willkürliche des Systems deutlich her-
vor. Es sind dies die unvermeidlichen Folgen des fal-
schen Prinzips, wonach reine Beziehungsformen des Den-
kens als seiende Bestimmungen gelten sollen, ein Mangel,
der den fundamentalen Irrthum von Sp's. System bildet
und ihn überall in Schwierigkeiten verwickelt. Sp. ge-
räth dadurch hier in das unlösbare Dilemma: Entweder
ist Gott reine Substanz und reine Ursache (Beziehung),
dann fällt aller Inhalt, alle Bestimmtheit in die Zustände
und Wirkungen, also ausserhalb Gottes ; Gott ist dann
für sich völlig leer; oder soll Gott auch einen Inhalt
haben, so kann dieser nur durch begriffliches Trennen
{E. 16) aus den Zustanden und dem Endlichen entnom-
men werden, und es verschwindet dann die Grenze zwischen
Attribut und Modus; beide fliessen in einander über; ihr
Unterschied liegt nur im Denken, und eine Selbstständig-
keit der Attribute in Gott vor ihren Zuständen (L. 1)
ist unmöglich und führt zu demselben Fehler, den Plato
mit der Selbstständigkeit seiner Ideen begangen hat.
48. L. 23 B« Das hier zu Bemerkende ist zu L. 22
erwähnt. Auch diese beiden Alternativen des Lehrsatzes 23
beziehen 'si«h auf die von Sp. in seinem 66sten Briefe
I. Theil. 49. (L. 24 B. Z.) 35
gegebenen Beispiele. Kuno Fischer (Geschichte der
neuern Philosophie Band I.) will unter den »unendlichen
Modificationen eines Attributs Grottes« nur den »continuir-
lichen und endlosen Zusammenhang aller zu diesem Attri-
but gehörenden endlichen Dinge oder Zustände« ver-
stehen. Allein dem widersprechen die von Sp. gegebenen
Beispiele. Sp. unterscheidet diese unendlichen Modifica-
tionen der Art nach; ein und dasselbe Attribut kann
viele solche unendlichen Modificationen haben, z. B. das
Denken Tiat das unendliche Vorstellen, das unendliche
Begehren u. s. w. Diese Vielheit wäre unmöglich, wenn
Fischer Kecht hätte; dann könnte in der Totalität alles
Endlichen immer nur eine unendliche Modification für
jedes Attribut bestehen.
49. L. 24 B. Z. Das Wesen der Einzeldinge ist
hier von Sp. als ein Selbstständiges und Ursprüngliches
behandelt, als wenn es auch abgesondert von der
Existenz dieser Dinge wahrgenommen oder in irgend
einer Weise für sich erfasst werden könnte. Wäre
dies richtig, so hätte der Lehrsatz 24 eine synthetische
l^atur. Allein in Wahrheit ist das Daseiende einzelner
Dinge das Erste, was der Mensch wahrnimmt, und erst
aus dieser Wahrnehmung wird durch trennendes Denken
das Wesen desselben im Sinne Sp's. gewonnen, indem die
vereinzelte in einer bestimmten Stelle des Eaumes und
der Zeit stattfindende Existenz von dem sonstigen Inhalte
abgetrennt und entfernt wird. Bei dieser Entstehung des
Begriffes Wesen ist der Lehrsatz 24 nur analytisch und
gilt nur innerhalb des Denkens, da eine Existenz des
Wesens für sich nie angenommen und nachgewiesen wer-
den kann.
Dieser ganze Gedankengang himmt seinen Anfang von
der religiösen Vorstellung Gottes. Diese ist von Jugend
auf als untrennbar von der Existenz in Schule und Kirche
eingeprägt worden, so dass zuletzt es für unzweifelhaft
gilt, dass Gott nicht anders als existirend vorgestellt
werden kann. Diese durch die Erziehung und Gewohn-
heit bewirkte feste Verbindung gilt dann als angeboren,
als der Seele von Natur innewohnend, und Cartesius
benutzt nun umgekehrt diese Vorstellung als Beweis für
das Dasein Gottes. Nachdem so in der Vorstellung
36 I- TheiL 50. (L. 25 B. E. Z.)
Gottes eine Yorstellang vorlag, in welcher Wissen odei
Wesen nnd Sein als untrennbar gelten, so war man ge-
nöthigt, für die endlichen Dinge ein Wesen anzmieb-
men, was die Existenz nicht einschliesst.
Nachdem diese Gedankenbildung vollendet war, drehte
man sie um, nahm ihr Ende für den Anfang und konnte
nun, wie hier geschieht, beweisen, dass das Wesen der
endlichen Dinge die Existenz nicht einschliesst. Es ist
also hier im Grunde nur ein Spiel des Denkens mit sich
selbst vorhanden, und wenn man das Sein wieder in An-
fang und Fortdauer spaltet, so ist klar, dass, nachdem
der Begriff des Wesens in der vorbezeichneten Art ge-
bildet worden war, Gott die Ursache von dem Anfang
und der Fortdauer der Existenz des Endlichen sein moss,
obgleich dies Letztere ein Luxus ist, da nach III. L. 8 B.
diese Fortdauer sich von selbst versteht
50. L. 25 B. B. Z. Auch hier ist der wahre 6^
dankengang der umgekehrte gewesen. Der Begriff Gottes,
als die unendliche, Alles in sich enthaltende Substanz, ist
erst durch trennendes und beziehendes Denken (E. 16. 35)
aus der Vorstellung der einzelnen Dinge abgeleitet wor-
den; hier wbd er aber als das Ursprüngliche vorgestellt;
da ist es ganz natürlich, dass man aus diesem Begriffe
Gottes das ableiten kann, was man zuvor in denselben
hineingelegt hat.
In dem Z. wird endlich bestimmt ausgesprochen, dass
alles einzelne Seiende, also auch der einzelne Mensch, nur
ein Zustand Gottes ist. Ein solcher Satz ist leicht hin-
gestellt, aber schwer zu einem fassbaren Gedanken zu er-
heben. Zunächst widerspricht es dem Selbstbewusstsein,
dass das Ich, gleichsam wie eine Eigenschaft, einem
Andern nur anhängen (inhäriren) soll; man hat von sol-
cher Inhärenz weder eine innere Erfahrung, noch die
Fähigkeit, sie sich bildlich vorzustellen.' Sodann folgt
aus diesem Z., dass, wenn alle Menschen nur Zustande
Gottes sind, Gott mit sich selbst Krieg fahrt ; ein Zustand
in Gott mordet den andern; ein Zustand weiss, was der
andere nicht weiss; ein Zustand kann sprechen, der an-
dere nur brüllen ; ein Zustand in Frankreich versteht den
sprechenden Zustand aus Deutschland nicht. Wie dies
möglich sein soll, wenn dabei Gott , als die Substanz all
I. Theü. 51. 52. 53. (L. 26 B. L. 27 B. L. 28 B. E.) 37
dieser Zustände, ein einiges und einzelnes Wesen ist, was
deshall) alle seine Zustände mit einem Bewusstsein durch-
dringt, ist unbegreiflich und hätte jedenfalls von Sp.
näher entwickelt werden sollen. Statt dessen wird immer
nur das »In Gott sein« wiederholt.
51. L. 26 B. [Der Begriff des Wirkens (operari)
wird hier als ein neuer eingeführt, ohne dass er näher
hestimmt. wird. Er ist nicht identisch mit handeln
(agere), sondern weiter; er umfasst alles Hervorgehen
der Wirkungen aus den Ursachen, selbst aus partiellen,
während das agere nur von solchen Ursachen gilt, die
für sich allein die Wirkung zur Folge haben.
Der Inhalt des L. ist übrigens rein analytisch aus
dem Goitesbegriff des L. lö abgeleitet; deshalb ist der
Beweis so leicht.
52. L. 27 B. Der Beweis dieses L. gelingt nur
dadurch, dass Sp. das Aufhören einer Wirksamkeit
wieder als etwas Positives nimmt, was dann natürlich
seine besondere Ursache verlangt, die nur in Gott ent-
halten sein kann. Allein das Aufhören zu wirken
ist ein blosses Nichtsein, ein Nichts, und es ist schon
oben gezeigt worden, wie unzulässig und verkehrt es ist,
das Nichts als ein Etwas zu behandeln und noch eine
Ursache für das Nichts zu fordern.
53. L. 28 B. E. Das Yerständniss dieses L. ist
bereits bei L. 21 vorbereitet worden. Die Schwäche des
Beweises ist leicht zu erkennen. Unzweifelhaft kann
Alles, was aus der unendlichen Natur Gottes (logisch)
folgfc, nur ebenso unendlich und zeitlos sein, wie Gott
selbst. Die Consequenz dieses Satzes ffthrt also zur
Unmöglichkeit der endlichen Dinge. Deshalb haben auch
Plato und die Indischen Philosophen diese unendlichen
Dinge nur für Schein (für die Maja) erklärt; allein Sp.
mochte sich dazu nicht entschliessen ; für ihn sind die
endlichen Dinge wirklich, und so musste daher sein Be-
weis die sonderbare Wendung erhalten, dass, da aus
Gottes Natur, als unendlicher, nur Unendliches hervor-
gehen kann, das Endliche aber doch auch da ist und
Grott auch die Ursache von ihnen seih muss, dieses End-
liche aus Gott folge, »insofern er in gewisser Weise er-
38 I- TheiL 64. 55. (L. 29 B. £. L. 30 B.)
•
reg^ angesehen wirdc (quatenus aUquo modo aßectm
eonsideratm*) , oder »insofern er mit einem Znstand be-
haftet ist, der endlich ist« (quatenus modificatus est
modißcatione, q^iae finita est). Dies ist aber, wie Jeder
erkennt y keine Ableitnng des Endlichen ans dem Unend-
lichen, sondern ein leeres Spiel mit Worten.
üebrigens folgt hieraus noch nicht der causale Zn-
sammenhang des Endlichen nnter sich; Sp. hat dafdr
keine andere Erklärung, als: Es mnss so sein.
Ans diesem cansalen Znsammenhang des Einzelnen
folgt, dass Gott nur mittelbar als die Ursache der
späteren (xlieder in der Beihe des Endlichen gelten kann,
indem er nnr das erste Glied unmittelbar zu bewirken
hatte, die andern folgten aus diesem. Diese Unterschei-
dung von Mittelbar und Unmittelbar ist far die Ursäch-
lichkeit an sich ohne Bedeutung; deshalb kann Sp. sie
in der E. zu 2) wieder aufheben.
54. L. 29 B. B. Dieser Lehrsatz ist bereits in den
vorgehenden Lehrsätzen enthalten und deshalb rein ana-
lytisch aus ihnen abzuleiten; er enthält nichts Neues und
ist nicht synthetisch im Sinne Kaufs. Der Beweis ist
deshalb leicht zu fuhren.
In der E. berührt Sp. die scholastischen Begriffe der
Natura naturans und Natura naiurata; Sp. setzt
erstere für identisch mit seiner Substanz und ihren Attri-
buten; die Zustände der Substanz sind dann die n<xtura
naturata. Sp. macht von diesen Ausdrücken keinen
weitern Gebrauch. Die Entstehung dieser sonderbaren
Ausdrücke wird nur verständlich durch das in der scho-
lastischen Philosophie herrschende Bestreben, einmal die
Einheit Gottes und der Welt zu en-eichen und dann
Gott von der Welt auch unterschieden zu halten.
Gott, als Ursache der Welt aufgefasst, ist von ihr unter-
schieden; allein da Ursache und Wirkung untrennbar
sind, so sind beide damit auch wieder Eines. Indem
man diesen Unterschied und diese Einheit in ein Wort zu
fassen sich bestrebte, erfand man jene barbarischen Aus-
drücke.
55. L. 30 B. Sp. springt hier von den bisherigen
ontologischen Betrachtungen ab und spritjht in L. 30 und 31
I. Theil. 56. 57. (L. 31 B. E. L. 32 B. Z. 1. 2.) 39
von dem Verstände. Sp. unterscheidet den Verstand
(intellectua) vom Benken (cogita/rej; jener ist nur ein
Zustand des Denkens, welches letztere zu den Attributen
Grottes gehört und neben dem Verstand auch das Be-
gehren, Wollen, die Liebe u. s. w. als Zustände enthält.
Diese Eintheilung fällt mit dem Bd. I (E. 6) auf-
gestellten Unterschied der wissenden und seienden
Zustände der Seele zusammen. Der Verstand ist das
Wissen der Seele; er theilt sich nach Sp. in das bild-
liche Vorstellen (imaginari) und Erkennen (intelligere).
Für die gewöhnliche Auffassung ist L. 30 selbstver-
ständlich; das Wissen erhält seinen Inhalt nur von den
seienden Gegenständen, und diese sind nach Sp. nur
Gott und seine Zustände. Allein für Sp. hatte der Lehr-
satz seine Schwierigkeit, weil nach Sp. zwischen dem
Attribut der Ausdehnung und dem des Denkens keine
Gemeinsamkeit und kein Einfluss besteht. Deshalb bleibt
auch der hier gegebene Beweis, der sich auf A. 6 stützt,
mangelhaft; der Vahre Beweis folgt erst später und liegt
darin, dass die verschiedenen Attribute in Wahrheit nur
eines sind.
56. L. 31 B. E. Es ist festzuhalten, dass nach
diesem Lehrsatze selbst der unendliche Verstand nicht
zur Substanz und nicht zu den Attributen Gottes gehört,
sondern zu seinen Zuständen, und zwar zu den unend-
lichen Modificationen der Attribute (L. 21). Daraus
folgt, dass in Gott, als Substanz, überhaupt kein Wissen,
selbst kein unendliches Wissen besteht, sondern blos eine
unendliche Cogitatio. Wie diese ohne Wissen zu fassen
ist, ist allerdings schwer begreiflich. Diese Schwierig-
keit entspringt aus der Vermischung der wissenden und
seienden Zustände der Seele, welche Sp. in die eine
Cogitatio zusammenpresst.
57. L. 32 B. Z, 1. 2. Unter: Wille (voluntas)
versteht Sp. hier nicht das, was gewönlich damit bezeich-
net wird; in E. zu L. 48 II. sagt er ausdrücklich, dass
er unter Wille nicht das Begehren verstehe, sondern die
Fähigkeit zu bejahen und zu verneinen ; Sp. rechnet des-
halb auch consequent den Willen zu dem Verstand, in-
dem er Wille und Verstand für ein und dasselbe er-
40 I. TheiL 58 -M. (L. 33 B. E. 1 u.»
klart (Z. zu L. 49 U.). Dieser eigentMmliche Begrif
des Willens, den Sp. von Cartesins übernommen hat,
muss also anch hier festgehalten werden. Indess würde
der L. 32 seine Gültigkeit behalten, auch wenn man hier
unter Willen das Begehren verstände, und es ist sogar
möglich, dass Sp. selbst das Wort hier in diesem natär-
liehen Sinne gebraucht hat.
Die Frage der eigentlichen Willensfreiheit wird erst
später zur Erörterung kommen. Hier wird sie sehr kurz
erledigt. Da es nach Sp. nur Substanzen und Zustände
giebt, so fallt der endliche wie der unendliche Wille
unter die Zustande, und da das Gesetz der Causalität far
die Beihe der Zustande allgemein nach Sp. gilt, so fallt
natürlich auch der Wille darunter. Dieser Beweis dreht
sich im Kreise, weil die allgemeine Causalität, welche
seinen Obersatz bildet, selbst eine blosse Yoraussetzungr
ist. So wie Sp. in Gott, als Substanz, keinen Verstand
zulässt, so auch keinen Willen. Beide gehören nur. zu
den Zuständen der Substanz. Deshalb ist es ganz con-
sequent, wenn Sp. die Bewegung in Gott nur als ein
Folgen (sequi) behandelt, und nicht als ein Handeln^
da das letztere in seiner natürlichen Bedeutung das Wollen
einschliesst.
58. L. 33 B. Indem die Entwickelung und Bewe-
gung in Gott nur die Natur von logischen Folgen aus
dem Erkenntnissgrunde hat, ist dieser Lehrsatz von selbst
klar. Die Dinge, als die Folgen, können keine anderen
sein, als sie sind, sonst wären sie keine Folgen; so wie
die aus der Natur des Dreiecks sich ergebenden beson-
deren Lehrsätze keine andern sein können, als sie sind,
und jede kleine Veränderung in einem dieser Lehrsätze
auch die Natur des Dreickes selbst aufheben würde^
59. B. 1 ZU L. 33. Wenn in der Natur die^Noth-
wendigkeit allgemein gilt, wie Sp. behauptet, so kaim es
in ihr keinen Zufall geben, und Sp. verlegt dann ganz
richtig den Zufall nur in das Wissen; das Zufallige ist
nur das Nicht- Wissen der an sich vorhandenen Ursache
und Nothwendigkeit (E, 62).
60. B. 2 ZU L. 33. Sp. kämpft hier gegen die re-
ligiöse Lehre, welche bei Gott an der Freiheit seines
L TheiL 01. (L. 34 B.) 41
Willens festhält. Die Aasfahrxiiig ist nicht besonders geist-
reich und dreht sich im Grunde immer im Kreise. Wenn
alle Entwickelung in Gott die Natur der logischen Fol-
gen hat, wie Sp. behauptet, so ist damit allerdings keine
Freiheit der Wahl verträglich. Allein die erste Frage
bleibt: Ob die Entwickelung und das Handeln in Gott
diese Natur hat. Das ganze System Sp*s. beruht aller-r
dings auf diesem Gedanken, allein dieser selbst bleibt
eine Voraussetzung, für die ein wirklicher Beweis nicht
beigebracht ist. Ebenso leer ist der Grund, den Sp. aus
der Yollkommenheit entnimmt. Vollkommenheit ist selbst
ein Beziehungsbegriff, der sich nach dem Maasstabe be-
stimmt. Wird diese Vollkommenheit mit Sp. rein in die
logische Consequenz und Folgerichtigkeit gelegt, so ist
die Freiheit^ der Wahl allerdings das Unvollkommene;
wird aber diese fessellose Freiheit als das Höchste gesetzt,
so dreht sich das Drtheil um.
Im gewöhnlichen Vorstellen wird die Freiheit höher
gestellt als die« Nothwendigkeit. Sp. und später Hegel
suchen diese Meinung dadurch zu versöhnen, dass sie die
innere, aus sich selbst bestimmte Nothwendigkeit als
Freiheit behaupten, den Zwang als das Niedere und diesen
als Zwang nur dann anerkennen, wenn der Zwang von
aussen kommt.
Allein Zwang bleibt Zwang, mag er herkommen, woher
er will; und der religiöse Glaube stösst auch den innem
Zwang, als das Unvollkommene, von Gott zurück. Es
handelt sich hier um eine der höchsten Fragen der Phi-
losophie, zu deren eingehender Behandlung hier der Baum
gebricht. Die in dieser. Frage von Kant angeregten
Antinomien lassen sich nur lösen, wenn im Sinne des
Realismus die Begriffe des Seienden von den Beziehungs-
formen und Wissensarien des Denkens unterschieden
werden (JE. 31). Das Nähere hierüber ist in des Ver-
fassers Unsterblichkeit (S. 104) und Aesthetik (I.
S. 121j ausgeführt.
61. La 34 B. Wenn Gott kein Wollen hat, sa ist
sein Handeln nur ein logisches Folgen aus der Natur
seines Wesens, und deshalb die Macht Gottes (Potentia)
nur dieses Folgen. Da nun die Folgen in der Definition
und den Prämissen schon enthalten sind, so ist auch die
42 I. TheU. 62—64. (L. 35 B. L. 36 B. Anliang zu Th. L)
Macht Gottes durch ' sein Wesen von selbst gegeben und
bestimmt, und insofern nennt sie 8p. ein und dasselbe.
An sich ist der Begriff der Identität hier ebenso ge-
missbraucht, wie in L, 20.
62. L« 35 B. Wenn die Macht Gottes nur ein lo-
gisches Folgen ist, so ist unzweifelhaft alles Einzelne in
diesen Folgen nothwendig. Auch hier yennengt Sp. das
zeitliche Folgen in der Form von Wirkungen und das
zeitlose Folgen der Conclusionen aus den Prämissen mit
einander.
63i Li 36 Bn Bisher hatte Sp. nur den Satz aus-
gesprochen: Alles muss eine Ursache haben. Jetzt fügt
er den Satz hinzu: Alles muss eine Wirkung haben.
Diese Sätze sind nicht identisch. So wie der Beweis für
den ersten Satz bei Sp. nur scheinbar geführt ist, so
bleibt auch der Beweis für den zweiten Satz nur ein
Schein. Er ruht auf L. 16, der selbst schon eine An-
wendung dieses Satzes auf Gott ist; der Beweis dreht
sich also im Kreise.
Auch hier ist Sp. durch die Geometrie irre geführt
worden. Weil da aus einer einfachen Definition (z. B.
des Dreiecks, des Kreises) so viel Lehrsätze scheinbar im
Wege der logischen Folgen abgeleitet werden, so meint
Sp., aus jeder Definition in jedem Gebiet müssten in ähn-
licher Weise sich Folgen ableiten lassen, und da Folgen
und Wirkungen bei Sp. zusammenfallen, so entstand der
Lehrsatz, dass jede Sache eine Wirkung haben müsse.
Dergleichen Sätze sind übrigens für die Erkenntniss
völlig leer, da es dem Wissen nicht auf diese allgemei-
nen Sätze, sondern darauf ankommt, welche besondern
Bestimmungen mit andern regelmässig verbunden sind.
Die einzelnen bestimmten Gesetze verlangt man zn
wissen; die Causalität im Allgemeinen hilft nicht weiter.
64. AnhaDg zu Tbeil I. Li diesem Anhange be-
kämpft Sp. die Anwendung des Zweck -Begriff es auf
Gott und die Natur. Diese Beseitigung des Zweckes aus
den Naturerscheinungen gilt auch in der modernen Natur-
wissenschaft. Bei dieser jist sie die Folge von der Be-
seitigung aller göttlichen Thätigkeit aus der Natur. Der
I. TheiL (Anhang zu Theü I.) 43
Zweck ist ohne ein Wissen und Wollen unmöglich;
wenn mithin ein wissender und wollender Schöpfer und
Erhalter von der Natur ferngehalten wird, so fallen auch
die Zwecke in ihr hinweg. Das grosse Bedenken gegen
diese Auffassung, welches in der überaus zweckmässigen
Einrichtung der Organismen, z. B. des menschlichen
Auges, Itegt, hat seit der Theorie Darwin 's von der
Entstehung der Arten und der natürlichen Züchtung sehr
an seiner Kraft yerloren.
Für Sp. war die Beseitigung des Zweckes nicht so
leicht, da er den Begriff Gottes beibehielt. Wenn indess
Grott bei Sp. weder einen Verstand noch einen Willen
hat, sondern Alles in seinen Zustanden sich blos nach
Art der logischen Folgen entwickelt, so musste auch bei
einem solchen Gott der Zweck verschwinden.
Dies ist es, was Sp. im ersten und zweiten Theil
dieses Anhanges ausführt. Man vergleiche damit die
Vorrede zum IV. Theil. Es bleibt dabei nur auffallend,
wie in dem menschlichen Denken und Wollen der Zweck
sich einfinden kann, wenn er in Gott und der Natur ganz
fehlt. Sp. muss diese menschlichen Zwecke als Zustände
(rottes nehmen, und es zeigt sich hier, dass das System
eine Ausbildung von Zustanden zulassen muss, welche mit
ihrem Attribut nichts gemein haben.
Im dritten Theile dieses Anhanges kommt Sp. auf den
Einwand, dass sich mit der von ihm behaupteten Voll-
kommenheit der jetzigen Welt das Schlechte, Verwor-
rene, Hässliche in derselben nicht vertrage. Hier blieb
Sp. keine andere Wendung übrig, als diesen Begriffen
des Schlechten u. s. w. die Wahrheit oder Eealität ab-
zusprechen; es sind nach Sp. nur Beziehungsbegriffe,
welche vom Standpunkte der menschlichen Empfindung
und Xenntniss ausgehen, aber für eine Auffassung der
Welt als Ganzes keine Wahrheit haben. Sp. sagt des-
halb am Schluss: »Die Vollkommenheit der Dinge ist
»nur nach deren Natur und Macht zu schätzen, und sie
»sind nicht, deshalb mehr oder weniger vollkommen, weil
»sie den Sinn eines Menschen ergötzen oder verletzen
»und seiner Natur entsprechen oder nicht.«
Für viele dieser Begriffe wird man leicht beistimmen;
allein mit dieser Auffassung verlieren auch die sitt-
lichen und ästhetischen Grundbegriffe des Guten
44 L Theil. (Schlnssbetrachtnng znm L TfaeiL)
und des Schönen ihre Wahrheit und Bealitat. Bas Böse
nnd das Hässliche besteht dann nicht in der Welt, es
ist nur ein Schein, der seinen Gmnd in der Schwäche
der menschlichen Erkenntniss hat. Selbst der Mutter-
mord Nero's ist dann in Wahrheit nichts' Böses, und
Sp. scheut sich in dem 36sten Briefe nicht, dies zuzu-
geben. Die weitere Erörterung dieser Fragen, geschieht
erst in dem III. und IV. Theüe der Ethik.
SoUassbetraclitang 211m I. Thell. Hier am
Schlüsse des ersten Theiles der Ethik ergiebt ein Eück-
blick auf denselben, dass man seinen Inhalt von der Be-
weisführung unterscheiden muss. Sp. legt auf die geo-
metrische Begründung seiner Sätze zwar grossen Werth
und glaubt damit dieselbe Gewissheit, wie sie in der
Mathematik besteht, erreicht zu haben. Die späteren
Systeme zeigen indess, dass er dieses Ziel nicht erreicht
hat. Auch war die Schwäche dieser Beweise leicht auf-
zudecken. Allein trotz der Mängel in der Beweisführung
hat der Inhalt der Sätze eine ausgedehnte Anerkennnng
sich erworben. Die Philosophie Schelling's und He-
geTs ruht in ihren wichtigsten Sätzen auf diesen Gedanken
Spinoza's.
Indem Sp. den Begriff Gottes beibehält und die Welt
in ihm aufgehen lässt, gewinnt seine Philosophie eine
Erhabenheit, eine Einheit und scheinbare Oonsequenz,
welche sowohl dem religiösen Bedürfniss des Herzens wie
den kalten Forderungen des Verstandes Genüge leistet.
Die Philosophie Sp's. hat deshalb vorzugsweise bei jenem
Theil der Gebildeten Eingang gefunden, deren geistige
Entwickelung über die Lehren der Eeligion hinaus ge-
schritten ist, aber deren Abhängigkeitsgefühl, um mit
Schleiermacher zu reden, noch so stark geblieben ist,
dass sie Gott nicht entbehren mögen. Sp. gehörte selbst
zu diesen Charakteren.
Lässt man dieses Gefühl bei Seite, welches in den
Glauben, aber nicht in die Wissenschall und Philosophie
gehört, so behält allerdings das System auch dann noch
den Reiz der Einheit und Oonsequenz; allein nur für den-
jenigen, der den wichtigen Unterschied zwischen den Be-
griffen des Seienden und den blossen Beziehungs-
formen des Denkens sich nicht klar macht. Sp. he-
L TheiL (Schlnssbetrachtimg zum I. TheiL) 45
wegt sich in diesem I. Theile beinahe nur innerhalb
dieser letztem. Er theilt damit das Geschick der gan-.
zen scholastischen Philosophie. Da diese Beziehnngs«
formen nur dem Denken angehören, so sind sie dem Phi-
losophen das Höchste, das Bekannteste, das -am leichtesten
zu Handhabende. Um den Inhalt des Seienden in das
Wissen überzuführen, braucht es ausdauernder und müh-
samer Beol^achtungen und Yersuche; allein mit jenen Be-
ziehungsformen des Unendlichen, der Substanzialitat, der
Ursächlichkeit, der Vollkommenheit u. s. w. kann man,
ohne die Augen zu öffnen, ein ganzes Netz von Gedan-
ken zu einem System ausspinnen, was um so harmoni-
scher sich gestaltet, je weniger es von dem Seienden
Notiz nimmt.
Erst wenn man damit an das Seiende herantritt, offen-
bart sich seine Leere. Diese L^ere in den meisten
Sätzen dieses I. Theils ist bereits dargelegt worden; sie
kommt nur von dieser Natur der Beziehungen. Die
Consequenz ist hier kein Verdienst, wo das Sein keinen
Widerstand leisten kann. Auch die Einheit und die
Beseitigung des Dualismus ist nur scheinbar. Die beiden
Attribute der Ausdehnung und des Denkens yerlegen
den Dualismus sogar in Gott selbst; der Gegensatz von
Gott und Welt bleibt als Unterschied der Substanz und
ihrer Zustande. Sp. behauptet nun zwar zugleich deren
Einheit; allein diese Einheit ist entweder ein Widerspruch
oder die blosse Beziehungseinheit, wie sie zwischen Ur-
sache und Wirkung besteht und schon in dem religiösen
Glauben enthalten ist. Auch die Immanenz Gottes
fuhrt nicht weiter als zur Causa suiy d. h. zum Wider-
spruch Auch die Einheit der Substanz und ihrer Zu-
stande ist. nur eine Beziehung, die über die Einheit im
Sein keinen Aufschluss giebt. Indem Sp. diese Einheit
als eine seiende nimmt, geräth vielmehr seine Lehre in
ein Schwanken und Schaukeln. Bald wird Gott von der
Welt unterschieden, bald ist die Welt, als Modus der
Substanz, wieder eins mit Gott; bald ist die Substanz das
Gegentheil des Modus, bald sind beide nur Eins. Je
nachdem es passt, wird bald der Unterschied, bald die
Einheit betont, und der Leser sucht vergebens nach
Festigkeit; das System kann sie vermöge der neckenden
46 n. Theil. 1. 2. (Die üeberschrift, D. 1.)
und irreführenden Natur der blossen Beziehungsformen
trotz aller Subtilitaten und Anstrengungen Sp^s. nicht
gewähren.
Zweiter Theil*
Ueber die Natur und den Ursprung
der Seele.
1. Die üeberSChrlft. Das Wort Mens ist hier
mit Seele und nicht mit Geist übersetzt worden, da
Geist nur den wissenden Theil der Seele bezeichnet
(E. 65), während hier unter Mens auch die Gefühle und
Begehren der Seele von Sp. mit befasst werden.
•
2i D. !• Nachdem Sp. zuvor bei sich ans den wahr-
genommenen einzelnen Körper- und Seelenzuständen das
Allgemeine der Körperlichkeit (Ausdehnung) und des
Geistigen (Denken) durch begriffliches Trennen- gewonnen
hat, dreht er das Verhältniss um und macht dieso Körper-
lichkeit und dieses Denken zu dem Ursprunglichen und
zu Attributen Gottes, welche vor ihren Zuständen sind
(I. L.' 1); damit werden die einzelnen Körper- und Seelen-
zustände das Spätere und zu Zuständen jener Attribute.
Diese psychologische Entstehung des Systems liegt deut-
lich vor; um so weniger ist ein Beweis vorhanden, dass
die TJmkehrung dieses Gedankenganges dem Sein enir
spricht und die Wahrheit enthält.
Die von Sp. gegebene Definition des Körpers bleibt
dabei höchst mangelhaft; Zustand ist nur eine Be-
ziehungsform ohne Inhalt; von seienden Bestimmungen
wird nur die Ausdehnung genannt; diese hat aber auch
der leere Baum; im Körper sind weit mehr' Bestimmun-
gen enthalten, insbesondere die Undurchdringlichkeit, die
Gestalt und Bewegung, welche erst zusammen sein Wesen
n. TheiL 3. 4. 5. (D. 2. D. 3 E. D. 4 E.) 47
aasmachen. Sp. kann diese Bestimmungen nicht anfneh*
men^ weil sie in dem Attribute nicht enthalten sind; so
bleiht er auf das Leerste, auf die blosse Ausdehnung,
beschränkt.
Die nähere Darlegung, wie ein einzelner undurch-
dringlicher und erfahrungsmässig für sich bestehender
Körper, z. B. ein Stein, ein Stück Metall, als blosser Zu-
stand eines allgemeinen Körpers vorgestellt und gefasst
werden kann, bleibt bei Sp. aus. I)er Begriff der Acci-
denzen hat an den Eigenschaften (Farbe, Gestalt etc.)
eines Körpers einen Anhalt; aber bei Körpern, die für sich
bestehen, fehlt dieser Anhalt; um so nöthiger wäre des-
halb die Erläuterung dieses sogenannten Zustande^
gewesen.
3i D. 2« Die Mängel dieser Definition von Wesen
sind bereits zu I. D. 1 dargelegt worden. Man vergleiche
n.»L. 37.
4. D. 3 B. Auch die Definition der Vorstellung
(idea) ist mangelhaft. Auffassung (conceptus) ist nur
ein anderes Wort; die behauptete Thätigkeit der Seele
dabei ist nicht überall vorhanden; insbesondere fehlt sie
bei den Wahrnehmungs- Vorstellungen (£J, 3). Aller-
dings kann das Wissen nicht definirt werden, aber dann
sollte seine Definition aueh nicht versucht werden. Idea
ist nicht mit Begriff, sondern mit Vorstellung Über-
setzt worden, da Sp. auch die imaginationes oder bild-
lichen Vorstellungen zu den Ideen rechnet.
5. D. 4 E« Die zureichende Vorstellung {idea
adaequaia) bildet einen höchst wichtigen Begriff im
System Sp^s., den man sich geläufig machen muss, zumal
er gänzlich von dem abweicht, was man gewöhnlich unter
wahrer Vorstellung versteht. Nach der gewöhnlichen
Auffassung wird der Inhalt einer Vorstellung lediglich
durch ihren Gregenstand bedingt und ist davon abhängig*
Allein nach dem System Sp's. besteht kein Einfiuss, keine
Verbindung zwischen den Körpern und ihren Vorstellun-
gen. Beide laufen nur parallel neben einander her, ohne
dass Eines das Andere bestimmt (ü. L. 7). Wenn des-^
lialb auch die Vorstellung mit dein Gegenstande überein-
stimmt, so ist dies doch nur eine äusserliche Beziehung,
48 IL TheiL 6. 7. (D. 5 E. D. 6.)
welche das innere Wesen der Vorstellung nicht trifft.
Die Definition des Zureichenden bleibt nun hier ganz
formal; erst aas in. D. 1 kann man ersehen, dass dar-
unter eine solche Yorstellong zu verstehen ist, welche
die alleinige und nicht blos partielle Ursache der aus ihr
folgenden oder von ihr bewirkten Vorstellungen ist. Auch
hier hat die Creometrie das Vorbild abgegeben. So ist
für Sp. die Vorstellung des Kreises, als einer vom Mittel-
punkt überall gleicl^ weit abstehenden Linie, eine zu-
reichende {(idaequcUe) Vorstellung, weil aus ihr allein
alle die besonderen, für den Kreis geltenden Lehrsatze
abgeleitet werden können. Dieses Ableiten nimmt Sp.
als die Gewinnung eines neuen Inhaltes.
In Anwendung dieser Methode glaubt Sp. aus den
obersten Prinzipien seiner Ethik die Erkenntniss Gottes
Tind der Welt durch reine Folgerungen gewinnen zu
können. Dies ist der grosse In1;hum Sp's., der sich
bei Hegel in der dialektischen Entwickelung fortsetzt.
Die logische Folgerung kann vielmehr nie zu einem
Neuen führen, sondern bleibt innerhalb der Identität.
Hierauf oder auf dem Nichtsein des Widerspruchs beruht
ihre Beweiskraft {E, 46).
Dies gilt auch für die Geometrie. Wenn scheinbar
aus der Definition einer Gestalt, z. B. des Kreises, ein
Neues abgeleitet wird, so geschieht es doch in Wahrheit
nur durch die Beobachtung, dass im Kreise sich Drei-
ecke einfügen, mithin die für diese geltenden Lehrsätze
auch innerhalb der neuen Gestalt des Kreises gelten
(E, 79).
6. D. 5 B« Dauer bezeichnet die Existenz inner-
halb der Zdit, während die Ewigkeit die Existenz ausser-
halb der Zeit nach Sp. bezeichnet. Man vergleiche 111.
L. 4 bis 10.
7. D. 6i Auch hier wird der natürliche Sinn der
Woi*te verlassen; nach diesem ist Eealität eine seiende
Bestimmung (Eigenschaft, Geschehen), Vollkommenheit da-
gegen eine durch einen Zweck bestimmte Beziehungs-
form, also nur innerhalb des Denkens, wie Sp. im An-
hange zu Theil I. selbst ausgeführt hat. Ausserdem
missbraucht Sp. auch hier die Identität und nimmt 6e-
n. Theü. 8. 0. 10. (D. 7. A. 1. 2. 3.) 49
Stimmungen schon deshalb für identisch, weil sie un-
trennbar mit einander verbunden sind. Dies wiederholt
sich noch öfter; so wird III. L. 7 das Begehreu mit dem
Wesen identificirt.
8. D. 7. Wenn es nach Sp. kein Leeres (Vacuum)
giebt, also alles Stetige zusammenhängt, so kann man
fragen: Wober kommt das Einzelne? was macht die Be-
grenzung, aus der Sp. die Endlichkeit ableitet? Sp. sagt:
ein anderes Endliche; allein Jedermann sieht, dass diese
Definition sich im Kreise dreht. Es zeigt sich an diesem
Fall, wie leicht gerade die nur dem Denken vertrauende
und die Wahrnehmung vernachlässigende Philosophie be-
reit ist, Begrijffe roh aus der Erfahrung aufzunehmen,
ohne sich um ihre Bedeutung und ihren Ursprung zu
kümmern.
9. A. 1. 2. Der Begriff des Wesens des Menschen
ist erst aus den Wahrnehmungen der einzelnen Menschen
durch begriffliches Trennen gebildet, und zwar so, dass
das Einzelsein dabei beseitigt worden ist {E, 19). Dieser
Ursprung des Wesens wird aber dann vergessen, das
Wesen als das Erste und Ursprüngliche genommen und
so der Schein gewonnen, als wenn die einzelnen Menschen
etwas von dem Wesen Verschiedenes wären, und als wenn
deshalb jeder einzelne Mensch eine zwiefache Ursache
brauche, eine für sein Wesen und eine zweite für seine
Existenz.
A. 2 ist wieder ein reiner Erfahrungssatz, der ohne
Weiteres als Axiom hingestellt wird. Unter Denken
sind hier alle wissenden und seienden Zustände der
Seele zu verstehen.
10. A. 3t Auch dies ist ein rein aus der Selbst-
wahmehmung (E, 5) entlehtfter Satz, der einer viel
sorgfältigem Fassung bedarf, wenn er als Gesetz in die
Wissenschaft aufgenommen werden soll. So sind die
Gefahle in ihrem Dasein nicht davon bedingt, dass man
sich ihrer bewusst ist. So giebt es völlig unbestimmte
Begehren und Instinkte. Diese Feinlieiten kann freilich
eine Philosophie nicht bemerken,* die nur das Denken als
die Quelle der Wahrheit gelten lässt.
BrUntermigeii so Spinoza^s Etbik 4
60 n. Theil. 11. 12. 13. (A. 4. 5. L. .1. B. E. L. 2.)
11. Ai 4. Unter Körper ist hier der eigne Leib
gemeint.
12. A. 5. Hier wird übereinstimmend mit der in
Band I. der Philosophischen Bibliothek enthaltenen Dar-
stellung das Wahrnehmen auf das Körperliche und anf
die Seelenzustände beschränkt; es ist die sinnliche und
die Selbstwahmehmung gemeint (E, 5). Indess ist diese
Uebereinstimmung nur scheinbar; es wird später sick
zeigen, dass Sp. keine unmittelbare Wahrnehmung frem-
der Körper annimmt. Die Seele ist bei ihm iiur auf
die Bilder ihres eigenen Körpers beschränkt.
13i L, 1 B. B. L. 2. Indem Sp. für Grott einen
Inhält brauchte, und dieser Inhalt oder die Bestimmtheit
nur in den Zuständen zu finden war, so blieb Sp. nur
übrig, das Allgemeinste aus diesen Zuständen durch
trennendes Denken auszuziehen und dies zu den Attri-
buten Gottes zu erheben. Dies Allgemeinste ist das
Körperliche und das Geistige, oder wie Sp. es nennt, die
Ausdehnung und das Denken. So erklärt sich psycho-
logisch die Entstehung des Systems. In dem von Sp.
gebotenen Beweise ist diese Entstehung verhüllt. Der
Beweis ist übrigens schwach, da er zu viel beweist So
gut, wie man aus den einzelnen Gedanken und Körpern
das Allgemeine ausziehen und zu Attributen erheben
kann, ebenso gut kann man es aus den einzelnen Ge-
fühlen, aus den einzelnen Gestalten, aus den einzelnen
Farben, aus den einzelnein Bewegungen, und ebenso gut
kann man daher auch das Gefühl an sich, die Gestalt,
die Farbe, die Bewegung als Allgemeines zu einem
Attribut Gottes erheben. Die Unendlichkeit kann auch
hier durch Steigerung der Realität gewonnen werden.
Der Beweis Sp's. passt also genau hier wie dort, und
zeigt somit die Willkürlichkeit des Systems, -r Erst durch
L. 1 und 2 ist ein Inhalt für Gott gewonnen, der im
I. Theile noch fehlte: das Denken und die Ausdehnung.
Nach I. L. 11 hat indess Gott noch unendlich viele an-
dere Attribute; allein der menschliche ^Verstand hat keine
Vorstellung davon. Dies ist sehr erklärlich, weil das
Körperliche und das Geistige Alles bezeichnet, was die
Sinnes- und Selbstwahmehmung bietet, und kein Denken
n. Theü. 14. 15. (L. 3 B. E. L. 4 B.) 51
darüber hinaus ein Neues bieten kann (E. 9). Man
kann hier fragen, weshalb Sp. nur die räumliche Aus-
dehnung zu dem Attribute Gottes erhebt , und nicht auch
die Zeit, welche dem Eaum so verwandt ist. Nach n.
L. 44 E. erkennt Sp. überdem die Wirklichkeit der Zeit
an. Wenn er sie dennoch nicht zu den Attributen rech-
net, so liegt dies in seinem Begriff der Substanz, welche
ausserhalb der Zeit, d. h. ewig ist. So besteht bei Sp.
ein gänzlicher Gegensatz zwischen Zeit und Baum. Nur
der Eaum gehört zu dem Wesen Gottes und bildet ein Attri-
but desselben; die Zeit dagegen ist nur ein Zustand, sie
gehört nur zum bildlichen Vorstellen; das Erkennen
erfasst die Zeit nicht, sondern nur das zeitlose Wesen
der Dinge.
14. L. 3 B. B. In E. zu I. L. 17 ist der Ver-
stand (intelleetiis) Gott abgesprochen worden; ebenso
ist in I. L. 31 der Verstand, sowohl der endliche wie
der unendliche, zur gewordenen Natur gestellt worden,
also zu den blossen Zuständen und nicht zu den Attri-
buten Gottes« Dennoch wird hier behauptet, dass in Gott
eine Vorstellung (idea) bestehe; die Vorstellungen bilden
aber gerade das, was man Verstand nennt ; auch wird in
L. 4 dies ausdrücklich anerkannt. Man wird ^esen
Widerspruch wohl nur so lösen können, dass man unter
dem G<)tt abgesprochenen Verstand nur einen solchen
versteht, welcher in seinen einzelnen Gedanken wechselt
imd eine zeitliche Bewegung und Veränderung seines In-
haltes hat; hier ist dagegen unter Vorstellung, die Gott
hat, nur eine ruhende, aber Alles in sich befassende zu
verstehen, z. B. so, als wenn ein Kreis zugleich die Vor-
stellung aller in ihm als Folge enthaltenen Lehrsätze
hätte.
Der Beweis ist rein formal auf die Unendlichkeit
Gottes gestützt; damit kann freilich Alles bewiesen
werden.
In der E. wird wiederholt eingeschärft, dass Gottes
Macht und Handeln nicht als menschliches Handeln zu
fassen ist, sondern in der Art der logischen Folgen.
15. L. 4 B. Wenn Gott nur einer ist, so ist auch
die Vorstellung Gottes nur eine^ Vorstellung von Gott
4*
52 n. Theü. 16. (L. 5 B.)
oder Gottes ist hier in dem zwiefachen Sinne zn nehmen,
dass die Yorstellong Gott znm Gegenstande hat nnd zu-
gleich Gtoii als die seine angehört.
Indem Sp. Gott nicht blos das Denken als Attribut, son-
dern auch eine Vorstellung beilegt, welche nach den spä-
teren als seine Seele angesehen werden mnss (II. L. 11),
so scheint hier Sp. ein besonderes Vorstellen Gottes
neben dem Vorstellen der menschlichen Seelen anzuneh-
men. Allein andere wichtige Stellen des Systems (11.
L. 11 Z.) f&hren dahin, dass das Vorstellen Gottes sich
nur aus dem Vorstellen der Seelen zusammensetzt und
nichts davon Verschiedenes, sondern nur deren Totalitat
ist. In diesem Sinne sagt Sp. auch in V. L. 36: »Die
»geistige Liebe (oder Erkenntniss) Gottes innerhalb der
»menschlichen Seele ist die Liebe Gottes, mit welcher
»Gott sich selbst liebt; sie ist ein Theil der unendlichen
»Liebe, womit Gott sich selbst liebt.« Dieser Gedanke ist
bekanntlich von Hegel festgehalten worden. Um so
auffallender ist es, dass Sp. hier ein besonderes Vor-
stellen in Gott selbst neben dem menschlichen Vorstellen
behauptet. Der Begriff der menschlichen Seele, als eines
Zustandes Gottes, ist dadurch noch mehr erschwert.
16i L. 5. B« In L. 5. 6. 7 wird die Folgerung ans
der Selbstständigkeit (in ae esse) der Attribute gezogen.
Da nach Sp. kein Attribut mit dem andern etwas gemein
hat, da keines die Ursache von einer Wirkung in einem
andern Attribute sein kann, so folgt allerdings, dass die
einzelnen Vorstellungen in dem Menschen nicht von ihren
Gegenstanden bewirkt werden, sondern von andern, ihnen
zeitlich und ursachlich vorangehenden Vorstellungen, nnd
L. 5 spricht dies offen aus. Die Beihe der ursachlich
verknüpften Zustände läuft also in jedem Attribute für
sich ab, ohne alle Beeinflussung von einem andern Attri-
bute. Die Wahrheit oder üebereinstimmung der Vor-
stellungen mit ihren Gegenständen wird aber dadurch
nicht aufgehoben; nach L. 7 ist die Ordnung und Ver-
knüpfung in allen Attributen dieselbe; die Beihen laufen
in allen parallel, und die verschiedenen Attribute werden
in Wahrheit zuletzt für eines erklärt.
Der Beweis für diese Sätze dreht sich, wie zu er-
warten war, im Zirkel. Nachdem der Begriff der Attri-
EL Thea 17. 18. (L. 6 B. B. L. 7 B. Z.) 63
bute nnd ihre Selbstständigkeit zuerst willkürlich gebildet
worden ist, kann allerdings dann diese Folgerang darans
abgeleitet werden. Wenn einmal die Wahrnehmung als
die Brücke, welche allein zu dem Seienden führt, ver-
lassen wird, ist es nicht schwer, Hypothesen auszusinnen,
welche in ihren gröbsten Bestimmungen mit der Erfahrung
sich vereinigen, welche aber bei jedem weitem Fortschritt
in das Feinere und Einzelne ihren Dienst versagen und
ins Stocken gerathen.
Nach Sp. gleicht alles Wahrnehmen der Ideen-Asso-
ciation. So wie hier eine Vorstellung von einer andern
geweckt wird, so soll nach Sp. dies allgemein, also -auch
für die Wahrnehm ungs- Vorstellungen, gelten.
Sp. verlässt damit die natürliche Auffassung und den
ersten Fundamentalsatz der Wahrheit. Es wird sich
zeigen, dass er, wie zu erwarten, nicht im Stande ist,
seine Hypothese bis in das Einzelne consequent durch-
zuführen. Schon Trendelenburg (Historische Beiträge
zur Philosophie. 11. 64 u. ff.) hat diesen Mangel dar-
gelegt. Bei der TJnnatürlichkeit und Künstlichkeit der
Hypothese ist die Frage von Interesse, wie Sp. zu ihr
gekommen ist? Es schemt, dass nur die reine Conse-
quenz des Denkens ihn dazu geführt hat. Nachdem er
das Wesen der Substanz und der Attribute einmal in
das »In sich sein« gesetzt und die Ursächlichkeit
auf die Gemeinsamkeit zwischen Ursache und Wirkung
gegründet hatte (I. D. 3. 4. A. 4. 5. L. 3), war die hier
gezogene Folgerung unabweisbar.
17. L. 6 B. B. Das Nöthige ist vorstehend bemerkt.
Der L. 6 verallgemeinert nur den Gedanken des L. 5.
XJebrigens bleibt L. 6 formal, da Niemand, und auch Sp.
nicht, ein anderes Attribut neben dem Körperlichen und
Geistigen (Ausdehnung und Denken) angeben kann.
18. L. 7 B. Z. Dieser parallele, einander genau
entsprechende Lauf der Vorstellungen und der Dinge ist
derselbe Gedanke, denLeibnitz unabhängig von Sp. als
prästabilirte Harmonie ausgebildet hat.
Der Beweis, den Sp. hier giebt, ist unzureichend.
Denn Sp. beruft sich nur darauf, dass die Beihe
der Zustande innerhalb eines jeden Attributs causal zu-
54 II. Theü. 19. (E. ZQ L. 7;)
samm^iliäDg«. Daraas folgt aber nichts dass diese Eeüien
auch parallel laufen oder unter einander äbereinstimmen,
was L. 7 behauptet,
19. Bi m Ifi 7« In dieser E. wird ein höchst wich-
tiger Satz aufgestellt, der deshalb auch formell als Lehr-
satz für sich hatte behandelt werden sollen. Der gegen-
standliche Unterschied der Attribute wird darin auf-
gehoben; alle Attribute sind ein und dasselbe; der
Unterschied kommt nur von der »yerschiedenen Auf-
fassung« oder Yon den »zwei Weisen des Ausdrucks«
{eovnprehenderey eaprimere). Mit dieser Identität ist
allerdings das Sonderbare des parallelen Laufs der Beihen
der mehreren Attribute erklart; allein desto sdiwi^ger
wird dadurch der Begriff des Attributs. Man kann fra-
gen: Von wem geht die Auffassung aus, durch deren
Unterschied das Eine zu Vielen wird? Sp. denkt offen-
bar an die menschliche AufiGassong. Allein dann ist
der Unterschied der Attribute nur eine Erscheinxmg im
Sinne Kantus, eine Ansicht, yon welcher sonst keine
Spur bei Sp. zu finden ist. Viele Ausleger des Sp.
haben dennoch diese Erklärung, in Ermangelung einer
bessern, angenommen. E. Fischer (Geschichte der
neuem Philosophie. I. 360) missbilligt dies mit Becht;
aber seine Erklärung ist nicht minder bedenklich. Er
sagt: Der menschliche Verstand unterscheide nur die
Attribute, aber' er mache sie nicht. Aber wenn der
Verstand die mehreren Attribute nicht macht, so sind
ihre Unterschiede schon vor dem Verstände da. Die
Unterschiede entspringen dann nicht aus der Auffassung;
und wenn der Unterschied erst von dem Verstände durch
sein Unterscheiden in die Substanz gebracht wird, so ist
er sein Werk und der Unterschied also nur Erscheinung
im Sinne Kaut's.
Eine in das System passende Erklärung dieser Ein-
heit scheint deshalb nicht möglich, aber vielleicht eine
psychologische Erklärung. Sp. legt im Verlauf seiner
Ethik auf diese hier betonte Identität der Attribute kein
Gewicht und benutzt sie nirgends, um weitere Folgerun-
gen daraus zu ziehen; nur in ni. L. 2 E. wird diese
Einheit beiläufig wieder erwähnt. Sonst wird überall an
dem wirklichen Unterschied der Attribute festgehalten.
n. Theil. 20. (L. 8 6. K. E.) 55
Es scheint deshalb diese Identität der Attribute hier nur
ein hingeworfener Gedanke des Sp. geblieben zu sein,
auf den er zur Erklärung des Parallelismus der Beihen
kam, den er aber selbst nicht weiter festgehalten hat, so
dass er die darin enthaltenen Bedenken nicht bemerkte.
Offenbar war dieser Gedanke ein erster Blitz im Sinne
des Kant* sehen Idealismus; alleili Sp. liess ihn un-
l)eachtet und ging sofort wieder auf die reale Unter-
schiedenheit der Attribute zurück.
20. L. 8 B. Z, B. Nachdem Sp. allen Einfluss
zwischen dem Vorstellen und seinen Gegenständen auf-
gehoben hat, ist damit auch dem Wissen seine eigen-
thümliche Natur genommen; es ist damit ein Sein ge-
worden wie jedes andere, und es ist ein ihm nur äusser-
liches Verhältniss, das es auf einen Gegenstand weiset
oder ihn spiegelt.
Deshalb verhalten sich die einzelnen zeitlich auftreten-
den Vorstellungen zu dem Wesen ihrer innerhalb Gottes
Denken ebenso, wie die einzelnen zeitlich auftretenden
Körper zu ihrem Wesen in Gottes Ausdehnung. Das
Wesen beider ist als eine ewige Wahrheit in Gott ent-
halten; die zeitliche Existenz entwickelt sich daraus nur
innerhalb der causalen Reihe der Zustände in der Weise
Ton logischen Folgen.
Dies ist es, was dieser L. 8 ausspricht.
Diese Selbstständigkeit der Vorstellungsreihe ist für
das System Sp*s. von den weitgehendsten Folgen. Der
gewöhnliche Begriff der Wahrheit, die IJebereinstimmung
des Wissens mit dem Gegenstande, tritt deshalb bei Sp.
ganz zurück; viel wichtiger ist ihm das Zureichende
(cuiaeguate) der Vorstellungen, welches darin besteht,
dass eine Vorstellung die volle, alleinige und nicht blos
partielle Ursache der ihr in der causalen Seihe folgen-
den Vorstellung ist. Denselben Gedanken hat Hegel
in seinem Begriff der Entwickelung und der Wahrheit
aufgenommen.
Nur die zureichenden Vorstellungen sind es, wo-
durch die Seele handelt; nur solche Vorstellungen sind
zugleich die Vorstellungen Gottes, als solchen.
Damit ändert sich auch der Begriff des Falschen;
das Falsche ist das blos Partielle, eine Vorstellung,
56 n. Thea. 21. 22. (L. 9 6. Z. B. L. 10 B. E. Z.)
der Einzelnes fehlt, durch dessen Hinzntritt sie aber eine
zureichende werden kann. Doshalb ist das Falsche nur
ein Mangel; in Gott, als der Totalität ist dieses Partielle
nicht vorhanden; ind^n in ihm auch das dort Fehlende
enthalten i§t, sind alle seine Vorstellungen zureichende
oder wahre (Z. zu II. L. 11).
Daraus erklärt sich weiter, wie Sp. das Erkennen zur
Hauptaufgabe und zur Seligkeit des Menschen erheben
kann. Bei Sp. sind die Vorstellungen ein Seiendes,
wie die Körper; ein blos im Denken sich bewegender
Mensch ist nach Sp. ebenso seiend thätig wie ein Staats-
mann oder Feldherr oder Baumeister, ja, seine Thätigkeit
ist allein eine freie.
Das Vorstellen ist nie ohne ein ihm entsprechendes
Körperliches; diesen Grundsatz fuhrt Sp. mit voller Con-
Sequenz durch. Deshalb ist die Seele nur die Vorstellung
ihres Körpers, und deshal b giebt es keine blossen Vor-
stellungen (£. 11), vielmehr entspricht auch diesen immer
eine körperliche Gestaltung in ihrem Leibe, deren Spiegel
oder Abbild sie ist. Deshalb besteht ferner kein Unter-
schied 'zwischen Wahrnehmen und dem blossen Vor-
stellen; beide spiegeln einen Zustand ihres Körpers und
nichts mehr.
Der Leser muss sich mit Sorgfalt diese Sätze zn
eigen machen; nur bei strenger Festhaltung dieser Grund-
gedanken kann die Ethik verstanden werden.
Das Beispiel mit dem Kreise ist interessant ; es zeigt,
wie sich Sp. das Wesen getrennt von der zeiüidien
Existenz und doch in den Attributen existirend vorstellt
Das Wesen wird damit in diesem Beispiele zu einer
blossen Möglichkeit, und hieraus erhellt, wie unans-
fuhrbar jede bestimmtere Entwickelung des Spinozistischen
Begriffes vom Wesen ist.
21« L. 9 B. Z. B. Dieser Lehrsatz mit seinem
Zusätze ist liur die nähere Darlegung der vorgehenden
Lehrsätze; er ist die reine Folge von den L. 28. 29
Th. I. und von L. 7 Th. II. Dass die Ableitung des
Endlichen aus dem Unendlichen ausbleibt, ist bereits zu
I. L. 28 gezeigt worden.
22. L. 10 B. B. Z. Nach Sp. ist der Mensch
wegen seiner Vergänglichkeit und Endlichkeit keine Snb-
n. TheU. ai (L. 10 B. E. Z.) 57
stanz, sondern nur ein Zustand von oder in, Gott. Da
das System zuvor die Substanz zu dem Unendlichen er-
hoben hat, so ist diese Folgerung richtig. Die Frage
ist nur, ob der Ton Sp. aufgestellte Begriff der Substanz
die Wahrheit enthält? Das Nöthige hierüber ist zu Th. I.
bemerkt. Der Streit, ob etwas Substanz oder nur Acci-
denz, läuft; leicht auf einen Wortstreit hinaus, da Sub-
stanz ja nur eine Beziehungsform des Denkens ist und
weder ein endliches noch unendliches Sein darstellt.
Das hier allein Interessirende ist die Frage: Wie
soll diese Zuständlichkeit des Menschen und seine Eini-
gung mit Gott im Sein vorgestellt werden? und welche
Folgerungen können daraus für die menschliche Natur
abgeleitet werden?
Hier lässt aber Sp., den Leser im Stich. Er bleibt'
einfach bei der Phrase: der Mensch ist eine Erregung
{affectio) oder ein Zustand {tnodu8)y welcher die Natur
Gottes auf eine bestimmte Weise ausdrückt. Ob Gott
daneben noch ein Besonderes, Selbstständiges ist, dem
die Menschen, wie z. B. das Grün dem Blatte, inhäriren,
oder ob Gott nur die Totalität dieser Zustände ist, und
Nichts daneben, diese Frage bleibt bei Sp. im Dunkeln;
seine Wendungen fuhren bald zu dem Einen, bald zu dem
^ndem. Dasselbe gilt von den von nun ab fortwährend
wiederkehrenden Ausdrücken: »Das Einzelne, das End-
»liche hat Gott zur Ursache, oder ist in Gott, nicht
»insofern er unendlich ist, sondern sofern er aufge-
»fasst wird {considei^atur) als erregt (affeciua) von
»einem Endlichen«; oder: »insofern er die menschliche
»Seele darstellt«; oder: »sofern er das Wesen der
»Seele ausmacht«. Es ist dieselbe Unklarheit wie bei
der Bezeichnung des Endlichen: »als eines Zustandes,
»der Gottes Natur auf eine bestiltnmte (endliche) Weise
»ausdrückt.« Femer erhebt sich auch hier die früher
erwähnte Frage: Von wem geht dieses »Auffassen«
aus? bezeichnet es blos einen Unterschied im Denken
oder auch einen Unterschied im Sein? Ist dieses End-
liche nur Erscheinung oder Wirklichkeit? Alle diese
Fragen bleiben ungelöst.
Eine bildliche, das Seiende bezeichnende Vorstellung
ist für solche Ausdrücke nichf zu finden. Dies macht
die Dunkelheit von Sp's. Ethik aus, die ihren letzten
58 n. Thefl. 23. 24. (L. 11 B. Z. £. L. 12 B. E.)
Gmnd darin hat, dass er das Unnatürliche versticM,
n&mlich reine Beziehungen als ein Seiendes zu be-
handeln.
Die E. 2 dreht sich am Schlnss um eine Snhtüität,
die nicht zu verstehen ist. Sp. bemerkt, dass seine frü-
here Definition des Wesens hier nicht passt; er sucht
ihr deshalb auszuweichen, aber in Wendungen, welche
dennoch jene Definition wiederholen.
23. L. 11 B. Z. B, Nach Sp. ist die wissende
Seele nur die Vorstellung ihres Körpers; alle ihre Vor-
stellungen haben nur ihren Körper und dessen yersclue-
dene Zustände zu ihrem Inhalt. Yen fremden Körpern
erhält die Seele nur mittelbar Kunde, dadurch, dass
ihr Körper einen körperlichen Eindruck Ton denselben
empfangt. Diese Eindrücke haben zum Theil ein Gemein-
sames (Commune) mit den fremden Körpern, und da-
durch stimmt die Yorstellung derselben einigermassen
mit ihnen; indess doch nur parfciell, verworren uud
mittelbar. Der unmittelbare Gegenstand jeder Vorstellung
bleibt dabei immer nur der eigne Körper. So sehr diese
Lehre der natürlichen Auf^sung widerstrebt, so ist sie
doch consequent, denn der causalen Beihe der Vorstel-
lungen entspricht genau eine causale Beihe in den Mh
pern (11. L. 7), aber beide Beihen haben keinen Einflnss
auf einander.
24« L, 12 B. B. Da die Beihe der Vorstellungen
und die Beihe der Gegenstände parallel laufen, so ist
auch kein Gegenstand ohne eine ihm entsprechende Vor-
stellung, und jede Veränderung in dem Gegenstande ist
von einer gleichen Veränderung im Vorstellen begleitet
Ist nun die Seele diesd Vorstellung des Gegenstandes, so
hat sie auch das Wissen von Allem, was in diesem
Gegenstande vorgeht. Dieses Alles folgt aus den vor-
gehenden Lehrsätzen. Sp. nimmt in dem B. einen Um-
weg durch Grott, der indess den Beweis nicht verstärkt,
sondern in die schon gerügte Dunkelheit der Phrase:
»Gott, SO" weit er die Natur der menschlichen Seele aos^
»macht«, geräth. üebrigens gilt der L. 12 nicht in der
Allgemeinheit, wie seine Worte lauten; dies ergeben II.
L. 24 und 27. Die Einheit der Seele beruht dabei auf
n. Theil 25. (L. IS B. Z. E.) 59
der Einheit des Gegenstandes oder ihres Körpers nach
Analogie des 11. L. 4. *
25« L. 13 B« Z. B. Der Beweis dieses Lehrsatzes
holt ebenfalls von Gott aus; indess ruht er in seinem
Kerne lediglich auf der Selbstbeobachtung. Denn die
A. 4 und 5 Th. 11, auf denen der Beweis beruht, sind reine
Erfahruiigssatze.
Im Z. wird dies einfach anerkannt, und es erhellt
daraus, dass Sp. der Wahrnehmung Wahrheit beilegt,
also den ersten Fundamentalsatz {E, 68) anerkennt.
Der Unterschied von KOrper und Seele ist deshalb
für Sp. ein wirklicher. Die Einheit beider, von der
Sp. in der E. spricht, ist nicht die eines gegenseitigen
Einfl^usses oder einer Wechselwirkung, wie man gewöhn-
lich meint; auch nicht eine solche, welche den Unter-
schied -zu einem blossen Scheine herabsetzt; sondern es
ist die Einheit, welche aus dem yollstandigen Parallelis-
mns zwischen Yorstellung und Gegenstand heryorgeht,
denn nur diesen hat Sp« vorher behandelt.
Sonderbar ist die Wendung, welche Sp. dann in die-
ser E. nimmt: dass man, um die Natur der Seele ken-
nen zu lernen, ihren Körper kennen lernen müsse, und
dass die Kenntniss der Seele nur auf diesem Wege er-
langt werden könne. Damit wäre alle unmittelbare Be-
obachtung der, Seele selbst (Selbstwahrnehmung. E. 5)
überflüssig. Ist die Seele nur eine Vorstellung ihres
Körpers, so scheint dieser Satz consequent; allein näher
betrachtet, gilt diese Consequenz nur für den Inhalt der
Yorstellung. Ist die Seele nur ein Spiegel des Körpers,
so kann man allerdings den Inhalt des Spiegelbildes
durch den Körper, den es spiegelt, am Besten kennen
lernen. Allein das Eigenthümliche des Wissens der Seele
liegt in der Form, in welcher dieser Inhalt gespiegelt
wird. Diese Form, dieser Spiegel an sich, dieses Wissen
kann nie aus dem Körper erkannt werden; denn durch
diese Form unterscheidet sich gerade das Wissen von dem
Körper; oder, wie Sp. sagt: das Attribut des Denkens
kann, wie jedes, nur in. und durch sich allein auf-
gefasst werden. So triflft Wissen und Sein nur im In-
halte zusammen; die Form des Wissens muss aber
durch sich selbst erkannt werden; dazu hilft die Kenntniss
60 n. TbeiL M. (A. 1. 2. Ln. 1. 2. 3 mit A. 1. 2.)
des KörDers schon deshalb nichts, weil diese Kenntniss
selbst ^eder nur ein Wissen ist. Sp. kommt später
selbst auf das Wissen des Wissens, wie L. 21 ergiebi
Was dagegen die Eenntniss der fremden Gegei^nde
nnd der Körper überhaupt anlangt, so erhält nach Sp.
die Seele die Eenntniss von ihnen nur mittelbar durch
die Veränderungen, welche ihr eigner Körper von den
fremden Körpern erfahrt. Insofern ist es consequent, den
Vorzug und die höhere Eealität der Seele von der Natnr
ihres Körpers abzuleiten, wie hier geschieht.
26. A. 1. 2. Ln. 1. 2. 3 mit A. 1. 2. Diese hier
vorgetragenen Sätze von den einfachen Körpern sind in
sich verständlich; sie stimmen zum grossen Theil mit
den Lehren der modernen Naturwiesenschaft überein. Sp.
giebt sie theils als Axiome, theils als Lehnsätze,
d. h. *als Sätze, die aus andern Wissenschaften entlehnt
sind. Nichtsdestoweniger fügt er diesen Lehnsätzen Be-
weise bei. Fragt man nach der Quelle dieser Sätze, so
sind sie sämmtlich durch Induction aus der Erfahrung
entlehnt, und nur durch das trennende und verbindende
Denken ist ihnen dann Einzelnes angehängt worden, was
nicht aus der Erfahrung stammt, und deshalb zweifel-
hafter bleibt. A. 1. 2 sind reine Erfahrungssätze. Ln. 1
überschreitet durch Hereinziehung des Substanzbegriffes
die Erfahrung, ist aber nach I. L. 15 selbstverständlich.
Das XJebereinstimmen (eonvenire) in Ln. 2 ist ein
sehr wichtiger Begriff, aus dem Sp. später das Gemein-
same {Commune) bildet. Sp. versteht das begrifflich
Gemeinsame (J^. 20) darunter; deshalb haben alle ein-
zelnen Körper ein Gemeinsames darin, dass sie zu einem
Attribut gehören, und alle entweder ruhen oder sich be-
wegen, was Sp. zu den unendlichen Modificationen rechnet.
Es bleibt aber zweifelhaft, wie weit Sp. dieses Gemein-
same gelten lässt, da er viele begriffliche Bestimmungen,
als Fictionen der Einbildung verwirft, wie später sich
ergeben wird. Für das sogenannte Gesetz der Träg-
heit in L. 3 giebt Sp. einen Beweis aus reinen Begriffen,
der indess sophistisch ist. Nur durch Abstraction von
Unterschieden wird die Bewegung, so weit sie verschie-
dene Orte und Zeiten durchläuft, ein Identisches oder
sich gleich Bleibendes; in der vollen Wirklichkeit ist die
IL Theil. 27. (D. «u Ln. 3. Ln. 4. 6. 6. 7.) 61
Bewegung des Körpers in der nächsten Minate und in
dem nächsten Orfe ein Neues, was mit seiner Bewegung
Yorher nicht dasselbe ist, also auch nicht aus einer an-
geblichen Identität mit jenem abgeleitet werdep kann.
Wollte man diese Methode gelten lassen, so könnte
damit auch bewiesen werden, dass ein im Kreise sich
hewegender Körper fortwährend diese Kreisbewegung, ver-
möge der Gleichheit der einzelnen Kreisbogen, immer bei-
behalten müsse, während die Erfahrung dies bekanntlich
widerlegt.
A. 1 und 2 hinter Ln. 3 sind wieder reine Erfah-
rungssätze, obgleich es den Schein hat, als leitete Sp.
sie aus Begriffen ab.
27. D. %n Ln. 3. Ln. 4, 5. 6. 7. in der D. zu Ln. 3
behandelt Sp. die Einheitsformen desAn-einander oder
der Berührung (E, 26), und der Verbindung durch Kraft
(E. 28); letztere jedoch zu unbestimmt.
Die einfachen Körper {Molt*.kulii) untersrheidet Sp.
blos nach der Euhe und Bewegung; also weder nach
Gestalt, noch nach Grösse noch nach mateiialen Eigen-
schaften {E, 4). Da nun die zasammengesetzten Körper
ihre Eigenschaften nur von diesen Elementen ableiten
können, so erhellt, dass sie wohl in Gestalt und Grösse,
aber nicht in materialen Eigenschaften sich unterscheiden
können; folglich sind^ diese, wie Farbe, Töne, Wärme,
Geschmack, Geruch, Jteine wirklichen Eigenschaften.
Cartesius hatte dies bereits ausgesprochen; Locke ist
dem später beigetreten, und die moderne Naturwissen-
schaft lehrt das Gleiche. Ihr gelten diese materialen
Eigenschaften nur für das Erzeugniss der wahrnehmen-
den Seele. Sp. äussert sich merkwürdigerweise hier-
über nicht. Er konnte freilich diese Wendung nicht be-
nutzen, da bei ihm jeder Vorstellung, also auch der der
Farbe und des Tones, ein körperlicher Zustand ent-
sprechen muss.
Das Wesen der zusammengesetzten Körper besteht
nach Sp. nur in der Bestimmtheit der Lage und gegen-
seitigen Bewegung der Elemente. Alles, was diese nicht
verändert, verändert auch den Körper nicht. Deshalb
sagt Sp. in II. L. 24 B.: »Die Theile, welche den Kör-
»per bilden, gehören nur insoweit zu dem Wesen des-
62 n. TheiL 28--30. (H. i. bis H. 6. L. U B. L. 15 B.)
> selten, als sie sich ihre Bewegungen in gewisser Weise
gegenseitig mittheilen.« Man sehe auch II. L. 19 und IT.
L. 39. Diese Lehrsätze sind ein Yersnch, das Wesen der
organischen Körper, insbesondere des menschlichen
Körpers, zn erfassen; er bleibt natürlich innerhalb der
rohsten Annahmen stehen; doch sind diese Grundgedan-
ken auch in der modernen Naturwissenschaft festgehalten
worden.
28. H. 1 bis H. 6. Diese Heischesätze sind theils
aus der Erfahrung abgeleitet, theils Hypothesen. Sp.
könnte sie ebenso gut, wie die früheren, Axiome nennen.
In der Geometrie unterscheiden sich Postulate und Axiome
dadurch, dass jene ein Thun, z. B. das Ziehen ei^er Linie
fordern, dessen Ausführung durchaus einfach und leicht
ist. In diesem Sinne ist hier das Wort nicht gebraucht.
Das Erregen des menschlichen Körpers durch fremde
Körper, und umgekehrt, besteht nach diesen Sätzen nur
in Stössen und Bewegungen, also genau indem, was
der moderne Materialismus behauptet.
H. 5 ist die Vorbereitung zur Erklärung des Gedächt-
nisses. Bonnet hat diesen Gedanken später weiter aus-
geführt. Die Hypothese kommt nicht über dieses rohe
Prinzip hinaus, da die Verwickelung in der Bewegung
der Vorstellungen viel zu gross ist, um in ihrer näheren
Bestimmtheit und Besonderung durcli ein solches mecha-
nisches Prinzip ausreichend erklärt* werden zu können.
29« L. 14. Bi Die Seele ist nur das parallel laufende
Spiegelbild der Veränderungen ihres Körpers ; daraus folgt
dieser L.
30. L. 15. B. Der hier geführte B. gilt nur far
Gott, nicht aber für die menschliche Seele, von wel-
cher derL. spricht. Dieser Unterschied ist wichtig, weil
nach L. 24 die Seele nicht die zureichende Kenntniss
der Theile (Elemente) ihres Körpers hat. Man wird des-
halb den L. 15 so verstehen müssen, dass er entweder
nur von der in Gott seienden Vorstellung spricht, oder
unter den Theilen des Körpers nicht seine Elemente
meint. Die Fassung bleibt zweideutig.
n. Theil. 31. 32. (L, 16 B. Z. 1. 2. L. 17. B. Z. E.) 63
31. hu 16. B. Z> L 2» Dieser Lehrsatz ist für das
System sehr wichtig; auf ihm heruht der Grundsatz bei
Sp., dass die Seele von fremden Körpern durch das Wahr-
nehmen nur eine mangelhafte und verworrene Kenntniss
erhält» die damit auch dem bildlichen Vorstellen und der
Erinnerung anhaftet. Die Seele nimmt dabei mehr ihr en als
die fremden Körper wahr. Diese Meinung ist eine Folge der
Auffassung, dass die Seele nur die Vorstellung ihres Kör-
pers ist. Diese Meinung über das Wahrnehmen bietet
sich dem Nachdenken allerdings zunächst dar; die Sinnes-
werkzeuge des menschlichen Körpers nach ihrem Bau und
die bekannten Sinnestäuschungen führen zunächst darauf.
Wenn indess diese falschen Zusätze von der Seele selbst
als solche erkannt und somit ihre Wahrnehmung der
fremden Gegenstähde gereinigt und zur Wahrheit erhoben
werden kann, so wird damit jene Auffassung bedenklich,
und die Natur des Wahrnehmens erfordert deshalb eine
viel tiefere Untersuchung, als hier von Sp. geschieht.
Die Schwäche der Auffassung Sp's. erhellt schon dar-
aus, dass sie durchaus die Frage nicht erledigt, weshalb
die Seele, wenn sie nur Zustände ihres Köi'pers vorstellt,
diese doch vielfach als fremde Körper auffasst. Die
blosse Causalität der letzteren kann nicht dahin führen,
denn die Seele stellt nicht diese Causalität, sondern nur
deren Wirkungen in ihrem Körper vor.
Diese ungenügende Darstellung der Seelenvorgänge ist
die unvermeidliche Folge der Prinzipien des Systems und
seiner rein deductiven Methode.
32. L. 17. B. Z. B. Nach diesem L. und Z. erkennt
Sp. keinen Unterschied zwischen der Wahrnehmung und
der blossen Vorstellung an. Beide sind bekanntlich im
Inhalte und möglicherweise auch in der Stärke ganz
gleich; ihr Unterschied liegt lediglich darin, dass jene
den Inhalt als gegenwärtig oder wirklich seiend
setzt, während in der blossen Vorstellung dies nicht
geschieht. (E. 11.) Dieser Unterschied betrifft die Wis-
sensart (JE. 58) und ist für das Wissen der Seele von
der höchsten Bedeutung. Dadurch allein wird ihr Vor-
stellen von der steten Gegenwart der Gegenstände frei
und .kann sich als Erinnerung und Phantasie in den
64 n. TheiL 33. (L. 18 B. £.)
mannichfachsten Weisen bewegen» ohne dass im Sein sich
ein Stänbchen zu rühren braucht.
Es ist höchst auffallend, dass Sp. diesen Unterschied
yerlengnet; er geräth dadurch in grosse Schwierigkeiten;
insbesondere fehlt bei ihm schon die nähere Angabe, wie ein
anderer Zustand des Körpers die Gegenwart eines Inhaltes
ausschliessen kann. Ist die Hypothese Sp's. wahr, so kann
ein Zustand des Körpers wohl den andern yerdrängen,
d. h. in der Seele muss ihre frühere Vorstellung einer
anderen Platz machen, oder es kann eine Vorstellung mit
einer anderen in Widerspruch kommen; allein wie der
Inhalt der ersten bleiben und nur nicht mehr als gegen-
wärtig gelten soll, ist durchaus nicht abzusehen. Biese
Frage wird später weiter erörtert werden.
In den B. zu Z. folgt die Ausnutzung des Satzes von
H. 5. Es bedarf keiner Ausführung, dass diese materiale
Erklärung für die feinen Verwickelungen des blossen Vor-
stellens nicht zureicht.
• Der in der E. entwickelte Begriff des bildlichen Vor-
stellens ist richtig; es bildet nach Sp. den Gegensatz
zu den zureichenden, das Wesen der Dinge erfassen-
den Vorstellungen, oder zu dem Erkennen, mit dem die
Seele die Dinge durch ihre ersten Ursachen erfasst,
und deren Ordnung bei allen Menschen dieselbe ist (ü.
•L. 18. E.), und von welchen in II. L. 37 und folgenden
gehandelt wird.
Der Irrthum wird als ein blosser Mangel, als ein
Fehlen des Wahren behandelt. Allerdings kann man jedes
Falsche auch als ein Fehlen des Wahren, d. h. als ein
Nicht- Wahres, auffassen; allein dies hebt nicht auf, dass
das Falsche für sich doch eine positive oder bejahende
Aussage enthält. So ist die Existenz, welche hier die
bildliche Vorstellung aussagt, gewiss ein Positives, and
doch steckt darin das Falsche Diese Deduction Sp's.
gehört zu den Verkehrungen des Seienden in blossen Be-
ziehungsformen, die zwar überall im Denken ausführbar
sind, aber die Natur des Positiven nicht erschüttern
(E. 32). Das Weitere folgt zu II. L. 3 j.
33« L. IBn B. E. Diese Erklärung des Gedächtnisses
ist die Folge von L. 17. Ihre Schwäche ist leicht auf-
zuzeigen. Sie trifft nicht einmal genau mit der Erfahrung
n. Theü. 34. 35. (L. 19 B. L. 20 B.) 65
überein. Nach der ErMämng Sp's. müssten beide Vor-
stellnngen zugleich wieder in das Wissen eintreten; dies
ist aber falsch; in den meisten Fällen wird die eine von
der andern erweckt und folgt ihr zeitlich erst nach; ja
oft währt es lange oder geschieht gar nicht, dass dde
zweite nachfolgt, was nach Sp. unerklärlich wäre.
34. L. 19t B« Hier kehren die Schwierigkeiten des
Verständnisses wieder, welche in dem VerhJütnisse des
Vorstellens Gottes und des Menschen nach Sp's. Dar-
stellung liegen. Man schwankt^ ob das Vorstellen Gottes
ein besonderes für sich ist, oder ob es sich blos durch
die Seelen der endlichen Körper, einschliesslich des mensch-
lichen verwirklicht. Im ersten Falle besteht kein Sein
des Menschen und seiner Seele i n Gott, im letzten Falle
geht die Einheit Gottes zu Grunde. Der Wortsinn bei
Sp. deutet mehr auf die erste Alternative; indess ist wahr-
scheinlich, dass Sp. dennoch die zweite meint, wonach
ein besonderes Vorstellen Gottes neben dem Vorstellen
der endlichen Wesen- nicht besteht, sondern jenes nur
aus der Totalität dieser besteht. Dafür spricht auch die
Fassung des B. zu II. L. 30 und V. L. 35. 36. Diese
Auffassung ist dann in die Philosophie Hegers über-
gegangen.
Nach L. 19 hat die Seele nicht die Vorstellung der
Elemente ihres Körpers, sondern nur seiner Zustände.
Diese Zustande bestehen nach II. Ln. 7. E. und n. L. 24. B.
nur in den Bewegungen der Theile; sie bilden seine Er-
regungen. Ebendeshalb gehört zur vollen Kenntniss der
Elemente auch die Kenntniss der auf sie einwirkenden
Elemente, als solche, und da diese der Seele abgeht und
nur in Gott als Unendlichem ist, so hat die Seele nur
eine Kenntniss der Zustände ihres Körpers. Man ver-
gleiche n. L. 24.
35« L. 20. B. Sp. geht hier auf das über, was
man Selbstbewusstsein nennt. Jedes Wissen der
Seele ist nicht blos ein Wissen seines Inhaltes, sondern
auch ein Wissen seiner selbst; man ist sich seiner Vor-
stellungen als solcher bewusst; dadurch kann man sie
beobachten, unterscheiden, ordnen, in Arten eintheilen
und somit die Gesetze des Wissens, abgesehen von dessen
Erläntemiigiaii zu Spinoza's Ethik. 5
66 ILTheiL 36—39. (L.21.B.£.L.22.6.L.2a.B.L.24.B.)
Inhalt, erfassen. Das Selbstbewasstsein ist eine der Na-
tur des Wissens anhaftende Bestimmung, die man durch das
Wissen seihst kennen lernt. Sp. verleugnet diesen Weg;
er will auch hier das Selhsthewusstsein nur aus höheren
Begriffen ableiten. Ein solcher Versuch muss natürlich
missglücken. I^t das Denken ein Attribut Gottes, so ist
das Vorstellen eine Modification • oder em Zustand dieses
Attributs; aber es folgt nicht, dass es auch tou sich
selbst eine Vorstellung haben müsse; im Gegentheil spie-
gelt das Vorstellen nach Sp. nur die anderen Attribute,
aber dass es auch sich selbst spiegeln müsse, dies folgt
durchaus nicht aus seiner Natur, üeberdem gelangt man
auf dem Wege des Sp. nicht zu dem Selbstbewusstsein,
sondern nur zu einer Keihe des Vorstellens vom Vor-
stellen, die kein Ende nimmt.
36i Li 21i B. B. Hier wird der L. 20 weiter ausge-
geführt. üeber die Einheit ist das Nöthige schon oben
(S. 54) bemerkt. Sp. kommt hier auf die Dieselbigkeit
der mehreren Attribute zurück. Diese ist an sich
schon dunkel. Hier wird die Sache noch verworrener,
weil es sich um die Zustände eines und desselben Attri-
butes, des Denkens, handelt. Zuletzt läuft die Ausfahrung
auf die Thatsache hinaus, dass jedes Wissen auch ein
Wissen seiner selbst ist. Sp. hätte besser gethan, dies,
wie er es mit Anderem gethan hat, als Axiom hinzustellen,
statt einen unmöglichen Beweis zu versuchen.
37. L. 22. B. Während L. 20 und 21 sich auf
das Selbstbewusstsein zunächst in Gott beziehen, macht
der L. die Anwendung davon auf das der menschlichen
Seele inwohnende Bewusstsein ihres Wissens.
38i L. 23. B. Da die Seele nur aus den Vor-
stellungen der Zustände ihres Körpers besteht (L. 19),
so folgt von selbst, dass das Selbstbewusstsein der Seele
nur auf diese Vorstellungen der Zustände gehen kann,
denn diese bilden seinen Gegenstand. Der vop Sp. ge-
gebene Beweis ist schwerfallig und dunkel.
39. L. 24. B. Dieser L. 24 enthält die Ergänzung
des L. 19. Diese Lehrsätze folgen aus dem Begriffe,
II. TheiL 40—43. (L.25.B.L.26.B.Z.B.L.27.B.L.28.B.E ) 67
den Sp. vom menschlichen Körper aufstellt. Das Wesen
desselben liegt nach Sp. nicht in der Natur der Ele-
mente, welche ihn bilden, sondern nur in den festen
und bestimmten Bewegungen und Lagen dieser Elemente
zu einander. Sp. musste dies annehmen, um zu er-
klären, dass der Stoffwechsel den Körper nicht auf-
hebt. Die Kenntniss der Seele von ihrem Körper um-
fasst also nur diese Lagen und Bewegungen, oder die Zu-
stände, wie Sp. sagt, und nicht die Natur der Elemente
selbst. Zur zureichenden Kenntniss dieser Elemente ge-
hört aber die Vorstellung ihrer Ursachen oder, wie Sp.
sagt, »es gehört dazu eine andere Vorstellung einer ein-
»zelnen Sache, welche dem Elemente selbst vorhergeht.«
Diese Vorstellungen gehen über die Vorstellungen, welche
die menschliche Seele ausmachen, hinaus, und deshalb
hat die Seele keine zureichende Kenntniss dieser Elemente.
40. L. 25, B. Dieser L. und B. wiederholt den Ge-
dankengang des L. 24 ; die dort gegebenen Erläuterungen
gelten daher auch hier.
41. L. 2B. B. Z, B. Der L. 26 wiederholt nur den
L. 16 und 17. Der reinere Begriff des Wahmehmens,
wie er in Band I. der Philosophischen Bibliothek (E 2. 6.)
dargestellt worden ist, fehlt bei Sp. gänzlich. Weil der
Vorgang des Wahrnehmens dem menschlichen Vorstellen
unfassbar ist, muss jeder Versuch, ihn sich durch seiende
Bilder zu erklären, wie hier von Sp. geschieht, in das
Grobe und Unwahre gerathen.
42. Li 27. B. Eine zureichende Kenntniss ist
eine solche, welche auch die Ursache ihres Gegenstandes
umfasst. Nun hat die Seele nur die Kenntniss ihrer
Zustände, aber nicht die Kenntniss der Elemente ihres
Körpers und der fremden Körper, welche die Ursachen
dieser Zustände und gegenseitigen Erregungen sind; des-
halb ist ihre Kenntniss dieser Zustände ihres Körpers
unzureichend und verworren.
43. Li 28. B. B. L. 28 wiederholt nur L. 27.
In L. 27 wird der Seele die zureichende Kenntniss des
menschliehen Körpers, als solchen, abgesprochen, in
5*
68 n. Theo- 44. 45. (L. 29. B. Z. E. L. 30. B. L. 31. B. Z.)
L. 28 die zureichende Keimtniss seiner Zustande. Der
Beweis ist für beide Sätze derselbe. Bedenklicher ist der
Ausspruch Sp's in der E. zu L. 28. Sp. folgert aus der
Verworrenheit der Vorstellungen, welche die Seele aus-
machen, dass auch die Vorstellungen von den Vorstellun-
gen oder das Selbstbewusstsein ein verworrenes sein müsse.
Dieses ist unrichtig. Man kann die zureichende Xennt-
niss auch von einem verworrenen Gegenstande oder Vor-
stellung haben, insofern man nämlich auch die Ursache
der Verwirrung kennt. Sp. erkennt dies V. L. 3 aus-
drücklich an. Auch trifft jenes Verworrene nur den In-
halt der die Seele ausmachenden Vorstellungen; dagegen
geht das Selbstbewusstsein hier nicht auf den Inhalt,
sondern auf die Form oder auf das Wissen, als solches.
44. L. 29. B. Z. B. Die Schwäche dieses B. ist
bereits in No. 43 aufgedeckt. Wenn es zur Natur der
Seele gehört, in ihrem bildlichen Vorstellen nur unzu-
reichend zu erkennen, so wird durch diese unzureichen-
den Vorstellungen die Natur der Seele dargestellt, und
deshalb ist die Kenntniss dieser unzureichenden Vor-
stellungen als Gegenstand offenbar eine zureichende Kennt-
niss der Seele selbst.
Am Schluss des E. wird der Gegensatz des bildlichen
Vorstellens angedeutet; die zureichende Erkenntnis»
der Dinge soll von innen ausgehen und sich auf die
Uebereinstimmung, die Unterschiede und die Gegensätze
der Dinge richten. Dies sind aber nur Beziehungs-
formen, die von dem Inhalte oder Sein der Dinge
nichts aussagen. Auch hier tritt der fundamentale Irr-
thum Sp's. hervor, welcher die Erkenntniss des Seienden
in diesen leeren Beziehungsformen des Denkens sucht und
das Wahrnehmen, welches allein von dem Inhalte des
Seienden Kunde giebt, als ein verworrenes, von sich stösst.
Dieser Irrthum trifft indess nicht blos Sp.; er zieht sich
durch die ganze scholastische Philosophie hindurch;
er herrscht selbst noch bei Leibnitz und Wolff und
kehrt bei Hegel wieder.
45. L. 30. B. L. 31. B. Z, Der Inhalt dieser beiden
L. ist verständlich und ergiebt sich aus den vorhergehenden
Lehrsätzen. Wenn die Seele das Einzelne und Endliche
n. Thea 46. (L. 32 bis L. 35.) 69
nur yerworren fassen kann, d. b. wenn sie die Totalität
seiner Ursachen nicht erfassen kann, so folgt, dass sie
auch deren Dauer oder deren Eintritt in die Zeit und
deren Anstritt ans derselben nicht kennen kann.
Dagegen ist die Seele nach Sp. im Stande, die zn-
reichende Eenntniss von dem ausserhalb der Zeit liegen-
den Wesen der Dinge und deshalb auch von Gott zu
gewinnen, wie das Folgende zeigen wird.
46. L. 32 Ms L. 35. Wenn nach II. L. 7 die Beihe
der Yorstellungen in dem. Denk-Attribut Gottes genau
parallel mit der Beihe der körperlichen Dinge in dem
Attsdehnungs- Attribut verläuft, so steht unzweifelhaft fest,
dass alle diese Vorstellungen wahr sind; die üeberein-
stimmung ist in dieser Hypothese vorausgesetzt und diese
bildet den Begriff der Wahrheit. I. A. 6.
Es entsteht aber dann die Frage: Wie sind überhaupt
falsche Yvrstellungen , die mit dem Gegenstande nicht
übereinstimmen, möglich?
Jene Hopothese der parallelen Beihen hatte dem Sp. die
gewöhnlichen Erklärungsgründe dafür verschlossen. So
blieb kein anderer Ausweg, als das Falsche in die Un-
vollständigkeit der Vorstellungen zu setzen. Deshalb
ist in Gott, der alle Vorstellungen der Dinge in sich
schliesst, kein Falsches ; aber diese Totalität besteht nicht
in der menschlichen Seele. Diese hat, wie Sp. früher darge-
legt, nur ein partielles Wissen; ihr Wissen spiegelt nur
die Zustände ihres Körpers; aber weder dessen Elemente
noch die fremden Körper, noch die Ursachen von beiden.
Das Falsche und der Irrthum im menschlichen Vorstellen
kommt also nach Sp. nur daher, dass es nicht alle
zu dem Gegenstande gehörenden Vorstellungen einschliesst.
Deshalb wird auch in Z. zu II. L. 11 das unzureichende
Vorstellen ein theilweises Vorstellen genannt. Deshalb
liegt in diesem Mangel der, den Irrthum zur Wahrheit
ergänzenden Vorstellungen nach Sp. der Begriff des Fal-
schen. Indem diese Totalität bei Gott vorhanden ist,
ist bei ihm sein Wissen trotz dem, dass es jene bei
dem Menschen das Falsche bildenden Vorstellungen ein-
schliesst, immer ein wahres.
Diese Wendung und Definition des Falschen ist geist-
reich und für Sp. unentbehrlich; aber sie kann doch
70 n. Theil. 47. 48. (L. 36. R L^ 37. B.)
nicht als richtig gelten. Dies könnte nnr sein, wenn
das, was der falschen Vorstellang fehlt, sidi mit ihr
vertrüge und durch seinen Hinzutritt die falsche Vor-
stellung einfach zu einer wahr^ ^gänzte, ohne dabei
etwas aus jener auszuscheiden; nur dann wäre das
Falsche ein blosser Mangel des vollen und wahren Wissens.
Diesen Fall könnte man allenfalls bei dem ersten Beispiel
des Sp. mit der Freiheit annehmen. Allein in den meisten
Fällen besteht zwischen dem Falschen und der Ergänzung
ein Widerspruch, so dass sich der Inhalt beider nicht
verbindet, sondern ein Theil des Falschen ausgestossen
werden muss. Dahin gehört schon das zweite Beispiel
Sp's. mit der Fntfemung der Sonne. Die wahre Entfer-
nung der Sonne kann sich mit der Entfernung von 200 Fuss
nicht vertragen; jene kann nicht mit dieser vereint
die Wahrheit bilden, sondern die Vorstellung der 200 Fuss
muss ganz ausgestossen werden, und die wahre Entfer-
nung muss allein in der Seele bleiben. Hier zeigt sich,
dass jene 200 Fuss nicht ein blosser Mangel der wahren
Entfernung sind, sondern selbst ein Positives, was nur
mit der wahren Entfernung in Widerspruch steht
Deshalb können sich beide nicht zur Wahrheit ergänzen,
und deshalb ist die Definition des Falschen in der Mehr-
zahl der FäUe kein blosser Mangel. Damit fällt der
L. 35, der ein Grundpfeiler des Systems ist. Man sehe
übrigens die Erläuterungen zu IV. L. I.
47t L. 36. B. Wenn nach Sp. das Falsche und
das Verworrene nur ein Mangel ist, welcher aus dem
partiellen Vorstellen der Seele entspringt, so muss
nothwendig dieser Mangel in Gott, als der Totalität
aller Vorstellungen, verschwinden. Die unendliche Eeihe
der Vorstellungen umfasst also die wahren, wie die fal-
schen Vorstellungen, da letztere in dieser vollständigen
Eeihe ebenfalls zu den wahren gehören.
48« L> 37. B« Mit diesem L. beginnt die wich-
tige Lehre von dem Gemeinsamen der Körper nnd
von den Vorstellungen dieses Gemeinsamen. Dieses Ge-
meinsame bildet nach Sp. den Gegenständ der wahren
oder zureichenden Erkenntniss. Alles Einzelne, Endliche
kann als solches nach Sp. von der menschlichen Seele
n. TheU. 48. (L. 37. B.) 71
nnr ttnzureicbend, mangelhaft erkannt werden; das Ge-
meinsame allein ist zureichend 2ti erkennen.
Bei dieser Auffassung ist es von der höchsten Wich-
tigkeit, zu wissen, was Sp. unter diesem »Gemeinsamen«
(Commune) versteht. Seine Darstellung ist indess nicht
so ausführlich, wie es die Wichtigkeit der Frage erfor-
dert. Sp. beruft sich wegen des Begriffs des Gemein-
samen auf II. Ln. 2. Auch dort sind nur Beispiele ge-
geben ; indess erkennt man daraus, dass Sp. unter diesem
Gemeinsamen die Attribute und die unendlichen Modificatio-
nen derselben versteht. Da die endlichen Zustände nicht
für sich bestehen, sondern nur in einem Andern, durch
das sie vorgestellt werden, (I. D. ö), so ist es consequent,
wenn Sp. das betreffende Attribut als das Gemeinsame
aller seiner endlichen Zustände auffasst. Aehnliches gilt
für die unendlichen Modificationen, so weit Sp. dabei an
Bewegung und Ruhe denkt. -
Es liegt nun sehr nahe, dieses Gemeinsame als das
Begriffliche aufzufassen, wie es im I. Band (JS, 18)
dargelegt worden ist. Dort ist gezeigt worden, dass
jedem Begriffe ein Seiendes in den einzelnen, zu dem
Begriff gehörenden Gegenständen entspricht, was in allen
sich gleich ist, und welches deshalb das ihnen Gemein-
same bildet und zu einem Stück zusammenfliesst , wenn
man die Unterschiede der Orte und der Zeiten beseitiget;
dann gelangt man zu dem einen Attribut Sp*s.
Im Ganzen hat wohl auch Sp. diese Ansicht; nur hat
er die Natur des begrifflichen Trennens nicht erfasst, und
deshalb macht Sp., wie sich später zeigen wird, einen
unbegründeten Unterschied zwischen den Begriffen des
Gemeinsamen, welche die Wahrheit enthalten und den
transscendentalen und universalen Begriffen,
welche nur Einbildungen der Seele sein sollen, wie Sp.
in E. 1 zu L. 40 ausführt. Hätte Sp. die Natur des be-
grifflichen Trennens genauer untersucht, so Würde er ge-
funden haben, dass die transscendentalen und universalen
Begfriffe ebenfalls zu den Begriffen des Gemeinsamen ge-
hören.
Der B. des L. 37 ist schwerfallig uiid dreht sich
doch im Kreise. Wenn ich eine Sachiß in das Gemein-
same und in das ihr Eigenthümliche trenne, so folgt
72 n. TheiL 49. 50. (L. 38. B. Z. L. 39. B. Z.)
von selbst y dass das Gemeinsame nicht zu dem Eigen-
thümlichen gehören kann. Mehr sagt L. 37 nieht.
49. L« 38i B. %, Dieser Satz ist für Sp. von hoher
Wichtigkeit. Er kann nnr yoU verstanden werden, wenn
man festhalt, 1) dass das falsche Wissen nach Sp. nur
ein mangelhaftes ist; es fehlt ihm nur Etwas zur Wahr-
heit; 2) dass Sp. hier von einem allen Dingen Gremein-
samen spricht. Indem ein solches Gemeinsame in jedem
Einzelnen enthalten ist und in jedem Zustande, der aus
dem Zusammenwirken mehrerer einzelnen Dmge entsteht,
ist es natürlich, dass jede, auch die partielle Eenntniss
eines Einzelnen, dennoch dies Gemeinsame yoU erfassen
muss ; denn es ist als Gemeinsames in jedem und in jeder
Wirkung Mehrerer sich gleich und überall als Ein und
Dasselbe yorhanden. Die übrigen Einzelnen können nie
etwas zu diesem Gemeinsamen Gehöriges enthalten, was
nicht schon in der Eenntniss des ersten oder einzelnen Zu-
standes enthalten wäre. Deshalb giebt es keine partielle
oder mangelhafte Yorst^ungen von dem Allen Gemdn-
samen, und deshalb ist aujch die Vorstellung dieses Ge-
meinsamen in der menschlichen Seele immer eine totale,
zureichende und wahce.
Dies Alles kann man im Sinne Sp's. zugeben; allein
das Ueble ist, dass bei diesem Begriff des Gemein-
samen sein Inhalt zum allerdürftigsten zusammen-
schrumpft. Denn für das Allen Gemeinsa^ie bleiben
nur die Attribute Gottes übrig, und yon diesen kennt der
Mensch nur zwei, das Denken und die Ausdehnxmg. Alles
Weitere gehört zu den Zuständen der Attribute, und da
diese nicht mehr als ein Allen Gemeinsames angesehen
werden können, so erhellt, dass der Inhalt dieses Gemein-
samen auf ein Kleinstes herabsinkt.
50. L. 39« B. Z. Den yorstehend gerügten Mangel
hat Sp. selbst bemerkt und er dehnt deshsdb hier den
Begriff des Gemeinsamen, welches den Gegenstand der
wahren Erkenntniss bildet, auf dasjenige aus, was dem
menschlichen Körper und den ihn, in dem einzelnen Fall er-
regenden fremden Körpern gemeinsam ist. Dadurch wird das
Gebiet des Gemeinsamen allerdings sehr erweitert; dessen-
ungeachtet bleibt diese Hypothese Sp's, womit er den Pa-
IL TheiL 51. (L. 40. B. E. 1, 2.) 73
rallelismus zwischen Wissen und Sein retten will, unzu-
reichend. Denn man kann sagen: Woran erkennt die
Seele, wenn ihr Gegenstand immer nur die Zustande ihres
eigenen Körpers sind, das darin enthaltene Gemeinsame?
Dieses lasst sich keiner Bestimmung an sich ansehen;
erst wenn mir die einzelnen Gegenstande besonders ge-
geben sind, kann ich erkennen, was ihnen allen gemein-
sam ist. Das Gemeinsame ist also erst das Besultat der
Eenntniss der Einzelnen, und ohne diese ist die Erkennt-
niss des Gemeinsamen unmöglich. Auch hier liegt bei
Sp. eine Verwechslung der Denkbeziehungen mit dem
Seienden vor (J5. 31). .
51. L, 40. B. B.1.2. Der B. Yon L. 40 konnte kürzer
sein, da der L. tautologisch ist. Wenn diejenige Vorstellung
zureichend ist, welche die Kenntniss ihrer Ursache ein-
schliesst; und deren Wirkung aus ihr allein erkaünt wer-
den kann, so wiederholt der L. nur diese Definition.
In dem Ei 1 und.2 werden die transscendeutalen
und universalen Begriffe den Begriffen des Gemein-
samen gegenübergestellt. Es ist auffallend, dass Sp. die
gleiche Natur dieser drei Arten von Begriffen verkennt;
sie sind sämmtlich aus dem Einzelnen durch das tren-
nende Denken hervorgegangen und unterscheiden sich nur
im Grade dieses Trennens (E, 18). Statt dessen hält
Sp. die zwei ersten Arten für verworrene Vorstellun-
gen, obgleich er anerkennt, dass die »universellen«
BegriSe das Gemeinsame der mehreren Einzelnen ent-
halten, also offenbar zu der dritten Art gehören.
In E. 2 wird die Erkenntniss selbst in eine erster
und zweiter Ordnung eingetheilt, je nachdem sie trans-
scendentale und universelle Begriffe umfasst oder Gemein-
Begriffe. Nur letztere enthalten diel Wahrheit.
- Aber merkwürdig ist, dass Sp. ihnen noch ein^ dritte
Art der Erkenntniss beiordnet, welche er die intuitive
oder die anschauliche nennt. Der von dieser gegebene
Begriff stimmt indess nicht zu dem von Sp. gegebenen'
Beispiel der vierten Proportionalzahl 6 zu den Zahlen 1. 2
und 3. Nach diesem Beispiel liegt das Intuitive in
der Unmittelbarkeit der Erkenntniss, welche sich ohne
logische Schlussfolgerungen einstellt und die höchste Ge-
wissheit unmittelbar in sich trägt. Damit stimmt auch -»
74 n. TheiL 52. 63. (L. 41. B. L. 42. B. L. 43. B. £.)
das, was in der E. zu Y. L. 36 über die intuitive Erkeimt-
niss gesagt ist. Nach der Definition des Intoitiven, weiche
Sp. auch V. L. 25 wiederholt, liegt aber sein Wesen in
dem Ausgehen von den h(ychsten Begriffen oder den
Attributen Gottes; also in der S3mthetischen oder de-
ductiven Methode, welche die Schlussfolgerungen nicht
ausschliesst.
Diese Unklarheit ist zunächst eine Folge davon, dass
Sp.mit der Veranschaulichung seiner Begriffe durch Beispiele
viel zu sparsam verfahrt. Doch kommt die Dunkelheit
hier auch von der Sache selbst. Sp. sucht in dieser
intuitiven Erkenntniss nach einem Erkennen, was die Vor-
gänge des Wahmehmens und des Denkens in sich ver-
einigt. Deshalb sein Name: anschauliche Erkennt-
niss. Es ist diese aber ein Verlangen, was der Natnr
beider Erkenntnissweisen widerspricht, die sich nicht
vereinigen lassen.
52. L. 41* B. L. 42. B. Die Kenntniss'^der ersten Art
oder die verworrene umfasst nach Sp. nicht blos die
transscendentalen und universalen Begriffe, sondern auch
die Vorstellungen des Einzelnen oder des, was in Band I.
der philosophischen Bibliothek die Sinnes- und Selbst-
wahmehmung genannt worden ist (E. 2, ö).
53. L. 43. B. B. Sp. behandelt hier die Frage nach
dem sogenannten Kriterium der Wahrheit. Man will
wissen, woran man die wahren Vorstellungen erkennen
kann. Nach Sp. liegt dieses Kriterium in der Gewiss-
heit, d. h. in der subjectiven Ueberzeugung, dass die
Vorstellung wahr sei (E. 59). Allein man kann leicht
bemerken, dass diese Gewissheit viel weiter reicht als
die Wahrheit. Sehr vieles halten die Menschen f&r wahr
oder sind seiner Wahrheit gewiss, und doch ist es falsch.
Man kann also höchstens Sp. zugeben, dass in jedem
wahren Wissen auch die Gewissheit seiner Wahrheit mit
enthalten ist, aber nicht umgekehrt enthält jede Gewlss-
h^t die Wahrheit, wie schon die verschiedenen Religionen
beweisen, weiche mit gleicher Gewissheit von ihren An-
hängern für wahr gehalten werden (E. 61).
In dieser Gewissheit hatte schon Cartesiuä das
Kennzeichen der Wahrheit gesetzt. In seiner ni. Me-
n. Theü. 54. 55. (L. 41. B. Z. 1. E.) 75
ditation sagt er: »Ich kann es daher als den Fnnda»
«mentalsatz hinstellen, dass das wahr ist, was ich klar
«und deutlich erfasse«; womit er die Gewissheit meint;
auch Sp. tritt diesem Prinzip am Schluss der £. 2 aus-
dr&cklich bei.
Kant hat diese Frage nach einem allgemeinen £rite«>
rium der Wahrheit für verkehrt erklärt. Dies wäre rich-
tig, w^n das Kennzeichen sich auf den Inhalt stützen
sollte; allein es kann sich auch aus der Quelle der
Vorstellungen ableiten, und dann ist ein solches Krite-
rium kein Widerspruch und keine Unmöglichk^t. In
Band I. der Philosophischen Bibliothek ist ein solches
in der widerspruchsfreien Wahrnehmung aufge-
stellt worden {E, 68), und die dort gegebene Darlegung
zeigt, dass dieses Prinzip von den Mängeln fi*ei ist,
welche *an dem Prinzip des Cartesius und Sp. hier
dargelegt worden sind.
54. L. 41. B. Die Vernunft besteht nur aus den
zureichenden Vorstellungen (II. L. 40 E.), d. h. aus sol-
chen, welche auch ihre Ursachen einschliessen und da-
mit ist die Zufälligkeit ausgeschlossen.
55. %. 1. B«2aL.41i Dieser Zusatz giebt die Ergftn*
zung zu IL L. 17. Sp. giebt hier eine Erklärung,
weshalb man einen Gegenstand, obgleich er nach L. 17
auch in der Erinnerung oder im blossen Vorstellen immer
als gegenwärtig Torgestellt werde, dennoch unter Umstan-
den als vergangen oder zukünftig nehmen könne; nämlich
dann, wenn man mit dem Gegenstande zugleich die Zeit
vorstellt, in der man ihn gesehen hat.
Diese Erklärung ist ausserordentlich schwach und
ungenügend. Man könnte dann nie die Vorstellung eines
Gegenstandes von dem Zeitpunkt seiner ersten Wahr-
nehmung abtrennen, ohne ihn damit sogleich zu einem
gegenwärtigen zu machen. Der Peter in Sp's. Beispiele
müsste immer mit der Vergangenheit verbunden werden,
um ihn nicht als gegenwärtig vorzastellen. Dies wider-
spricht aller Erfahrung; vielmehr liegt der Unterschied
des Wahmehmens und blossen Vorstellens in der Natur
und Art dieser Vorstellungen an sich, nicht aber in dem
76 IlTheiL 56*57. (Z.2.E.E.L.44.L.45.46.47m.B.u.E.)
Hinzutritt gewisser Zeitvorstellungen. Deshalb geh^^ren
diese Unterschiede zu den Wissensarten {E, 57).
56. Za2. B.SOL.44. Dieser Zusatz erklärt, weshalb
Sp. die Zeit nicht wie die Ausdehnung oder den Baum
zu den Attributen Gottes gerechnet hat. Indem die
idealistischen Systeme das Yei^ängliche überhaupt för
das Werthlose nehmen und die Wahrheit nur in der Er-
kenntniss des XJnyergänglichen suchen, geschieht es ihnen,
dass sie die Zeit überhaupt für den Sitz des Scheins und
der Unwahrheit nehmen, und so erklärt sich auch bei
Sp. die Behandlung derselben. Indem di^e Systeme
aUes Zeitliche far das Mangelhafte und Endliche neh-
men, wird das Ewige bei ihnen zu dem Zeitlosen.
Diese Auffassung wurde bei Sp. noch durch seine Ver-
wechslung der Ursächlichkeit mit der logischen Begründung
verstärkt. Da die geometrischen Lehrsätze zeitlos ans
den Definitionen folgen, so gilt diese Art der Entwicke-
lung dem Sp. als die allein wahre.
57. L. 45. L. 46. L. 47 mit B. nnd IL Während
die meisten modernen Systeme Gott in Folge seiner Un-
endlichkeit für unerkennbar erklären, ist Sp. der entgegen-
gesetzten Ansicht, wie die L. 45—47 zeigen. K. !£i scher
hat darin den Widerspruch und die Inconsequenz des
Systems gefunden: »Diese Ursache aller Dinge könne nicht
»das Objekt eines einzelnen Dinges sein; das Unendliche
»könne nicht von einem endlichen Wesen begriffen wer-
den.« (Geschichte der neueren Philosophie I. S. 583. 584.)
Dergleichen Urtheile sind indess nur die Folge von der
Unklarheit über den Begriff des Unendlichen oder Abso-
luten. Nach der realistischen Auffassung ist' das Abso-
lute nur eine Verneinung des Endlichen und Bedingten,
also eine reine Beziehungsform, welche die Seele sich
deshalb bejahend oder seiend nicht vorstellen kann.
Auch fehlt alle Gewähr für das Dasein des Absoluten;
vielmehr führt das Absolute in der Seinsform nothwendig
zu dem Widerspruch, wie die Antinomien Eant's er-
geben. Für Spr sind diede Zweifel noch nicht vorhan-
den; er kennt nicht den Unterschied der Beziehungs-
furmen von den Seinsbegriffen, und er hat kein Bedenken,
ein bejahendes und seiendes Unendliche in der Suh-
IL Theü. 67. (L. 45. 46. 47 ndt B. nnd E.) 77
stanz oder in (xott zu setzen. Gott hat nach Sp. unend-
lich viele Attribute, die jedes eine Bestimmtheit oder
einen Inhalt bezeichnen, welcher in seiner allgemeinen
Natur von der Seele erfasst werden kann. Da ferner der
unterschied der Attribute nur scheinbar ist, so enthält
die Erkenntniss eines oder zweier Attribute schon die
Erkenntniss Gottes. So erreicht auch der endliche
Mensch die Erkenntniss des Absolnten. Sie beruht nach
Sp. auf dem Gemeinsamen, was ebenso in jedem end-
lichen Gegenstand, wie in dem Attribute enthalten ist.
Deshalb ist in der Erkenntniss dieses Gemeinsamen auch
die Erkenntniss des Attributs und somit Gottes enthalten.
Freilich ist dieser Gott Sp's. nicht der Gott der Religion;
er ist kein lebendes, mit Verstand und Willen begabtes
Wesen, sondern nur Ausdehnung und Denken in der all-
gemeinsten Bedeutung. Diese Attribute enthalten das
zeitlose Wesen der endlichen Dinge, ebenso wie' die ma-
thematischen Definitionen, die einzelnen daraus folgenden
Lehrsätze in sich. Zugleich entwickelt sich aus dieser
Substanz eine zeitliche, unendliche Beihe von Zuständen,
die aus den Wesen der Dinge, welche die Substanz in
sich schliesst, nach Art der logischen Folgen abfliessen.
So ist die Welt nunmehr die zeitliche Entfaltung ihres
zeitlosen in den Attributionen enthaltenen Wesens.
In dieser Auffassung verschwindet der von K. Fischer
gerügte Widerspruch; im Denken kann der Mensch Gott
erfassen und sein Wesen erkennen. Es bleibt nur der
früher gerügte Mangel, dass die Entfaltung des Absoluten
in eine zeitliche, ohne Ende fortlaufenden Eeihe von end-
lichen Zuständen nicht begründet und aus dem Absoluten
abgeleitet ist.
Freilich ist dieses eine Unmöglichkeit, und das ganze
Nest von Widersprüchen, welches sich um den Begriff des
Absoluten häuft, kann nur zerstört werden, wenn man
anerkennt, dass ein seiendes Unendliches dem Menschen
im Denken und im Sein unerfassbär ist. Man würde
dies längst offen eingestanden haben, wenn nicht die
Achtungsgefühle •( J?. 7. Aesthetik I. 111) ein Er-
habenes forderten. Dies ist zwar nur ein Unermess-
liches; allein im religiösen Eifer steigerte man dies zu
dem Unendlichen. Der religiöse Glaube nahm daran
keinen Anstoss; allein als die Philosophie an diesen Be-
78 n. TheiL 58. (L. 48. 49 B. Z. B. B.)
griff herantrat, mtiBsteii alle ihm anhaftenden Schwierig-
keiten hervortreten, nnd der Philosophie blieb nur die
Wahl, entweder das Absolute aufzugeben, und den reli-
giösen Glauben zu verletzen, oder mit seinen Wider-
sprüchen sich zu vertragen und die Gesetze des Denkens
zu verletzen.
Wenn Sp. übrigens meint, man könne aus der Er-
kenntniss Gottes viele besondere Kenntnisse ableiten
(L. 47 E.), d. h. das Besondere aus dem Allgemeinen
herausbringen oder entwickeln, so ist dies zwar ein Irr-
thum, aber doch der Gedanke, welchen Hegel später in
der umfassendsten Weise zu verwirklichen versucht hat.
In B. I. der philosophischen Bibliothek ist das unwahre
dieser dialektischen Entwickelung dargelegt worden.
(E. 83.) Sp. ist noch nicht so kühn wie Hegel; er
verläugnet noch nicht den zweiten Fundamentalsatz
(E. 68). Was Sp. unter Ableitung versteht, davon
ist seine Ethik selbst ein Beispiel. Hier wird allerdings
synthetisch von dem Allgemeinsten ausgegangen; allein
das Besondere, wie schon die Ausdehnung und das
Denken, ebenso die Zeit, das Vorstellen, das Begehren
wird ausserhalb der Prinzipien aus der Erfahrung
entlehnt; nur dadurch ist das System im Stande, zur
Besonderung und einem reicheren Inhalt vorzuschreiten,
der aus den Prinzipien nie herausgepresst werden kann.
58, L. 48. L. 49. B. Z. B. E. Die Worte dieser
Lehrsätze verleiten zu der Meinung, dass es sich hier
um die Frage der Willensfreiheit handele. Allein
Sp. versteht nach E. zu L. 48 unter Wille hier nicht
das Begehren, sondern die dem Vorstellen anhaftende
Gewissheit. Diese Gewissheit ist etwas von dem Be-
gehren oder Wollen im gewöhnlichen Sinne völlig Ver-
schiedenes; sie gehört zu den Wissensarten (E, 59),
und bei ihr ist die Frage nach der Freiheit nie von der
Philosophie erhoben worden, vielmehr würde alle gemein-
same Ueberzeugung der Menschen aufhören, w^n diese
Gewissheit nicht an feste Gesetze gebunden wäre.
Hiernach erscheint der Z. zu L. 49, wonach Wille
und Verstand dasselbe sind, nicht mehr so auffallend.
Der zwischen der Gewissheit, als Wissensart, und dem
n. TbeiL $9.60. (E. zu L. 49. Schlass der £. zu L. 49.) 79
reinen Wissen bestehende Unterschied (E. 57) ist freilich
von Spinoza nicht erkannt worden.
Die Meinung Sp's., dass die falsche Vorstellung keine
Gewis^eit in sich tj^e, widerspricht der Erfahrung,
wie schon zu L. 43 bemerkt worden. Die Unterscheidung
Sp's. zwischen Gewissheit und Mangel des Zweifels ist
eine Snbtilität, zu der Sp. nur genöthigt ist, weil er an
dem Prinzip des Cartesius festhält, dass die Gewissheit
das Kennzeichen der Wahrheit sei. Um den bedenk-
lichen, bei II. L. 40 dargelegten Folgen des Prinzips zu
entgehen, musste Sp. zu dieser Subtilität greifen, welche
der Erfahrung widerspricht.
59» B# ZQ L. 49. In dem zweiten Theile dieser
Erläuterung widerlegt Sp. vier Einwurfe seiner Gegner
gegen den von ihm aufgestellten Begriff des Willens
oder der Gewissheit, Diese Erörterung hat für die Ge,-
genwjart wenig Interesse, weil die Einwendungen auf
Spitzfindigkeiten der scholastischen Philosophie beruhn,
die leicht widerlegt werden konnten, da sie nur Spiele
mit Beziehungsformeu sind und auf keiner Beobachtung
des Seienden beruhn. Allerdings sind auch die Wider-
legungen des Sp. nicht sehr überzeugend, denn sie gehn
von Prinzipien aus, deren Unwahrheit oben dargethan
worden ist. Es kann zur Aufklärung über diese Fragen
im Allgemeinen nur auf die Lehre vom Denken im
I. Band der Philosophischen Bibliothek verwiesen werden
{E, 10).
Der vierte Einwand, welcher von dem Esel des Buri-
dan hergenommen ist, betrifft nicht die Gewissheit, son-
dern den Willen als Begehren. Dieser Einwand gehört
also gar nicht hierher, und es ist auffiallend, dass Sp.
dies, nicht geltend macht.
60. ScUnSS der E. zu L. 49. in diesem Theile
behandelt Sp. nicht mehr die Gewissheit, sondern die
Erkenntniss; jene ist nur der Erkenntniss innewohnend.
Indess nimmt es Sp. bekanntlich mit der Identität nicht
so genau. Der Nutzen, welcher aus dem zureichenden
Wissen oder aus der Erkenntniss II, oder III. Ordnung,
(IL L. 40 JE, 2) fliesst, wird hier nur historisch dar-
gelegt; die philosophische Begründung folgt in Th. V.
80 n. Theil. 61. (SchloBsbetrachtimg za Th. IL d«r Ethik.)
bis wohin daher auch die Erläuteningen verspart
bleiben.
61. SoUnssbetraolitang aa Th. IL der BtUk.
Mit dem Schluss des 11. Theils der Ethik erhellt nunmehr,
dass er nur eine Philosophie des W i s s e n s ist {E, 95). Die
seienden Znstande der Seele, ihre Gefahle und Be-
gehren behandelt Sp. erst im III. nnd lY. Theile.
Vergleicht man die in diesem n. Theile gebotene
Lehre mit der im I. Bande der Philosophischen Bibliothek
gegebenen Lehre vomWissen, so ergeben sich wesent-
lich sechs Punkte, in denen Sp. davon abweicht. 1) Läug-
net Sp. alle Causalität, allen Einliuss zwischen dem
Wissen und seinem Gegenstande. Die Wahrheit besteht
bei Sp. zwar auch in der Uebereinstimmung beider, allein
diese Uebereinstimmung ist dem Wissen nur äusserlich.
Der Parallelismus zwischen dem Wissen und den körper-
lichen Gegenständen ist nicht Folge eines XJeberfliessens
des Inhaltes aus dem Sein in das Wissen bei der Wahr-
nehmung, sondern Folge der ursprünglichen Identität aller
Attribute. 2) Kennt Sp. nicht den Innern Unterschied
zwischen den W ahme hm ungs- Vorstellungen und den
blossen Vorstellungen. Alle Vorstellungen sind bei
Sp. Wahrnehmungen; aber alle diese Wahrnehmungen
spiegeln immer nur Zustände des eigenen Körpers, nie
unmittelbar fremde Körper; deshalb sind diese Wahr-
nehmungen oder bildlichen Vorstellungen alle verworren
oder unzureichend. 3) Das Wissen von dem Wissen
oder das Selbstbewusstsein ist bei Sp. nicht eine ursprüng-
liche, jedem Wissen innewohnende Bestimmung, sondern
ein zweites Vorstellen, was das erste zum Gegenstand
hat. So entspringt bei Sp. daraus eine Beihe ohne Ende,
und das wahre Selbstbewusstsein wird damit nicht erreicht.
4) Sp. hat die Natur des begriifflichen Trennens {E, 16)
nicht erfasst, deshalb seine Unterscheidung des Trans-
scendentalen und des Universalen von den Ge-
mein-Begriffen und seine Meinung, dass nur die
letzteren die Wahrheit enthalten. 5) Sp. hat die Natur
der Beziehungsformen des Denkens {E, 31) v&llig
verkannt und mit den Begriffen des Seienden verwechselt.
In Folge dessen entwickelt sein System zwar ein höchst
kunstvolles und folgerechtes Gewebe, aber ohne Bürg-
n. TheiL 61* (ScMiissbetrachtimg zn TL IL der Büiik.) gl
Schaft far seine Wahrheit, und ohne den Inhalt des
Seienden zu erschöpfen. 6) Als Kennzeichen der Wahr-
heit gilt dem Sp. wie dem Cartesius die Gewissheit,
welche der Vorstellung innewohnt. Die zwei Funda-
mentalsätze der Wahrheit, welche der Bealismus aufstellt,
erkennt Sp. zwar gelegentlich an, und von dem zweiten
macht er in seinen Beweisen fortwährend Gebrauch ; allein
dennoch hat er ihre Bedeutung, als Kennzeichen und
Quelle aller Wahrheit, nicht erfasst. In Folge dessen
ist Sp. oft genöthigt, sich mit Subtilitaten zu helfen. —
Insbesondere ist ihm deshalb das Falsche nur ein
Mangel, ein stuckweises Wissen, und das Nichtsein des
Zweifels soll nicht dasselbe sein, wie Gewissheit < ob-
gleich doch der Zweifel nur die Yemeinung der Gewiss-
heit ist. Eben deshalb wird auch der Begriff der Wahr-
heit verändert; sie mht nicht mehr ai^ der XJeberein-
stimmung des Wissens mit seinem Gegenstände, sondern
nur auf dem logischen Abfliessen der Folgen aus ihrem
Grrunde. Nach Sp. kann aus einem Wissen (Prinzip)
ein anderes oder neues Wissen durch logisches Schliessen
abgeleitet werden, und nur ein so gewonnenes Wissen ist
ihm das wahre. Daher der sonderbare Begriff der zu-
reichenden Vorstellungen, welche ihre logischen Folgen
vollständig in sich enthalten oder die zureichende Ursache
derselben sind. :
Eine von der Beobachtung ausgehende Philosophie
kann diese Auffassungen leicht als Irrthtimer nachweisen.
Die bedenklichen und unnatürlichen Folgen, zu denen sie
Sp. treiben, sind bereits bei den einzelnen Lehrsätzen
dargelegt worden. Kein anderes philosophisches System
bietet ein so warnendes Beispiel, wie das des Sp. dafür,
dass die E^kenntniss auch in der Philosophie nicht mit
Prinzipien zu beginnen hat, sondern mit der Beobachtung
des Einzelnen.
Erlaaternngen za Spinosa's Ethik.
82 III TheiL t 2. 3. (Vorrede. D. L D. 2.)
Dritter TheiL
Von dem Ursprünge und der Natur der
Affekte.
!■ V0]T6d6i Das Wort Affekt bezeichnet schon
im gewöhnlidieii Leben einen Seelenznstand, in dem Ge-
fühle nnd Begehren znglelch sind. In diesem Sinne nimmt
auch Sp. das Wort; doch wendet er es oft fibr die Ge-
fühle allein an und behandelt dann die Begehr^i be-
sonders. Sp. schwankt hier und hält den wichtigen
Unterschied beider Zustande nicht fest genug (JS, 7).
Auch hier, in diesem überaus wichtigen Gebiete des
Seienden innerhalb der Seele, aus welchem die Grund-
sätze der Sittlichkeit, des Rechts, des Schdnen, der Kunst,
der Religion sich entwickeln, kann nur die sorgsamste
Beobachtung, die hier zunächst Selbstbeobachtang ist,
zur Wahrheit führen. Sp. bedient sich auch in Lesern
Theile dieses Mittels mehr wie früher; indess bleibt
doch das Streben, aus Prinzipien geometrisch zu begrün-
den, Yorherrschend und wird die Quelle yieler Irrthümer.
Grossartig und für seine Zeit neu ist d^ Gedanke,
bei der Untersuchung der Affekte alle religiösen und
sittlichen Bücksichten bei Seite zu lassen und dieses
Gebiet der Seele wie ein zweites Naturgebiet zu behan-
deln. Deshalb enthält dieser m. Theil noch keine
Erörterungen sittlicher Fragen; diese treten erst im
IV. Theile auf.
2m D. !■ Die Bedenken gegen diese Definition des
Zureichenden sind bereits bei n. D. 4 und I. A. 3. 4
entwickelt worden.
3. D. 2. Hier giebt Sp. die für sein System überaus
wichtigen Begriffe des Handelns und Leidens. Sie
weichen von dem gewöhnlichen Sinne dieser Worte ganz-
HL Theil 3. (D. 2.) 83
lieh ab; da gilt das Yon dem Menschen durch sein
Wollen und durch die Kraft seines Denkens oder seines
Körpers Vollführte als Handeln; und jeder Zustand
seiner Seele oder seines Körpers , der die Wirkung eines
fremden Handelns ist, gilt als ein Leiden, wobei ein
Schmerz nicht erforderlich ist. Nach Sp. ist aber das
Handeln nicht ein Wollen und nicht die in Aeusserung
übergehende Kraft, sondern die logische Folge aus
dem Grunde. Handeln und Leiden sind Beides solche
Pol gen; sie unterscheiden sich bei Sp. nur dadurch,
dass bei jenem der Mensch die volle, bei dem Leiden
nur die partielle Ursache der Folgen ist.
Jeder Leser empfindet das Unnatürliche dieser Defi-
nitionen. Man hat mit dieser gewaltsamen Verdrehung
des Wortsinns fortwährend zu kämpfen. Dennoch ist die
Consequenz anzuerkennen, mit der Sp. diese Definitionen
festhält, und der Begriff des Handelns im Sinne Sp's.
gestaltet sich zu dem wichtigsten Begriff seines Systems.
Wenn die ganze zeitliche Beihe des Geschehens
innerhalb der einzelnen Attribute nach Art der logischen
Folgerungen aus dem Wesen Gottes abläuft, so verliert
der menschliche Wille und die menschliche Kraft ihre
Bedeutung; Alles vollzieht sich dann nach dem unerbitt-
lichen Gesetz des logischen Schlusses, und aller Unter-
schied des Geschehens kann nur darin liegen, ob die Folge
aus einem Grunde oder einer Ursache vollständig sich
ableitet, oder ob andere Ursachen dabei mitgewirkt
haben. Im ersten Fall ist die Ursache handelnd, im
letzten leidend. Man halte fest, dass nach Sp. nicht
die Wirkung handelnd oder leidend ist, sondern die
Ursache, je nachdem sie allein oder nur zum Theil die
Wirkung zur Folge gehabt hat.
Im gewöhnlichen Sinne würde man Letzteres keifi
Leiden, sondern nur ein gemeinsames Handeln nennen
oder das Leiden immer in die Wirkung verlegen; allein
im Sinne Sp's. wäre dies falsch.
Man bemerkt leicht, dass Sp. auch diese Begriffe der
Geometrie nachgebildet hat. Sie sind um so bedenklicher,
als im Körperlichen nie ein Geschehen aufgezeigt werden
kann, was mannichtalsdie gemeinsame Wirkungmehrerer
Ursachen betrachten müsste (E, 44), Nach 11. D. 7 gelten
mehrere Einzeldinge dem Sp. für eines, wenn sie alle
g4 ni Theü. 4« 5. (D. 3. I4. 1. B.)
zugleich die Ursache einer Wirkung sind; hiemach ist
das Leiden jedes Einzeldinges in solchem Falle ein
Handeln ihrer Aller.
4« D. 3« Vermöge des Parallelismus der beiden
Attribute ist nach Sp. jeder Affekt sowohl in dem
Körper, wie in der Seele; dort ist er ein körperlicher
Zustand, hier ein Zustand des Denkens, und zwar ein
Vorstellen, wie Sp. später deutlicher sagt (in. L. 2 £.
u. L. 11). Deshalb gelten auch die Begriffe des Handelns
und des Leidens sowohl von dem Körper, wie von der
Seele, und zwar yon jedem für sich. Das Handeln der
Seele ist deshalb nach Sp. nur das Erkennen oder der
Besitz zureichender Vorstellungen, weil aus diesen
allein, ohne Mithülfe von Anderen, die Folgen innerhalb
des Vorstellens sich ableiten (III. D. 1). Deshalb ist fnr
Sp. jeder Affekt auch ein bewusster.
Macht zu handeln, ist ein dunkler Begriff. Sp.
erläutert ihn nicht weiter. Es ist damit nicht das Han-
deln selbst gemeint, sondern nur die Fähigkeit oder
Kraft dazu, ohne ihre Aeusserung. Dieser Begriff ist
hier um so bedenklicher, als das Handeln nach Sp. nur
in den logischen Folg^ aus den Gründen besteht, wobei
die Macht von der Ausführung gar nicht zu trennen ist.
Nur wenn man das Wollen in das Handeln hineinnimmt,
ist eine solche Trennung zwiscdien Macht und Aeusserung
möglich. Trotz dem hat Sp. ^ich nicht irren lassen.
Nach seinen Definitionen bleibt dem Menschen auch im
Leiden eine Macht zu handeln; sie wird nur verringert.
Der Affekt ist also nach Sp. niemals .das Handeln oder
Leiden selbst, sondern nur die Vermehrung oder Ver-
minderung der Macht zu handeln. Dennoch gilt diese
Veränderung der Macht bei Sp. als ein Handeln, wenn der
Mensch die zureichende Ursache von dieser Veränderung
ist. Man sieht, zu weichen Verwickelungen schon diese
elementaren Begriffe führen.
5, L. 1. B. Auch hier wird der Beweis schwerfallig
durch den Eückgang auf Gott; während der L. aus dem
Begriff des Zureichenden und des Handelns von
selbst folgt ,^ da er mit den Definitionen 1 und 2 tauto-
logisch ist.
HL Theü. 6. 7. (L. 2. B. E.) 85
Ans dem L. 1 erhellt, dass Sp. kein anderes Handeln
der Seele kennt, als die Entwickelnng der Polgen aus zu-
reichenden Vorstellungen, d. h. das Handeln der Seele
bleibt rein innerhalb ihres Wissens. Das Wollen oder
das Begehren tritt bei Sp. ganz zurück und verflüchtigt
sich zu einem blossen Vorstellen, wie sich später zeigen wird.
6. Li 2. B« Dieser L. ist nur die Wiederholung
von II. L. 6 und 7; er bedurfte deshalb keines besondem
Beweises.
7« B« 20 L. 2m Hier sucht Sp. die auf der Hand
liegenden Einwürfe gegen seine Lehre, dass die Seele
keinen Einfluss auf ihren Körper habe, zu widerlegen.
Seine Grunde sind schwach. Der erste beweist blos die
Möglichkeit der Hypothese Sp's. ; der zweite, ftass der Mensch
die Mittel, wodurch die Seele auf den Körper wirkt,
nicht kennt, widerlegt diese Einwirkung nicht. Die Na-
turwissenschaft, insbesondere die Medizin, hat viele be-
setze, wo sie die Mittelursachen noch nicht kennt, und
wo dennoch die Einwirkung besteht.
Ferner läuft die Schwäche der Seele nicht parallel
mit der Schwäche des Körpers, und das Beispiel von
Mondsüchtigen und Träumenden widerlegt nicht die
Uegner, weil auch hier ein Wollen besteht, was nur in
seiner vollen Wirkung auf den Körper durch besondere
Zustände gehemmt ist.
Das üebrige. was Sp. hier anführt, gehört gar nicht
hierher, sondern zur Freiheit des Willens. Diese Frei-
heit kann fehlen, und dennoch der Einfluss des Willens
auf den Körper bestehn; nur um diesen handelt es sich
hier. Aueb folgt aus diesem Einfluss nicht, dass der
Wille allmächtig sein müsse; er kann durch andere
Ursachen gehemmt werden. .
Die realistische Philosophie erkennt offen an, dass
die regelmässige zeitliche Folge unterschiedener Bestim-
mungen, welche allein das Seiende in der Ursäch-
lichkeit sind," nicht weiter erklärt werden kann. Die
Wissenschaft kann hier nicht weiter eindringen, und sie
muss sich zuletzt bei der Thatsache solches Geschehens
beruhigen. Insbesondere hütet sich diese Philos(^hie, das
Geschehen der Wirkung aus der Ursache als eine solche
86 HL TheiL S—U. (L. 3. 6. R L. 1 B. L. ö. B. L. 6. B.)
Erklfimng zn nehmen. Es ist diese Yorstellong so gut,
wie die Kraft zwischen Ursache und Wirkung, nur eine
Beziehnngsform des Denkens, für die das Wahrnehmen
keinen Anhalt bietet. Ebenso hütet sich die realistische
Philosophie vor dem Ansknnftsmittel Sp's. und Hegers,
welche die Oansalität ans der Gemeinsamkeit oder Iden-
tität der Ursache nnd Wu'knng erklaren wollen; denn
anstatt damit die Oansalität zn erklaren, wird sie durch
solche Identität yielmehr vernichtet. — Ist dieses richtig,
so ist die Oansalität zwischen Leib nnd Seele nicht
wunderbarer wie jede andere; in jeder Art derselben
sind Ursache und Wirkung unterschieden, und das Wun-
derbare ihrer regelmässigen Folge wird durch den min-
deren Grad dieses Unterschiedes nicht gemindert.
8. L« 3. B. B- Dieser L. S wiederholt nur IH
L. 1. Die E. zu dem L. erläutert nochmals den Begriff
des Zureichenden und dient zur Erläuterung des oben
(S..47) Bemerkten.
9. L. 4. B. Dieser Lehrsatz gehört zu den Ueber-
resten scholastischer Philosophie. Der Lehrsatz ist werth-
los, weil der Begriff der äusseren Ursache yöllig
schwankend ist. Es kommt eben darauf an, was zu dem
Wesen der Sache gerechnet wird. Wenn man den Be-
griff des Seins in seiner strengen Beinheit nimmt, so
fehlt allerdings in ihm das Ende oder das Aufhören,
ebenso wie das Anfangen; allein deshalb ist das endlose
Sein nicht etwas, Wirkliches, sondern eben nur ein Sein,
von dem im Denken das Ende abgetrennt worden ist,
von dem aber diese Trennbarkeit des Endes in der Wirk-
lichkeit durchaus ungewiss bleibt. Mit solchen Spielen
des trennenden Denkens glaubte die scholastische Philo-
sophie die Natur erforschen zu können, und Sp. ist noch
ganz von dieser Bichtung befangen.
lOi L» 5. Bi Auch dieser Lehrsatz ist von solcher
Natur. Wenn das Entgegengesetzte etwas ist, was
das Dasein aufhebt, so ist L. 5 tautologisch mit L. 4.
11« L« 6. B. Hier wird der wichtige Begriff des
Strebens (eonatus) eingeführt, welcher sich d^mn in das
m. Theü. 12—14. (L. 7. B. L. 8. B. L. 9. B. E..) 87
Begehren omwandeli Dieser Begriff soll hier ans
L. i oder L. 5 abgeleitet werden; allein diese führen nur
dahin, dass ein Ding sich nicht selbst zerstört; aber das
Streben, sich zu erhalten, ist etwas ganz Anderes, von
dem blossen Dasein wesentlich Yerschiedenes. Ans dem
blossen Dasein folgt durchaus nicht, dass das Daseiende
sich dem Zerstörenden entgegenstellt, d. h., dass es
sich zu erhalten strebt. Dieser Fall liefert ein deut-
liches Beispiel, wie dergleichen Ableitungen der Fol-
gen aus einer Definition nur durch Erschleichungen und
heimliche Herbeiziehungen aus der Erfahrung ein Neues
erreichen können.
12. L. 7. B. Nach den Torge)^enden L. 4 bis 6 ist
das Streben, sich zu erhalten, aus dem Wesen des Dinges
abgeleitet; es gehört also zu den Folgra des Wesens
oder der Definition, und da die Folgen in der Definition
gleichsam eingehüllt enthalten sind (I. L. 16 B.), so kann
Sp. sagen, dass Streben und Wesen identisch sind; ob-
gleich dabei auch hier die Identität in einem falschen
Sinne von ihm angewendet wird.
13. L. 8. B« Hier tritt der Zirkel deutlich hervor,
in dem sich dieser scholastische Gredankengang von L. 4
ab bewegt. Erst wird aus der Wahrnehmung einer end-
lichen oder vergänglichen Sache Alles abgetrennt, was
sich auf ihr Ende bezieht; damit gelangt das Denken zu
dem reinen Sein, was naturlich wegen dieser Abtrennung
ein Ende nicht mehr an sich haben kann, und daraus
wird nun wieder die unbestimmte Fortdauer dieses Seins
bewiesen. Die B. zu L. 6 und L. 8 sind deshalb von
Wichtigkeit für die Erkenntniss der Methode Sp's.; sie
zeigen, dass die geometrische Begründung über die Tau-
tologie nicht hinauskommt. Alles Neue muss offen oder
versteckt aus der Erfahnmg entnommen werden.
14. L. 9i B. B« Der L. 9 ist nur die Anwendung
der allg^einen L. 4 bis L. 8 auf die Seele, als einen
besondem Gegenstand; deshalb kann der Beweis rein
durch Schlussfolgerung gefuhrt werden; er enthält des-
halb aber auch nichts Neues.
Wichtiger ist die E. Hier wird Wille (vobmtas)
88 HL TheU 15—17. (L. 10. ». L. 11. B. EL.)
wieder im natürlichen Siime gebraucht. Das Verlangen
(Appetitus) ist nur ein anderes Wort; es ist falsch, wenn
Sp. auch ein Begehren in dem Körper annimmt; das
Begehren ist ein nur der Seele angehörender, nur durch
Selbstwahmehmung erkennbarer Zustand; im Körper wer-
den nur die Kräfte wahrgenommen (E. 3). Nachdem
Sp. durch Scheinschlüsse das Begehren, sich zu erhalten,
jius dem Wesen jedes Gegenstandes abgeleitet hat, mnss
dieser Satz natürlich auch für die Menschen gelten, und
es folgt dann allerdings, dass nicht das Ziel oder das
Gute das Begehren bestimmt oder erweckt, sondern dass
letzteres jenes bestimmt. Allein alle diese Folgerungen
ruhn, wie gezeigt, auf falschen Prämissen; nach der Er-
fahrung wird das Bggehren durch die Gefühle der Lust
und der Achtung bestimmt, welche durchaus keinen noth-
wendigen Zusammenhang mit der Erhaltung des Daseins
haben (E. 7). Deshalb ist auch der Mensch des Selbst-
mordes fähig, was nach diesem L. unmöglich wäre.
15« L. 10. B. Dieser Lehrsatz folgt logisch aus
den in dem B. angezogenen Prämissen; er ist aber un-
wahr, weil diese Prämissen unwahr sind.
16i Li IL Bm. Vermittelst dieses L. übertraf Sp.
den zunächst für den Körper aufgestellten Begriff der
Affekte auch auf die Seele. Die Seele stellt nicht blos
die Affekte oder Machtveränderungen des Körpers vor,
sondern erleidet auch selbst dergleichen Machtyeränderun-
gen und ist deshalb selbst den _ Affekten unterworfen.
Dessenungeachtet ergiebt sich aus dem Späteren, dass
diese Seelenaffekte nach Sp. nichts Anderes als Vorstel-
lungen sind.
17. B. Zn L. 11. In dieser E. giebt Sp. die wich-
tigen Definitionen von Lust und Schmerz, von Fröh-
lichkeit und Traurigkeit. Jene sollen sich auf Seele
und Körper beziehn, diese nur auf di0 Seele. Es ist dies
ein Lrthum, der allerdings als Consequenz von Sp's. Prin-
zipien sich ergieblr; indess lehrt die Beobachtung, dass
Preude und Schmerz, wie alle Gefühle, nur in der Seele
sind. Sp. war zu der entgegengesetzten Annahme ge-
nöthigt, weil die Seele bei ihm nichts ist als die Vor-
.HL Theo. n. (SdiliiBB der & sa L. 11.) gg
steHnng ihres KOipen, deshalb mnss dem Affekt des
K&rp^rs allemal ein Affekt der Seele, oder umgekehrt,
entspreehen (lU. L. 10 B.).
Sp^s. De&iition der Lust und des Schmerzes sind
schon im Alterthnme aufgestellt worden, und sie werden
noeh jetzt vielfach ab die wahren behauptet Es liegt
ikllerdings sehr nahe, die Lust mit einer Steigerung der
Lebenskraft, und den Schmerz mit einer Minderung der-
selben zu identifiziren, weil schon der Instinkt das Schäd-
liche vermeidet, und der Schmerz zum grossen Theil
aus Zustanden entsteht, welche der G^esundheit schädlich
sind. Allein eine um£ueende Beobachtung aller Arten
der Lust zeigt, dass diese Definition nicht immer mit den
Thatsachen stimmt, wenn man nicht den Schmerz fOr
sich schon als Zeichen des Schädlichen nehmen, also den
Beweis sich ersparen wilL Auch giebt diese Definition
nur die Ursache der Lust und des Schmerzes, nicht
diese selbst. Diese GefiUile mögen vielleicht mit sol-
dien Förderungen und Hemmungen des Lebens sich ver-
binden; allein sie sind nicht diese Förderungen und Hem-
mungen selbst; vielmehr sind sie durchaus ursprüngliche
elem^itare Zustande, welche durch keine Definition ver-
deutlicht, sondern nur durch eigene Empfindung und
Selbstwahrnehmung erkannt werden können (JE, 7).
Diese Gefühle gehök'en auch nur der Seele an und nicht
dem Körper; selbst wenn man sich in den Finger schneidet,
ist der Schmerz nur in der Seele, und im Körper nur
die Ursache desselben.
Indem Sp. diese Ergebnisse der Beobachtung verkennt
und durdi starre Festhaltung seiner Prinzipien übersieht
oder verleugnet, ist seine Lehre von den Affekten schon
in ihren Grundlagen verschroben und verfälscht, und Sp.
kann trotz vieler feiner Beobachtungen im Einzelnen, doch
die volle und erschöpfende Wahrheit in diesem wichtigen
Gebiete nicht erreichen.
IS. SeUllSS der B. so L. 11. Diesen letzten Theil
der E. kaun man nur verstehn, wenn man festhält, dass
die Seele, obgleich sie nur die Vorstellung der Zustände
ihres Körpers ist, dennoch mit ihrem Körper ausser aller
ursprünglichen Verbindung steht, weil beide zu ver-
schiedenen Attributen gehören. Deshalb ist es ganz
90 in. TheiL 1». 20. (L. 12. B. U 13. B. Z.)
consequent, dass das Ende der Seele nie von dem Ende
des Körpers kommen kann, sondern nnr durch eine andere,
ihr entgegengesetzte, d. h. sie aufhebende Yerstellung,
die dann nach dem System Sp's. in Gott y^legt worden
muss, so weit er yon der Vorstellung eines andern Kör-
pers erregt ist. Hier zeigt sich die grosse KQnstlichkeit
des Systems.
19. L« 12. B. Wenn das Streben, sich zu erhalten,
aus dem Wesen jedes (gegenständes folgt, und w»m die
MachtTermehrung zum Wesen gehört, so folgt aUerdings,
dass jedes Bing nach Machtvermehrnng, d. h. nach Fröh-
lichkeit und Lust strebt. Ebenso folgt aus dem FaraU»-
lismus der Körper- oder Seelenzustande, dass die Macht-
yermehrung . des Körpers auch yon einer solchen in der
Seele begleitet ist. Indem Sp. den Einfiuss zwischen
Seele und Körper aufhebt, treibt ihn dieses der Erfieüi-
rung widersprechende Prinzip in seinem Fortgange immer
weiter zu kfinstlichen Hypothesen, für deren Wahrheit alle
Mittel der Prüfung yerschwinden.
20. Ii. 13. B. Z. In L. 12 ist bewiesen, dass die
Seele nach der Lust und ihren Ursachen strebt; hier
wird bewiesen, dass sie den Schmerz und seine Ursachen
yerabscheut. Auch hier ist der Beweis nur auf künst-
lichen Umwegen zu erreichen, welche die Darstellung
schwerfällig und unyerstandlich machen. Insbesondere
wird dabei mit dem Streben Missbrauch getrieben. Ist
alle Yeränderung im Denken und Sein blos log^che Folge,
so ist ein solches Streben durchaus nicht damit zu yer-
einen. Im Streben liegt ein Ziel, ein Zweck, welcher als
das Bestimmende gilt; dieses widerspricht aber der Natur
der logischen Folge, und deshalb bleibt die Einfflhnmg
des Strebens und Begehrens ein durchgehender Wider-
spruch eines Systems, was die Welt nur als den Abflnss
der logischen Folgen aus dem Wesen Gottes anerkennt.
Ist dieses logische Abfiiessen der Folgen das sUgemeine
Prinzip der Welt, so kann auch der Mensch dayon keine
Ausnahme machen, und sein Begehren ist unerklärlich
oder damit im Widersprach. Deshalb ist Sp. auch ge-
nöihigt, dieses Begehren so häufig in seiner wahren Natur
m. ThdL 2L (£. sa L. la) 91
zn yerleugnen und mit dem Wesen oder mit der Macht
zu identifiziren.
21. B. SO L. 13. Diese DefinitioBeB von Liebe
und Ha SS sind berühnit und werden noch heute Tielüach
vertheidigt. Sie treffen aber nicht die Wahrheit In der
Liebe ist mehr als das blosse Streben, einen Gegenstand
zu erhidten, der mir Lust gewahrt Die Liebe ruht auf
der Lust des Andern, des Geliebten. Dessen Lust
ist der Kern der Liebe; auf dessen Lust zielt die
Liebe ab; aber diese Lust wird durch die Liebe zugleich
Ursache der eigenen Lust, und deshalb ist die Liebe jene
wunderbare Verbindung tob eigener und fremder Lust,
von Egoismus und Aufopferung, welche leicht Torleitet,
ihr Wesen in den Widerspruch oder in unyerstandlichen
£inheitsphrasen zu suchen, oder, wie in der christlichen
Moral, nur die eine Seite, die Lust des Andern als
das Wesen der Liebe zu nehmen. Dasselbe gilt umgekehrt
für den Hass. Das Nähere darüber ist im I. Bimd der
Philosophischen Bibliothek (E. 8) und in des Verfassers
Aesthetik I. S. 99 ausgefOhrt.
Die Liebe kann deshalb nur ein lebendes, der Ge-
fühle fähiges Wesen zum Gegenstand haben. Statt dessen
ist bei Sp. die Liebe die Lust überhaupt in Verbindung
mit dem Streben, die Ursache dieser Lust sich zu er-
halten. Demnach liebt man auch den Ofen, welcher die
Stube wärmt, und das Stück Brot, was man aus Hunger
verzehrt, und man hasst die Medizin, die bitter schmeckt,
und den Begen, der nass macht.
Allerdings kann jeder Schriftsteller den natürlichen
Sinn gewisser' Worte beschränken; aber Sp. selbst erkennt
an, dass dies nicht übertrieben werden darf. Vor Allem
aber ist der hier dargelegte wahre Begriff der Liebe
für jede Ethik so wichtig und unentbehrlich, dass schon
deshalb seine Entstellung hier Tadel verdient. Das
Spätere wird zeigen, zu welchen ialschen Ergebnissen
eine solche gewaltsame Behandlang der Worte führt.
Indem die Lust in dem geliebten Gegenstände von
Sp. l^ei der Liebe ganz übersehen wird, indem« in seiner
Liebe nur die eigene Lust auftritt, ist die Ethik Sp.'s
durchaus egoistisch; es wird darin zwar viel von Liebe,
92 ni. Thea 22. 28. (L. 14. B. L. 15* B. Z. B. E.)
Dankbarkeit, Wohlthätigkeit ti. s. w. gesprochen; allem
überall gilt das fremde Wohl nur als Mittel för .die
eigene Lust; selbst die Liebe Gottes, von der Sp. in dem
V. Theile mit Begeisterung spricht, ist nur die eigene
Lust aus dem Wissen mit der daraus folgenden Hem-
mung des Begehrens nach anderer Lust. Die Ethik Sp's.
ist deshalb ein blosses System der Klugheit. Ein be-
sonders sittliches Prinzip neben der Selbsterhaltung, ein
Handeln, was selbst das eigene Leben einem höheren
Zwecke zum Opfer bringt, kennt Sp. nicht; nur die Er-
wägung, dass die Erhaltung der Nebenmenschen mir
selbst nützlich ist, ist bei Sp. der Beweggrund för die
milde und gleiche Behandlung derselben; das Recht leitet
Sp. nur aus dem Nutzen ab. Im V. Theile der Ethik
tritt allerdings die Lust zurück; das Handeln als solches,
im Spinozistischen Sinne, wird als das Sittliche hinge-
stellt, und deshalb das Erkennen för das Höchste er-
klärt. Allein da die Lust mit dem Wesen und der
Macht nach Sp. identisch ist, so ist damit im Grunde
nichts geändert.
22i L. 14i Bi Das Gesetz für die Wiedererweckung
der Vorstellungen wird hie'r auch auf die Affekte aus-
gedehnt. Dieses widerspricht der Erfahrung. Wenn ich
heute im Theater Kopfschmerzen bekomme, so bekomme
ich deshalb morgen im Theater nicht abermals Kopf-
schmerzen. Die Erinnerung oder Vorstellung der
Kopfschmerzen wird wiederkehren, aber nicht der S chmerz
selbst. Dies gilt fnr alle Arten der Gefühle und ist eine
Folge davon, dass die Gefühle zu den seienden Zustan-
den der Seele gehören, während die Vorstellungen nur
ihr Wissen bilden. Nur weil Sp. diese Unterschiede
nicht festhält, konnte er zu dieser falschen Ausdehnung
des Gesetzes des Gedächtnisses gelangen. Hier zeigen
sich die falschen Folgen falscher Definitionen. Nur wenn
die Vorstellungen seibst die Ursache von Gefühlen wer-
den, kann das Gesetz der Gedankenverbindung mittelbar
auch auf die Gefühle wirken. .
23. L. 15. B. Z. B. B. Hier, wie an vielen Orten
würden Beispiele das Verständniss der Lehrsätze sehr
erleichtert haben, allein Sp. thut dies nur ungern. Der
in. Theil. 24. 25. (L. 16 B. L. 17 B. E.) 93
L. 15 ist richtig, al>er nidity weil er sich ans L. 14 ab*
leitet, sondeni weil hier zunächst eine Vorstellung die
andere erweckt, und mittelbar dadurch die gleichen
Gefühle wieder eintreten. Deshalb gilt der Satz auch
nicht allgemein, sondeni nur für solche Gefühle, welche
aus Vorstellungen entspringen. Die Sympathien und
Antipathien werden im Uebrigen richtig erklart; ihr
scheinbar Wunderbares liegt nur darin, dass der Fühlende
ihren Ursprung sich nicht klar macht.
24. L. 16« Ba Der L. ist richtig, aber er ruht
nicht auf dem L. 14, welcher falsch ist, sondern auf dem
Gesetz der Erinnerung, weldie erst mittelbar die Gefühle
wach ruft Deshalb hat auch der Satz eine nur.be*
schränkte Gültigkeit.
25. L. 17. B. E, Der L. 17 ist richtig; aber Sp.
widmet diesen sogenannten Schwankungen der Seele
nicht die sorgfältige Untersuchung, welche sie verdienen.
Sp. begnügt sich, das gleichzeitige Dasein von Schmerz
und Freude anzuerkennen und ihre Ursachen darzulegen.
Allein nach den eigmen Definitionen Sp's. eracheint ein
solches Zugleichsein unmöglich. Denn die Freude ist eine
Steigerung der Macht zu handeln; der Schmerz eine
Minderung der Macht zu handeln. Wenn Beide zugleich
eintreten, heben sie sich mithin, wie Plus und Minus,
oder wie zwei entgegenstehende Bewegungen zu Null, zur
Buhe auf, und das Ergebniss ist nicht ein Zugleich you
Freude und Schmerz, sondern die Indifferenz oder Gleich*
gültigkeit.
Da diese Folgerung nun der Beobachtung widerspricht,
so hätte dies Sp. ein Zeichen sein sollen, dass seine De-
finitionen von Lust und Schmerz falsch sind; aUein Sp.
ist viel zu sehr Scholastiker, um durch solche Data der
Erfahrung sich in den einmal gesetzten Prinzipien irre
machen zu lassen.
Dieses Zugleich von Schmerz und Lust ist überhaupt
für die Beobachtung ein Gegenstand von hohem Interesse»
und er führt mehr wie Anderes zur Erkenntniss der Seele.
Das Weitere darüber ist anderwärts (Philosophie des
Wissens I. 62) dargelegt word^. Sp. lässt dies Alles
bei Seite. Ueberall ist ihm das Denken die Hauptsache;
94 nL TheiL 2§. 17. (L. 18 B. E. 1. £. 2.)
das Wahrnehmen oder Beobachten bleibt ihm das Unter-
geordnete, obgleich jenes Denken doch seinen Stoff nur
ans diesem entnimmt. Indem dies aber hier ans nnvollstän-
digen Beobachtungen geschieht, erhalten die Begriffe nnd
Lehrsätze jene Einseitigkeit nnd Unwahrheit, welche sie
mit der Wirklichkeit in fortwährende Kollisionen bringen,
denen wieder dnrch Yerdrehnngen der Worte nnd Zu-
stände oder dnrch neue künstliche Hypothesen abgeholfen
werden mnss.
26. L. 18. B. B. Dieser L. 18 folgt zwar logisch
ans n. L. 17, allein da diese Prämisse fsJsch ist, so ist
es anch dieser L. 18. Die Beobachtnng lehrt, dass die
hier behandelten Fragen gar nicht nnter ein (resetz ge-
bracht werden können, sondern einer Mannichfaltigkeit
Yon Gesetzen unterliegen. So wirkt ein kommendes Er-
eigniss anders als ein vergangenes; jenes weckt reale,
dieses nur ideale GrefAhle. Femer ^ann dieselbe Erinne-
rung bald* Freude, bald Schmerz bereiten, je nachdem ich
sie für sich betrachte oder als Unterlage für die Ab-
schätzung der Gegenwart. Deshalb freut man sich über-
standener Gefahren; aber ihre Erinnerung wirkt schmerz-
lich, wenn sie so lebhaft wird, dass sie als gegen-
wärtige gelten. Femer ist das Gefahl aus dem Kom-
menden in der Begel schwächer als das aus dem Gegen-
wärtigen ; aber oft auch umgekehrt, wenn die Erwartung das
Kommende zu sehr ins Angenehme ausgemalt hat. Näheres
hierüber ist in des Verfassers Aesthetik I. S. 101, und
Philosophie des Wissens I. S. 52 nachzusehn. Sp's.
Beobachtungen waren . zu beschränkt, um diese Verwicke-
lungen zu beachten, und seine einmal aufgestellten Prin-
zipien waren zu starr, um diesen Feinheiten sich f&gen
zu können.
27. B. 2. SQ L. I8. Auch diese Definitionen sind be-
denklich. Das Wesen der Hoffnung liegt gerade darin,
dass sie die Lust aus der kommenden Lust ist. Darin
ist ihre Eigenthümlichkeit enthalten; ab^ nicht, wie
Sp. meint, in dem Schwanken zwischen Schmerz und
Freude. Deshalb ist Hoffnung und Zuversicht nur im
Grade unterschieden. Die Gewissensbisse gehören
gar nicht in das Gebiet der Lust und des Schmerzes,
in.T]ieiLaS->aL(L.19.B.L.20.B.L.21.B.L.22.B.) 95
smideni za den Gefohleii der Achtung {£. 7) und ins-
besondere zn den sittlichen Geföhlen, welche den grossen
Gegensatz gegen die Gefühle der Lust und des Schmerzes
bilden, und deren Natnr Sp. gänzlich übOTsehen nnd ver-
kannt hat Deshalb fehlt das sittliche Prinzip bei ihm,
nnd Alles wird anf Lnst nnd Schmerz znrdckgefahrt
28. L« 19. B. Auch hier fehlt die feinere Beobach-
tong und die Unterscheidung zwischen Aufhören der Lust
und Eintreten des Schmerzes. Wenn die Ursache der
Lust aufhört, folgt nur das Ende der Lust, aber nicht
der Anfang des Schmerzes. Deshalb ist auch der
Beweis ungenügend; 8p. konnte nicht sagen: »Das Hem-
»men des Strebens der Seele oder der Fröhlichkeit erffiUt
»die Seele mit Trauer.« Aber solche feinere Beobachtun-
gen lagen ausserhalb Sp's. Grosichtskreise.
29. L« 20. B* Dieser Lehrsatz ist die Umkehrung
von L. 19 und leidet deshalb an demselben Mangel.
30. L. 21. B. Hier behandelt Sp. die Gefahle in
dem geliebten Gegenstands, welche das Wesen der Liebe
bilden, wie oben (S. 91) gezeigt worden ist. Anstatt sie
aber als den Kern der Liebe und als das Ursprüngliche
zu nehmen, behandelt sie Sp. nur als das Mittel für die
eigene Lust. Diese eigene Lust ist nach Sp. zugleich
die Liebe far den Gegenstand, der als Ursache dieser
Lust erkannt ist. Deshalb liebt man nach Sp. das Leb-
lose ebenso wie das Lebendige, wenn es nur Ursache
einer Lust ist. An sich sind die in dem geliebten Ge-
genstande dabei vorhandenen Gef&hle ganz gleichgültig;
nur weil dem Liebenden wegen seiner Lust an der Fort-
dauer des geliebten Gegenstandes gelegen ist, und diese
Fortdauer durch die Fröhlichkeit des geliebten Gegen-
standes gesteigert und gesichert wird, deshalb ist auch
diese Fröhlichkeit des Geliebten den Liebenden eine
Ursache der Lust.
Man kann nicht wohl das Wesen der Liebe tiefer
heorabziehn, als es hier T<m Sp. geschieht.
a
31. L. 22. B. Dieser Lehrsatz ist die consequente
Folge ?on L. 21. Er ist insofern richtiger, wie m.
96 in. Thefl. 32-37. (E. zu L. 22«. hia^.L. 26. E.)
L. 13. E.y als hier ein Jemand, d. li. ein lebendiges
Wesen als Ursache der Fröhlichkeit gesetzt ist.
32. E. IQ L. 22. Das Wort, was Sp. im Lateinischen
vermisst, ist im Deutschen in dem Mitgefühl oder in
der Mit fr ende vorhanden. Das Wort Gunst (Faoor) ist
hier in seinem Sinne beschränkt; Sp. hätte dieses Ge-
fühl auch Dankbarkeit nennen können.
33. L. 23. B« B. Hier und in dem Folgenden geräth
Sp. in eine schwerfällige und pedantische Methode. Sätze,
welche einfache Folgerungen aus vorgehenden Lehrsätze
sind und deshalb höchstens in einen Zusatz gehört hatten,
werden in die wichtige Form von neuen Lehrsätzen ge-
kleidet und mit umständlichen Beweisen ausgestattet.
Beinahe scheint es, als hätte die Freude, dass hier die
geometrische Beweismethode sich so leicht ausfahren
lässt, Sp. die Geringfügigkeit des Inhaltes überseÜn lassen.
34. L. 24. B. E. Der Neid gehört nicht zum
Ha SS. Im Hass ist die Hauptsache das Gefühl in der
Person des Gehassten; sein S(5hmerz macht dem Hassen-
den Freude und umgekehrt. Im Neid tritt die Person
zurück; es wird nur ein Gegenstand begehrt, den der
Andere besitzt, und dessen Besitz deshalb als ein Hinder-
niss gilt, dass man nicht selbst den Gegenstand besitzen
und die Lust daraus geniessen kann. Die Person des
Besitzenden kann dabei ganz gleichgültig bleiben, ja, der
Neid kann sich selbst auf geliebte Personen ausdehnen;
Geschwister beneiden einander, obgleich sie sich lieben;
beide Gefühle sind keine unmittelbaren Gegensätze. Sp.
kann diese Unterschiede nicht aufnehmen, weil seine De-
finition des Hasses falsch und zu weit ist.
35. L« 25. B. Dieser L. ist nur eine Folge von
m. L. 12 und 13.
36. L. 26. B« Dieses gilt auch for diesen L. und
wird deshalb auf das zu No. 33 Bemerkte Bezug genommen.
37. E. SSO L. 26. Die Definition des Stolzes ist
nicht richtig. Es giebtauch einen berechtigten Stolz,
m. Theit 38. (L. 27 B. E.) 97
der sich nicht auf eingebildete, sondern auf wahre Vor-
züge stützt; das, was Sp. Stolz nennt, wird gewöhnlich
Eitelkeit genannt; nur der Eitle, nicht der Stolze
stützt sich anf eingebildete Vorzüge. .Die Begriffe der
Feberschätzung (Existimatio) und der Verachtung
(Despectua) gehören weit mehr zu den sittlichen Ge-
fühlen {E. 7) als zu denen der Lust. Sp. konnte, dies
nicht bemerken, da ihm der Begriff dieser sittlichen Ge-
fühle fehlt.
38. L. 27 B. B. Hier sucht Sp. die allgemeine
Menschenliebe aus Prinzipien zu beweisen. Dieser Be-
weis ist dunkel und schwach; denn aus der Aehnlichkeit
des Gegenstandes folgt nicht die Aehnlichkeit der Er-
regung, welche der eigene Körper von diesem Gegenstande
erleidet. Auch ist der Affekt nicht diese Erregung selbst,
sondern nur' der XJebergang von weniger Macht zu
mehr Macht oder umgekehrt. Wie dieser XJebergang
sich bildlich im Körper darstellen soll, ist unfassbar.
Der Beweis Sp's. leidet deshalb an vielfachen Män-
geln. Vielmehr muss jede Philosophie offen anerkennen,
dass die allgemeine Menschenliebe nur aus der Beobach-
tung abzuleiten ist. Deshalb nennt Aristoteles den Men-
schen ein politisches Thier. Wäre der Beweis Sp*s.
richtig, so müsste er auch für die Thiere gelten; aber bei
vielen Arten von diesen, die vereinzelt leben, herrscht
Hass statt Liebe zu Ihresgleichen. Die allgemeine
Liebe gehört zu den ursprünglichen Bestimmungen der
menschlichen Natur, welche nicht bewiesen, sondern nur
aus der Erfahrung entnommen werden können. * Auf
diesem Grundzuge des Menschen ruhn alle Verbände der
Menschen und alle Gestaltungen des Verkehrs. Nicht
der Nutzen, sondern die Liebe ist der letzte Halt aller
Vereinigpingen der Menschen. Aber diese Liebe kann
allerdings durch eine grosse Zahl anderer Naturwir-
kungen geschwächt, ja, in das Gegentheil, den Hass, ver-
kehrt werden. Aber der Hass bleibt für den Menschen
immer die Ausnahme, welche ihre besondere Begründung
fordert.
Die Nacheiferung kann nicht wie das Mitgefühl
behandelt und erklärt werden. Vielmehr entspringt die-
selbe, wo sie auftritt, aus der Meinung, dass die Andern
BrUuterangfin zu Spüioza's Etliik 7
gg m. Tbeil. 3t— 42. (Z. 1. 2. 3 £. zu L. 27. l)is E. zn L. 29.)
ein Gut oder ein Nfitzliches erstreben. Daraus erst
entspringt die Nacheiferung; sie ist keine blinde Nach-
abmung, selbst nicbt bei Kindern. Deshalb tritt sie
nicht ein, wo man das Yon den Andern Erstrebte als
etwas kennt, was 'man selbst nicht mag. Man vergleiche
m. D. 33.
39. Z. 1. 2. 3 B. la L. 27. Diese Folgesätze
sind selbstverständlich. Das Wohlwpllen (BeneoolenUa)
wird von Sp. zn eng gefasst. Es ist überhaupt das aus
der Liebe hervorgehende Streben, dem Oeliebt^ Freude
zu bereiten und seinen Schmerz zu lindem, und es hat
daher seine Quelle keineswegs blos in dem Mitleiden,
d. h. in einem Schmerz des Greliebten.
40. L. 28 B. Dieser L. ist die Folge aus m.
L. 12 und 13. Das Unnatürliche in seinem ^Beweise ent-
steht nur daraus, dass Sp. keine Einwirkung der Seele
auf ihren Körper anerkennt. Deshalb kann nach ^p.
das Streben in der Seele es nur bis zu dem Vorstellen
des Erstrebten bringen. Die Verwirklichung im Kör-
per oder durch den Körper folgt nicht als Wirkung
dieses Strebens oder Wollens und der Macht der Seele
über die Glieder, sondern durch den unmittelbaren Pa-
rallelismus des Denkens und des Ausgedehnten; deshalb
ist mit der Vollendung der Vorstellung in der Seele auch
der Gegenstand körperlich da, was zu einer Art von
Zauberei der Seele führt, die wunderbarer sich gestaltet
als der Einfluss zwischen Seele und Körper nach der ge-
wöhnjichen Meinung.
41. L. 29 B, Der L. erhält erst durch die fol-
gende E. seine Deutlichkeit. Es ist das Ehrgefühl,
von der L. 29 handelt. Die Begründung dieses Ehrgefohls
im B. auf die blinde Nachahmung ist falsch. Die Lust
aus der Ehre gehört zu den ursprünglichen elementaren
Gefühlen der Seele und ruht auf einem Mehrsein, als
die Andern in irgend einer Eichtung und in dem An-
erkenntniss dieses Mehrseins durch die Andern (Aesthetik
I. S. 98).
42. B. Zu L. 29. Der L. 29 ist so unbestimmt
gefasst, dass er nicht blos auf das Ehrgefühl, sondern
m. Thefl. 43. 44. (L. 30 B. S. L. 31 B. Z. E.) 99
auch auf die aUgemeine Mensdienliebe bezogen werden
kann. Obgleich beide Gefühle sehr yerschieden Yon ein-
ander sind, stellt sie Sp. doch hier zusammen; unter
Humanität ist diese Menschenliebe zu verstehn. Lob
und Tadel werden von Sp. mangelhaft definirt; sie sind
vielmehr blosse Urtheile über das Handeln eines An-
dern, welche sich auf eine Begel oder ein Ziel stützen,
an dem die Handlung gemessen wird. So das Lob eines
Schauspielers, eines Beiters wegen seiner Fertigkeit. Hier
ist Ton eigener Freude des Lobenden keine Spar; ja, man
verlangt ausdrücklich für das lobende ürtheil Unpartei-
lichkeit, d. h. das Fembleiben eigenen Literesses und
eigener Lust.
Lob und Tadel beziehn sich ausserdem auf das sitt- ,
liehe Handeln; hier können sie sich mit Achtung oder
Verachtung gegen den Handelnden verbinden, welche
Gefühle aber keine Verwandtschaft mit der Lust haben (S. 95).
43i L« 30 B. Et Nach diesem L. ist die Lust
aus der Ehre nur die Folge des zun&chst aus blindem
Nachahmungstrieb entspringenden ehrgeizigen Handelns;
in Wahrheit ist aber diese Lust aus der Ehre und dem
Euhm das Erste und das, was den Menschen zu dem
ehrgeizigen Handeln treibt. Buhm und Ehre sind des-
halb nur im Grade unterschieden. Selbstzufriedenheit
und Beue sind Gefühle sittlicher Natur, und deshalb
sind ihre hier gegebenen Definitionen unrichtig.
44. Li 31 B. Z. B. Der L. 31 legt ebenfalls zu
viel Gewicht auf di4 blinde Nachahmung, welche bei Er-
wachsenen und Verständigen viel weniger wirksam ist,
als Sp. meint. Das Gefühl in dem Z. ist kein Ehrgeiz,
sondern Herrschsucht, eine Besonderung der Lust
aus der Macht; es hat mit der Ehre nichts zu schaffen;
Sp. vermischt sie, weil er überhaupt bei der Eintheilung
der Gefühle in Lust und Schmerz stehn bleibt und die
elementaren Arten Beider nicht näher entwickelt Das
Weitere hierüber ist in des Verfassers Aesthetik I. S. 97
dargelegt. Da die Lust aus der Macht über Andere
durch die Ohnmacht dieser Andern begründet wird, so
ist es natürlich, dass die Andern den Herrschsüchtigen
hassen, als die Ursache ihrer Ohnmacht. Hierauf be-
100 ni. TheiL 4S. 46. (L. 33 B. fi. L. 33. B.)
rnht znm Theil der Beiz der Freiheit. Diese Lust d^
Selbstbestimmiuig, diese Lust aas der Macht an sidi
und ohne Bäcksicht anf ihre Folgen, ist eines, der widi-
tigsten Gef&hle in dem Leben des Einzelnen nnd der
Völker. Es gehört zn den elementaren Lnst-€refahlen,
kann sich aber mit sittlichen Gef&hlen verbinden. Sp.
erwähnt dieses wichtige Gefühl gar nicht, obgleich s^bet
die Noth wendigkeit alles Geschehenden, welche Sp. be-
hauptet, mit diesem Geftlihle sidi vertragt. Audi Met
zeigt sich der Mangel umfassender Beobachtung bei Sp.
45i L. 32 B. B. Dieser L. behandelt einen Colli-
sionsfall von Lust und Schmerz. Es hangt von den be-
r sonderen Umständen ab, welches Gefühl das stärkere
sein und das Handeln bestimmen wird. Ist der Andere
uns gleichgültig, so wird der L. richtig sein; lieben wir
ihn aber, so ist er falsch ; einem geliebten Mädchen wird
bekanntlich auch das Werthvollste geopfert. Das Mitleid
kann allerdings durch Neid nicht getrübt werden, sondern
nur die Mitfreude, weil man einen Andern nicht um
das Schmerzliche, sondern nur um das Erfreuende beneiden
kann. Allein die Folgerung in der E. für die Allgemein-
heit des Neides ist falsch. Es hängt eben davon ab, ob
der Neid nicht durch die Mitfreude (Liebe) gehemmt
wird, wie unter Freunden, Eheleuten und in allen engeren
Kreisen des Lebens der Fall ist.
46. L. 33 B. Hier sucht Sp. das in der Liebe
liegende Verlangen nach Gegenliebe zu beweisen. Die
Frage ist von hohem Interesse und wird in den philo-
sophischen Systemen viel zu leicht und meist als selbst-
verständlich behandelt. Sp. thut dies zwar nicht; allein
sein Beweis ist ungenügend. Die Liebe treibt nach Sp^s.
Ausführung allerdings zur Erhaltung des Geliebten, ^o
auch zur Erfreuung desselben; aber woher diese f¥eude
kommt, ist nach Sp. gleichgültig, weil jede Art der
Freude schon die begehrte Wirkung enthält. Die be-
sondere Freude der Gegenliebe ist also nicht bewiesen.
Bei der Künstlichkeit des Systems ist dies nicht zu ver-
wundern. Dies Verlangen nach Gegenliebe erklärt sich
viel einfacher daraus, dass nur dadurch die in der un-
erwiderten Liebe enthaltene Abhängigkeit von dem €k-
UL TliftiL 4T-M. (L. 3i B. Ms L 37. B.) 101
liebten aufgehoben und das nattriidie Gleichgewicht
zwischen beiden Theilai hergestellt wird (AesthetikL S. 99).
47« L. 34 B« In diesem L. wird die Lost ans
der Gegenliebe mit der Lost ans der Ehre Termischt»
obgleich beide wesentlich Tenichiedene elementare Ge-
fühle sind. Die Ehre, der Böhm bemht nnr anf der
Anerkennung Unserer dnrch die Andern (Aesthetik I. 98),
wobei Yon Liebe xn diesen Anderen keine Bede ist; im
Glegentheil ist diese Anerkennmig dnrch Feinde, odw
der Ton onsem Feinden nns gezollte Bnhm, erfirenender
als der von den Frennden.
48. L. 35 B. Ji. Die^ hier gegebene Erklärung
der Eifersucht bleibt mangelhaft, weil die Grund-
begriffe bei Sp. mangelhaft sind. Die Eifersucht ist
allerdings der Schmerz aus der mangelnden Gegenliebe
und der Neid, weil ein Anderer diese Gegenliebe gewon-
nen hat. Aber sie hebt deshalb nicht die Liebe zu dem
Geliebten auf, da diese Liebe gar nicht von dessen Gegen-
liebe bedingt ist; im (zegentheil, die Eifersucht ist you
der Fortdauer der Liebe bedingt. Verwandelt sie sich,
wie Sp. meint, in Hass gegen die Geliebte, so wäre
damit vielmehr die Eifersucht gehoben. Denn der Hassende
fordert keine Gegenliebe.
49. L. 36 B. Z. B. Auch dieser Lehrsatz geräth
ins Kleinliche und verfehlt den voUen Begriff der Sehn-
sucht ^X>e«u2ernim). Man kann darunter allgemein das
Begehren nach der Verwirklichung einer vorgestellten
Ursache der Lust verstehn; gewöhnlich wird aber die
Sehnsucht auf die Liebe bezogen und ist das Verlangen
nach der Gegenwart des Geliebten. Es handelt sich also
dabei nicht, wie Sp. meint, um Nebendinge, um Neben-
umstände, sondern um die Hauptsache, um die Gegen-
wart des Geliebten selbst. Man sehnt sich nach der
Geliebten, aber nicht nach der Kleidung, in der, oder
nach dem Ort, wo man sie das erste Mal gesehen hat.
Nur zufällig und geringfügig können diese Umstände
das Gefühl mit bestimmen.
50. L. 37. B. Der L. spricht ^ine triviale Wahr-
heit aus, d. h. einen Satz, den Jeder stündlich an sich
102 m Thefl. 51. 52. (L. 38. B. L. 39. B. E.)
selbst erfährt. Dessenungeachtet ist das Unternehmen
Sp's.y diesen Satz a priori zu beweiset, schwierig.
Seine Wahrheit kann yielmehr nnr ans der Beobachtung
entnommen werden, und es zeigt sich dann, dass der
Satz sorgfältiger gefasst werden muss, als hier geschehen ist.
Wenn die Traurigkeit in einer Verminderung der Macht
zu handeln besteht, und diese Macht das Wesen des
Menschen bildet, und das Streben oder Begehren nur das
Wesen selbst ist (III. L. 7), so muss durch die Traurig-
keit auch das Begehren des Menschen geschwächt werden,
und es tritt also das Gegentheil von dem ein, was Sp.
behauptet. Man bemerkt sofort, dass es nicht logisch
ist, wenn Sp. sagt: »Die Traurigkeit widerspricht dem
»Streben, und deshalb sttebt der Mensch sie zu ent-
»fernen.« Nur weil der Satz nach der Erfahrung
richtig ist, übersieht man das Lückenhafte dieses Beweises.
Was femer die Fröhlichkeit anlangt, so weckt sie gar
kein Begehren; sie ist eben das Ziel des Begehrens, mit
dessen Erreichung es erlischt. Es kann sich yielleicht
ein Streben einfinden,, die Ursache der Fröhlichkeit sich
zu erhalten; aber dies entspringt nicht aus der Fröhlich-
keit, sondern aus der Furcht, sie zu verlieren, d. li. in
der folgenden Zeit nicht zu haben; also aus einem
Schmerze, und dieses Begehren tritt deshalb da nicht
auf, wo der Besitz für sichör gehalten oder an den Ver-
lust nicht gedacht wird.
5L Li 38 B. Dieser L. widerspricht in seiner
Allgemeinheit der Erfahrung, und der Beweis gelingt Sp.
hier nur deshalb, weil er früher den Hass falsch definirt
hat. Man hasst nicht jeden Menschen, der eine Ursache
des Schmerzes ist; oft steigt vielmehr die Liebe durch
die Kälte der Geliebten oder durch die Schmerzen, welche
sie dem Liebenden bereitet.
Auch folgt nach Sp's. Lehre ^us der Hemmung des
Begehrens noch keine Traurigkeit; diese ist vielmehr nur
eine Veränderung der Macht zu handeln, welche nach
dem B. des vorigen L. mit dem Streben sich zu erhalten
nicht identisch ist.
52. L. 39 B. B« Dieser L. antieipirt die erst
später in Theil IV. folgende Lehre v(m der GoUision der
. m. Theil. 53. 64. (L. 40 B. £. Z. 1. Z. 2 CQ L. 40.) 108
GefOMe und Begehren. Deshalb bleibt auch der Beweis
mangelhaft, obgleich der L.wahr ist. Die Collision der
Begehren nnd die Benrtheilnng ihrer Stärke erfordert eine
sehr eindringende TJntersnchnng, welche erst später folgt,
unter Gnt versteht man im gewöhnlichen Sinne die
äussere Ursache einer Fröhlichkeit, nicht diese selbst,
xmd ebenso unter TTebel die Ursache des Schmerzes,
nicht diesen selbst. Auch hier setzt sich Sp. zn leicht
über diesen wohlbegrundeten Unterschied hinweg. Wenn
das Güte nnd Ueble nach Sp. identisch ist mit Freude
und Schmerz, so sind seine hier gegebenen Definitionen
andere wie früher. Hier wird das Gute und Ueble oder
Freude und Schmerz aus dem Begehren abgeleitet; früher
wurden sie als Steigerung oder Minderung der Macht zu
handeln definirt. Dieses sind Nachlässigkeiten, die bei
Sp. am wenigsten erwartet werden. Gut und schlecht
haben hier keine Beziehung auf das Sittliche, sondern
nur auf Lust und Schmerz. Sp. kennt kein besonderes
Prinzip des Sittlichen, wie sich später zeigen wird.
53. L. 40 B. B. SS. 1. Dieser L. ist ^n dieser
Allgemeinheit nicht wahr; er berührt, wie andere in
diesem Theil III. nicht mehr einfache Gefühle und Be-
gehren, sondern CoUisionsfälle widerstrebender Gefühle
und Begehren, und solche Collisionen lassen sich nie in
dieser Weise durch Begeln entscheiden, weil Alles von der
unterschiedenen Stärke der collidirenden Gefühle abhängt.
Wo deshalb eine starke Liebe besteht, oder bei gut-
müthigen Menschen, wird der Hass keinen Gegenhass
erwecken.
Auch ist der B. nur auf die Nachahmung der Affekte
gestützt (HI. L. 27), während der Gegenhass offenbar
nicht aus einer solchen kindischen Nachahmung des Geg-
ners entspringt. Sp. erkennt dies in der E. selbst an.
54. Z. 2 B. B. 80 L. 40. Sp. glebt hier eine
sinnreiche Erklärung, weshalb die Eache sich zunächst
in Wiedervergeltung des gleichen Uebels geltend macht.
Der Begriff des Zornes (Jra) ist hier entstellt und
mit Hass identificirt; denn in diesem liegt schon das
Streben, dem Gehassten zu schaden, wie Sp. in III.
L. 26 selbst dargelegt hat. Zorn hängt aber mit dem
104 m. Thefl. S5— 57. (L. 41 B.Z. E. bis L.44 B. E.)
Hass im gewöhnlichen Sinne gar nicht zusammen; Hass
ist eine dauernde Gremüthsstimmnng; .Zorn ist eine
Torübergehende Anfwallnng, ein A^ekt im eigent-
lichen Sinne, weldier Unterschied im Gegensatze znr
kalten üeberlegnng bei Sp. unbeachtet bleibt Deshalb
gehört Zorn weit mehr zur Bache und unterscheidet
sich von dieser nur durch die Hitze des Affekts; die
Bache handelt mit Ueberlegung.
55. L. 41 B. Z. B. Das unter Ko. 54 Bemerkte
gilt auch hier; der L. 41 ist nicht unbedingt wahr; es
kommt auf die vergleichsweise Stärke der collidirenden Cre-
fühle an. Die Definition der Dankbarkeit ist zn weit
und fallt mit der Gegenliebe zusammen. Dankbarkeit ist
allerdings eine Art der Liebe; ihr Eigenthünüiches liegt
nur darin, dass sie durch eine Wohlthat erweckt ist und
mit deren Erwiderung erlischt. Auch die Definition der
Grausamkeit ist nicht richtig. Sie ist nicht davon
bedingt, dass zugleich eine Liebe statt hat, sondern ledig-
lich davon, dass aus Mangel an Mitgefühl der einem
Andern ^gefügte Schmerz über das nothwendige Mass
ausgedehnt wird. Hat der Misshandelnde dabei zugleich
Freude an diesem Schmerz des Andern, so nennt man es
Bosheit.
56. L. 42 B. Der Beweis dieses an sich un-
zweifelhaften L. leidet, wie viele dieses Theiles, an Schwer-
fälligkeit in Folge der falschen Definitionen der elemen-
taren Gefühle. Die Undankbarkeit erregt übrigens bei
dem Wohlthäter weniger Schmerz, als sittliche Em-
pörung; das Gefühl gehört also nicht zu den Lust- und
Schmerzgefühlen, sondern zu denen der Achtung (E, 7).
57. L. 43 B. L. 44 B^ ]B. Das zu No. 56 Be-
merkte gilt auch für L. 43 und 44. Der L. 44 wird
durch die Erfahrung in dieser Allgemeinheit nicht ber
stätigt, und der Beweis gelingt nur deshalb, weil Sp. den
Hass fälschlich als eine Traurigkeit behandelt, während
er ebenso oft auch eine Quelle der Lust ist, genau wie die
Liebe. Beide unterscheiden sich nicht durch Lust und
Schmerz, sondern dadurch, dass- die Gefühle bei ihnen
durch die entgegengesetzten Ursachen erweckt werden. •
in. TheiL 58-61. (L. 45 B. bis L. 48 B.) 105
Der Liebende erfreut sich über die Lust des Geliebten;
der Hassende betrübt sieb über die Lust des Gehassten.
Die Consequenzen , welche Sp. in der E. aus diesdh
L. und Beweisen zieht, sind ganz richtig, und wenn er
dabei auf Widersinnigkeiten geräth, so hatte ihn dies
vielmehr auf die Unrichtigkeit der Prämissen aufmerk-
sam machen sollen.
58. L. 45 B. Wenn der Hass, wie zu No. 57
bemerkt worden, nicht immer als Traurigkeit behandelt
werden kann, so fällt auch der auf dieser Auffassung
beruhende Beweis des L. 45.
59. L. 46 B. Der Beweis des L. 46 ruht auf III.
L. 16. Dieser L. hat aber, wie zu No. 24 gezeigt wor-
den, nur eine beschränkte Gültigkeit; deshalb gilt auch
L. 46 nicht allgemein. Insbesondere kann, wenn auch
ein solches Gefühl sich zunächst erhebt, es bei dem ver-
ständigen Menschen sehr leicht durch die Erwägung
seiner Grundlosigkeit beseitigt werden.
60. L. 47 B. B. Auch L. 47 ist in dieser All-
gemeinheit nicht richtig. Starker Hass hebt die Begel
der allgemeinen Menschenliebe völlig auf; deshalb empfin-
det der stark Hassende bei dem Schmerz oder der De-
mütbigung des Gehassten nur Freude, ohne Beimischung
von Schmerz.
Die Erinnerung und Erzählung vergangener Gefahren
oder Uebel kann allerdings bald mit Lust, bald mit
Schmerz sich verbinden, aber nicht deshalb, weil, wie Sp.
meint, in der Erinnerung an sich die Gegenwart des
Uebels vorgestellt werde, sondern weil die dabei gebotene
Vergleichung mit der Gegenwart das Urtheil über die
Lust derselben zu ihren Gunsten verrückt. Bleibt diese
Beziehung bei Seite, versinkt der Mensch mit Vergessung
der Gegenwart gänzlich in die schmerzlichen Bilder der
Vergangenheit, so wirken diese Bilder schmerzlich, aber
als Bilder, keine realen, sondern ideale Schmerzen
(Aesthetik I. 102).
«
61. L. 48 B. Dieser L. 48 erscheint ziemlich tri-
vial; Sp. hat ihn nur aufgestellt, weil er ihn zum Beweise
des L. 49 braucht.
106 m. Theü. 62—64. (L.49 B. B. L. 60 B. E. L. 51 B.)
€2. L. 49. B. B. Wenn die Menschen nach der
gewöhnlichen Meinung far frei gehalten werden, so bleibt
für das Unfreie nur das Thierreich und das Leblose.
Gegen letzteres besteht nach der Erfahrung weder Liebe
noch Httös; und wenn die Definitionen Sp's. dennoch
dahin fahren, so hatte dies Sp. vielmehr gegen die Bich-
tigkeit seiner Definitionen bedenklich machen sollen.
Auf Thiere dehnen sich die Affekte nur dann aus, wenn
man sie wie menschliche Wesen behandelt. EB^raus
erhellt, dass die allgemeine Menschenliebe nicht in der
Weise, wie es in der E. geschieht, begründet werden kann.
63. La 50 B. B. Der Lehrsatz 50 und sein Be-
weis bedürfen keiner Erläuterung. Wichtiger ist der
Satz in der E., dass man das Gehoffte leicht glaubt und
das Gefürchtete schwer glaubt. Dieser Satz hat die Er-
fahrung für sich; aber der Beweis, den Sp. hier daför
bietet, ist ungenügend. L. 25, auf den sich Sp. beruft,
spricht nur von dem Begehren nach dem Gehassten;
aber Glauben ist etwas anderes wie Begehren. Nach
realistischer Auffassung gehM das Begehren zu den
seienden Zustanden der Seele, das Glauben zu den
Wissensarten (£J. 60). Im Glauben ist die Gewiss-
heit (£J. 59) enthalten; diese hat ihre bestimmten Ur-
sachen, und zu diesen gehören auch die Gefühle der Lust,
und deshalb allein steigert die Lust aus der Hoffiiung
den Glauben an ihre Erfüllung über das natürliche oder
gegenständliche Mas.
64. Li 51 B. Durch diesen L. 51 wird die Gre-
setzlichkeit in den Affekten, welche Sp. bis jetzt fest-
gehalten und in ihrer Besonderung dargelegt hat, .wieder
völlig yemichtet oder wenigstens zu einer für den
Menschen unerkennbaren gemacht. Der Beweis bleibt
dabei mangelhaft, da der Unterschied in den menschlichen
Körpern der Einzelnen nicht bewiese9, sondern nur Yor-
ausgesetzt ist. Sp. versäumt, diese Unterschiede der
Personen selbst weiter zu verfolgen und auf Gesetze zu-
rückzuführen. Es ist richtig, dass die äussere Ursache
nicht allein das Gefühl als Wirkung* bedingt, sondern
dass noch eine zweite in der Person des Fohlenden
enthaltene Ursache dabei mitwirkt, ila ist dies mit einem
m. TheiL 65. 66. (R ro L. 51« L. 52 B.) J07
allgemeinen Namen die Empfänglichkeit (Aesthetikl.
105). Allein diese nnterliegt ebenso festen Gesetzen wie jme
äussern Ursachen, nnd es ist mOgUch, diese Gesetze zn
ermitteln nnd anf diese Weise dwch die Verbindung
beider wirkenden Ursachen jene anscheinende ZnföUig«
keit der Gefdhle zn beseitigen. Ein Anfang dazu ist
von dem Verfasser in seiner Aesthetik I.' 105 gemacht wor-
den. Sp. hat dies r^Wig yerabsänmt nnd damit die
praktische Branchbarkeit der in diesem Theile anfgestellten
Gesetze selbst gehindert. Anch hier zeigen sich die
Mängel einer Methode, welche tbet dem Denken nnd
Beweisen die Beobaditnng verabsäumt.
65. B. m L. 51« Sp. geht zn weit, wenn er be-
hauptet, das Urtheil über die Neignngen, Temperamente
und Charaktere der Menschen stütze sich lediglich auf die
individuelle GefQhlsweise des Urtheilenden. Es mag
dieser Moment sich ofl in das Urtheil mitbestimmend
einmischen; allein bei verständigen Personen tritt es
zurück gegen das allgemeine Mass, was sich aus dem
Durchschnitt Aller und aus der allgemeinen Sitte ergiebt.
Deshalb kann ein Historiker über die Tapferkeit eines
Soldaten ganz richtig urtheilen, wenngleich er selbst zu
den furchtsamen Personen gehört Sp. leidet an einer
den Philosophen oft anhängenden Verachtung dessen,
was man öffentliche Meinung oder die Stimme des Volkes
nennt. Indem die einsame Speculation den Philosophen
weit abfahrt von dem Vorstellen des gewöhnlichen Lebens,
vergisst er leicht, dass er selbst auf grösseren Abwegen
sich befindet als jenes, und dass die allgemeine Stimme,
als das Ergebniss der Beobachtungen von Jahrtausenden,
mehr Beachtung verdient, als der Philosoph in seiner
Ueberhebung ihr zugestehn mag. Die Definitionen der
Bene und der Selbstzufriedenheit sind fehlerhaft;,
da sie zu den sittlichen Gefahlen gehören, welche mit
Lust und Schmerz nichts zu thun haben.
66« L. 52 B. Sp. kommt in diesem L. und seiner
Erläuterung zu einer Frage von hoher Wichtigkeit.
Obgleich Sp. nach dem Bisherigen keine andern Affekte
kennt als die der Freude und des Schmerzes, so führte
ihn die Beobachtung doch auch zu Zuständen, welche
108 nis Theü. 67. (E. lu L. 52.)
zwar auch zu den Gefahlen gehören, aber doch weder
Lust noch Sdimerz enthalten. Es sind dies jene Ge-
fühle, die man im Mangel eines bessern Wortes mit dem
Namen der Achtnngs- Gefahle bezeichnen kann (E. 7),
and zu denen auch die sittlichen und religiösen
Gefühle gehören. Es ist ein Verdienst Kant's, diesen
Gegensatz der sittlichen Motiye gegenüber denen der
Lust wieder zur vollen Erkenntniss gebracht zu haben.
Ein Jeder macht schon an sich selbst die Er&hmng,
dass sein Handeln nicht ununterbrochen durch die Motiye
des Nutzens und der Lust bestimmt wird, sondern dass
Fälle eintreten,, wo sein Entschluss und sein Handeln
durch die Achtung Yor dem sittlichen Gebot bestimmt
wird, und dass dies selbst da mitunter geschieht, wo
die Motive der Lust auf das Stärkste dagegen sind.
Diese eigenthümliche Natur der sittlichen Gefühle hat
Sp. in ihrer Beinheit und Allgemeinheit nicht erkumi;
er sucht überall diese sittlichen Motive aus denen der
Lust und des Nutzens abzuleiten und darin aufzulösen.
Dies geschieht nun auch hier, und darin liegt der Mangel
dieser Sätze und Beweise. Sp. hat in dem Zustand der
Bewunderung richtig das elementare Gefühl der
Achtung erkannt ; er giebtauch eine Ableitung dieses Ge-
fOhls, die der Wahrheit "nahe kommt; allein durch die
Mängel seiner Grundbegriffe ist er genöthigt, auch diese
Achtungsgefühle auf Gefühle der Lust and des Schmerzes
zurückzuföhren and deshalb grösstentheils falsch zu de-
finiren.
Der L. 52 behandelt an sich nur die Aufmerksam-
keit. Diese ist kein Gefühl, sondern eine Wissensart
(E. 58), und Sp. bemerkt richtig, dass die Stärke der
Yorstellung steigt, wenn die Zahl der daneben gegen-
wärtigen Vorstellungen in der Seele abnimmt, oder wenn
der Gegenstand ein neuer ist. Was Sp. als Beweis
dieser Sätze bietet, ist kein Beweis, sondern nur die Auf-
nahme dieser Sätze aus der Erfahrung. Man vergleiche
III. D. 4. unten.
67. B. SSn L« 52. in dieser E. springt nun aber
Sp. von der Wissensart oder von der Aufmerksamkeit
zu etwas ganz Anderem über. Die Zustände der Bewun-
derung sind kein Wissen, keine Aufmerksamkeit, sondern
m. Theil. 68—70. (L. 53 %: Z. bis L. 5ö B. Z. 1. 2 E.) 109
Gefühle, mit denen sich nur folgeweise die aufmerk-
same Betrachtung des Bewunderten verbinden kann. In
der Bewunderung liegt die Lähmung des Ichs, wäh-
rend in den Lustgefühlen die Stärkung des Ichs ent-
halten ist; dabei kann sich die Aufmerksamkeit und das
Neue mit Beiden verbinden. Das Nähere kann hier nicht
dargelegt werden; es wird in dieser Beziehung auf des
Verfassers Aesthetik I. 111 verwiesen. Dort ist auch
ausgeffthrt, dass die Ehrfurcht ihre Grundlage nur in
der Erhabenheit, d.h. in der unermesslich grossen Kraft
eines gegenüberstehenden Wesens hat. Die sämmtlichen
Definitionen, die Sp. hier von einzelnen Gefühlen giebt,
leiden daran, dass er das in ihnen enthaltene sittliche
Gefühl in seiner eigentlichen Natur verkennt und. auf
Lust- oder Schmerzgeffthle zurückzufahren sucht. Ins-
besondere mangelhaft ist die Definition der Verachtung.
Sie ruht nicht auf einem Fehlenden, sondern auf
einem Wirklichen, Positiven, womit sich der schwache
Mensch der erhabenen Macht der Autoritäten entgegen-
stellt und seinen Willen festhält (Aesthetik I. 117).
68. L. 53 B« Z. Dieser L. ist erfahrungsmässig
wahr; Sp. behandelt hier die Lust aus der Macht und
die Lust aus dem Leben oder Dasein an sich (Aesthe-
tik 1. 101) ; allein der Beweis, den Sp. giebt, ist ungenügend.
Denn nach HL L. 11 ist Freude nur der üebergang
zu grösserer Macht; ändert sich die Macht zu handeln
nicht, so kann keine Freude entstehn, und folglich kann
auch die Betrachtung dieser Macht keine Freude ent-
halten, wie hier behauptet wird.
69. L. 64 B, Dieser L. 54 ist nur die Wieder-
holung früherer Lehrsätze, insbesondere des L. 12 und
L. 26 III.; L. 54 dient nur zur Vorbereitung von L. 55.
70. L. 55 B. Z. 1. 2. B, Der Beweis des L. 55
leidet an demselben Mangel, der bei L. 53 gerügt wor-
den ist. Die blosse Ohnmacht ist noch kein Schmerz;
diese liegt nur in dem üebergang aus einer grossem zu
einer geringem Macht. Nicht die Ohnmacht oder
Schwäche als ein sich gleich bleibender Zustand, sondern
die Verminderung der Macht ist nach Sp. die Traurig-
110 HL Thd), 71. (L, 66 B. E.)
keit. Die Znstande dw Niedergeschlagenheit und
Selbstzufriedenheit sind weit mehr sittlicher
Nätar. Die in der E. zu Z. 1 besprochenen Grefüiile
rnhn aaf der Lust aus der Macht und ans der Ehre.
Indem die Ehre anf einem Vorzüge ^or den Andern
beruht, folgt daraus leicht der Neid und die Selbstüber-
schätzung. Dessenungeachtet kann man nicht mit Sp.
sagen, dass die Mensche von Natur zum Hass und Neid
geneigt sind; das gilt nur, so weit sie von EhrgeiK er-
füllt vorgestellt werden; allein neben dem Geähl für
Ehre besteht noch eine grosse Zahl anderer Gefühle in
dem Menschen, welche jenem die Wage halten , so dass
jener Schluss unrichtig ist.
Wenn die Mensdien die Andern nicht um ihre Tu-
gend beneiden, so liegt dies nicht in dem von Sp. an-
geführten Grunde, senden in der Natur der Tugend
selbst. Sie ist ein sittlicher Zustand und insofern
dem Neid entgegengesetzt; und es wäre deshalb ein
Widerspruch, wenn man ans einem Laster nach der
Tugend verlangte. Der Neid kann sich wohl auf die
aus der Tugend hervorgehenden Vortheile richten, wie
Ehre, Vermögen, aber nicht auf die Tagend an sich.
7L L. 56 B. E« In L. 51 ist gesagt, dass die
Affekte nach der Eigenthümlichkeit des Menschen ver-
schieden sind. Hier folgt das Zweite, dass die Affekte
auch nach der Eigenthümlichkeit der sie erweckenden
Gegenstände sich unterscheiden. Der B. des Sp. dafür
ist in seinem Sinne richtig; er ruht auf seinen selbst
gemachten Definitionen. Nach der. Beobachtung ist der
L. 56 jedenfalls in dem Umfange, wie er gestellt ist,
nicht wahr. So wie schon in der körperlichen Welt ein
bestimmtes Ergebniss, z. B. das Gleichgewicht einer
Wage, ebenso gut durch ein Gewicht von Eisen wie von
Blei erreicht werden kann und von dem Unterschied des
Metalls nicht berührt wird, sö' kann auch ein Gefühl för
die Unterschiede verschiedener es erweckender Gegen-
stände unempfindlich sein, Nach dem wahren Begriff
hat die Folge (Wirkung) mit der Ursache nichts gemein;
mithin auch das Gefühl nichts mit seiner Ursache. Nur
die Beobachtung kann hier belehren, und diese bestätigt
den L. 56 bei den Gefühlen nur bis zu einem gewissen
in: TheiL 7». 78. (L. 67 B. E. L. 58 B, L. 59 B. E.) 1 H
Grade. Für das Begehren ist dagegen der L. 56
geradesu falsch, weil dies an sich nur Unterschiede der
Stärke und der Dauer kmnt, aber keine weitere Beson-
demng. Das Begehren nach einer Elasdie W^ ist,
abg'esehen von der Stärke und Dauer, genau dasselbe, wie
das Begehren nach einmn Orden und das Begehren, einem
Armen zu helfen. Der Unterschied in den begehrten
Gegrenständen wirkt keinen Unterschied in d^n Begeh*
ren selbst.
72« Li 57 B* B. Dieser Lehrsatz 57 ist nur eine
Verallgemeinerung Ton L. 51; er hätte deshalb Tor
diesen gehört. Sp. kann den Beweis nur dadurch führen,
dasd er hier nicht blos das Begehren mit dem Wesen
eines Dinges identificirt, sondern auch die Traurigkeit
und Fröhlichkeit mit dem Begehren für ein und dasselbe
erklärt. Diese Methode, welche Sp. so häufig anwendet,
ist verwerflich; es ham sein, dass das Eine mit dem
Andern untrennbar verbunden ist, dass das Eine die
Ursache des Andern ist; allein daraus folgt noch keine
Identität Beider, welche, wenn sie wirklich vorhanden
wäre, alle Unterscheidung Beider unmöglich machen würde.
Ebenso hebt der Unterschied in der Besonderung nicht
das Dasein emes Gemeinsamen auf; so kann in der Lust
des Pferdes und des Mensche, wie in der Lust des Be-
trunkenen und des Philosophen sehr wohl neben dem
Besondem auch ein gemeinsamer oder gleicher oder all«
gemeiner Bestandtheil enthalte sein; ja, er muss darin
enthalten sein, weil sonst diese Zusti^de nicht sämmtlich
als Lust gelten könnten. Dergleichen Betrachtungen, wie
sie Sp. hier -bietet, haben deshalb keinen Wefth, weder
fnr das Erkennen noch für das Handeln.
73. L. 58 B. L. 59 B. B, Der L.^58 folgt
nnzweifelhafti aus den Definitionen des Sp. Wenn die
Macht zu handeln die Freude ist, so muss natürlich
diese Freude in einem Zustande reinen Handelns auch
enthalten sein.
Nur das eine . Bedenken bleibt, dass nach IIL L. 11
die Freude nicht in der Macht an sich, wie hier behauptet
wird, sondern nur in ihrer Vermehrung enthalten ist,
wie Sp. auch später ni. D. 2. und 3 ausdrücklich an-
112 in. Theil. 74, (E. zn L. 58.)
erkennt. Dieser Mangel des Beweises ist schon froher
gerügt. Deshalb bleibt auch der B. von L. d9 nngenägend.
Auch die Verminderung der Macht zu handeln oder
zn denken lässt noch eine solche Macht zn handeln an
sich bestehen; sie vermindert sie blos; die Seele bleibt
also auch in und während dieser Yermindermig noch
handelnd oder denkend, vM demnach wäre die lYanrig-
keit überhaupt und selbstf als leidender Zustand unmög-
lich. Verträgt sich ab^die Traurigkeit mit dem Han-
deln, so kann wieder L. 59 nicht bestehn.
Wenn nach realistischer Auffassung das Handeln der
Seele oder ihr Erkennen f&r sie nur eine Lust und kein
Schmerz ist, so liegt dies darin, dass diese Erkenntniss
ein neues Wissen oder eine Bethätigung der Macht ent-
hält, mithin die Lust aus dem Wissen und aus der Macht
gewährt (Aesthetik I. 97). Es ist diese Lust aber keine
Eigenthumlichkeit des Erkennens. Dieselbe Lust ist in
der Neugierde und in rielen Spielen der Kinder enthalten.
In der E. behandelt Sp. <Qe Tugenden, welche nach
seiner Ansicht aus der Thätigkeit der Seele entstehen;
wo mithin die Seele handelt oder, was dasselbe bei Sp.
sagt, wo die Vernunft sie leitet. Dies ist ein neues
Prinzip, was Sp. hier nur beiläufig erwähnt; erst im IV.
und V. Theile wird es entwickelt. Sp. fährt durch dieses
Prinzip des Handelns, welches als solches schon die
Tugend sein soll, einen Gegensatz gegen das Prinzip der
Selbsterhaltung und des Nutzens ein, was er bisher aUein
behandelt hat. Diesen Gegensatz beseitigt Sp. audi
später nicht vollständig; es kann hier vorläufig nur an-
gedeutet werden, dass das vernünftige Handeln nach
Sp. mit dem auf die Lust und den Nutzen gerichteten
Handeln in dem Inhalte zusammenfallt.
74. B. n L. 58. In dieser E. kommt Sp. auf
die oben (S. 107) erwähnte Empfänglichkeit als der
zweiten Bedingung neben* der äussern Ursache für die
Entstehung der Gefühle. Er bleibt aber bei einem ver-
einzelten Falle stehen, ohne in die Tiefe und Bedeutung
dieser Bedingung irgend näher einzugehen, obgleich kerne
Ethik ohnedem begründet werden kann (Aesthetik I. 105.).
Auch hier zeigt sich Sp's. Eigenthumlichkeit; als Sohn
der scholastischen Philosophie vertraut er nur dem
IILThea 75—78. (DefaaL d. Affekte, bk D. 6. ErVL) 113
Denken; die Bedeutung' des Wahrnehmens wird noch
völlig yerkannt, obgleidi es doch bei jedem Schritt lu
Htlfe geholt werden mnss.
75. DelliiitloBen der ASekte. Sp. veriässt hier
seine streng geometrische Methode nnd wiederholt in
freierer Weise noch einmal den Inhalt des dritten
Theiles. An sich zeigt dies einen Mangel in der yoi^ehen-
den DarsteUong an. Die Oeemetrie kennt solches Ver-
fahren nicht. Znm grössten Theil giebt Sp. hier eine
Wiederholung des Frühem, nur in anderer Ordnung.
Es wird deshalb nnr da eine Eri&nterang folgen, wo
etwas Neues auftritt, im üebrigen wird auf das früher
bei den eiuzelnen Lehrsätzen Gesagte Bezug genommen.
76. D. 2 OBd 3, Brkl. Es ist bereits o-ben
bemerkt, dass Sp. die hier streng formulirte Definition
der Erdhlichkeit und Traurigkeit nicht immer genau
innegehalten hat. In HI. L. 59. 53. wird auch die
Macht an sich und die Yorstellung derselben als Fröh-
lichkeit behandelt. Sp. war zu der in diesen D. 2. und 3
enthaltenen Beschränkung vorzüglich deshalb genothigt,
weil die Affekte von Gott abgehalten werden mussten,
dessen Macht unendlich ist, und dessen Fröhlichkeit oder
Affekt deshalb auch unendlich sein müsste, wenn die
Macht allein diesen Affekt bewirkte. (Man vergleiche Y.
L. 32. 35. 36.) .
77. D. 4, BrkL Hier behandelt Sp. den Zustand
der Bewunderung als blosse Wissensart, d. h. als
Aufinerksamkeit; wie dies oben zu L. 52 dargelegt wor-
den ist. Sp. sträubt sich in Folge dessen, die Bewun-
derung als Affekt gelten zu lassen. Wäre sie nur
Wissensart, so hätte Spinoza Recht; allein sie ist viel-
mehr ein Gefühl, zu dem auch die sittlichen Gefühle
gehören.
78. D. 6. Erkl. Sp. bekämpft mit Recht die
Definition der Liebe, wonach sie nur in dem Streben,
sich mit dem geliebten Gegenstande zu vereinigen, bestehn
soll. Sp. macht mit Recht geltend, dass die Liebe zu-
nächst Gefühl ist und das Begehren erst Folge. Diese
Erläaterangen za Spinoza*8 Ethik. 8
114 nLTheü. 79-82. (I).12.13.D,17.D.24. D.27 Erkl.)
Folge verlangt überdem nickt immer die Yereinigimg od«:
Nähe; offc ffifart aucli die Liebe zur Trennung , wenn
das Glück des Geliebten sie erfordert Au^ bleibt der Be-
griff der Vereinigung dabei völlig unbestimmt; es giebt
gar viele Arten der Einheit, die freilich Sp. nicht unter-
sucht hat {E, 63).
79. D. 12. 13. Unter Zweifel über den Ausgang
einer vergangenen Sache ist zu verstehn, dass die
Nachricht über diesen Ausgang noch fehlt und mit
Hoffnung oder Furcht erwartet wird. Dies gilt auch for
diese Ausdrücke in-D. 14 bis D. 17.
80. D. 17. Den Gegensatz der Freude bilden nidit
die Gewissensbisse, sondern der Aerger; jene ge-
hören zu den sittlichen Gefühlen. •
81. Dl 24. Hier giebt Sp. unter Barmherzig-
keit die richtige Definition der Liebe überhaupt; die
Barmherzigkeit ist aber nur eine Unterart der Liebe,
sofern sie auf die Abhülfe des vorhandenen Elendes abzielt.
82. D. 27. Erkl. Die Beue gilt in den Systemen
als ein Hauptbeweismittel für die Wahlfreiheit des Men-
schen, welche Sp. nicht anerkennt. Sp. macht sich die
Beseitigung dieses Beweismittels sehr leicht, indem er den
Schmerz der Beue nicht leugnet, auch nicht die Meinung
der Freiheit in dem Beuigen, aber diese Meinung für
einen L-rthum erklärt. Das Auffallende bleibt nur, dass
dieser Irrthum trotz all^ Belehrung nicht verschwindet,
und dass selbst, nachdem die Philosophen auf die Motiye
des Handelns so deutlich und wiederholt aufinerksam ge-
macht haben, dennoch die Unkenntniss dieser Motive be-
stehn bleiben sollte. Dies deutet auf Umstände, die sich
nicht so leicht beseitigen lassen, wie Sp. hier meint, die
vielmehr eine tiefere Untersuchung fordern. Das Nähere
kann hier nicht gegeben werden und ist anderwärts dar-
gelegt (Aesthetik I. 121).
In der Erkl. führt Sp. die sittlichen Begriffe auf
die Erziehung zurück. Es ist damit ein Theil, aber
lange nicht die volle Wahrheit getroffen. Man könnte
zunächst fragen: Woher sind diese Begriffe den Eltern
ÜLTheiL 83--86. (D. 31 ErkL bis Schloss d. 3. TL) 115
gekommen? Will man nicht in die unendliche Beihe sich
verwickeln , so muss nuuL also nach andern Grundlagen
des SitUichen sich umsehen (Aesthetik I. 112).
83. D. 3L Erkl. Die Scham gehört weit mehr
zu den sittlichen Gefühlen, als zu denen der Lust. Sp.
stützt sie nur auf das Gefühl der Ehre; sie hat da eine
Stelle; allein sie. halt auch yon unsittlichen Handlungen
zurück, hei denen die Ehre und der Buhm nicht in Frage
kommen.
84. O. 38. Hier wiederholt Sp. nicht nur die
falsche Definition der Grausamkeit aus E. L. 41. III.,
sondern steigert dies Ealsehe dadurch, dass die Liebe
zu den grausam Behandelten nicht dem Grausamen selbst
innezuwohnen braucht, sondern nur den Zuschauem.
85. AUgemeiie Deflnltton der Affekte. Man
wird diese Definition weniger treffend finden als die
frühere. Dies kommt daher, dass Sp. zwei durchaus
verschiedene Elementar-Zustande der Seele, das Gefühl
und das Begehren, unter das eine Wort: Affekt
zusammenfasst ; damit wird es unmöglich, von dem Affekt .
eine verstandliehe und entsprechende Definition zu geben.
Die sonstigen Schwierigkeiten in dieser Definition ent-
springen daraus, dass Sp. keinen Einfluss zwischen Seele
und Körper zulässt. Dadurch ist er zu jenem zauber-
haften Parallelismus beider genöthigt, der viel räthsel-
haftier ist als jener Einfluss. Dabei soll die Seele nach
Sp. doch nur das wissende oder vorstellende Duplikat
ihres Körpers sein, womit natürlich die seienden Zu-
stande der Seele als solche aufgehoben sind und zu einem
blossen Vorstellen herabgesetzt werden. Jede Selbst-
beobachtung widerspricht dem; die Lust und der Schmerz,
sowie das Begehren werden in dieser sehr bestimmt von
dem Wissen dieser Zustände unterschieden.
86. ScUass des dritten Tbeiles. wie am
Eing£uige dieses Theiles lU angedeutet worden, enthält
dieser Theil nur eine Philosophie der Gefühle und
Begehren der Seele, ohne alle Einmischung sittlicher und
religiöser Prinzipien. Diese Affekte nimmt Sp. hier nur
8*
116 nr. TheU. M. (Schlosfl des dritten Tkeiles.)
als uatürliche Vorgange, deren Wesen und Gesetae er zn
erforschen sucht, gleichviel, ob es sidi dabei tun Gutes
oder Böses, um Frommes oder Gottloses handelt. Eine
solche freie Betrachtung der Seelenzustände ist von hoher
Bedeutung für die Wissensehaft; erst damit erhielt spater
die Beobachtung Baum, von welcher Sp. freilicli nur erst
einen düiftigen Gebrauch gemacht hat. Indem Sp. dies
versäumte und dem Denken zu sehr vertraute, erklart es
sich, dass er dies Gebiet nicht erschöpft bal Wenn der
Leser die von dem Verfasser an einer andern Stelle
(Aesthetikl. 93—148) gegebene Darstellung dieser Zustande
mit dem Inhalte dieses ni. Thoiles der Ethik vergleicht,
so wird dies deutlicher werden.
Als die wichtigsten Mängel in Sp's. Darstellang
lassen sich geltend machen, 1) dass Sp. nur Gefühle der
Dust und des Schmerzes k^ntp die zweite grosse
Klasse der Gefühle, die der Achtung sind ihm völlig
unbekannt; er sucht sie, wo er sie iTÜft, in jene umzu-
wandeln. 2) Selbst innerhalb der Lust -Gefühle bleiben
wichtige Arten unerörtert; insbesondere die Lust aus dem
Bilde der Lust, oder deutlicher, die idealen Gefühle
aus dem Schönen. Aiidere Arten wefden nur ober-
flächlich behandelt; so die Lust aus dem Wissen, die
Lust aus der 'Macht, die Lust aus dem Leben. 3) Die
zweite Bedingung, welche neben der äussern Ursache auf
die Entstehung der Gefühle einwirkt, die Empfänglich-
keit des Fühlenden, wird nur in zwei vereinzelten Fällen
berührt, aber der reiche Inhalt dieser wichtigen Zustände
nirgends entwickelt (Aesthetik I. 105). 4) Nebeih diesen
Mängeln des Inhaltes bestehn ebenso grosse Mängel in
der Darstellung. Sp. hält noch hier an der Meinung fest,
Alles beweisen und mittelst der logischen Folgerung
ein Neues erreichen zu können; während das Neue doch
nur aus der Beobachtung ratnommen werden kann und
auch von Sp. nur entnommen wird. Dadurch wird die
Darstellung schwerfallig, und doch blmben die Beweise
ungenügend. 6) Indem Sp. dabei an seinen obersten
Grundsätzen festhält, dass die Attribute keinen Einfluss
auf einander haben, dass die Seele nur ein Wissen und
eine Vorstellung ihres Körpers ist, dass das Wahrnehmen
nie den fremden Körper erreicht und immer ein ver-
worrenes Wissen liefert, dass die Wahrheit nur in der
IV. Theü. J. (Vorrede.) 117
logischen EonsequoBz besteht; ist er genöthigt, die aus
der Erfahrung entlehnten Thatsachen zu verdrehen and
zu entst^en, um sie mit diesen Prinzipien in üeber-
einstimmung zu bringen. 6) Daher auch seine Neigung,
Alles zu identifiziren und die Unterschiede auszulöschen,
wo er dessen zur Führung seiner Beweise bedarf. Es ist
merkwürdig, dass sich diese Mängel beinahe sämmtlich
auch in dem Systeme HegeTs wiederfinden. Dies zeigt,
wie sehr Sp. auf Hegel eingewirkt hat.
Vierter Theil
Von der menschlichen Knechtschaft oder
von den Kräften der Affekte.
1. VorredO. in diesem vierten Theile der Ethik
tritt Sp. seiner eigenüichen Aufgabe näher; er wendet
sich zu den Prinzipien des menschlichen Handelns und
setzt dies im fünften Theile f(»rt. Die obersten Begriffe
hierbei sind für Sp. die Freiheit und die Unfreiheit.
Beide U&ngen mit Sp.'s Begriff des Handelns zusammen.
Wir sind nach Sp. frei und handeln, wenn wir die
alleinige und ausschliessliche Ursache einer Veränderung
sind, wenn diese Folge sich aus unserem Wesen allein
vollständig ableitet; wir sind unfrei und leiden, wenn
wir nur die partielle Ursache solcher Veränderungen
sind. Da die Seele nach Sp. nur ein Denken ist und
ihre seienden Zustände bei Sp. sich in ein Wissen auf-
losen, so ist alle Bewegung, aller Wechsel in der Seele
nur ein Wechsel im Wissen, und die Seele ist deshalb
nur dann handelnd und frei, wenn sie das Wesen der
Dinge kennt und die Kenntniss des Endlichen und Ein-
zelnen sich nur als logische Folgerung aus ihrem Wesen
ableitet; dann erkennt die Seele. Dagegen ist das auf
118 IV. Theil. 1. (Vorrede.)
Wahrnehmting oder Eriimerrmg ruhende Wissen der ein-
zelnen Dinge oder das bildliche Vorstellen (inuzginjafio)
nnr ein verworrenes Wissen, bei dem die Seele nar
partiell als wirkend anftritt, nnd deshalb fallt dieses
Wissen in die Unfreiheit nnd das Leiden der Seele. Aehs-
liches findet anch fftr den Körper statt, der überall pa-
rallel mit der Seele sich yer&ndert, leidet nnd handelt
So weit mithin die Affekte ihre Ursache zum Theil
in fremden G^egenständen haben, ist der Körper nnd die
Seele bei denselben leidend nnd in Knechtschaft. Die
Freiheit kann zunächst nnr von der Seele kommen, wenn
sier sich zn dem Erkennen des Wesens der Dinge nnd
Grottes erhebt; dann wird sie frei, nnd diese Freiheit fuhi1
anch znr Freiheit ihres Körpers nnd zur Bezähmnng der
Affekte. Das sittliche Prinzip Sp.'s liegt also in der
Erkenntnis s. Sie ist das Ziel, wonach der Mensch
ausschliesslich zn streben hat. Sie führt znr Einheit mit
Gott, welcher in seinen Attributen das Wesen der Dinge
enthält nnd damit identisch ist. Deshalb tritt die Seele
selbst durch diese Erkenntniss des Wesens in Gott ein:
sie ist insofern unsterblich; das Vergängliche in ihr ist
nur das bildliche Vorstellen und die Erinnerung. Um-
gekehrt ist Gott selbst in dem Erkennen der Seelen gegen-
wärtig, und die Liebe Gottes zu den Menschen und der
Menschen zu Gott ist nach Sp. ein und dasselbe.
Die Bedenken und Schwierigkeiten, welche diesen An-
sichten Sp.'s entgegenstehen, werden später erörtert wer-
den. Hier kam es nur darauf an, das Prinzip im All-
gemeinen klar zu legen und damit das Verständniss des
Folgenden zu erleichtem.
In diesem Prinzip der Erkenntniss verliert sich der
bisherige egoistische, auf den Nutzen und die Selbste
erhaltung gegründete Charakter des Systems; das Er-
kennen scheint die Lust als Motiv von sich ganz abge-
than zu haben; indess wird sich zeigen, dass bei der
Entfaltung dieses Prinzips und bei dem bestimmten Handeln
diese egoistische Seite wieder heraustritt, und dass selbst
die Sorge far die Nebenmenschen und die Gestaltung des
Allgemeinen und des Staates bei Sp. nur auf die Selbst-
erhaltung des eigenen Ichs gegründet wird. Sp. beseitigt
diesen Gegensatz damit, dass das aus dem Wesen eines
Gegenstandes abfliessende Vorstellen -allemal ein Erkennen
IV. Theü. 1. (Vorrede.) 1 19
ist, weil es von keiner fremden Ursache bestimmt wird,
und dass ebenso das ans diesem Wesen abfliessende Be-
gehren allemal anf die Selbsterhaltung und die Fröhlich-
keit gerichtet ist (IV. L. 23. 24).
Sp. behandelt in dieser Vorrede den Begriff des Guten
und der Vollkommenheit mit ihren Gegensätzen. Er
lehrt hier selbst, dass die Vollkommenheit nur ein
Beziehungsbegriff ist, welcher von dem Zwecke abhängt.
Deshalb ist ein und dieselbe Sache vollkommen und auch
unvollkommen, je nach dem Ziele, an dem die Vollkommen-
heit gemessen wird. Sp. behandelt das Gute als den-
selben Beziehungsbegriff, der mithin für sich keinen Inhalt
hat. Dies ist ein Mangel. Insofern Sp. unter Gut
auch das Sittliche versteht, hat dieses an den Geboten
der Autoritäten (Gott, Fürst, Volk, Vat^r) seinen festen,
gegebenen Inhalt und ist kein blosser, inhaltloser Be-
ziehungsbegriff. Was nun die Vollkommenheit anlangt,
so bleibt Sp. seinem zuerst von ihr gegebenen Begriffe
schon in dieser Vorrede nicht treu, indem er später die
Yollkommenheit mit üealität gleichstellt. Sp. selbst
erklärt hier die Be'älität für das Seiende, also für den
geraden Gegensatz der blossen Beziehungen des Denkens.
Später identifizirt Sp. die Vollkommenheit sogar mit der
Macht und dem Wesen der Dinge; dies sind Schwan-
kungen und Aushülfen, welche die Folgerichtigkeit und
Yerständlichkeit seines Systems sehr erschüttern.
Sp. spricht hier auch von einem Muster des Men-
schen, was er als Grundlage seiner Lehre benutzen
wolle. Auf dieses Muster solle der Einzelne bei seinem
Handeln hinblicken, es solle das* Ziel seines sittlichen
Handelns sein. Diese Begriffe stimmen mit der gewöhn-
lichen Meinung, wonach die Menschen frei wählen können;
allein sie sind schwer mit Sp.'s System zu vereinigen,
das keine Wahlfreiheit kennt, sondern alles Handeln und
Denken im Menschen, wie in der ganzen Natur nach
festen Gesetzen mit logischer Nothwendigkeit erfolgen
lässt. Ist dies Letztere der Fall, so ist ein solcher Muster-
mensch völlig unnütz ; der Einzelne kann ihm doch nicht
folgen, wenn es nicht in der nothwendigen Eeihe seines
Handelns so bestimmt ist. Ein solches Muster erscheint
daher für den Menschen ebenso verkehrt, als wenn man
den Bäumen die Musterbilder ihrer Gattung zur Nach-
120 IV. Theü. 2—4. (D. 1. a D. 3. 4. D. 5. 6.)
ahmnng vorhalten wollte; selbst wenn die Bäume es yot-
standen, müssten sie dennoch so wachsen, wie ihre Keime
und Boden, Wind und Wetter es mit sich bringen. Diese
Inkonsequenz hat schon Trendelenburg gerügt; doch
tritt in der wirklichen Lehre dieser Msngel nicht hervor,
und Sp. hat in dieser Vorrede sich nur dem gewöhnlichen
Vorstellen anbequemen wollen.
Wichtig ist, dass Sp. in dieser Vorrede den Ausdruck:
»Gk)tt oder Natur« gebraudit; dies zeigt, dass Sp. beide
als identisch gelten.
'2. Dl 1. 2« Diese Definitionen stunmen in ^n Wor-
ten nicht mit denen der Vorrede. Es ist dies eine Folge
des unter No. 1 dargelegten Schwankens in dem Prinzip,
was Sp. für das Handeln hinstellt
3* D. 3« 4* Die Existenz eines B^zeldinges hat nach
Sp. ihre Ursache entweder in dem Wesen desselben (wie
bei Gott, aus dessen Begriffe oder Wesen auch sein Da-
sein nach Sp. folgt) oder in der kausalen Beihe der
Einzeldinge, wo eines die Ursach'e des andern ist
(L L. 33. E. 1).
Eine Existenz dieser zweiten Art, die also nicht
aus dem Wesen des Dinges folgt, nennt Sp. hier zu-
fällig, selbst wenn sie innerhalb der kausalen Beihe
nothwendig ist. Möglich nennt Sp. ein Ding, wenn
seine Nothwendigkeit zwar in die kausale Beihe föllt,
aber der Mensch diese Nothwendigkeit nicht erkennt.
Die Begriffe von zufällig und möglich gelten also
nur für die Zustände ^nodi) der Substanzen, sofern sie
die kausale Beihe der Einzeldinge ausmachen. Das Zu-
fällige macht Sp. damit zu einer gegenständlichen
Eigenschaft, während er früher (I. L. 33 E.) es nur
als einen Mangel des menschlichen Wissens behandelte.
Die jetzige Definition des Zufälligen weicht von dem
gewöhnlichen Sinne dieses Wortes gänzlich ab; nach ihr
ist nunmehr Alles in der Welt, mit Ausnahme Grottes,
zufällig.
4i D. 5. 6t Nicht 4ie Gefühle, sondern die Begehren
können einander so aufheben, dass Eines das Andere
hemmt Sp. hat diesen Unterschied nicht bemerkt Bei
IV. TheiL 5—7. p. 7. D.S. A.) 121
D. 6 mnss man fesüialteii, dass Sp. hier nur von dem
bildlichen Vorstellen, nidit von dem Erkennen der Seele
spricht. Nur für jenes soll das von Sp. Gesagte gelten.
Dessenungeachtet ist der Satz höchstens for das Wahr-
nehmen, aber nicht für das blosse Vorstellen richtig. Man
kann sich die Lage einzelner Strassen oder Gebäude sehr
wohl Yorstellen, wenn sie auch 200 Fuss übersteigen, und
mithin kann auch die Entfernung der Gegenstande von
einander in grösserer Entfernung vorgestellt, wenn auch
nicht wahrgenommen werden.
5. D. ?• Zweck ist nicht das Verlangen, sondern
das Verlangte; der Zweck ist deshalb ein Besonderes,
ein Ziel, auf das das Verlangen sich richtet. Deshalb
kann ein Zweck auch wieder aufgegeben werden, was,
wenn er das Begehren selbst wäre, unmöglich wäre. Auch
hiw igt Sp. zu schnell mit dem Idoitifiziren bei der Hand.
6. D. 8. Tugend (Vtrtiis) ist in dem von Sp. ge-
brauchten lateinischen Worte zweideutig; dies bedeutet
bald die blosse Mannhaftigkeit oder Kraft, bald das sitt-
liche Handeln. Für Sp. ist diese Zweideutigkeit passend,
da bei ihm das Sittliche mit der Macht oder dem aus
dem Wesen des Dinges abfliessenden Handeln identisch
ist, wie später sich ergeben wird. Insofern es sich hier
nur nm Definitionen handelt, kann man gegen solche
Willkühr nichts einwenden.
7« A. Dieses Axiom ist durchaus nicht selbstverständ-
lich, sondern hätte eines Beweises» bedurft; es hätte des-
halb als Lehrsatz behandelt werden sollen. Der Satz ist
aber auch gar nicht zu beweisen. Nur wenn man die
Macht als blosse Grösse behandelt, kann innerhalb
des Denkens keine Grösse vorgestellt werden, über die
nicht noch eine grössere gedacht werden könnte. Allein
aiU3 diesem Beziehen des Denkens folgt nicht im Min-
desten dias Gleiche f&r das Seiende. Es kann hier sehr
wohl ein Maximum bestehen, welches, obgleich endlich,
dennoch an Macht von keinem Daseienden übertroffen
wird. Auch hier zeigt sich die scholastische Vermischung
von Denken und Sein.
122 IV.TheiL8— IL (L.1B.B. L.2B. L.3B. L.4B.)
8. L. 1 B. B. Die falsche Definition des Unwahren
ist früher zn L. II. 32. dargelegrt worden. Wenn das
Unwahre nach Sp. nur ein Mangel* ist, so mnss das in
dem Unwahren Vorgestellte (Positiye) an sich ein Wahres
sein, und darans folget allerdings der L. 1. Sp. übersieht
aber hier den Unterschied zwischen Widerspruch und
Mangel, wie in No. 46 zu L. 32 U. gezeigt worden isi
In der E. will Sp. diesen Einwurf nicht g^ten lassen;
er meint, die bildliehen Vorstellungen waren keine Gegen-
sätze der Wahrheit und erl^schten nicht durch deren
Gegenwart. Dies gilt aber nur für die Sinnestäuschungen,
zu denen das Beispiel Sp.'s mit der Sonne gehört; aber
sehr vieles Falsche hat nidit dann seine Quelle, sondern
in dem verbindenden Denken, in der Schwäche der Er-
innerung, in den Fehlem des Schliessens u. s. w. Hier
erlischt die falsche bildliche Verstellung mit Eintritt der
wahren gänzlich. Aber selbst bei jenen Sinnestäuschun-
gen bleibt nur der Schein, nicht das Für wahr halten
oder die Ueberzeugnng; vielmehr weicht auch da mit
Eintritt der Erkenntniss das Fürwahrhalten des Scheins.
Deshalb ist auch hier die Wahrheit nicht eine blosse
Ergänzung des Falschen, sondern eine Beseitigung
oder Entfernung desselben auf Grund des zweiten Funda-
mentalsatzes (E. 68)^
9. L. 2 B. Dieser L. 2. .ist ein blosser Folgesatz
der III. D. 2 gegebenen Definitionen des Handelns und
Leidens; da diese an sich willkürlich sind, so ist es auch
dieser L. 2.
lOi L. 3 B. Dieser L. 3 stützt sich auf das oben
unter No. 7 behandelte Axiom; da dieses falsch ist, so
ist auch der Beweis dieses L: 3 ungenügend; doch hat
er die allgemeine Erfahrung für sich, und er kaim insofern
auf Grund der Induktion. zugelassen werden {E, 78).
11. L. 4 B. Dieser L. 4 folgt schon aus dem Be-
griff des Menschen, als eines blossen Zustandes an den
Attributen Gottes (II. D. 2. II. L. 10). Insofern das Süd-
liche oder die Einzeldinge, zu denen der Mensch gehört,
in der kausalen Eeihe der Zustände enthalten sind, folgt
von selbst, dass sie sich nicht von den Einwirkungen
IV. Theil. 13. (L. 5 B.) 123
dieser frei halten können. Der besondere Bew^ den Sp.
hier yersncht, ist fiberdem mangelhaft, denn der Kern
dieses Beweises liegt in den Worten: »nnd folglich müsste
an^ der Nothwendigkeit der göttlichen Natur, sofern sie als
durch die Vorstellnng eines Menschen erregt anfgefasst
wird, die Ordnung der ganzen Katur abgeleitet werden.«
»Folglich« ist nicht richtig; der Satz folgt nicht aus
dem vorhergehenden und ist audi an sich selbst dunkel.
Mit diesem L. tritt Sp. dem Cartesius entgegen,
welcher die vollkommene Herrschaft des Willens über
die Affekte behauptet hatte. Auch folgt aus diesem Satz
die Erbsünde im religiösen Sinne. Denn nach Sp. liegt
das Sittliche im Handeln, das Unsittliche, die Sünde im
Leiden, d. h. in den von aussen erweckten Affekten, und
diesen kann der Mensch nach diesem L. sich nicht ent-
ziehen. Nach der Lehre des Realismus (Aesthetik I. 130)
hat das Unsittliche oder Böse seinen Grund in der Spal-
tung der Gefühle in die der Achtung und der Lust,
welche Besonderung von der menschlichen Natur untrenn-
bar ist. Das Handeln aus Lust oder aus den Affekten
ist aber nicht schon als solches das Böse, sondern es
wird erst böse, wenn es ein Gebot der Autorität verletzt,
oder wenn das Motiv der Achtung von dem Motiv der
Lust überwunden wird. Diese Schwäche der Achtungs-
gefQhle ist keine Nothwendigkeit ; die menschliche Natur
würde auch bestehen bleiben, wenn die Gefühle der Ach-
tung vor solchen Autoritäten so stark wären, dass sie
nie von denen der Lust überwunden würden. Deshalb
ist die Erbsünde keine Nothwendigkeit, und der ganze
Begriff der Sünde ist ein positiver, der erst aus den
Geboten der Autoritäten entspringt, und der deshalb im
Stande der Unschuld oder im Paradiese fehlt.
12t L« 6 B. Der L. 5 geht zu weit; die Gründe
führen nur dahin, dass die Stärke der Leidenschaften
durch die Macht der Menschen und die Macht der frem-
den Ursache gemeinsam bestimmt wird; denn selbst
bei dem Leiden bleibt der Mensch partiell thätig oder
wirkend (III. D. 2). Auch ist dies wohl die Meinung
Sp.'s; die Worte: »in Vergleich mit unserer Macht« wollen
dies wohl sagen.
124 IV. TheiL 13^U. CU 6B. L. 7 B. Z. L. 8 B.)
13. L. 6 B. Dieser L. 6 ist die Folge Ton L. 4.
Sp. spricht hier von >hartiiackig aohaft^i« (perttnadter
adhaerere). Dieses ist ein neuer Begriff, der mit dem
Unterschied der Leidenschaften und Affekte im gewöhn-
lichen Sinne zusammenhangt; jene sind dauernde Zu-
stande; diese gehen Torfiher; jene heruhen auf einer vor-
herrschenden Empfänglichkeit für gewisse Ursachen der
Lust, diese mehr auf der Starke der äusseren Ursadie
(Aesthetik L 157). Sp. hat indess diesen wichtigen Unter-
schied, der in der Moral und dem Straf recht sehr bedeu-
tend hr das Maass der Strafe ist, nicht weiter beachtet
14« Lt 7 B. %• Dieser L. 7 spricht ein sehr wich-
tiges Gesetz aus, dessen Wahrheit die Beobachtung be-
stätigt, wenn auch die Beweise Sp/s dafar nur auf künst-
lichen Definitionen beruhen. In IV. L. 14 kommt Sp.
noch einmal darauf zurück. Es ist für die Moral m
wichtiger Satz, dass die Gefühle und Begehren nicht durch
das Wissen und D^ken als solches gehemmt werden
können, sondern nur, wenn dieses Wissen und Denken
ein anderes Fühlen und Begehren erweckt, welches sich
jenem Begehren eni^egensteUt. Ohnedem, als blosses
Wissen ist es gegen die Affekte machtlos. Dessen unge-
achtejk haben die Moralsysteme des Idealismus dies nicht
beachtet. Indem sie das Sittliche aus der Vernunft
ableiten, mussten sie auch eine Wirksamkeit des Denkoi;
und der Begriffe auf das Begehren annehmen; denn ohnes
dem bleibt die Vernunft machtlos. Deshalb findet sic-
diese vermeintliche Macht des Denkens über die Begehreh
so wohl bei Eant, wie bei Fichte und Hegel, obgleicn
sie den Ergebnissen der Beobachtung geradezu widerh
spricht. Auch Sp. bleibt seinem Lehrsatze nicht treu-
der ganze fünfte Theil seiner Ethik handelt von der
Macht der Seele, als erkennender über die Affekte,
und spricht somit dem Wissen an sich eine Macht über
die Affekte zu.
15t La 8 B. Nachdem Sp. den Begriffen von Gut
und Schlecht zuvor in IV. D. 1. 2 die sittliche Bedeu-
tung genommen hat, hat dieser L^irsatz kein Bedenken,
aber auch keinen Werth, weil er nur tautologisch jene
Definitionen wiederholt. Wenn dessen ungeachtet dieser
IV.TheiL W. (L.9RS.Z.) 125
Lehrsatz wie Yiele andere ümliclie des Sp. einen beeon-
deren Beiz oder Erregung f&r den nnbe&ngenen Leeer
haben y so kommt dies nnr davon, dass der Leser mit
den Worten: Got and Schlecht nnwilUCQrlich die alt-
gewohnte sittliche -Bedeutung verbindet Nnr dadurch
scheint der Satz etwas Neues zu sagen; hat man aber
diese Gewohnheit überwunden und sich ganz in die Be-
griffe des Sp. gefunden, so zeigt sich sofort die leere
Tautologie dieser und ähnlicher Sätze. Diese Verdrehung
des gewöhnlichen Wortsinnes erschwert zwar das Yer-
ständniss der Ethik Sp.*s, aber es giebt ihr auch das
Pikante und Auf&llende, was den Loser fesselt, weil er
fortwährend verleitet wird, den Sinn der Sätze fiüsch und
bedeutender aufzu&ssen, als es gemeint ist.
16. L. 9 B. B. X. Der L. 9 wird an sich durch
die Erfahrung bestätigt. Diese ist aber auch die alleinige
Stfitze seiner Wahrheit, und der Beweis, den Sp. dafär
a priori versucht, ist gwade in dem Hauptpunkte unzu-
reichend. Es fehlt der Beweis dafQr, »dass die bildliche
Vorstellung stärker sei, so lange man sich nichts vor-
stellt, was die Existenz der Sache ausschlies8t.€ Der in
Bezug genommene n. L. 17 sagt dies nicht. Haben
Wahrnehmung und blosse Vorstellung nach Sp. in sich
keinen unterschied, so können zwar mehrere dergleichen
Yorstellungen mit einander in Widersprach gerathen, aber
daraus folgt nicht die Schwäche dieser Vorstellungen als
Bolcher; denn der Widerspruch trifft nur den Inhalt,
nicht die Form des Vorstellens und nicht den Grad
desselben. Ueberhaupt ist schwer zu fassen, wie das
Zukünftige und Vergangene als solches neben dem vor-
gestellten Gegenstande noch besonders in das Vorstellen
-eiiitreten soll, und wie es sich in den Eindrücken des
Körpers, welche nach Sp. alles Vorstellen bedingen, be-
sonders ausprägen soll. Sp. musste in einem früheren
Beispiele (S. 121) deshalb den liauf der Sonne zu Hülfe
nehmen; allem die Sonne und selbst ihr Ort ist an sich
auch nur eine Wahrnehmung wie jede andere, und wenn
sie in die Seele zu anderen hinzutritt, so widerlegt sie
nicht deren Gegenwart, sondern beweist vielmehr, dass
auch die Zeit, welche mit diesem Stand der Sonne sich
verbindet, gegenwärtig ist. Es können dann zwei
126 rr.TheiL 17—20. (L.X0B.1L L.11B. L.12B.Z. L.13B.)
Wahmefamongen mit Yerschiedenen Orten der Sonne in
der Seele Yorlianden sein; diese widersprechen sich blos,
die eine kann aber nicht dazu dienen, die Zeit der andern
in die Vergangenheit zu verlegen. Dies ist nur ein Bei-
spiel von den Yerwirrangea, in welche Sp.'s Hypothese
fQbren müsste, wenn sie wahr wäre.
17i Lt 10 B« E. Nach dem Vorstehenden wird man
nun leicht bemerken, dass auch hier das »weniger ans-
schliessen« in dem Beweise eine Erschleichnng ist ; ja
es ist ein Unsinn, da es innerhalb des Widerspruchs kein
Mehr oder Weniger, oder keine Grade des Wid^spradis
geben kann.
18. L« 11 B« Die Wirkung des. Nothwendigen in
diesem L. 11 beruht auf der Existenz seines Gegenstandes;
der angezogene L. 9 im B. fordert aber nicht blos die
Existenz, sondern die Gegenwart far die grössere Starke
des Affektes. Existaiz und Gegenwart sind aber nicht
dasselbe, deshalb ist der B. fehlerhaft. Dieser Mangel
ist um so bedenklicher, als L. 11 für die spätere Ent-
wicklung des Systems unentbehrlich ist.
19. L* 12 B. Z. Die Unterscheidung zwischen mög-
lichen und zufälligen Gegenständen in Beziehung auf die
Affekte ist subtil und nur aus den an sich bedenklichen
Definitionen dieser Bestimmungen abgeleitet; die Erfah-
rung bestätigt sie schon deshalb nicht, weil im gewöhn-
lichen Vorstellen diese feinen Unterscheidungen zwischen
Möglich und Zufällig gar nicht gemacht werden. Ueber-
dem werden in dem B. des L. 12 die Definitionen IV. D. 3.
nicht beibehalten. Nach D. 3 ist das Zufällige gar kein
Gegensatz des Möglichen; jenes kann möglich, ja sogar
wirklich sein; denn zufallig ist nach D. 3 Alles, dessen
Existenz nicht durch sein Wesen (Definition) bedingt ist
20. L. 13 B. Das zu L. 12 Bemerkte gilt auch
hier; diese Lehrsätze haben keine Bedeutung, weü im
Leben diese Unterschiede des philosophischen Denkens
nicht beachtet werden, mithin auch auf die Affekte keinen
Einfluss zeigen. Der B. für L. 12 u. 13 gelingt nur da-
durch, dass das Zufällige zugleich als nicht existirend
IV. Tbeil. 21—22. (L. ÜB. L. 15 B.) 127
gilt. Dies ist nach Sp. nur möglich, wenn man sich zu-
gleich etwas vorstellt, was die Existenz jenes aasschliesst.
Bei dem yergangenen Gegenstand wird im B. ange-
nommen, dass ein solches Zweite, die Existenz Aus-
schUessende nicht vorgestellt werde. Der eigentliche Sinn
beider L. geht also dahin, dass das als existirend Vor-
gestellte die Affekte starker erregt, als das, was als nicht
existirend vorgestellt wird. Alle übrigen Bestimmungen,
wie zufällig, mögUch, vergangen, haben hierbei als solche
keine Bedeutung.
21« L. 14 B« Dieser L. ist sehr dunkel. Dass das
blosse Denken keinen Affekt hemmen kann, ist von Sp.
lY. L. 7 ausgeführt. . Dieser Satz ist verständlich und
bildet den ersten Theil von L. 14. Seine Schwierigkeit
liegt nur in den Schlussworten: »sofern die Eenntniss
des Gruten und Schlechten als Affekt aufgefasst wird«
(cansideratur). Hierbei wird auf IV. L. 8 Bezug ge-
nommen, der nicht minder dunkel ist. Diese Schwierig-
keiten entspringen daraus, dass Sp. die Affekte sowohl in
den Körper als in die Seele verlegt, und dass er die
Affekte der Seele nur als die Vorstellungen der körper-
lichen Affekte behandelt. Dadurch fallen die seelischen
Affekte mit dem Denken zusammen, und deshalb ist die
Unterscheidung, die Sp. dennoch zwischen beiden in L. 8
durch das Wissen um die Vorstellung des Körper-
affekts einzufuhren sucht, unwahr, erkünstelt, und deshalb
schwer zu verstehen.
22. L. 15 Bt • Der Kern dieses L. 15 liegt nicht in
dem Gut und Schlecht, sondern in der wahren Kennt-
niss desselben. Gut und Schlecht sind bei Sp. nur an-
dere Worte für Nutzen und Schaden, für Lust und
Schmerz (IV. L. 8). Sp. will hier zeigen, dass das aus
der wahren Kenntniss folgende und allein diesen Namen
verdienende Handeln des Menschen nicht allmächtig ist,
sondern von Affekten leidender Natur überwunden werden
kann, und zwar, weil letztere die Macht fremder Ur-
sachen, -jenes nur die Macht des Menschen allein darstellen.
Erst nun versteht man die Bedeutung der früheren L. 1,3,5,
die in . ihrer Abstraktion schwer zu fassen sind. Sie
sollen, wie in der Geometrie, nur die eigentlich bedeu-
128 TV. Theü. 28. S4. (L. 16 B. L. 17 B.E.)
tenden Lehrsätze vorbereiten. Der Beweis Ton L. 15 ist
logisch richtig, aber er raht auf einer Anzahl falscher
Prämissen, und es zeigt sich bei ihm die ganze Könst-
lichkeit, zu der das System Sp.*s sich hinanfschranhen
muss, nm mit der Erfahrung in üebereinstimmang zu
bleiben. Die realistische Auffassung ist hiervon frei.
Danach bestehen in der Seele nicht blos Begehren aüs
Lustgefühlen, sondern auch aus sittlichen (beföhlen; die
Beobachtung lehrt, das jedes von dem andern überwunden
werden kann, je nach der Stärke der wirkenden äusseren
Ursachen und der Empfänglichkeit des betreffenden
Subjekts, welche letztere Sp. ganz übersieht, so dass er
schon deshalb auf Abwege gerathen muss.
23« L. 16 B. Auch dieser L. 16 dreht sich nm
einen Satz, den im gewöhnlichen Leben kein Mensch be-
zweifelt. Sp. ist zu diesen Sätzen genöthigt, um darzn-
thun, dass selbst die Erkenntniss des Wahren, des
Wesens Gottes und seiner endlichen Zustände, von wel-
cher Sp. im fünften Theil handelt, den Menschen nicht
vor der Macht der Affekte völlig sicher steUt. Der
Mensch ist nach Sp. als erkennend wohl frei und han-
delnd, allein diese Freiheit ist keine unbedingte oder all-
mächtige; sie kann fortwährend durch leidende Affekte
unterbrochen werden, weil der Mensch ein Theil der gan-
zen Natur ist; deshalb ist selbst der weiseste Mensch
nur Freier und Knecht zugleich. In diesem Punkte
weicht Sp. von Gartesius und den Stoikern ab, welche
eine unbedingte Macht der Vernunft über die Affekte
behaupten, welche unbedingt Macht auch später Kant,
Fichte ^und Hegel als Prinzip wieder festhalten. Die
Lehre Sp.'s klingt sehr annehmbar, sie hat die Erfahrung
für sich; allein sie verwickelt sich in grosse Schwierig-
keiten bei den Begriffen der Zurechnungsfahigkeit, der
Strafe und Busse, die ohne Annahme einer vollen Macht
der Vernunft über die Affekte nicht zu begründen sind.
Es wird dieses sich später zeigen.
24. L. 17 B. B« Auch hier bewegt sich Sp. noch
in demselben Gedanken. L. 16 u. 17 sind reine Folge-
sätze atis L. 15 und hätten als Zusätze zu L. 15 behan-
delt werden sollen.
IV. Theil. 25. 26. (L 18 B. E.) 129
25. L. 18 B. Der L. 18 widerspricht der Erfah-
rung. Die Beobachtung zeigt, dass aus der Fröhlichkeit
oder Lust an sich gar kein Begehren entspringt; sie ist
eben die Folge des erreichten Zieles des Begehrens,
womit es erlischt. Es kann dann höchstens die Sorge
um die Erhaltung dieses Zieles oder der Ursache der
Ijnst eintreten; allein ein solches Begehren nach Erhal-
tung der Ursache entspringt nicht aus der Lust selbst,
sondern aus der Furcht, diese Ursache zu verlieren. Des-
halb entspringt nie aus der Lust selbst ein Begehren,
sondern es erlischt vielmehr mit ihrem Eintritt. Der
Schmerz dagegen ist die Quelle des Begehrens; er ist
stets mit dem Begehren nach der Beseitigung seiner Ur-
sache verknüpft.
Sp. übersieht diese klaren Ergebnisse der Erfahrung,
weil seine Definitionen dazu nicht passen. Da er das
Begehren mit dem Wesen des Menschen identificirt und
die Fröhlichkeit, als Vermehrung der Macht ,i ebenfalls
mit dem Wesen des Menschen identisch setzt, so ist sein
Beweis zwar logisch richtig; allein eben deshalb hätte
Sp. gegen seine als Prämissen dienenden Definitionen be-
denklich werden sollen.
26. B. Zn L. 18. in dieser Erläuterung tritt Sp.
dem Prinzip der Sittlichkeit näher. Es fällt bei ihm
mit dem Prinzip der Selbsterhaltung, d. h. mit dem eige-
nen Nutzen und mit der eigenen Lust zusammen; denn
Begehren, Nutzen, Fröhlichkeit sind bei Sp. identische
Begriffe. Deshalb will der Satz: dass man die Tugend
um ihrer selbst willen zu erstreben habe, bei Sp. nichts
sagen, weil der Gegensatz zwischen Sittlichkeit und Lust
bei ihm fehlt. Sp. kommt indess auf einem Umwege zu
demselben Inhalt, wie ihn die christliche Moral hat. In-
dem der Mensch nach Sp. nur in Gemeinschaft mit An-
deren seinen Nutzen voll verfolgen kann und es für den
Menschen nichts Nützlicheres giebt als seine Neben-
menschen, so ist deren Nutzen und Wohl nach Sp. für
ihn eben so nützlich als sein eigener Nutzen und seine
eigene Lust, und das egoistische Prinzip verwandelt sich
damit in die Forderung der Vernunft, dass Alle das für
Alle Nützliche aufsuchen und thun sollen. Dieses Prinzip
hleibt zwar in seinem Gtundcharakter egoistisch, aber in
Erlinterangen zu Spinoza's EtLilr. 9
laO IV. Thea i%, (B. zu L. 18,)
seinem Inhalte kann es geöau mit dem Prinzip d^Jjiebe
übereinstimmen) auf welches die chrisÜiche Moral ihre
Regeln gründet.
Indess erhellt, dass ein solches Prinzip an sich noch
nicht zureicht, ein bestimmtes Handeln daraas für die
einzelnen Fälle abzuleiten. Sp. übersieht dies gänzlich.
Die Schwierigkeiten, welche bei dergleichen Moralprinzipien
meist übersehen werden, entspringen wesentlich aus der
Mehrheit der . A r t e n -der I«ust. Daduif ch kommt es,
dass der Mensch fortwährend in Kollisionen zwischen den
verschiedenen Arten der Last sich befindet. Seine Eräfte
reichen zur Erlangung aller Ursachen der Luat nicht
hin, und er muss sich deshalb entscheiden, welcher er
den Vorzag geben solle. Diese Kollisionen bestehen
nicht blos zwisdxen der eigenen Lust und der Lust der
Andei'en, sondern auch innerhalb der verschiedenen Arten
der eigenen Lust. Es ist dies ein Punkt von der höch-
sten Wichtigkeit für jede Moral; das Nähere ist dargelegt
Aesthetik I. 136. Man kommt deshalb mit dem kahlen
Prinzip: seinen Nutzen zu verfolgen, oder: den Nutzen
Aller zu verfolgen, nicht fort; die Ethik muss bestimm-
tere Eegeln an die Hand geben; denn jede Handlung
läuft an sich auf einen Nutzen hinaus, und ebenso hemmt
auch jede Handlung an sich einen Ni^tzen o^r eine
Lust «anderer Art oder anderer Menschen; mithin ist jede
Handlung nach diesem Prinzip zugleich gut und schlecht,
und das Prinzip lässt deshalb selbst .bei der einfachsten
Handlung im Stich.
Aehnliche Schwierigkeiten verknüpfen sich mit jedem
anderen Prinzip ; alle nähere Gestaltung desselben geräth
in diese Kollisionen. Die Hauptaufgabe der Ethik ist
daher, eine Losung für diese Kollisionen.. zu finden, in
die dergleic^hen Prinzipien gerathen, und gerade diese
Hauptaufigabe hat Sp. bei Seite gelassen, wie die Folge
ergeben wird. Er behandelt, wie der Prediger auf der
Kanzel jeden Sonntag eine andere Tugend. In di^er
Vereinzelung ist nichts leichter, als ihre Folge aus dem
Prinzip, d. h. ihre Qualität als Tugend und moiiaüsche
Pflicht darzulegen. Allein Sp. bemerkt nicht, ^dass jede
einzelne Tugend mit den anderen in Widerspruch steht,
sie hemmt, und dass deshalb die Ethik erst dann ihre
wissenschaftliche Bestimmtheit erreicht, wenn sie ^icht
IV.^Thcü. 28. (E. zu-L. 18.) «ISi
blos die einzelnen Tugenden für sick entwickelt, sondern
wenn sie zugleich die Grenzen für jede derselben ge-
regelt hat, über welche hinaas die Tugend trotzdem, d!as8
sie dem Prinzip entspricht, doch nicht mehr Tugend
bleibt, weil sie andere Tugenden zu sehr beischränkt.
Schon Aristoteles hat dies anerkannt und diese Grenz-
bestimmung dadurch erreichen wollen, dass er jede Tu-
gend als ein Mittleres zweier Laster darstellte. Allein
da er das Gebiet für diese Laster unbestimmt Hess, so
blieb naturlich auch die zwischen ihnen liegende HiUe
unbestimmt, und so zeigt seine Definition der Tugend nur
die Nothwendigkeit dieser Gegenbestimmung, aber erfüllt
nicht selbst diese Forderung.
Aller thatsächlicher Unterschied der einzelnep ethi-
schen Systeme und der Moral der einzelnen Völker liegt
nicht darin, dass gewisse Tugenden bei ihnen ganz feh-
len ; vielmehr bestehen bei den rohsten Völkern dieselben
Tugenden, wie bei den gesitteten; der Unterschied liegt
lediglich in der verschiedenen Abgrenzung dieeer ein-
zelnen Tugenden gegen einander. Wenn bei Homer
Glaukos und Diomedes, obgleich Feinde, dennoch, als
frühere Gastfreunde in der Schlacht .die Waffen aus-
tauschen und Frieden zwischen sich halten, so war dies
für jene Zeit Tugend; gegenwärtig wäre es Ve|ra.th, weil
die Tugend der Gastfreundschaft nicht mehr auf Eosten
anderer Pflichten die weite Geltung hat wie damals.
Eine Ethik ohne diese Bestimmung der Grenzen der
einzelnen Tugenden hat ihre Angabe nur zu dem klein-
sten Theile gelöst, und dies gilt nicht blos von der Ethik
Sp.'s, sondern von der Ethik aller biaherigön philosophi-
schen Systeme und ebenso von der christlichen Moral,
wie die Bibel sie lehrt.
Ueberhaupt lässt die tiefere Betrachtung erkennen,
da£is gerade diese so wichtige Grenzbestimmung der ein-
zelnen Tugenden gegen einander niemals aus einem so-
genannten sittlichen Prinzip abgeleitet werden kann, son-
dern dass jede >[oral in diesem Punkte ihre Ergänzung
erst durch das wirkliche Leben und die Sitte der Men-
schen erhält.
Die Bedeutung dieser Frage kann in ihrem ganzen
Umfange hier nicht dargelegt werden ; der Verfasser ver-
weist deshalb auf seine Aesthetik I. 142. Wenn Sp.
182 IV. Thefl. 27. 28. (L. 19 B. L. 20 B. E.)
und seine Vorgänger und Nachfolger diesen Punld; un-
beachtet gelassen haben, so erklärt sich dies nur daraus,
dass jene Grenzbestimmnng zwischen den einzelnen Ta-
genden, wie sie zn ihrer Zeit und in ihrem Lande bestand,
durch Erziehung und Leben ihnen so zur anderen Natur
geworden war, dass sie diese Art der Begelung als selbst-
verständlich und als die allein sittliche ansahen und das
Positive und Veränderliche in dieser Grenzbestimmung
gar nicht bemerkten. Wenn in früheren Zeiten oder bei
anderen YOlkem diese Grenzbestimmnng anders lautete,
so galt dem Philosophen diese Abweichung ohne Weiteres
als das unsittliche; indem die Moral seiner Zeit und
seines Landes innig mit seinem Gefühl verwachsen war,
bemerkte er nicht, dass die Grenzregelung zwischen den
einzelnen Tugenden in seiner Moral ebenso positiv
war, wie die abweichende bei anderen Völkern ; dass des-
halb die Ethik, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll, noth-
wendig auch diesen Punkt in Untersuchung nehmen und
ermitteln muss, woher die Ethik den Halt für jene be-
stimmte Abgrenzung der Tugenden unter einander zu
nehmen hat, ohne welche jedes Handeln für den einzelnen
Fall völlig unbestimmt bleibt.
27« L. 19 B. Dieser Satz ist rein tautologisch mit
früheren. Man muss nur immer festhalten, dass gut
und schlecht bei Sp. keine sittlichen Begriffe sind,
sondern andere Worte für den Nutzen und den Schaden,
für die Lust und den Schmerz.
28« L« 20 B. B. Hier ist das Vorstehende zu wieder-
holen! In der E. kommt Sp. auf den Selbstmord, wel-
cher nach seinem Prinzip alsHandlung unmöglich sein
soll. Sp. erklärt denselben aus der Uebermacht fremder
Ursachen, wodurch das eigene Wesen, die eigene Natur
überwunden werde. Allein damit ist die Bedeutung dieser
Lehrsätze völlig zu nichte gemacht. Bildet die Selbst-
erhaltung das Wesen des Menschen, so ist, so lange dies
Wesen sich erhält, der Selbstmord ein Widerspruch, also
unmöglich, und doch wird man den Selbstmördern diese
menschliche Natur nicht absprechen können. Das von
Sp. erwähnte Beispiel des Seneca fällt sogar unter IV.
L. 65, wonach die Vernunft es ist, welche gebietet, dass
i
IV. TheU. 29-3t (L. 21 B. L. 22 B. Z. L. 2il B.) 133
man von zwei Hebeln das kleinere yerfolge; Seneca hat
bei seinem Selbstmorde nach Sp's. eignem Ausspruch
sogar yemünftig gehandelt, also gewiss nicht das Wesen
des Menschen verleugnet. Die Möglichkeit des Selbst-
mordes, ohne dass man zu künstlichen Wendungen seine
Zuflucht zu nehtnen hat, liegt darin, dass die Lust aus
dem Leben nur eine Art der Lust neben andern ist, und
dass sie mithin durch Gefühle anderer Art, insbesondere
auch durch sittliche Gefühle überwunden werden kann,
ohne dass dies als. eine Ueberwindung durch unnatürliche
Ursachen angesehen werden kann. Nur wenn man mit
Sp. alles Begehren aus dem einen, sich zu erhalten,
ableitet, wird die Erklärung des Selbstmordes unmöglich.
29. L. 21 B. Bei der Selbstverständlichkeit dieses
L. erklärt sich seine Aufnahme nur daraus, dass Sp. in
Folge seiner geometrischen Methode diesen Satz zu spätem
Beweisen benutzen will.
30. L. 22 B. Z. Man kann einräumen, dass keine
Tugend ohne das Streben, sich selbst zu erhalten, mög-
lich; aber deshalb ist die Tugend noch nicht identisch
mit diesem Streben, sondern dieses und das Leben ist
nur die Bedingung, dass die Tugend, aber auch das
Laster sich entwickeln kann. Indess steht Sp. auf einem
logisch unanfechtbaren Boden, weil er in IV, D. 8 die
Tugend bereits als das Wesen des Menschen definirt hat.
Auffallend bleibt, dass nach L. 21 und L. 22 jeder Tod
für das Vaterland, ja jede mit Lebensgefahr verknüpfte
Errettung eines Menschen aus der Noth sittlich nicht
gerechtfertigt werden kann; dass demnach solch Handeln
keine Tugend, sondern ein Schlechtes ist. Es bleibt
zweifelhaft, ob Sp. in seinem Denken auf diese Folgen
seines Prinzips gekommen ist. Aus seinem Prinzip und
aus L. 21 und 22 folgt aber mit Bestimmtheit, dass jede
That fui Andere ihre Grenze hat an der Erhaltung des
eigenen Lebens, dessen Opfer nach Sp. niemals Tugend
sein kann.
31. L. 23 B> Dieser Satz enthält eine neue, dem
gewöhnlichen Vorstellen ganz fremde Beschränkung des
Tugendbegriffs. Nur in dem Handeln im Sinne Sp.^s
134 IV. Theil. 3f -34. (L. 34 B. L. 25 B. L. 26 B.)
(in. L. 1) ißt nach ihm die Tugend enthalten. Da nun
alle Vei-änderung in der Seele nur ein Vorstellen ist, da
Sp. keine seienden Znstande in der Seele anerkennt, so
folgt schon ans diesem L. 23 das Grundprinzip Sp.'s,
wonach nur das Erkennen die Tugend enthält, d.h. die
Kenntnisö des Wesens der Dinge ; denn nur die aus einer
solchen Eenntniss hervorgehenden Vorstellungen haben
kein Anderes zur Mitursache; nur bei ihnen ist mithin
die Seele handelnd.
Der B. dieses Satzes ist im Sinne Sp.^s unanfechtbar,
aber er zeigt, wohin falsche Definitionen fahren. Alle
geistig beschränkte oder nur im bildlichen Vorstellen sich
bewegende Menschen, d. h. die grosse Mehrzahl der Men-
schen ist nach diesem L. zur Tugend unfähig.
32. L- 24 B; Hier tritt das egoistische Prmzip
der Ethik Sp.'s in voller Offenheit und Konsequenz zu
Tage ; erst in IV. L. 35 kommt die Milderung hinzu, dass,
weil andere Menschen mir nützlich sind, ich auch jene
zu erhalten und ihren Nutzen zu fördern habe; aber
immer nur um meines eigenen Nutzens willen. JedenMs
verdient die Offenheit, mit der Sp. hier die logischen
Konsequenzen seiner Prinzipien zieht, die ToUe Anerken-
nung der Wissenschaft.
33i L. 25 B; Dieser Satz ist tautologisch, weil
nach Sp. das Streben, sich zu erhalten, mit dem Wesen
des Dinges, was strebt, identisch ist. Deshalb ist auch
IV. L. 22 nicht ein anderer Beweis dieses Satzes; denn
IV. L. 22 ruht auf denselben Definitionen. Nach andern
Systemen, insbesondere nach dem System des Eealismns
beruht allerdings die Tugend auf den Geboten eines
Andern, nämlich Gottes und der übrigen Autoritäten und
ist gerade dadurch ein von <ior Lust unterschiedenes
sittliches Gefühl (Aesthetik I. 113).
34. Li 26 Bi Mit diesem L. beginnt die bestimmtere
Entwickelung von Sp.'s ethischem Prinzip ; das Nützliche,
das Fröhlichkeit-Enthaltende gestaltet sich nun zu der
Erkenntniss. Erkennen ist mithin die sittliche Pflicht
des Menschen; in ihr gehen nach Sp. alle andern Pflichten
auf. Aber dieses Erkennen ißt nach Sp. kein blosses,
IV. Tbeü. 3ft. 39. (L. 27 B. L. 28 B.) 1S5
rei» im Wissen verharrendes, sonst unthätiges Verhalten ;
vielmiehr hat nach Sp. der Mensch auch körperlich zu
handeln, für sich und seine Nebenmenschen und deren
Existenz und Fröhlichkeit zu sorgen. Die Erkenntniss
ist nur die Führerin bei' diesem Handeln , welche dem
Menschen hierbei den rechten Weg zeigt und zugleich
die störenden Affekte und Leidenschaften hemmt und
abschwächt, wenn sie auch keine unbedingte Herrschaft
darüber besitzt.
Sp. giebt hier zuerst im B. die Definition der Ver-
nunft; sie ist das Wissen der zweiten und dritten Ord-
nxing (II. L. 40 E. 2), welches den Gegensatz zum bild-
lichen Vorstellen ausmacht, und welches allein der un-
sterbliche Theil der Seele ist, während das bildliche
Yorstellen mit dem Tode erlischt (V. L. 31).
Der B. ist fehlerhaft. Es ist richtig, dass aus deu
Definitionen Sp.'s folgt, dass die Tugend der Vernunft
das Erkennen ist; allein es folgt nicht, dass das Erken-
nen die Tugend überhaupt ist, und gerade dieser Punkt
ist für die Ethik Sp.*^s die Hauptsache. Wenn Tugend
überhaupt das Streben ist, sich in seinem Wesen zu er-
halten, so folgt, dass es auch eine Tugend des bildlichen
Vorstellens giebt und auch eine Tugend des Körpers,
und nicht blos eine Tugend der Vernunft (III. L. 9).
39g Lr. 27 B^. Hier wird schon von der, im B^eise
des L. 26 erschlichenen Verallgemeinerung .Gebrauch ge-
macht. Der B. ist übrigens fehlerhaft. Nicht das erst
zur Erkenntniss Führende, sondern nur das Erkennen
selbst ist gut oder die Tugend; denn nur wenn die
Erkenntniss erreicht ist, tritt das Handeln der Soele
ein , was ei*st die Tugend ist (IV. L. 23). Ebenso* ver^
bindet sich die G^wissheit erst mit der erreichten Erkennt-
niss; sie kann also nicht schon bei dem eintl*eten, was
erst zur Erkenntniss führt. Man sieht, wie die geome-
trische Methode vor falschen Schlüssen nicht schützet.
36. L. 28 B. Indem Gott in seinen Attributen das
Wesen aller Dinge enthält, gewährt die Erkenntniss
Gottes nach Sp. auch die Erkenntniss des Wesens der
endlichen Dinge; die Erkenntniss derselben fliesst nach
Art d(9r logischen Folgerungen aus dem Wesen Gottes»
136 I^- ^«il* 37. 38. (L. 29 B. L. ao B.)
und die Dinge kdnnen deshalb ohne Erkenntniss ihres
Gnindes oder Gottes nicht erkannt werden; aber sie folgt,
wo die Erkenntniss Gottes besteht, aus dieser von selbst.
Hierauf beruht der L. 28. Es sind dies noch scholastische
Ansichten. Sp. giebt selbst zu, dass die Erkenntniss
Gottes keine unmittelbare für den Menschen ist; dass sie
sich erst aus der Erkenntniss der Einzeldinge zusammen-
setzt und bildet; sie ist also nicht die Quelle des
Wissens für den Menschen, sondern das Besultat; das
Letzte aber nicht das Erste.
37. L. 29 B. Dieser und die folgenden Satze be-
reiten den Uebergang zu dem Handeln für Andere
vor; Sp. bedarf dieses TJeberganges, weil er die fliehe zu
Andern als sittliches. Prinzip nicht kennt. Der L. 29
folgt richtig aus den in dem B. angezogenen Prändssen;
•allein er wird dadurch auch zu einem völlig inhaltsleeren.
Denn nach dem B. besteht die Graneinsamkeit in der
Zugehörigkeit zu demselben Attribute Gottes. Nun ge-
hört der Mensch nach seinem Körper zu dem Attribute
der Ausdehnung, und nach seiner Seele zu dem Attribute
des Denkens; alle andern Dinge, die lebendigen wie die
leblosen, gehören, so weit wir sie kennen, ebenfalls zu
diesen Attributen; folglich giebt es Nichts auf der Erde,
was für den Einzelnen nicht ein Gemeinsames wäre; ein
Nicht-Gremeinsames besteht nicht, aber dieses Gemeinsame
ist auch das Dürftigste und von allem Inhalt bein^
Ausgeleerte.
38. L. 30 B. Hier wird, dem Yorstehenden ent-
gegnen, die Existenz eines Nicht -Gemeinsamen behauptet
und als das Entgegengesetzte bezeichnet. Dieser
Begriff ist allerdings in HL L. 5 aufgestellt wordrai, als
Das, was das Andere zerstört; allein wenn die Gemein-
samkeit nach lY. L. 29 in der Zugehörigkeit zu dems^-
ben Attribute besteht, und Gemeinsames einander nicht
zerstören kann, so ist klar, dass es überhaupt kein Ent-
gegengesetztes geben kann; denn die zu einem Attribute
gehörenden Dinge sind gemeinsame, und die zu verschiedenen
Attributen gehörenden Dinge haben keinen Einfluss auf
einander. . Dieses Bedenken ist so zu lösen ^ dass der
einzelne Gegenstand neben dem Gemeinsamen noch Be-
IV. Theü. 39. 40. (L. 31 6. Z. L. 32. B. K) 137
solideres hat, und dass in letzterem der Gegensatz ent-
halten ist.
Doch ist auch anzunehmen, dass Sp. seinen Begriff
des Gemeinsamen nicht streng festgehalten hat; offenbar
denkt er hier auch an ein Gemeinsames für niedere Gat-
tungen und Arten und nicht blos an ein Gemeinsames
in den höchsten Attributen. Dann sind allerdings in
demselben Attribute Gegensätze möglich, allein dann passt
wieder der B. zu L. 29 nicht.
Ebenso verwechselt Sp. in dem B. zu L. 30 das Ge-
meinsame mit dem Identischen. Er meint: Eine
Sache könne nicht dieses selbst, was sie mit uns ge-
meinsam hat, yermindem. Allein sie kann nur sich
selbst nicht vermindern. Das Gemeinsame ist aber
nicht dieses selbst, sondern ein Anderes, was nur ein
Gleiches mit jenem ist.
39a L. 31 B« %• Auch in dem B. dieses L. findet
sidi dieselbe Verwechslung des Identischen mit dem Ge-
meinsamen oder Gleichen, und nur dadurch gelingt der
B. Im Z. tritt Sp. der Folgerung näher, dass der Mensch
für den Menschen das ^Nützlichste ist, und man deshalb
in der Sorge für Andere nur für sich selbst sorgt.
40. L. 32 B. B.^ Hier wird dem Begriff des Ent-
gegengesetzten schon ein sehr grosser Umfang ge-
geben; Sp. nimmt h;er jede einzelne Sache schon als
ein Nicht-Gemeinsames ; denn sonst könnte ihr Mitwirken
bei den leidenden Zuständen des Menschen nicht zu dem
Nicht-Gemeinsamen, also Nicht-Guten führen. Auch nimmt
Sp. den Ausdruck: »von Natur« hier gleich Wesen^
während in L. 31 das üebereinstimmen mit der Natur
in einem beschränkteren Sinne gebraucht ist. Da nun das
Gemeinsame nichts Anderes als das Gleiche ist, so
erhellt, dass L. 32 unwahr ist, und deshalb ist auch der
B. mangelhaft. Die Erfahrung und Geschichte lehrt, dass
ganze Nationen, von Leidenschaften getrieben, grosse und
schwere Unternehmen in gemeinsamem Wirken der Ein-'
zelnen vollbracht haben, dass also auch eine Ueberein-
stimmung in den Leidenschaften möglich ist, und dass
der Zusatz: »von Natur« eine sophistische Aushülfe ist.
138 IV. TheiL 41—43. (L. 38 B. bis L. ä5 B. Z. 1. 2 E.)
4L L. 33 B. Hier wird die Folgernngr ans L. 32
gezogen. An sich beweiset L. 33 zu viel; denn wenn
die fremden XJrsaclien immer von einander unterschieden
sein sollen, so ist kein Gmnd vorhanden, weshalb nicht
auch die einzelnen Menschen total von einander unter-
schieden sind; dann wurde für die einzelnen Menschen
selbst als Handelnde (nicht Leidende) kein Gremeinsames
bestehen.
42. L. 34 B. B. Man muss in diesem L. 34 das
Wort: »können« betonen; wollte man es als: müssen
verstehn, so wäre der B. unzureichend; denn er ist nnr
für die Traurigkeit geführt; es giebt aber auch leidende
Zustände der Fröhlichkeit.
Die E. ist sophistisch. Auf diese Weise kann jede
Gleichheit in Ungleichheit verwandelt, werden, und ebenso
jede Ungleichheit in Gleichheit; denn beide Begriffe ge-
hören zu einer Beziehungsfonn und sind so untrennbar
wie Ursache und Wirkung (E. 37). Der Schlusssatz
der E. klingt sehr bedeutend; allein wenn nach IT. L. 30
das Gemeinsame nie schlecht, d. h. nie schmerzlich sein
kann, der Hass aber auf dem Schmerze oder der Traurig-
keit beruht, so ist dieser Schlusssatz nur tautologisch
mit L. 30 und verliert deshalb mit diesem selbst nach
No. 38 seine Bedeutung.
43. L. 35 B. Z. 1. 2 E. Dieser L, 35 bildet
das Haupt -Fundament in der Ethik Sp.'s für das Ver-
halten der Menschen zu einander. Es wäre unrichtig,
wenn man Sp., weil er hier die Vernunft nennt, zU den
Philosophen zählen wollte, welche, wie die Stoiker, wie
Kant, Fichte und Hegöl, die Vernunft zu dem Prinzip
der Ethik und zur Quelle Dires Inhaltes erheben. Sp.
lässt vielmehr das Handeln aus dem Begehren, aus dem
Streben jedes Dinges, in seinem Sein sich zu erhalten,
hfervorgehn; die Vernunft ist nach Sp. nicht die Schöpferin
dieses Inhaltes und des Wesens der Dinge; man kann
aus ihr nicht das Einzelne und Besondere ableiten; sie
ist nicht selbst das Wesen der Dinge, sondern sie ist
nur em Zustand des Denkens, als Attributes Gottes, und
es steht ihr das Attribut der Ausdehnung (des Körper-
lichen) mit gleichem Werthe und gleicher Selbstständig-
IV. Theü. 43. (L. 36 B. Z. 1-. 2 E.) 139
keit gegenüber. Nur vermöge des Parallelisnms beider
Attribute ist die zureichende Vorstellung oder die Er-
kenntüisB an oh die wahre Vorstellung oder die mit dem
körperlichen Gegenstand übereinstimmende Vorstellung.
Der B. dieses wichtigen L. 35 ist mangelhaft. Nach
Sp. ist das Wesen des einzelnen Menschen nicht identisch
mit dem, was man jetzt die Natur oder den Begriff des
Menschen nennt; das Wesen ist nach Sp. nicht ein den
vielen Einzelnen Gemeinsames, sondern das Wesen ist
individuell; das Wesen dieses einzelnen Menschen ist von
dem Wesen jenes einzelnen Menschen verschieden (S. 3);
dies mnsB deshalb auch von der Vernunft gelten, so weit
sie zu dem Wesen des einzelnen Menschen gehört, und
folglich ist das, was die Vernunft des einen Menschen
gebietet, nicht nothwendig dasselbe mit dem, was die
Vernunft des Andern gebietet. Der Schluss Sp.'s: »was
»der menschlichen Natur gut ist, ist es auch jedem
»Einzelnen,« gilt fOr den gewöhnlichen Begriff der Natur,
aber nicht für Sp., bei dem die Natur oder das Wesen
jedes Menschen individuell ist.
Dieser Mangel ist eine Folge des schwankenden Be-
griffes vom Wesen. Er wird von dem Leser weniger
empfunden, weil Sp. das Wort Natur hier zwar nicht
in seinem Sinne, aber in dem Sinne gebraucht, wie er im
gewöhnlichen Vorstellen besteht.
Insofern also das Wesen jedes einzelnen Menschen
individuell ist, besteht' neben dem Gemeinsamen auch
das Verschiedene oder Entgegengesetzte darin, und insofern
die Vernunft nur die Entwickelung dieses Wesens des
Einzelnen ist, ist ihr Ergebniss oder das Handeln des
Einzelnen nicht nothwendig immer übereinstimmend, son-
dern auch entgegengesetzt.
Dies lehrt denn auch die Erfahrung; es ist unmöglich,
dass alle Menschen ein durchaus gleiches Leben fuhren;
das Handeln eines Jeden wird individuell durch die
Eigenthümlichkeit seiner Anlagen, seiner Kräfte, seiner
äussern Verhältnisse, und so ist es unvermeidlich, dass der
Nutzen und das Wohl des Einzelnen mit dem des Andern
in Widerstreit geräth. Deshalb kaim keine Ethik sich
der Eegelung dieser CoUisionen entziehen; Kant versucht
es z.B. in äer Art, dass er Jedem eine gleiche Portion
140 IV. Theü, 44. (L. 36 ß. R)
Yon Freiheit zuspricht und nadi dieser Abm«ssimg das
Machtgebiet jedes Einzelnen bestimmt.
Es ist unzweifelhaft, dass die Menschen einander
nützen können, und dass durch ein gemeinsames Handeln
der Nutzen gesteigert werden kann; allein diese Gremem-
samkeit hat ihre Grenze, wie z. B. das Eigenthum, die
Ehe und vieles Andere zeigt; die Umwandlung des Eigen-
thums in einen kommunistischen Gemeinbesitz wurde den
Nutzen für den Einzelnen und den Ertrag für das Ganze
mindern statt vermehren, weil die Antriebe des Eleisses
erlöschen.
Es ist also gerade die Aufgabe der Ethik, diese Ge-
meinsamkeit der Menschen zu regeln und ihre Gestaltun-
gen und somit auch ihre Schranken gegen die Indivi-
dualität zu bestimmen. Diese, die schwierigste Aufgabe
der Ethik, lässt Sp. ganz bei Seite. Er begnügt sich,
einfach auf die Vernunft zu verweisen; allein es ist
gerade die Sache der Wissenschaft, das, was die Vernunft
in dieser Hinsicht bestimmt, zu entwickeln. Auch die
Geometrie, als Wissenschaft, fliesst aus der Vernunft ab;
aber deshalb darf sich der Mathematiker nicht begnügen,
den Schüler bei Betrachtung der Gestalten einfach auf
die Vernunft zu verweisen; sondern er muss die einzehien
Lehrsätze, welche die Vernunft daraus abzuleiten vermag,
auch in ihrem bestimmten Inhalte und in ihrer Begrün-
dung darlegen. Erst dies ist die Geometrie.
So erhellt, dass das hier von Sp. mit so viel Wichtig-
keit aufgestellte Prinzip, nach der Vernunft zu leben,
für sich hohl und formal ist. Jede einzelne Handlung
ist bei der unvermeidlichen Kollision ihrer mit andern
Arten der Lust sowohl nützlich oder gut, als schädlich
oder schlecht; mit jenem kahlen Prinzip ist also für das
bestimmte Handeln noch durchaus nichts erreicht.
44. L. 36 B. E. Indem Sp. die Erkenntniss
zu dem höchsten sittlichen Ziele des Einzelnen erhebt,
entgeht er allerdings den Kollisionen zwischen den ver-
schiedenen Arten der Lust und des Nutzens, aus denen
die ganze Schwierigkeit der Ethik hervorgeht. Das Er-
kennen ist ein innerlicher Akt des Einzelnen, welcher dem
gleichen Akt des Andern nicht hinderlich sein kann.
Allein bei der körperlichen Natur des Menschen ist es
IV. TbeiL 45. (L. 37 B. R 1.) 141 .
mit dem Erkennen nicht abgethan; es mnss auch für die
äussern Bedingungen der Erkenntniss, für die Bedürfnisse
des Lebens gesorgt werden, und hier treten sofort die
Kollisionen hervor, welche oben (S. 130) angedeutet worden
sind. Es ist also ungenügend, wenn eine Ethik sich nur
auf das Erkennen, als das höchste Gut, beschrankt und
die übrigen unvermeidlichen Gebiete [des Handelns des-
halb ausser Acht lässt.
45. L. 37 B. E. 1. Auch dieser L. 37 be-
schränkt sich auf das Erkennen und dreht sich in seinem
Beweise nur in den bekannten formalen Definitionen. Der
B. gelingt nur, weil eben das Erkennen für sich zu
keinen Kollisionen führt, und, wie Sp. sagt: »Alle sich
»dessen erfreuen können.«
In der E. geht Sp. zu andern Tugenden über; er
spricht von Beligion, von Frömmigkeit und Ehrbarkeit;
das sind Tugenden, die nicht auf die Erkenntniss abzielen.
Hier hätte Sp. wenigstens bemerken sollen, dass zwischen
diesen Tugenden Kollisionen bestehen, und dass mit der
blossen Anweisung, der Vernunft zu folgen, die Wissen-
schaft sich nicht begnügen darf,, sondern den einzelnen
sittlichen Gestaltungen und Begrenzungen näher treten
muss. Allein die scholastische Philosophie haftete Sp.
noch so fest an, dass er dies Leere und Formale seiner
Verweisung auf die Vernunft; nicht bemerkte und meinte,
das Sittliche damit auch nach seinem Inhalte bestimmt
ZQ haben.
Ein Beispiel, wie wenig diese Verweisung auf die
Vernunft für das einzelne Handeln genügt, giebt Sp. selbst
in dem Verhalten des Menschen zu den Thieren. Er
befreit den Menschen von allen Pflichten gegen die
Thiere, »weil deren Natur von der menschlichen Natura
> verschieden sei.« Dann würde auch folgen, dass die
Thiere uns nichts nützen (IV. L. 29). Da dies aber der
Erfahrung widerspricht, so müssen die Thiere dieses
Nutzens wegen etwas Gemeinsames mit den Menschen
haben (TV. L. 30. 31); sie sind also von den Neben-
menschen in Betreff des ISfützlichen nur dem Grade nach
verschieden, und deshalb muss auch die Grundlage des
Verhaltens zu den Thieren dieselbe sein, wie für das
Verhalten zu den Nebenmenschen; d. h. man muss auch
142 IV. Theil. 4«. (E, 2. »u L. 37.)
den Nutzen der Thiere mit befördern. Dieses Beispiel
zeigt, wie formal die Lehrsätze des Sp. sind.
46. El 2 Zn L. 37. Sp. behandelt hier die
Grundlage des Staats und des Bechts. Es ist bei Sp.
der Gegensatz von Moral und Becht noch nicht yorhan-
den; deshalb stellt er Verdienst und Sünde (meritum et
peccahim), welches Moral -Begriffe sind, mit Eecht und
Unrecht als gleichbedeutend in dieser E. zusanmien.
Trotzdem schwebt dem Sp. ein Unterschied beider vor; denn
in E. 1 dieses L. handelt Sp. von der Frömmigkeit, von
der Ehrbarkeit als Tugenden, die unmittelbar aus dem
Gebot der Vernunft folgen, und nicht erst aus dem Gebot
des Staats. Dieser wichtige Punkt wird indess von Sp.
nicht weiter verfolgt.
In der E.. 1 h^-ndelt Sp. von depi Leben und Ver-
halten des Menschen, der nach der Vernunft handelt
Dieser bedarf des Staates nicht; Sp. stimmt hier mit
August in überein; weil indess die Mensche^, den leiden-
den Affekten sich nicht ganz entziehen können, so muss
nach E. 2 auch eine Einrichtung getroffen werden, welche
durch Erweckung entgejirengesetzter Affekte den schädli-
-chen Affekten entgegentritt. Dies ist die Staatsverbin-
dung; in ihr wirkt lediglich die Furcht vor der Strafe,
dass die Mensche in Eintracht leben; ausserhalb des
Staates giebt es deshalb keiu Eecht und kein Unrecht,
keine Sünde, kein Eigenthum. Sünde und Verdienst sind
nach Sp. nur ausser liehe Begriffe, welche nicht die
Natur der Seele ausdrücken.
In dieser ^ Auffassung ist Wahres und Falsches so
vermischt, dass Beides kaum zu trennen ist.
Wenn Sp. Verdienst und Sünde für den Naturzustand
in E. 2 leugnet, in E. 1 aber ein sittliches Verhalten
auch ohne Staat aus der Vernunft ableitet, so ist dieser
Widerspruch nur dadurch zu lösen, dass man unter Na-
turzustand den thatsächlichen Zustand der Menschen
versteht, wo sie von den Affekten geleitet werden, wäh-
rend in E. 1 ein idealer Zustand behandelt wird.
Sodann lässt Sp. die Frage unbeantwortet, woher der
Staat den Inhalt für seine Gesetze zu n^men hat; oh
hier Alles von der Willkür der Herrschenden abhängt,
oder ob sie hierbei sich von der Vernunft leiten lassen sollen.
IV. TheiJ. 47. 4«. (L. 38 B, L. 39 B. E.) 143
Pemer erkennt mau leicht den Mangel^ dass der Staat
nur durch Furcht zusammengehalten werden soll. Sp.
konnte nicht anders, da bei ihm die sittlichen Gefühle,
also auch die Vaterlandsliebe ganz fehlen. Die Stellung
Sp.'s als Jude im 17. Jahrhundert, wo sein Volk voji
aller Staatsgemeinschaft noch ausgeschlossen war, und mit-
hin patriotische Gefühle sich nicht rentwickeln konnten,
mag dabei eingewirkt haben.
Trotzdem hat Sp. einige Wahrheiten getroffen; dahin
gehört, dass ein Staat nicht Selbstzweck ist, sondern nur
Mittel für das Wohl des Einzelnen; femer: da3S das
Kecht nur ein positives, von dem Willen der Staats-
macht, als Autorität, abhängiges ist. £lp. vermag jfKloch
nicht, den Begriff des Sittlichen zu gewinnen; er kommt nicht
über die Furcht hinaus. Dennoch liegt hier der Eiern der
Frage, und es ist die Aufgabe der Ethik, zu zeigen, wie
aus der blossen Thatsache der Gewalt vermöge ihrer
Unermesslichkeit siqh der Begriff der Sittlichkeit ihrer
Gebote für den Einzelnen in Folge seiner Schwäche gegen-
über dieser erhabenen Hacht entwickelt.
47. L. 38 B. Mit L. 38 ist die Lehre von dem
positiven Recht wieder verlassen; Sp. geht nun wieder
zu dem Natürlichen und Sittlichen zurück, was sich auch
ohne Staatsverbindung blos aus dem Vemunftgebote
entwickelt. Sp. beginnt mit L. 38 eine Eeihe näherer
Bestimmungen dieser Vernunftgebote, wie sie oben, als
zur Ethik gehörend, gefordert worden sind. Indess wer-
den diese Sätze ergeben, dass Sp. auch hier sich nur
in dam ganz Allgemeinen hält, und dass er insbesondere
jede Entwickelung einzelner sittlicher Gestalten, wie
Vertrag, Eigenthum, Ehe, Familie, Gemeinde, Kirche,
Staat, ebenso wie Christus, verabsäiimt. Je mehr eine
Ethik sich im Allgemeinen hält, desto leichter werden
allerdings ihre Gebote. Der L. 38 ist übrigens die
notbwendige Folge, wenn die Seele nur durch den
Körper zur Erkenntniss gelangen kann, und diese das
höchste Gut ist.
48. iL» <39>B. J3i Auch dieser L. ist die logisch
richtige Folge der in dem B. erwähnten Lehrsätze. In-
teressant ist nur Sp.'s Begriff des Todes, welcher von
144 IV. Theü. 40-51. (L. 40 B. L. 41 B. L. 42 B.)
dem gewöhnlichen so abweicht, dass man nach Sp. anch
bei lebendigem Leibe sterben kann. Der Satz ist aber,
wie Tiole andere Sp/s, ohne praktische Bedentung, weil
die Merkmale des nenen Begriffes so unbestimmt gehalten
sind (ein anderes Verhältniss von Bewegung und Euhe
der Theile des Körpers), dass damit für die Benrtheilnng
des einzelnen Falles nicht das Mindeste geboten ist.
Die L. 38 und 39 gehören übrigens zu den Sätzen, welche
Sp. nur als Unterlagen für spätere vorausschickt; auf
ihnen beruht die spätere Unterscheidung zwischen ver-
nünftiger Lust und unvernünftiger (Uebermass).
49. L. 40 B. Auch dieser Satz bleibt rein formal;
die Hauptfrage: Welches Einzelne fuhrt zu dem ein-
trächtigen Leben bleibt dabei unbeantwortet. Hier war
der Ort, die einzelnen sittlichen Gestalten, wie Ehe, Fa-
milie, Staat auf diesen Zweck zu prüfen. Auch über-
sieht Sp., dass die Venranft unter Umständen auch zum
Kampfe treibt, insbesondere wenn Einer sich von der
Leidenschaft zum Angriff gegen einen Andern bestimmen
lässt; mag dieser Andere ein Volk oder ein Einzelner sein.
50. L. 41 B. Da bei Sp. gut, nütsdich, fröhlich,
Macht, Wesen fortwährend als identisch behandelt werden,
folgt dieser L. von selbst, Die Lust ist damit auch
das Sittliche; doch erhält dieser Satz in dem Folgen-
den einige Beschränkungen.
51. L. 42 B. Hier beginnen die Ableitungen aus
den L. 38 und 39. Sp. fühlte, dass nicht jede Lust ge-
billigt werden kann; es kommt also darauf an, einen
Massstab für die unzulässige Lust zu finden. Nach-
dem dieser Massstab in L. 39 gesetzt ist, entspringt daraus
der Begriff des Ueberinasses, womit Sp. einen Grad
der Lust bezeichnet, der nicht mehr vemunftgemäss ist,
. weil er die Erkenntniss, das höchste Gut, hemmt. Damit
hat Sp. anerkannt, was oben verlangt worden ist. Es
ist dies derselbe Begriff, den Aristoteles so bezeichnet,
dass die Tugenden die Mitte zwischen zwei Lastern
halten sollen. Das Folgende wird indess ergeben, dass
Sp. diese Grenzbestimmung nur in sehr unvollkommener
Weise vollzieht.
IV. TheiL 52—54. (L. 43 B. biß L. 46 R Z. 1. 2 B.) 145
Der B. von L. 42 ist logisch richtig; dessenungeachtet
ist L. 42 unpraktisch, weil ein Merkmal des Wohlbehagens
Yon Sp. nicht gegeben ist. Woher will man erkennen,
dass bei einer Lust alle Theile des Körpers das gleiche
Yerhältniss innehalten?
52. L« 43 B. Auch hier ist die Definition der
Wollust so, dass man kein Kennzeichen ihrer hat.
Diese Definition ist überdem zweifelhaft. Wenn sie wahr
wäre, müsste jeder Beischlaf unsittlich sein, denn wäh-
rend seiner sind die übrigen Thätigkeit^ des Körper^
allemal unterdrückt. Mithin beweist der Satz zu viel.
In L. 43 tritt zuerst der Satz auf, dass der Sdimerz
mittelbar gut ist, wenn er von einer schlechten Lust
abhält. Man sieht, die Ethik Sp.^s ist eine reine Lehre
der Klugheit.
53« L. 44 B. B« Es ist auffallend, dass Sp. hier
das TJebermass der Liebe nur in dem üebermass der
Wollust (titülatdo) findet. Es kann offenbar auch in
der Liebe zu Kindern, zu Freunden u. s. w. ein Ueber-
niass eintreten; aber freilich war der Beweis dieses
üebermasses für Sp. kaum zu führen.
Auch die E. hält sich ganz im Unbestimmten. Die
Hauptfrage: wo oder wann beginnt in einer Lust das
üebermass, bleibt unbeantwortet; wer kann in dem ein-
zelnen Fall untersuchen, ob der ganze Körper oder niir
ein Theil erregt ist?
54. L. 45 B. Z.'l. 2 B. Dieser L. 45 geht zu
weit. Nach Sp. ist jeder Schmerz mit der Vorstellung
eines Menschen als Ursache desselben Hass und deshalb
schlecht. Dann ist auch alle Selbsthülfe gegen Beschä-
digung unrecht; denn nach Sp. geschieht die Yertheidi-
^ung gegen den, der mich schlägt, schimpft, bestiehlt
aus Hass, ist also »niemals gut«. Man sieht, wie be-
denklich dergleichen Folgerungen aus willkürlichen De-
finitionen sind. Auch der Krieg ist dann niemals zu
rechtfertigen.
In der E. zeigt Sp. die Heiterkeit seiner Moral. Sie
ist durchaus seinem Prinzip entsprechend und macht im
Gegensatz zu der Moral der Evangelien und der Kirchen-
Brl&aterangen za Spiiioza^s Ethik. 10
146 IV. TheiL 65— 5S. (L. 46 B. E. bia L. 50 B. Z. R)
Väter einen höchst wohlthnenden Eindruck. Es spricht
für die Geistesstfirke Sp/s, dass er trotz des vielen TJn-^
gemachs, was er in seinem Leben zn erdulden hatte,
dennoch an diesen heitern Lebensansichten festgehalten hat
55. L. 46 Bt B- Hier föhrt das egoistische Prinzip
Sp/s dennoch zu demselben Gebot, wie es die christliche
Moral aus ihrem entgegengesetzten Prinzip der Liebe
begründet. Der L. beweiset indess zu viel; denn es giebi
viele Fälle der Yertheidigung, wo man auf diese nur
langsam wirkende Macht der Liebe nicht warten kann.
56. L. 47 B. B. Der B. dieses L. gelingt für die
Hof&iung nur dadurch, dass die Hoffnung falsch definirt
ist (S. 94). In der E. nähert sich Sp. der Lehre der
Stoiker von dem Gleichmuth der Seele. Da die Erkennt-
niss indess nur das Wesen der Dinge aufschliesst, die
unendliche causale Beihe der endlichen Dinge aber von
dem Menschen nie übersehen werden kann, von diesen
aber seine Lust und sein Schmerz bestimmt wird, so kann
alle Erkenntniss die Ho£Ehung und die Furcht nicht aus-
schliessen, und es ist kein Grund vorhanden, weshalb der
Mensch nicht auch die Freude der Hoffnung g^essen
soll. Es kann auch hier nur das Uebermass getadelt
werden, aber nicht die Hofi&iung an sich. Gleiches
gilt für die Furcht, als Mittel zur Thätigkeit.
67i L. 48. 49 B« Diese L. folgen aus dem Satze,
dass die Erkenntniss das höchste Gut ist, folglich jedes
falsche Wissen schlecht ist. (In dem B. zu L. 49 ent-
halten alle Ausgaben von Sp.'s Ethik falsche Allegate.
Es muss heissen: IV. D. 28; nicht IV. D. 29 und 27).
68. L. 50 B. Z. B. Auch hier stellt Sp. als Ideal
die aus der Erkenntniss folgende Buhe der Seele, wie die
Stoiker, hin. Diese Bichtung ist bei einem Philosophen,
dessen Streben nur der Erkenntniss zugewandt ist, sehr
natürlich ; alle Grefühle und Aufregungen stören ihn in seinen
Forschungen und Betrachtungen. Allein der L. 50 ist
schon deshalb falsch, weil das Gefühl des Mitleides ein
nothwendiger, aus- der Liebe folgender Affekt ist, der
durch kein blosses Denken und Wissen zu hindern ist.
IV. TheiL 89-61. (L. 51 B. E. L. 52 B. E. L. 53 B.) 147
Sodann ist dieses Gef&hl eine wesentliche Stütze des sitt-
lichen Handelns; es kann deshalb auch hier nnr das
TJebermass getadelt werden, zumal die Behauptung Sp.'s,
dass das Mitleiden die Macht des Handehis mindere,
falsch ist. Jenes Handeln aus Erkenntniss, was Sp. hier
vertheidigt, führt zu dem Prinzipe Kanfs, wonach alles
Gef&hl von dem sittlichen Handeln ausgeschlossen bleiben
soll, während es gerade die Aufgabe der Ethik ist, die
Lust-Gefuhle sich als Gehfilfen zu erhalten, wo sie dem
sittlichen Gebot nicht widersprechen.
59. L. -51 B. E. Nach III. L. 59 kann jeder Affekt
der Fröhlichkeit auch aus der Vernunft entstehn; deshalb
geht der B. dieses L. viel weiter als der Satz selbst.
Die Hauptsache bleibt auch hier die Grenze, das üeber-
mass; letzteres ist auch bei dem Wohlwollen, wie bei
der Liebe (IV. L. 44) möiglich; Sp. scheint dies aber
nicht anzunehmen.
60. L. 52 B. E. Die Selbstzufriedenheit steUt
Sp. sehr hoch. Sie ist eben jene Seelenruhe, welche
schon Epikur als das Höchste hingestellt hat; sie ist die
Freiheit von den Affekten. Indess ist die Selbstzufrieden-
heit im gewöhnlichen Sinne kein Gefühl der Lust, son-
dern ein sittliches Gefühl, was aus der Erfüllimg des
sittlichen Gebots hervorgeht und den Gegensatz zu den
Gewissensbissen bildet (Aesthetik I. 118); dann muss
allerdings dieses Gefühl anders als hier begründet wer-
den. Sp. stellt sich dieser Auffassung so nahe, als ihm
bei seinem System möglich ist.
61. L. 53 B. Im gewöhnlichen Sinne gehört die
Niedergeschlagenheit {Humilitaa) zu dem sittlichen
Gefühl der Beue; es ist das Wiedereintreten des sittli-
chen Gefühls in seine Macht über die Lustgefühle, nach-
dem vorher die Lustgefühle die Oberhand gehabt haben
und den Menschen zu dem Bösen bestimmt haben. Inso-
fern gehört diese Niedergeschlagenheit offenbar zur Tu-
gend. Sp. kann dies nicht anerkennen, weil seine Tugend
nur Fröhlichkeit und Macht zu handeln und zu erkennen
ist und deshalb jede Schwäche von sich abhält, selbst
wenn sie zum Guten führt.
10*
148 IV. Theü. 62— es. (L. 54 B. £. bis L. 58 B. £.)
t. Ii« 64 Ba B. Das Vorstehende ist hier za
wiederholen. In der E. erkennt Sp. den Nutzen der
Niedergeschlagenheit nnd Bene an; er sucht in ihnen
den Weg, der zu dem Leben naeh der Yemouft fahrt,
d. h. zn dem sittlichen Handeln. Hier ist Sp. dem
wahren Begriff dieser Gef&hle sehr nahe, und nur seine
Prinzipien hindern ihn, die ToUe Wahrheit za erreichen,
üeberall tritt hier das Ideal eines affektlosen, nur im
Erkennen lebenden Weisen bei Sp. hervor; daJier diese
Beseitigung aller, selbst der sittlichen Gefahle, welche
dich mit diesem Ideal nicht vertragen.
63. Ii. 55. L- 56 B. Z. B. Diese Satze gelten nur
von der Eitelkeit oder von dem Stolze, der sich auf
eingebildete Vorzüge stützt Es giebt aber anch einen
wahren Stolz, wie oben bemerkt worden (S. 96); für
diesen passen diese Satze nnd Beweise nicht.
64. L. 57 B. B. Auch dieser L. 57 gilt nnr von
^ der Eitelkeit oder dem Stolze auf eingebildete Yorzüge.
In der E. berührt Sp. einen wichtigfen Punkt, der später
(L. 68) noch bestimmter erörtert wird. Sp. deutet an,
dass das Schlechte nur relativ hier gelte; dann, wenn
blos der Nutzen des Menschen betrachtet werde; aber
nicht, wenn der Gang der Dinge im Allgemeinen oder
die allgemeine Ordnung der Natur betrachtet werde.
Im letzten Falle giebt es nach Sp. nichts Schlechtes.
Hieraus erklärt sich auch, weshalb die Ethik Sp.*s über-
haupt nicht von Pflichten spricht und keine Gebote
kennt. Da bei Sp. sich Alles, auch das menschliche
Handeln mit Nothwendigkeit vollzieht, und keine Wahl-
freiheit besteht, so kann die Ethik Sp.'s nur eine Be-
schreibung des Handelns, nach Art der Naturbeschrei-
bung innerhalb der Physik sein. Beide Wissenschaften
entwickeln die in ihrem Gebiete geltenden Gesetze; beide
können auch andeuten, was dem Menschen nütist und
schadet; aber Gebote, Pflichten sind in der Ethik so
wenig am Orte, als Pflichten der Pflanzen in der Physik.
Diese Auffassung hat neuerdings Schleiermacher
wieder aufgenommen.
65. L. 58 B. B. Das zu L. 51 Bemerkte ist hier
zu wiederholen. In der E. wird der Buhm wegen seiner
IV. Theil. 66. (L. 59 B. E.) 149
Vergänglichkeit bekämpft. Hier fallt Sp. aus seiner
strengen konsequenten Methode ; es ist etwas ganz Neues,
dass die Freude nicht gesucht werden solle, weü ihre
Ursache vergänglich ist. Dies hätte besonders begründet
werden sollen. Es ist dies ein Grund, der zwar in
vielen Moralsystemen auftritt, aber der zu viel beweiset;
denn es giebt keine Freude und keine Macht, welche
nicht der Gefahr des Unterganges ausgesetzt wäre; selbst
die Erkenntniss ist nicht davon ausgenommen; Krankheiten,
Stumpfsinn, hohes Alter können auch diesen Besitz
schmälern und gefährden.
66« L. 59 B. El Nachdem Sp. im Yorstehenden
die Gefnhle behandelt hat, geht er nun zu dem Be-
gehren über. Diese Trennung ist jedoch, wie Sp. selbst
bemerkt, nicht durchführbar ; Sp. beschränkt sich deshalb
auf einzelne hierher gehörende Fragen.
Die hier gebotenen Beweise für L. 59 sind nach den
Definitionen des Sp. logisch richtig. Allein die Haupt-
frage ist dadurch umgangen, ob überhaupt das blosse
Denken und Erkennen im Stande ist, den Willen und
das Handeln des Menschen zu bestimmen. Für Sp. konnte
diese Frage nicht entstehen, weil bei ihm aller Einfluss
zwischen Seele und Körper» fehlt, und beide nur parallel
mit einander gehn; mithin kann das Handeln der Seele
nur im Denken und Erkennen bestehn. Allein diese
Sätze sind nur aus willkürlichen Definitionen und Prin-
zipien, aber nicht aus der Beobachtung des Seienden ab-
geleitet; deshalb steht die Erfahrung auch mit ihnen in
Widerspruch, so weit die Beobachtung hier einen Anhalt
bieten kann. Diese lehrt, dass das Denken allein den
Willen und das Handeln des Menschen nicht ursach-
lich bestimmt, sondern dass nur ein hinzutretendes Ge-
fühl das Wollen und Handeln erweckt. Deshalb kann
Jemand eine vollständige Kenntniss der Moral, des Guten
und Schlechten haben und dennoch wegen der Schwäche
seines sittlichen Gefühls schlecht handeln. Früher hat
Sp. selbst anerkannt, dass die blosse Kenntniss des
Guten nicht zureicht, die 'Affekte zu hemmen (IV. L. 14).
Dies steht mit L. 59 in Widerspruch. Uebrigens ist diese
Meinung, dass das Denken allein den Willen und das
Handeln bestimmen können, auch in die spätem Systeme
150 IV. TheiL %7^99. (L. 60 B. E. L. 61 B. L. 62 B. E.)
Yon Kant und Fichte übergegangen; ihr Begriff des
Guten beruht gerade darauf, dass nicht das Grefahl, son-
dern das Denken den Willen dabei bestimmt; das Beispiel
in der E. wird bei L. 68 erörtert werden.
67i L. 60 B. B. Wenn man auch die theoretische
Wichtigkeit dieses L. zugiebt, so bleibt doch derselbe
ohne Bedeutung, weil die Frage, ob ein Affekt sich nur
auf einige oder auf alle Theile des Körpers bezieht, gar
nicht aus der Beobachtung oder auf einem andern Wege
zu beantworten ist. Der Satz gehört daher zu den vielen
Sätzen der scholastischen Philosophie, welche zwar ans
selbst gemachten Definitionen logisch richtig abgeleitet
sind, aber zur Erkenntniss des Seienden nicht das
Mindeste beitragen.
68. L. 61 B. Auch for diesen L. 61 gilt das vor-
stehend Bemerkte. Es fragt sich, welches Begehren ent-
springt aus der Vernunft? Denken, TJeberlegen ist bei
jedem, auch dem schlechten Handeln; umgekehrt kann
das blosse Denken und Erkennen nie den Wülen und
das Handeln erwecken. Die Vernunft mag die Wahrheit
oder Erkenntniss gewähren; allein woran soll der Ein-
zelne seine Erkenntniss als waibie erkennen? Jeder meint,
die Wahrheit und Erkenntniss zu besitzen. Die subjek-
tive üeberzeugung ist ein trügerischer Massstab, wie oben
(S. 74) gezeigt worden. Deshalb mnss eine Ethik sich
nicht mit dieser formalen Verweisung auf die Vernunft
begnügen, sondern den bestimmten Inhalt, der aus der
Vernunft folgt, entwickeln.
Der L. 61 ist überdem rein tautologisch, detin die
Vernunft ist das Gute selbst.
69« L. 62 B. B. Auch dieser L. 62 ist tautologisch.
Denn die Vernunft oder das Erkennen geht nur auf das
Wesen, nicht auf die zeitliche Dauer der Dinge.
Indem die Vernunft deshalb die Unterschiede von ver-
gangen, gegenwärtig und zukünftig nicht kennt,
können auch diese Bestimmungen auf das von ihr ausgehende
Handeln keinen Einfluss üben.
Auch hier kommt das Ideal der Weisen wieder her-
vor. Allein, da auch der Weise in der Zeit leben muss
IV. Theil. 70, (L. 63 B. Z. R) 151
und deshalb die Baaer der Dinge nicht unbeachtet lassen
kann, so reicht seine Weisheit oder Yernunft für «sein
einzelnes Handeln nicht hin, una es folgt deshalb aus
diesem L., dass auch der weiseste, nur der Yernunft
folgende Mensch sich dem Irrthum und den leidenden
Affekten nicht entziehen kann, oder dass, wie Sp. sagt,
die Kenntniss des Guten nur abstract ist. Dieses Er-
^ebniss ist schlimmer, als die Erfahrung lehrt, und nur
die Folge davon, dass Sp. eine mangelhafte Definition der
Erkenntniss aufgestellt hat. Dieselbe geht in Wahrheit
nicht blos auf das Wesen, sondern auch auf die Dauer
der Dinge und kann auch in Bezug auf diese Bestimmung
zu Gesetzen gelangen. Jene Trennung zwischen Wesen
und zeitlicher Dauer ist ein Best scholastischer Philo-
sophie, Yon dem sich Sp. nicht hat befreien können, und
der seine ganze Ethik beherrscht.
70. L. 63 B. Z. B. Dieser L. hat, wie viele andere
der Ethik, wenn man die Worte in ihrem gewöhnlichen
Sinne nimmt, eine hohe Bedeutung. Er sagt dann, dass
man das Gute und Bechte um sein Selbst willen thun müsse.
Allein im Sinne Sp.'s ist das Gute mit dem Nützlichen
und dem Freudigen identisch, und dann ist dieser L.
werthlos, weil es sich von selbst versteht, dass man das
Fröhliche und Nützliche um seiner Selbst willen begehrt,
und nicht um eines TJebels willen, was sich an die Unter-
lassung knüpft.
TJeberhaupt ist der »Gegensatz« bei Sp. hier sophistisch.
Es ist ebenso nothwendig, das Schlechte zu fiiehn, wie
das Gute zu begehren; in den meisten Fällen ist das
Eine nicht identisch mit dem Andern. Sp. denkt hierbei
offenbar an die christliche Lehre, wonach den Guten ein
Lohn, eine Seligkeit in jener Welt erwartet und den
Schlechten eine Strafe. Diesen Beweggründen will Sp.
entgegentreten. Im gewöhnlichen Sinne ist dies auch
richtig; allein Sp. hat in seinem System kein Sittliches,
sondern nur ein Nützliches, und deshalb ist diese an-
scheinend hohe Sittlichkeit bei Sp. nur ein Schein. Auch
das Handeln in Führung der Vernunft geht bei Sp. nur
auf den Nutzen, die Macht und Selbsterhaltung.
Das Beispiel mit der Medizin ist unverständlich; denn
auch der nach der Yernunffc handelnde Kranke nimmt
152 TV, Thea Hi (1. 64 a Z.)
die Medixin nur, um den Tod zu vaiiieideii, d.. h. um
wieder gesund zu werden; dieses sind keine Gegensätze.
Die L. 65. 66 sagen dies ausdrücklicli.
7L L. €4 B. Z. L. 64 and L. 68 sprechen den
wichtigen Satz aus, dass die Begriffe von gut und
schlecht nur unzureichende, d. h. unwahre Begriffe
sind, und dass in der zureichenden Erkenntniss diese
Begriffe nicht enthalten sind. Diese Satze hezeichnen
das System Sp.'s am schärfsten; sie sind die consequente
Folge seines Prinzips, dass die Welt und Gott ein und
dasselbe sind. So wie es in Gott oder in der Totalitat
des Wissens keine Unwahrheit giebt, und alles Falsche
nach $p. nur Folge daTon ist, dass der Gegenstand ver-
einzelt und nicht in seiner Totalität aufgefasst wird, so
entspringt auch das Schlechte und Gute nur aus der
Betrachtung eines Geschehens in seiner Yereinzelung,
herausgerissen aus der Totalität der Natur-Ordnung und
nur in Beziehung auf den Nutzen des Menschen auf-
gefasst. In der Totalität ist alles Geschehen eine Folge
des Wesens Gottes. Die zeitlichen Vorgänge fliessen nach
Alt der geometrischen Lehrsätze aus dem Wesen Gottes.
Hier kann also nur von Nothwendigkeit die Bede sein;
Alles ist und Alles ist nothwendig, und Alles folgt
aus dem Wesen Gottes. Da kann von gut und schlecht
keine Bede sein. Nur wenn das einzelne Geschehen hlos
in Beziehung auf den Menschen betrachtet und beurtiieilt
wird, kann der Begriff des dem Menschen Nützlichen
und somit auch der des Guten und Schlechten sich bO-
den. Deshalb sind auch die rerworfensten Handlungen
der Menschen, z. B. der Muttermord Nero*s, wie Sp. in
einem seiner Briefe sagt, bei einer Auffassung des Ganzen,
der Totalität des Geschehens, nicht sddecht, aber auch
nicht gut, sondern nur nothwendig. Alle Bedenken
dagegen entspringen nur daraus, dass man gut und
schlecht als contradiotorische Gegensätze behandelt und
meint, jede Handlung müsse nothwendig eines von Beiden
sein. In der Totalität der Betrachtung ist sie vielmehr
Keines von Beiden, sondern nur eine nothwendige Folge
der Natur-Ordnung oder Gottes. Man sehe IV. L, 73 E.
Wenn trotz der logischen Eonsequenz dieser Lehre
das natürliche Gefühl sich ihr entgegenstellt, so kommt
IV. Theil. n. (L. 64 B. Z.) 153
es daher, dass das Sittliche eben eine andere Natnr hat/
als Sp. ihm einräumt. Es ist nicht blos ein Nützliches
und nicht blos ein Kelatives, was seinen Inhalt durch
eine Beschränkung der Betrachtung auf den Menschen
erhält, sondern es ist ein in sich selbst Festes und Be*
stimmtes und durchaus kein blos Kelatives; es hat als
Sittliches auch keinen Zusammenhang mit dem Natürlichen
und mit dem Nützlichen.
Nach dem realistischen System hat das Sittliche seine
Quelle in den Geboten der erhabenen Autoritäten; nach
den idealistischen Systemen hat es seine Quelle in den
Geboten der Yemunft, als solcher. So gilt für beide
Anjffassungen der sittliche Inhalt als ein fester, für sich
bestehender, der dadurch sich nicht ändert, dass die Be-
trachtung des Naturlaufs in weiterer oder engerer Aus-
dehnuüg herbeigezogen wird. »Du sollst nicht stehlen;«
»Du sollst Vater und Mutter ehren;« dieses ist ein
fester sittlicher Inhalt, der sich nicht ändert, mag man
die Welt dabei im Grossen oder im Kleinen betrachten.
Biese Auffassung bildet den Gegensatz zu dem System
Sp.'a Da das sittliche Gefühl im Gegensatz zu den Lust-
Geföhlen eine Thatsache ist, welche nicht wegzuleugnen
ist, und der Streit sich höchstens um die Ableitung
desselben bewegen kann, so ist das System Sp.'s, welcher
ein sittliches Gefühl gar nicht kennt, jedenfalls in der
Unwahrheit, und daraus erklären sich die vielen erkünstelten
und erzwungenen frühem Sätze. Allein da nach realisti-
scher Auffassung (Aesthetik I. 113) die Quelle des sitt-
lichen nur eine positive ist und aus dem Willen der
erhabenen Autoritäten sich ableitet, so trifft Sp. insofern
die Wahrheit, als zuletzt auch die Gebote der Autoritäten
aus dem Nutzen und der Lust derselben hervorgehn, und
die Lust mithin mittelbar auch die thatsächliche Grund-
lage für den Inhalt des Sittlichen bildet. Das System
Sp.'s steht deshalb der Wahrheit näher als die Systeme
Kant's, Fichte's und HegeTs, welche das Sittliche
ausschliesslich aus der Vernunft ableiten wollen und
kein Band zwischen ihm und der Lust anerkennen; aber
es steht der Wahrheit femer als das realistische System,
welches allein die schwierige Frage zu lösen vermag,
wie es möglich ist, dass das sittliche Soll aus emem
154 IV. TheiL 72—76. (L. 65 B. Z. bis L. 68 B. E.)
natürlichen Ist entspringen kann. Das Nähere ist
dargelegt Aesthetik I. 113 n. ff.
72. L. 65 B. %• Dieser L. 65 stimmt genau mit
der Erfahrung, allein er Yereinigt sich schwer mit L. 63.
73. L« 66 B. Z. B. Auch dieser Satz stimmt mit
der Erfahrung, je weniger die (legenwart als solche
beachtet wird, desto weniger werden die Güter naefa der
Zeit ihres Eintretens in die Existenz abgeschätzt Allein
der B. dieses L. ist insofern mangelhaft, als es sich in
der Wirklichkeit nicht um das Wesen der Dinge allein
handelt, sondern auch um ihre zeitliche Dauer und
Existenz. Ein Gut, für dessen Existenz gar keine Ursache
Yorliegt, kann die Vernunft nicht gleich behandeln mit
einem, fOr dessen baldige Existenz eine Ursache erkannt
ist. Die Vernunft muss deshalb im wirklichen Handeln
sich auch auf die Frage der zeitlichen Existenz der
Dinge einlassen, und da die Gewissheit der Existenz sinkt,
wenn der Zeitpunkt der Verwirklichung in die Feme
rückt, so muss selbst die Vernunft ein nur zukünftiges
Gut deshalb geringer schätzen als ein gegenwärtiges
und somit gewisses Gut. Sp. bewegt sich hier in Ab-
straktionen, welche in der Wirklichkeit nie Platz greifen
können.
74. L. 67 B. Dieser L. 67 ist eine Besonderuug
von L. 63. In dieser Besonderuug tritt seine Unwahrheit
und sein Widerspruch mit L. 65. 66 mehr hervor. Der
Mensch, der sein Leben erhalten will, muss auch die
Todesgefahren vermeiden und deshalb an diese Gefahren
denken und sein Handeln danach bestimmen. Das
Schlechte liegt nur in dem Uebermasse; die Sorge,
das Leben zu erhalten, darf nicht übertrieben werden.
Das rechte Mass, also die Hauptsache, wird aber von
Sp. nicht bezeichnet.
Sp. hatte wohl hier jene religiösen Orden und Sekten
im Sinne, welche das Sittliche und Gott Wohlgefällige
in einer strengen Askese und Entbehrung setzten.
75. L. 68 B. B. Der L. 68 ist bei L. 64 behan-
delt. In der E. erkennt Sp. an, dass die Menschen
IV. Theü. 76—79. (L. 69 B. Z. E. bis L. 72 B. E.) 155
nicht frei geboren werden, d. h. dass die Erkcnntniss
erst erworben werden muss, und dass deshalb die Begriffe
von gut und schlecht für den Menschen bei seiner man-
g^elhaften Eenntniss unentbehrlich sind. In der E. fahrt
Sp. im Gegensatz zu dem Geiste des Alten Testaments
aus, dass die von Gott den Menschen gegebenen Gebote
(das Gute und das Schlechte) nur dessen Nutzen bezweckt
haben und aus keiner blossen Willkür Gottes abgeflossen
sind. Es ist dies eine Umwandlung der biblischen Lehren
in philosophische Gedanken, wie sie später Hegel in
grösserem Massstabe vollzogen hat.
76. L. 69 B. Z. E. Dieser L. spricht ausdrücklich
aus, dass der freie Mensch auch die Gefahren vermeidet,
also auch an das TJebel und Schädliche denkt; der L.
steht insofern in Widerspruch mit L. 67.
77. L. 70 B. B. Der L. 70 wird durch die ihm
beigefagte E. so ziemlich wieder aufgehoben. Sp. tritt
in der E. dem wirklichen Leben näher, und da zeigen
sich so viele Eücksichten und so viele Kollisionen des
Nützlichen, dass keine einzelne Eegel eine unbedingte
Geltung in Anspruch nehmen kann, und dass das wahre
Sittliche deshalb erst in den Grenzen liegt, welche den
verschiedenen Regeln oder Nützlichen gegen einander
gezogen werden. Die wichtigste Frage der Ethik ist
deshalb nicht die nach den Tugenden an sich, sondern
nach ihrer gegenseitigen Begrenzung und nach dem
Pundamente, aus dem diese Begrenzung abzuleiten ist.
Sp. hat diese Punkte ganz unberührt gelassen.
78. L« 71 B. B. Auch in der E. zu diesem L.
kommt Sp. auf die zahlreichen Kollisionen der einzelnen
Tugenden, ohne doch auf diese Frage in ihrer Allgemein-
heit einzugehen. Er würde dann bemerkt haben, wie
wenig die Formel: »In Leitung der Yemunft handeln,«
hinreicht, die Schwierigkeiten in diesen steten Kollisionen
der' einzelnen Tugenden zu lösen.
79. L. 72 B. E. Diese St^le ist die einzige, wo
Sp. von der Tugend der Wahrhaftigkeit spricht. Sp.
erklart hier alles Lügen unbedingt für unsittiich; selbst
156 IV. Theil. 80. (L. 73. B. R)
um sein Leben gegen einen Mörder zn schützen, darf
man nach dieser £. denselben nicht belügen. Die Grande,
womit Sp. seinen Satz vertheidigft, bestehn dann, dass er
das Verkehrte nnd Widersinnige der Lüge damit zeigt,
dass er sie als allgemeines Handeln nnd als Han-
deln aller Menschen anffassi Aber die Frage ist hier
nicht, ob die Lüge als allgemeine Begel gelten solle,
sondern ob als Ausnahme für einzelne ^Ue. Auch diese
Frage gehört zu den oft erwähnten Kollisionen der Tagen-
den. Es ist Tugend, sein Leben zn erhalten ; es ist auch
Tagend, dem Andern die Wahrheit zu sagen. Beide
Tugenden sind hier in Kollision; im Sinne Sp.'s kann
jede dieser Tugenden ihre unbedingte Geltung fordern.
Da nun dies unmöglich ist, so muss deshalb die Ethik
zwischen den Gebieten der einzelnen Tugenden Grenzen
ziehn, über welche hinaus die eine der andern zu weichen
hat. So mu^ hier die Wahrhaftigkeit der Lebenserhal-
tung weichen, während in andern Fällen eine kleine Un-
annehmlichkeit oder Störung durch Lügen nicht abgewendet
werden darf, mithin die Wahrheit hier noch in ihrem
Gebiete ist. Statt dessen beharrt Sp. bei der unbedingten
Wahrhaftigkeit. Aber jede andere Tugend hat als solche
das gleiche Recht ; deshalb ist mit solchen, durch iHre Kon-
sequenz leicht blendenden Sätzen keine Ethik zu begründen.
80. L. 73 B. B. Der L. 73 enthält eine tiefe nnd
schöne Wahrheit, welche später Bousseau mit seiner
XJeberschätzung des Naturzustandes yerkannt hat. Der
Satz ist indess in der aufgestellten Allgemeinheit nicht
zu beweisen und auch unwaJir. Die Gesetze eines Staates
köimen so schlecht, so der Vernunft widersprechend ge-
dacht werden, dass der freie Mensch dadurch in seinem
Nutzen und in seinem Handeln mehr beschränkt wird,
als wenn er in der Einsamkeit lebte; in solchem Falle
gilt der L. nicht. Indess ist der L. nicht in dieser
Uebertreibung zu verstehn. Er will zweierlei sagen:
1) ein yemünftiger Mensch, wenn er einmal in einem
Staate lebt, fügt sich dessen Gesetzen, wenn sie auch
den Regeln der Vernunft nicht entsprechen sollten;
2) der Mensch ist dem Menschen so nützlich, so unent-
behrlich, dass nicht leicht ein Staat gefunden werden
kann, wo das gemeinsame Leben nicht dennoch dem Ein-
IV. TheiL Sl. (Anhang S. 5.) 157
zelnen mehr Nutzen gewährt, als wenn er ganz in Einsamkeit
lebte. In diesem Sinne enthält der Lehrsatz eine grosse
Walirheit.
In der E. wird das Handeln des freien Mannes
näher beschrieben. Unter Seelenstärke versteht Sp.
das Handeln, welches durch die Erkenntniss bestimmt
wird, oder das freie Handeln (III. L. 59 E.). Es bildet
insofern den Gegensatz zu dem Handeln aus Affekten.
Dass das Denken den Willen nicht bestimmen kann, ist
firüher (S. 149) dargelegt worden. Sp. yerwechselt das
sittliche Gefühl mit der Erkenntniss; jenes, aber
nicht diese kann im Gegensatz der Lustgefühle den
Willen bestimmen; sonst wäre es unmöglich, dass der
Mensch das Bessere erkennt und doch das Schlechte
thut, wie Sp. selbst sagt (lY. L. 17 E.).
Am Schluss der E. berührt Sp. den Trost gegen Leiden,
welcher in der Erkenntniss der Noth wendigkeit alles
Geschehens liegt. Es ist dies nicht der blinde Fatalismus,
der dabei die Begriffe von gut und schlecht als absolute
festhält und das Dasein des Schlechten nur mit der
Nothwendigkeit entschuldigt; sondern es ist jene aus
der vollen Erkenntniss des Weltganzen hervorgehende
Euhe, bei welcher die Begriffe von gut und schlecht
ganz verschwunden sind. Es bleibt dann nur der Schmerz
als solcher zu bekämpfen, und dafür giebt die Vorstellung
seiner Unvermeidlichkeit allerdings einen Trost, wenn-
gleich nicht in dem Extrem, wie die Stoiker meinen.
Diese Macht des Denkens über die Affekte und den Schmerz
bildet den Inhalt des V. Theils der Ethik; Sp. nimmt
sie nur als eine beschränkte.
Sil ABllftIl|[ S. 5. Sp. erkennt in dem Beginn des
Anhangs selbst an, dass die Lehrsätze dieses IV. Theiles
nicht übersichtlich geordnet sind, sondern nur nach Art
der Geometrie so, dass der spätere aus den frühem be-
wiesen werden kann. Man vermisst deshalb die leicht fass-
liche und übersichtliche Ordnung des Inhaltes bei Sp.
Er hat der Methode diese Uebersichtlichkeit zum Opfer
gebracht, ohne doch die Gewissheit und die Allgemeinheit
der Beweise, wie in der Geometrie, zu erreichen.
Die S. 1—5 setzen ausdrücklich die Erkenntniss
als das Ziel des sittlichen Handelns; Alles erhält seinen
158 IV. TheiL 82-84. (Anhang & 6. 7. 8. 9. 10— la)
sitüichen Werth nur nach dem Masse, als es dieses Ziel
befördert oder nicht. Macht, Grlück, Seelenrahe sind nach
Sp. nicht etwas Besonderes neben dieser Erkenntnis«,
sondern mit ihr identisch oder mindestens untrennbar.
Die Seligkeit besteht in dieser Seelenruhe. Die Bedenken
gegen diese üeberschätznng der Erkenntniss sind oben
dargelegt worden. Auch bei ihr kann ein Uebermass
einketen, and die Last aas dem Wissen (Aesthetik L 97)
bedarf ebenso wie jede andere ihrer Grenzbestinunong,
Aber die hinaas sie ein Fehler wird. Nar die falsdieii
Definitionen, Yon denen Sp. aasgeht, können dies yerdeck^L
82. APhüD^ S« 6. 7. Aach diese Sätze, mbn nor
aaf den fiJschen Definitionen. An sich ist es anb^^reif-
lich, weshalb ein gemeinsames Handeln, bei dem der
Mensch entweder seinen Nebenmenschen oder die Nator-
krafte mitbenutzt, am einen Erfolg za erreichen, als ein
Leiden gelten and nicht za dem Guten gehören soll.
Nach Sp. ist nur das gut, was aus der "Natur des ein-
zelnen Menschen allein, als seiner zureichenden Ursache
folgt. Sp. hat Tielleicht das gemeinsame Handeln und das
bewusste, absichtliche Benutzen der Natorkräfle in
seinen Begriff des Leidens nicht einschliessen wollen,
aber nach seinen Worten hat er es gethan.
83. Anliailg 8. 8. 9. Wichtig ist in S. 8 der Zu-
satz: nach seiner Meinung. Sp. hat bisher nur das
für gut erklart, was aus der Yemunft; oder der Erkennt-
niss, d. h. aus der Wahrheit folgt; hier soll auch das
aus der Meinung Folgende recht sein. Dieser Wider-
spruch ist indess nur die Folge eines nachlässigen Sprach-
gebrauchs. Li der Totalität der Natur ist Alles notiiwen-
dig, und also auch dies durch die Meinung bestimmte
Handeln; mit Bücksicht auf die Natur des Menschen
und danach gemessen, genügt aber die Meinung nicht;
da ist nur das Yemün&ge gut. Sp. hätte das Wort
»Becht« nicht für das Handeln aus der Meinung ge-
brauchen sollen.
84. Anhang 8. 10—13. Diese Satze zeigen, dass
Sp. weit entfernt ist, in seiner Ethik das I^al eines
Staates oder einer Gesellschaft darzulegen, dem die Mensch-
IV. Theil. 85. (Anhang S. 14-17.) 159
heit nachzustreben habe. Sp. weiss, dass alles Handeln
nothwendig ist, und dass deshalb die Welt dturch solche
«Ideale nicht ge&ndert werden kann. Seine Ethik ist
deshalb nnr beschreibend; erzeigt, was dem Menschen
in dem Handeln und Verhalten zu einander nützlich ist,
und was schädlich; genau so wie ein Oekonom lehrt, was
der Getreidepflanze filr ihre Entwicklung nützt oder schadet.
Sp. ist aber weit enfemt, aus dieser Erkenntniss Gebote
für das menschliche Handeln abzuleiten. Sp. sucht nur
die Erkenntniss zu stärken und zu erweitern; das.Febrige*
findet sich dann nach seiner Ansicht von selbst.
Wenn dagegen eine Ethik das sittliche Handeln aus
den Geboten der sittlichen Autoritäten ableitet, wie dies
in dem realistischen Systeme geschieht, so bilden diese
Gebote zwar den Inhalt der Ethik und für das Leben die
Motive des Handelns ; aber dennoch stimmt solche realisti*
sehe Auffassung mit Sp. darin überein, dass sie als Wis-
senschaft sich der eigenen Gebote ganz enthält. Nach
dem realistischen System wird das sittliche Handeln durch
die Gebote der Autoritäten bestimmt, aber diese Gebote
gelten und. wirken nicht, weil sie wahr oder yemünftiig
sind, sondern weil sie von Wesen mit unermesslicher
Macht, d. h. von erhabenen Autoritäten ausgehn. Die
Wissenschaffc hat deshalb an diesen Geboten ihren In-
halt; aber sie selbst fügt keine eigenen Gebote hinzu,
weil sie nicht zu den Autoritäten gehört, und deshalb
ihre Gebote nicht die sittliche Natur erlangen. Nur die
idealistischen Systeme verkennen die Natur des Sittlichen,
und indem sie meinen, das Sittliche sei ein Wahres, was
seinem Inhalte nach aus der Vernunft abgeleitet wer-
den könne, stehn sie nicht an, ihre Bücher mit eigenen
Geboten und sittlichen Aussprüchen anzufüllen, die aber
erfolglos verhallen.
85. Anbang S. 14—17. in S. 16 wird die Furcht
als ein unzuverlässiges Motiv der Eechtlichkeit dargelegt ;
dennoch wird die Staatsverbindung von Sp. nur auf die
Furcht gegründet. Dies ist kein Widerspruch, weil der
Staat bei Sp. nur ein Nothbehelf für die Unfreien ist,
und der Freie des Staates nicht bedarf.
Die Schwierigkeiten bei der Armenpflege übergeht
Sp. ; wahrscheinlich hat er sie auch übersehn. Auch hier
160 IV. Theil. M~89. (Anhang S. 18—20. 25. 29. 32.)
handelt es sich um Kollisionen yerschiedener Tugenden.
Jede Armennnierstntznng ist g^t, weil sie dem Armen
das Leben, die Kraft erhalt, und jede Unterstützung ist
schlecht, weil sie dessen Th&tigkeit und Eleiss lämit,
sobald er sicher auf die Unterstützung rechnen kauu.
Daher die Schwierigkeiten, mit welchen die {resellschafteii
bei dieser Aufgabe zu kämpfen haben. Gegenüber den-
selben zeigt sich die grosse Dürftigkeit solcher Sätze,
wie die hier in S. 17, die nur möglich sind, weil der
'Autor die Schwierigkeiten gar nicht bemerkt.
86. Anhang 8. 18—20. Wenn selbst die Liebe
und die geschlechtliche Gemeinschaft nur aus der IWiheit
der Seele hervorgehn soll, d. h. aus der Erkenntnis und
Seelenruhe, so sind damit die Affekte hierbei ausgeschlossen ;
die Ehe, die Begattung ist dann eine kalte widerliche
Aktion des Verstandes. Aus diesem Beispiel ei^ellt, wie
auch die Erkenntniss ihre Schranken gegen die Affekte
hat, und wie auch hier Alles auf die Grenzbestimmung
zwischen den einzelnen Tugenden ankommt.
87i Anhang S. 25. Hier kehrt der falsche, oben
(S. 151) gerügte Gegensatz wieder. Das Lob der Tagend
schliesst den Tadel des Lasters nicht aus; Eines ist so
nothwendig und nützlich als das Andere; aber Beide
können in ein Uebermass yerfallen, was sie zu einem
Pehler macht.
88. Anhang S« 29, Auch hier tritt der Weise,
nur der Erkenntniss Lebende, als das Musterbild Sp.'s
hervor. Es ist dies die Einseitigkeit der Philosophen;
was von ihnen gilt, erheben sie zur Eegel für Alle.
Wenn alle Menschen nur nach der Erkenntniss im Sinne
Sp.'s streben und sonst sich auf das Nothwendige (We-
nige) beschränken wollten, so wären die Nationen nie
zum Reichthum gelangt, urid doch hat erst dieser Eeich-
thum den Ausbau der Wissenschaften und die Erkenntniss
möglich gemacht. So geniessen die Philosophen die
Früchte des Eeichthums in Gemächlichkeit und lassen
dabei nicht ab, gegen denselben zu predigen.
89. Anbang S. 32. Der hier for das Unglück und
den Schmerz gebotene Trost der Unvermeidlichkeit des-
lY. Theil. 90. (Schloss des. IV. Theiles.) 161
selben ist allerdings nicht yermogend den Schmerz selbst
anfztiheben; auch sagt Sp. dies nicht; allein er enthält
doch eine Beruhigung , die namentlich alles unnütze
Klagen und alle Vorwürfe gegen die Vorsehung u. s. w.
fernhält. Die Beligion kann allerdings einen grössern
Trost bieten, indem sie den Unglücklichen auf die Selige
keit in jener Welt verweiset. Die Philosophie vermag
dies nicht; es ist wesentlich , dass sie dies weiss und
offen anerkennt; sie kann nur die Wahrheit bieten, und
es ist ein Zeichen von Sp.'s Geistesgrösse, dass er schon
vor zweihundert Jahren dies offen ausgesprooben hat.
90. SoUiiss des IVi Theiles. Mit diesem iv.
Theile ist die Ethik Sp.'s, so weit sie nach seinem System
überhaupt möglich ist, abgeschlossen und vollendet. Im
y. Theile folgen nur noch einzelne psychologische und
pädagogische Mittel, um das Gute sicherer zu verwirk-
lichen und die Lehre von der in dem vernünftigen Han-
deln liegenden Seligkeit und Unsterblichkeit. Die eigent-
liche Tugendlehre ist ausschliesslich in diesem IV. Theile
gegeben. Das sittliche Prinzip ist danach die Er-
kenntniss; das Sittliche wohnt deshalb nur der Seele
inne; Alles, was zur Erkenntniss führt, ist gut; das
Gegentheil schlecht Aus der Erkenntniss allein folgt
das Handeln und die Freiheit des Menschen. Nur
der in der Vernunft Handelnde, d. h. der der Erkenntniss
folgende Mensch ist frei. Zugleich enthält dieses Han-
deln die Verwirklichung des Wesens und der Macht
des Menschen und ist deshalb auch die höchste Fröh-
lichkeit und das Nützlichste. So fallen alle jene
Ziele, welche andere Systeme einzeln verfolgen, bei Sp.
in eines zusammen; sie sind sämmtlich identisch oder
wenigstens untrennbar von der Erkenntniss.
Indem in der Erkenntniss das Handeln und die
Freiheit ebenso betont ist, wie die Fröhlichkeit und der
Nutzen, kann man zweifeln, ob die Ethik Sp.^s zu den
Systemen gerechnet werden darf, welche lediglich auf die
Lust und den Nutzen erbaut sind; Sp. selbst schwankt
in seinen Ausdrücken; bald ist die Selbsterhaltung und
damit die Fröhlichkeit das Bechte und die Tugend des
Menschen; bald stellt er als solches die Vernunft und
die Erkenntniss hin. Dies ist nur deshalb kein Wider-
Erl&uterangen za Spinosa^s Ethik. 11
162 IV. Thefl. M. (Schloss des lY. Theües.)
sprach, weil Fröhlichkeit^ Handeln, Freiheit und Erkennt-
niss bei Sp. untrennbar sind, also jedes das andere ver-
treten kann.
Dabei stellt Sp. das Ideal eines Weisen nicht als das
Ziel auf; Sp. weiss, dass kein Mensch aus seinem Wesen
und ans der allgemeinen Ordnung der Natur heraus kann.
Deshalb verdammt Sp. nicht die leidenden Affekte und
das Laster; er zeigt nur, dass jene dem üebermass aus-
gesetzt sind, und beide einen geringeren Grrad von Glück
gewähren.
Mit dei^ vollen, das Ganze erfassenden Erkenntniss
verschwinden die Begriffe von gulAmd schlecht; Alles
ist dann nur die nothwendige Folge von dem ewigen und
unendlichen Wesen Gottes. Gut und Schlecht sind nur
verworrene Vorstellungen, weil sie' das Einzelne nicht
in seinem Zusammenhange mit Gott und der Welt, son-
dern vereinzelt und nur in Beziehong auf den Menschen
auffassen.
Die Bedenken gegen dieses System sind bei den ein-
zelnen Lehrsätzen oben dargelegt worden. Trotz dieser
Bedenken muss die Grossartigkeit der Grundgedanken
bewundert werden; je langer man bei ihnen verweilt,
desto mehr fohlt man sich von ihnen erfasst und ange-
zogen. Trotz des mangelhaften Ausdrucks liegen ihnen
tiefe Wahrheiten zu Grunde. Leider sind diese von der
spätem Philosophie nicht aufgenommen und fortgebildet
worden. Selbst Hegel steht in der Ethik Sp. fem.
Das Sittliche ist bei Hegel wieder das Absolute, nicht
das Verworrene und Mangelhafte. Dennoch liegt gerade
in diesem Gedanken die Grösse Sp.'s Aller Fortschritt
in der Wissenschaft des Sittlichen (nicht im Sittlichen
selbst) kann nur in einer Entfaltung und klaren Begrün-
dung dieses Gedankens bestehn. Ein Anfang dazu ist
anderwärts (B. IX. dieser Bibliothek) versucht worden.
V. Theil. 1—3. (Vorrede. A. 1. A. 2.) IßJ
Fünfter Tbeil.
Von der Macht des Verstandes oder der
menschlichen Freiheit.
1. VorrodO. Die Ueberschrlft dieses und des vierten
Theiles ist nicht ganz richtig. Der vierte Theil handelt
ZQ seinem grösseren Theile schon von dem dnrch die
Vernunft bestimmten Handeln, d. h. von der Freiheit.
In diesem fünften Theile werden nur einzelne Mittel
untersucht, durch welche die Macht der Vernunft über
die Affekte gesteigert werden kann.
Deshalb ist auch der erste Satz der Vorrede unwahr.
Der Begriff der Freiheit .ist bereits im vierten Theile
gegeben.
Die von Sp. in dieser Vorrede gegebene Widerlegung
von C ar t e s i u s ' Hypothese über die Verbindung zwischen
Seele und Körper mittelst der Zirbeldrüse wird jetzt
Niemand bekämpfen; allein die Einheit, welche Sp. dafür
zwischen Seele und Körper in dem Farallelismus ihrer
Zustande gesetzt hat, ist nicht minder grossen Bedenken
unterworfen, wie früher dargelegt worden.
2. Ä. 1. Dieser Satz folgt aus III. L. 5, wo der
Begriff des Entgegengesetzten gegeben worden ist.
Der Satz ist nicht unbedingt wahr; zwei Kräfte, z. B.
die zwei gleichen Gewichte in einer Wageschale sind
einander entgegengesetzt und der Druck oder die Buhe
der Wageschale wird nur durch das Fortbestehn beider
entgegengesetzten Kräfte bedingt. Ueberhaupt enthalt
der Begriff des Druckes das Gegentheil von diesem Axiom.
3. A. 2. Dieses Axiom folgt weniger aus III. L. 7,
als aus der Definition der Ursache I. A. 3. 4. Weil diese
Definition aber falsch ist, ist es auch dieses Axiom. Nur
bei der Bewegung wird in der modernen Physik dieses
11*
164 ^' "^^^ *-*' (L. 1 B, L. 2 6. L. 3 B. Z.)
Axiom festgehalten; daher der Satz, dass die Samme der
Bewegung oder Kraft in der Welt ebenso wenig sich
vermehrt oder vermindert wie der Stoff. Aber der Satz
hat keine Gültigkeit f&r die ursächliche Yerbindung
zwischen Körper und Seele, . welche Spinoza allerdings
nicht kennt.
4« Li 1 B. Man hat bei diesem L. 1 und seinem B.
Mühe, den kausalen Einfluss zwischen Körper und Seele
fem zu halten. Sp. kennt nur ein Parallel-Laufen der
Zustande in beiden, was aber, wie dieser L. zeigt, hier
nur noch in den -Worten von der Ursächlichkeit verschie-
den ist IJebrigens ergeben die L. 29. 30. 31 dieses
Theils y., dass L. 1 nicht blos vom bildlichen Vorstellen
(inuiffinari) zu verstehn ist, sondern auch von der Er-
kenntniss des Wesens der Dinge. Bisher hat Sp. diesen
Farallelismus zwischen Körper und Wesen nur für das
bildliche Vorstellen dargelegt und erläutert (S. 63), aber
nach y. L. 29—31 sind auch die ewigen Wahrheiten
und die dritte Ordnung des Wissens an Körperliches ge-
bunden und laufen mit dem Weden des eigenen Körpers
parallel; eine Hypothese, deren bestimmtere Gestaltung
noch grosse Schwierigkeiten bietet, da das körperliche
Bild von dem Wesen des Körpers (V, L. 31) ein schwer
zu fassender Gedanke ist.
5. L. 2 B* Dieser L. 2 ist richtig; allein die
ganze Bedeutung lieget in dem: Wenn. Es fragt sich,
wie soll die Seele es anfangen, von dem Gefühl die Vor-
stellung seiner Ursache zu trennen, z. B. von der Üebe
die Vorstellung des Geliebten? Darüber bleibt Sp. die
Antwort schuldig, und doch ist ohnedem der L. werthlos.
Er widerspricht überdem der Nothwendigkeit, mit der
nach Sp. die einzelnen Vorstellungen in der Seele sich
unabänderlich folgen.
Dieser L. 2 bildet das erste Mittel, wodurch nach
S|{. der Verstand seine Macht über die Affekte ausübt
6. L. 3 B. Zt Dieser L. 3 bezeichnet das zweite
Mittel gegen die Affekte. Der B. ist aber schwer zu
verstehen. Wenn eine Vorstellung verworren ist, so ist
nicht wohl abzusehn, wie eine Vorstellung von dieser
V. Thefl. 7. 8. (L. 4 B. Z. E.) 165
Yorstellnng klar und bestimmt oder zureichend sein kann.
Die Yorstellung der Vorstellung ist doch nur das Wissen
von ihr selbst oder das Bewusstsein derselben, und des-
halb von ihr nicht unterschieden. Ist nun die Vorstellung
selbst verworren, s<f ist es auch das Bewusste darin.
Die Meinung Sp.'s kann nur dann verstanden werden,
wenn man den Affekt als einen seienden Zustand der
Seele gelten lässt. Von einem solchen kann eine zu-
reichende Vorstellung gebildet werden, aber nicht von
einer verworrenen Vorstellung. Sp. meint wohl, dass
die Erkenntniss der Natur der Affekte überhaupt, ihrer
Zufälligkeit, ihrer Unsicherheit, ihrer Geföhrlichkeit dazu
dient, den einzelnen in der Seele auflodernden Affekt zu
hemmen und ihm seine Kraft zu nehmen. Deshalb ge-
braucht Sp. in dem Z. das Wort: bekannt. Diese An-
sicht ist in vieler Beziehung wahr; obgleich nicht von
so grossem praktischem Gebrauche, als Sp. meint. Denn
solche Erkenntniss setzt schon eine Seelenruhe voraus,
welche sich mit der Natur des Affektes schwer verträgt.
Ist der Affekt stark, so kann diese Erkenntniss nicht
Platz greifen, und ist die dazu nöthige Seelenruhe ge-
wonnen, so ist der Affekt schon gezähmt, und es bedarf
der Erkenntniss seiner Natur nicht noch ausserdem.
7. L. 4 B. Z. Dieser L. 4 will den L. 3 erläutern.
Der B. ist aber dürftig; denn nach II. Ln. 2 hinter 11.
L. 13 besteht das Gemeinsame der Körper-Affekte nur in
dem Attribut der Ausdehnung und in der Kühe oder Be-
wegung. Diese beiden Bestimmungen sind aber sehr arm
an Inhalt, und wenn mau nur dieses von den Affekten
klar erkennen kann, so ist die Eigenthümlickeit der
Affekte damit lange nicht erschöpft und die Erkenntniss
noch sehr unvollständig.
Der Z. ist sehr dunkel, eine Folge der Dunkelheit
von L. 3, welcher nicht abzuhelfen ist, da Sp. die Affekte
der Seele nicht als seiende Zustände, nicht als Gegen-
stände des Vor Stollens behandelt, sondern als Vorstel-
lungen selbst.
8. E. zn L. 4. Der erste Theil dieser E. bestätigt
die Erläuterung, welche unter No. 6 von L. 3 gegeben
worden ist. Der Sinn beider von Sp. hier behandelten
166 V. Theo, •• (L. 5 R)
Hfllfsmittel gegen die Affekte ist der, dass die Seele
Yon dem Affekt zu dem Nachdenken fibergehen soll.
Allein in diesem Mittel wird schon seine Wirkung anti-
zipirt; ist dies Nachdenken dem vom Affekt erfassten
Menschen möglich, so ist auch de» Affekt selbst sdion
fiberwnnden. Die ganze Schwierigkeit liegt in diesem
TJebergange ond da^r giebt Sp. kein Mittel an. Sp. hat
dabei wohl nnr an seine eigene Natur gedacht; er war
durch seine Kränklichkeit, durch sein einsames, in das
Nachdenken versunkene Leben den Affekten weniger aus-
gesetzt; sein Drang nach Erkenntniss, als Charakter-
zug, schfitzte ihn gegen die Affekte. Bei der Schwäche
der in ihm auftretenden Affekte und bei der Starke seiner
Liebe zur Erkenntniss war bei ihm allerdings es ausführ-
bar, dass jene durch diese gemässigt und gehemmt wer-
den konnten. Allein diese Eigenthumlichkeit des Philo-
sophen ist bei andern Menschen selten vorhanden, und
deshalb sind bei diesen jene Mittel von geringem Erfolge.
Deshalb ist eben das sittliche Gefühl, die Achtung
so wichtig f&r das menschliche Handeln. In der Ach-
tung vor den Geboten der erhabenen Autoritäten ist ein
Geföhl enthalten, welches den Gefühlen der Lust oder
den Affekten an Stärke nicht nachsteht, und welches
deshalb weit kräftiger den Verlockungen der Sünde sich
entgegenstellt als die blosse Lust aus dem Wissen, auf
welche die von Sp. vorgeschlagenen Mittel hinauslaufen,
und welche bei den wenigsten Menschen in einem erheb-
lichen Grade besteht (Aesthetik I. 97).
Der n. Theil der E. ist zweideutig. Es scheint
demnach, als wenn das Sittliche gar nicht in dem Inhalte
des Handelns, sondern nur in seiner Ursache enthalten
sein soll. Sp. hat dies vielleicht so gemeint; allein die
angebliche Gleichheit in dem ersten, den Ehrgeiz be-
treffenden Fall trifft nicht den Inhalt, da jeder von beiden
bei dem: »Nach seinem Sinne leben« ein anderes Han-
deln im Sinne hat. Das Sittliche und Unsittliche ist
vielmehr allemal im Inhalte verschieden, sobald die be-
treffende Handlung in ihrer Totalität aufgefasst wird,
und nicht blos Einzelnes herausgerissen wird.
9. L« 5 B. Der B. beruht darauf, dass die Seele
bei der Vorstellung des Nothwendigen, Zufalligen und
V. Thefl. 10. (L. 6 B. E.) 167
Möglichen noch an Anderes als an den Gegenstand selbst
denkt, oder: dass der Gegenstand dann nicht als die
alleinige Ursache des Affektes vorgestellt wird. Den-
noch ist der L. 5 unwahr, da Sp/s Definitionen der Liebe
und des Hasses falsch sind. Die Liebe geht von der
Lnst des Geliebten aus; diese bestimmt den Affekt des
Liebenden. Die sonstigen Beziehungen und Zustände des
Geliebten sind gleichgültig. Deshalb kann ich eine Sclavin
heftig lieben und eine Freie hassen, obgleich Beide mir
dieselbe Wohlthat erwiesen haben, also Ursache der
gleichen Fröhlichkeit sind.
10. L. 6 B. B, Der L. 6 ist in Wahrheit der höchste
Trost, welchen die Philosophie gegen das Leiden und den
Schmerz bieten kann. Es ist deshalb von Interesse, zu
erfahren wie Sp. diesen Satz begründet. Da ergiebt sich
d^n allerdings nur eine sehr mechanische AblMtung.
In dem Begriffe des Nothwendigen ist nach Sp. die ganze
unendliche Beihe der wirkenden Einzeldinge mit gesetzt,
folglich zerstreut* sich die Seele, wenn sie an diese
Vielen bei ihrem Schmerze denkt. — Allein gegen diese
Ausführung spricht, dass das Nothwendige eine Wis-
sensart ist, welche in die Seele eintreten kann, ohne dass
die Gründe der Nothwendigkeit in das Wissen mit ein-
zutreten brauchen (E. 62). Sodann ist der Affekt eben
mehr als ein Vorstellen; er ist ein Fühlen, und von
dem Vorstellen höchstens nur erweckt Die Erklärung
des Sp. kann deshalb nur dem genügen, der streng an
Sp.'s früheren Sätzen festhält.
Die beruhigende Wirkung der Nothwendigkeit wirkt
nach der Erfahrung mehr bei dem Schmerz, als bei der
^Ereude. Hier erscheint sie ohne Einfluss auf deren Stärke;
im Gegentheil, ein Spieler erfreut sich um so mehr seines
Gewinnes, je mehr er ihn als das nothwendige Ergebniss
seiner Berechnungen nimmt. Wenn bei dem Schmerz
die Nothwendigkeit eine Milderung bewirkt, so liegt dies
nur in der Abhaltung aller, den eigentlichen Schmerz
verstärkenden Affekte, die ohnedem leicht hinzutreten.
Insbesondere sind es die Vorwürfe gegen sich oder Andere^
gegen den Arzt, der das Kind hätte retten können ; gegen
den General, der die Schlacht hätte gewinnen können u. s. w.,
welche als solche Verstärkungen des Schmer2es in den
168 V. Theil. 11-13. (L. 7 B. L. 8 B. L. 9 B. L.-10 B. E.)
meisten Fällen sich eindrängen, aber durch den Gedai&en
der Nothwendigkeit des üebels abgehalten werden.
Eine weitere Begründung dieses wichtigen L. 6 wird
nicht möglich sein. — Das Beispiel Sp.'s mit den kleinen
Kindern ist falsch; denn diese Kinder leiden keinen
Schmerz und sind meist glücklicher als die Grossen; sie
bedürfen deshalb nicht de» in der Nothwendigkeit liegen*
den Trostes. Dies würde selbst für den Fall gelten, dass
nicht alle als Kinder geboren würden. Nur das falsche
ürtheil der Erwachsenen, welche die Zustände der Kinder
nur nach ihrer eigenen Empfänglichkeit benrtheilen
(Aesthetik I. 107), kennte bei diesen ein Bedauern ver-
anlassen, was aber ohne Grund wäre. Der Schmerz ist
ein Positives und nicht bloss ein Beziehungsurtheü, was
seine Grundlage, wechseln könnte.
IL L. 7 B. Der B. beruht auf dem Sp. eigenthüm-
lichen Begriff des Gemeinsamen. Nur dieses bildet den
Gegenstand des Erkennens; das Gemeinsame ist aber in
allen Einzelnen enthalten, also immer gegenwärtig und
deshalb kann es die aus dem bildlichen Vorstellen ent-
springenden Affekte überwinden, deren Gegenstände nicht
immer gegenwärtig sind. — Man sieht, auch diese Er-
klärung ist s^ mechanisch. Der Satz verliert übrigens
schon deshalb an seiner praktischen Bedeutung, weil das
Gemeinsame, was immer gegenwärtig ist, nur die zwei
Attribute Gottes und die Bewegung und Buhe umfasst;
diese wenigen Bestimmungen sind aber so inhaltsleer und
abstrakt, dass sie von den meisten Menschen gar nicht
als solche besonders gefasst werden, und in keinem Falle
gegen die Affekte etwas vermögen.
12- Li 8 B. L. 9 B. K 8 gilt nur, wenn die ein-
zelnen Ursachen in ihrer Wirksamkeit sich gleich steim.
Der B. von L. 9 gelingt nur, weil nach Sp. die Affekte
der Seele Vorstellungen sind und zum Wissen der
Seele gehören. Sind sie aber seiende Zustände, so
fehlt der Beweis, und dass sie dies sind, ist leicht nach-
zuweisen (Aesthetik I. 4).
13i L« 10 B. El Wenn man den Inhalt dieses L. 10
in die gewöhnliche Sprechweise übersetzt, so sagt er,
V. Theü. 14. 15. (L. 11 B. L. 12 B.) 169
dasB der besonnene Mensch vermag nach Grundsätzen
zu handebi. Dies ist gewiss richtig; denn die Besonnen-
heit ist eben jener Zustand, wo keine sonstigen Affekte
dem Nachdenken und üeberlegen hindernd in den Weg
treten. Die Besonnenheit ist aber selbst ein seiender
Zustand und bezeichnet eben jenes Gleichgewicht der
Gefahle und Begehren, wo kein einzelnes die Uebermacht
besitzt. Sp. dagegen kennt nur wissende Zustande in
der Seele. Deshalb gilt ihm Alles als schlecht, was das
Erkennen hindert; ein Satz, der in dieser Allgemeinheit
nicht aufrecht zu halteiiii ist, wie oben (S. 162) gezeigt
worden ist
Die E. bespricht ein pädagogisches Mittel. Der Mensch
soll in Zeiten der Buhe über das rechte und nützliche
Handeln nachdenken und diese Grundsätze an Beispielen
des Lebens sich yeranschaulichen und einprägen; dann
werden solche Grundsätze sich auch in Zeiten der Auf-
regung «wirksam zeigen. Dieses ist zwar nicht genau
der Gedanke des L. 10, indess ist es ein Schutzmittel,
freilich nur ein schwaches. Der weit stärkere Schutz
gegen die Affekte liegt in den sittlichen Gefühlen,
welche aus den Geboten der Autoritäten entstehn und
den Affekten der Lust weit kräftiger entgegentreten kön-
nen, als jene blossen Hebungen des Gedächtnisses, von
denen Sp. spricht.
14. L. 11 B. Es bleibt dunkel, was Sp. hier unter:
beziehn (referri) versteht. .Es kann das Gemeinsame
im Sinne Sp.'s gemeint sein (das Begriffliche, E, 16) oder
auch das mit dem Bude durch Beziehungen Verbundene,
also seine Ursache; erst die folgenden Lehrsätze erläutern
dies. Unter Bild ist hier das Körperliche zu ver-
stehn, welches mit dem bildlichen Vorstellen correspondirt
(II. L. 17). Man trifft Wohl den Gedanken Sp.'s am
richtigsten, wenn man z. B. sagt: der Geldgeiz wird
leichter erregt als die Leidenschaft, Bücher zu sammeln,
denn das Geld bezieht sich auf mehr Dinge, als die
Bücher.
»
15. L. 12 B. Dieser L. mit seinem B. zeigt, dass
unter dem Beziehn des L. 11 auch das Gemeinsame
gemeint ist.
170 V. TheiL 10—19« (L. 13 B. bis L. 17 B. Z.)
16« Lf 13 B. Dieser L. zeigt, dass in dem Be-
zieh n des L. 11 anch die, nnr durch die Gesetze des
Gedächtnisses in der einzelnen Seele Terbnndenen Yer-
stellongen mit gemeint sind.
17« L. 14 B, Der L. 14 klingt sehr bedeutend,
weil der Leser nnter Gott in der Begel den Gott seiner
Beligion yersteht. Allein der Gott, den Sp. meint, ist
todt nnd kalt; er ist keine Person; er hat weder Verstand,
noch Willen, noch GefQhl; er ist nnr der Inbegriff der
zeitlosen Wesen der Einzeldinge, zn einem Ganzen ver-
bunden. Aus diesem Gesammtwesen fliessen die endlichen
Dinge als seine Zustände mit Nothwendigkeit ab. Der
Gott Sp.'s gleicht mehr der Definition eines Kreises, aas
der sich die Lehrsätze desselben ableiten, als dem Gott
der christlichen Beligion. So verstanden, sinkt dieser
L. 14 zu einem blossen Satz der Log^ herab. Wenn
Gott durch seine Attribute in jedem Einzeldinge enthalten
ist, wenn diese als Zustande ohne ihre Substanz, d. h.
ohne Gott nicht gedacht werden k(tamen, so muss aller-
dings jede Betrachtung eines Endlichen zur Yorstellung
Gottes f&hren; dies ist dann ein blosses Denkgesetz.
18. L. 15 B. Ii. 16 B. Auch diese Sätze ver-
lieren ihre hohe Bedeutung, wenn man sie im Sinne Sp.'s
versteht. Die Liebe in diesem Satze ist nicht die wahre
Liebe, die in dem Glücke des Geliebten aufgeht^ sondern
es ist nur die eigene Lust, mit der Yorstellung ihrer
Ursache. Ist Gott nur das zeitlose Wesen der Dinge,
so kann die menschliche Seele, als ein Znstand des Den-
kens, Gott nur als die wissenschaftliche, das Wesen der
Dinge enthaltende, ganz unpersönliche und gefahllose
Wahrheit erfassen. Gott ist dann nur ein anderes Wort
fär Wissenschaft und Philosophie, und so verwandeln sich
beide Sätze in den einen: dass der Philosoph die Philo-
sophie am meisten liebt, ein TJrtheil, was Kant nicht
einmal als ein synthetisches wurde haben gelten lassen.
19, L, 17 B« Z. L. 17 folgt unzweifelhaft aus den
früheren Definitionen Sp.'s; allein da diese selbst will-
kürlich sind, so schwebt das ganze System in der Luft
und entbehrt der Bürgschaft, dass ihm das Seiende
V. TheU. 20—22. (L. 18 B. Z. E. bis E. zu L. 20.) 171
entspricht. Dieser Einwand trifft jedes System, welches
die einzige Vermittlung zwischen Sein und Wissen ver-
schmäht, welche dem Menschen in der Wahrnehmung ge-
geben ist. Ist Gott nur ein System von ewigen Wahr-
heiten oder Definitionen des Wesens der Dinge, je nach
den zwei Attributen des Denkens und der Ausdehnung,
so kann natürlich von Gefühlen bei Gott keine Eede sein.
Der wahre Beweis dafür liegt darin, dass die Gefühle
kein Wissen sind. Spinoza muss den Beweis aber anders
führen.
20. L. 18 B. Z. B. Auch bei diesen Sätzen muss
man sich hüten, dem Worte Gott religiöse Vorstellungen
unterzuschieben. Aber selbst im Sinne Sp.'s ist der Be-
weis erkünstelt, weil der Lehrsatz III. L. 59, auf dem
der Beweis wesentlich ruht, erkünstelt und bedenklich
ist. Man muss übrigens festhalten, dass Sp. nur von
denen spricht, die Gott erkennen, d. h. zureichende
Vorstellungen von ihm haben; für das bildliche Vorstellen
von Gott gilt der Satz nicht; da ist ein Hass Gottes sehr
wohl möglich.
21. L- 19 B. Die Liebe Gottes ist nach Sp. nur
in der Erkenntniss Gottes; diese weiss eben, dass Gott
keine Affekte hat, folglich kann sie auch keine Gegen-
liebe wollen.
21b. L. 20 B. B. Auch hier halte man fest, dass
unter der Liebe zu Gott die Freude an der Philo-
sophie zu verstehn ist, nichts weiter. Nur weil das
Wissen des einen Menschen nie durch das Wissen der
andern beschränkt werden kann, folgt der L. 20. Auch
hier liegt die hohe Bedeutung des Satzes nur darin, dass
unter Gott der religiöse, persönliche Gott yerstanden,
d. h. dass der L. 20 missyerstanden wird.
22. B. za L. 20. Der zweite Satz der E. bestätigt,
dass es sich bei den von Gott handelnden Sätzen L. 14
bis L. 20 nur um die Erkenntniss der Wahrheit handelt,
und dass diese Sätze nur als Mittel gegen die Affekte
von Sp. hier geboten worden sind. In der Aufzählung
dieser Mittel hat Sp. noch das wichtigste aus L. 6 über-
1 72 V. TheiL 23—25. (E. zu L. 20 bis L. 22 B. L. 23 B. E.)
sehn, nebmlich die Auffassung alles Greschehens als eines
nothwendigen.
23. B. ZU L. 20. Die übrigen Satze der E. wieder-
holen das Lob der Erkenntnis s. Sie können nur gelten,
wenn die Seele selbst nichts als ein Wissen ist, und die
Gefühle und das Wollen der Seele zu blossen Yorstellun-
gen umgewandelt werden. Ist diese Auffassung Sp.'s aber
unwahr, so sinkt die Erkenntniss und die aus ihr fliessende
Lust nur zu einer Art der Lust herab, welcher andere
Arten, wie die Lust aus der Macht, aus der Ehre, aus
der Schönheit, aus dem Leben u. s. w. mit gleichem Becht-e
gegenüberstehn , und es fehlt völlig an einem Grunde,
weshalb die Erkenntniss das höchste Ziel und das sitt-
liche Prinzip für den Menschen sein soll. Selbst die
Begriffe des Handelns und der Freiheit, welche Sp.
nur in dem Erkennen findet, haben in ihrer richtigen
Auffassung einen andern Sinn, wie oben (S. 117) gezeigt
worden ist. Nur die unnatürlichen Definitionen, von
denen Sp. ausgeht, konnten zu dieser ausschliesslichen
Verherrlichung des Erkennens führen.
Wenn Sp. im Schlusssatz dieser E. sagt, dass er mit
dem Vorstehenden alle Mittel gegen die Affekte erschöpft
habe, so hat er doch das wichtigste und mächtigste ver-
gessen, nämlich das sittliche Gefühl der Achtung vor
den Geboten der Moral und des Bechts. Ein grosser
Theil dessen, was Sp. von der Macht der Erkenntniss
oder des Denkens über die Affekte aussagt, hat seine
Wahrheit nur darin, dass er das sittliche Gefühl mit dem
Erkennen verwechselt.
24. L. 21 B. Sp. geht mit diesem L. zu der Frage
der Unsterblichkeit der Seele über. L. 21 und sein
Beweis ist logisch richtig aus den früheren Definitionen
abgeleitet; ist die Seele nur die Vorstellung ihres Kör-
pers und nichts weiter, so kann man gegen diesen L.
nichts einwenden, aber es steht ihm entgegen, dass diese
Prämisse selbst eine Voraussetzung ohne Beweis ist.
25. L. 22 B. L. 23 B. B. Der Kern von L. 22
liegt in dem Worte Wesen. Dasselbe ist nach Sp.
nicht ein Gemeinsames oder Begriffliches von vielen Din-
V. Theü. 25. (L. 22 P. L. 23 B. E.) 173
gen, sondern das Wesen ist so individuell wie die ein-
zelne Sache; jenes ist nur frei von der zeitlichen Existenz
der Sache; das Wesen der einzelnen Dinge steht ausser-
halb der Zeit, ist ewig und fällt deshalb mit dem Wesen
Gottes zusammen, dessen Inhalt es bildet. In diesem
Sinne ist L. 22 zu fassen, und dann wird auch L. 23
verständlich. Das Wesen der Seele, welche das zeitlose
Wesen ihres Körpers spiegelt, ist vermöge seiner Zeit-
losigkeit nothwendig dem Vergehn entnommen, was nur
in der Zeit möglich ist; es fällt deshalb in Gott.
üebrigens geht dieser B. weiter und beweist auch
die Ewigkeit des Wesens des Körpers, der in Gottes
Attribut der Ausdehnung enthalten ist und mit dem
Inhalt des Attributes des Denkens parallel geht, so dass
Sp. sagen kann: Beide sind Eins; der Unterschied föllt
nur in die Auffassung ihrer. Doch bleibt auffallend,
dass Sp. diese Unsterblichkeit des Körpers nach seinem
Wesen nicht ausgesprochen hat. Es hindert ihn daran
seine Definition des menschlichen Körpers, welcher in
seinen Elementen fortwährend wechselt; deshalb scheute
sich Sp., den schwer damit zu vereinenden Begriff des
Wesens des Körpers in Bezug auf seine Ewigkeit weiter
zu verfolgen.
Da nach Sp. die Unsterblichkeit der Seele sich nur
auf ihre wahre und zureichende Vorstellung von dem
Wesen der Dinge beschränkt, das bildliche Vorstellen
des Einzelnen aber mit dem Tode aufhört, so ist nur
das wissenschaftliche oder philosophische Wissen der
Inhalt der unsterblichen Seele, und sie kann deshalb von
dem Wissen Gottes, welches denselben Inhalt hat, nicht
mehr unterschieden werden. Deshalb ist die Seele, als
erkennende, ein Theil Gottes selbst, und umgekehrt ist
die Seele die Verwirklichung des Wissens Gottes. Dieses
Ineinanderfliessen ist nicht abzuhalten; es wird später in
L. 36 auch auf die Gefahle ausgedehnt.
Man hat diese Einheit Gottes und der Menschen
vielfach als die höchste Weisheit gepriesen, und Hegel
hat sie- zur Grundlage seiner Philosophie genommen.
Sie gewährt dem, nach Vereinigung mit dem Unendlichen
zugewendeten Gefühle der Liebe und der Ehrfurcht und
Anbetung die höchste Befriedigung; deshalb wird diese
Einheit von Allen, in denen das religiöse Gefühl zu einer
174 V. Thea 26. 27. (L. 24—26. L. 27 B.)
hohen Lebendigkeit entwickelt ist, mit Zähigkeit fest-
gehalten; deshalb bildet sie auch die Grandlage der
AofEjEussungen Schleiermacher' s. Allein dieses Alles
kann das Denken nicht hindern, ihre Schwäche darzulegen;
denn die Wahrheit kann nicht Yon dem Grefahl, sondern
nur von den Fandamentalsätzen abhängen (E. 60. 68).
Zunächst ist klar, dass die Persönlichkeit des Einzel-
nen mit diesem Begiiff der Unsterblichkeit nicht bestehn
kann; die einzelne Seele zerfiiesst zu einem Theile der
wissenschaftlichen Wahrheit, dieses Wissen als ein för
sich bestehendes, ausserhalb des Seienden, gedacht (Aesthe-
tik I. 23). Damit ist der religiöse Begriff der Unsterb-
lichkeit yemichtet, der an der lebendigen Persönlichkeit
haftet; ebenso verlieren sich damit jene Trostgründe,
welche die moderne Bildung aus dem Wiedersehn der
Geliebten, aus der Fortdauer der Persönlichkeit, aus
dem Wachsen der Erkenntniss in jenem Leben abgeleitet
hat Die Unsterblichkeit der Seele ist bei Sp. zu einem
blossen Wissen allgemeiner Wahrheiten herabgesunken,
wie sie z. B. jedes Lehrbuch der Geometrie enthält. —
Endlich ist die Hauptfrage, ob die Seele blos ein Wissen
ist, und ob ein solches ohne Sein bestehn kann, von Sp.
nicht gelöst, sondern nur durch willkürliche Definitionen
umgangen, welche zwar den Grund zu seiner Hypothese
enthalten^ denen aber der Beweis ihrer Wahrheit fehlt.
26. L. 24. 25. 26, Da das Erkennen das Wesen
der einzelnen Dinge erfasst, und das Wesen zu Gott
gehört, so muss nothwendig die Erkeimtniss Gottes mit
der Zahl der erkannten Einzeldinge zunehmen. Die in-
tuitive Erkenntniss ist bei II. L. 40 erörtert. Sp.
scheint ihren höheren Werth in die Unmittelbarkeit und
damit in die grössere Stärke ihrer Gewissheit zu legen.
Diese L. 24—26 zeigen, dass für Sp. die Erkenntniss
oder das System der ewigen Wahrheiten mit Gott iden-
tisch ist, sofern er unter dem Attribute des Denkens auf-
gefasst wird.
27. L. 27 B. Hier ist nicht die Seelenruhe des
christlichen Frommen gemeint, sondern die Seelenruhe
des Philosophen, der in seiner Erkenntniss und dem
V. Theü. 28. 29. (L. 28 B. L. 29 B. E.) 175
Glück, das sie gewährt, sich gegen jedes Unglück ge-
nügend gesichert weiss, während der Fromme diese
Sicherheit aus der Allmacht und Vorsehung Gottes ableitet.
28. L* 28 B. In diesem L. liegt die Bechtfertigung.
der Methode und des Systems von Sp. Während nach
dem Prinzip des Bealismus da^ Sein und sein Inhalt nur
durch Wahrnehmung erfasst und in das Wissen über-
geführt werden kann, und das Allgemeine nur erst aus
dem wahrgenommenen Einzelnen durch begriffliches Tren-
nen ausgesondert und gewonnen werden kann, ist bei Sp.,
wie später bei Hegel, die Wahrnehmung vielmehr die
Quelle des Irrthums und kein Mittel, die Wahrheit zu
gewinnen. Diese entwickelt sich nur aus den Prinzipien
oder aus der zureichenden Vorstellung der Attribute
Gottes (V. L. 25), aus denen dann der weitere Inhalt
oder das Besondere abfliesst in der Art, wie die geome-
trischen Lehrsätze aus den Definitionen der Gestalten
sich ableiten.
Sp. hat in seiner Ethik ein Beispiel davon gegeben, was
mit solcher Methode erreicht werden kann; es kann ein
abschreckendes genannt werden; denn die grossen Wahr-
heiten, welche in dem Werke eingehüllt liegen, sind nicht
auf diesem deductiven Wege von Sp. gewonnen worden,
sondern auf dem inductiven, nur dass er es sich selbst
nicht gestehen will.
Dieser Irrtlium. Sp.'s verdient Entschuldigung, denn
Sp. stand am Ausgange der scholastischen Zeit; aber
wanderbar muss die Wiederaufnahme dieses Prinzips unter
dem Namen der dialektischen Entwickelung bei
Hegel erscheinen, nachdem Kant kurz vor Hegel die
scholastischen Begriffe so gründlich zerstört hatte.
29. L. 29 B. E. Die Lehrsätze 24 bis 33 stellen
die Natur des philosophischen Wissens dar. Wie später
entschiedener bei Hegel, beginnt auch schon bei Sp.
die Erhebung der Philosophie zu einem seienden
Wesen; Hegel nennt sie die Idee, welche Wissen und
Sein zugleich ist; Sp. nennt sie Gott, welcher das
Wesen der Dinge ist; als Cogitatio im Wissen, als
Ausdehnung im Sein. Alle diese Lehrsätze beschäftigen
sich mit der Natur, der dritten Art des Wissens, welche
176 V.ThÄÜ. 30. (L.30B.)
Sp. auch das philosophische Wissen nennen könnte.
Dieses Wissen giebt nach L. 27 die höchste Seelenrahe;
es erfOllt die Seele ganz, so dass sie nnr strebt, dieses
ihr Wissen auszudehnen (L. 25. 26); es ist dedactiyer,
nicht indnctiver Natur (L. 28); es ist frei von der Zeit-
lichkeit; sein Inhalt ist nur das zeitlose Wesen der Dinge,
deren Totalität Gott ist. Diesem ewigen Wissen ent-
spricht ein ewiges Sein in dem Wesen des Edrp^lichen.
Sp. ist genöthigt, diesen Farallelismus zwischen Leib
und Seele auch bis zu der dritten Art des Wissens aus-
zudehnen.
30. L. 30 B. Das philosophische Wissen kann
deshalb Gott erkennen; Gott ist trotz seiner Unmdlich-
keit der menschlichen Erkenntniss erreichbar. In der
dritten Art des Wissens werden die Dinge in ihrer Ewig-
keit, d. h. in ihrer Unendlichkeit erfasst, und da Gott
mit dem Wesen der Dinge oder der Natur identisch ist,
so erkennt damit die Philosophie Gott selbst; sie ist ihr
eigener Gegenstand geworden. HegeJ schliesst seine
Fhänomonologie mit dem gleichen Gedanken. Die Unend-
lichkeit der vielen Attribute Gottes ist hierbei kein Hin-
demiss, weil die Attribute in Wahrheit Eins sind und
sich nur durch die Auffassung unterscheiden.
Der alte Streit der Philosophie i&ber die Erkennbarkeit
Gottes ist hier von Sp. bejahend entschieden. Später ist
diese Erkennbarkeit Ton Kant und Schleiermacher
wieder bestritten worden. Dieser Streit entspringt aus
der Unkenntniss der Beziehungsformen. Das Unend-
liche kann von der menschlichen Seele nur als Verneinung
der Grenze oder des Bestimmten vorgestellt werden {E. 36) ;
insoweit ist diese Vorstellung klar und von der mensch-
lichen Seele erfassbar; aber sie bleibt ohne Inhalt; sie
ist als Verneinung nicht das Bild eines Seienden, sondern
nur eine Beziehung des Denkens. Allein die Seele ver-
langt auch nach einem Unendlichen im Sein; es soll
einen Inhalt haben, und so geräth sie in den Widerspruch;
denn das Unendliche als ein Seiendes muss beschlossen,
vollendet, fertig sein; aber das Unendliche kann von der
menschlichen Seele nur als ein Nie-zu- Vollendendes ge-
fasst werden.
Man kann deshalb sagen, dass in jenem Streite beide
V. Theil. 31. 32. (L. 31 B. E. L. 32 Z. L. 33 B. E.) 177
Theile Becht haben; jäaa unendliche, als Verneinung,
ist Yon der Seele zu fassen; das Unendliche als ein
Seiendes ist der Seele unerreichbar.
Sp. hat dieses Dilemma dadurch umgangen, dass er
die Unendlichkeit nur als Beseitigung des Zeitlichen auf-
fasst; deshalb ist ihm das zeitlose Wesen der Dinge
schon das Unendliche. Man bemerkt leicht, dass diese
Unendlichkeit nicht die unbedingte ist, sondern eine be-
schränkte, und dass Sp.'s Erkenntniss des Unendlichen
sich gerade auf den Inhalt richtet, welcher darin be-
schränkt d. h. nicht unendlich ist.
31. L. 31 B, E. Sp. sucht hier dem Einwurfe zu
begegnen, dass das Unendliche von der endlichen Seele
nicht erkannt werden könne. Für Sp. ist die in der
dritten Art erkennende Seele selbst unendlich oder ewig.
32. L. 32 Z. L. 33 B. E. Im L. 32 führt Sp.
zuerst seinen höchsten Begriff ein, die geistige Liebe
zu G^ott. Wenn man indess die gewöhnlichen Vorstel-
lungen von diesen Worten fernhält und sie im Sinne
Sp.'s fasst, so ist damit nur die Freude an 4er Philosophie
bezeichnet; die Philosophie hat bei Sp. zugleich die
Natur eines seienden Wesens angenommen.
Da die Seele mit ihrer dritten Art des Wissens ewig
ist, d. h. ausserhalb der Zeit steht, so kann sie auch
keinen zeitlichen Anfang haben; wobei man indess nicht
an eine unendliche Dauer, sondern nur an eine zeit-
lose Existenz zu denken hat.
Natürlich ist damit die Wahrheit dieser Sätz# für die
realistische Auffassung nicht erwiesen; vielmehr erscheint
eine ^Iche Abtrennung des Seins von der Zeit wohl im
Denken ausführbar, aber ihre Möglichkeit im Sein ist
damit noch nicht entschieden (E, 13). Es fehlt dafür
aller Anhalt; nur die Wahrnehmung könnte diesen An-
halt bieten; aber für das Zeitlose ist sie unmöglich.
Es bleibt dabei auffallend, dass Sp. mit solchem
Eifer für die Beseitigung der Zeit auftritt, während er doch
den Kaum als ein Attribut Gottes behandelt, also zu den
ewigen Wahrheiten rechnet. Zeit und Eaum laufen aber
so parallel, dass dis Philosophie sie entweder beide als
Schein behandeln muss, wie Kant thut, oder dass beide
Erlänternngen zn Spinoza's Ethik. 12
178 V.Thefl. Sft-S5. (L.84B.Z.E. L.35B. 1^96 BZ.)
als seiend nnd gegenstiiidlieh genemmen w^^i mtussen.
Die Aaffassung 8p.*8 kann noch als ein Best sdiolasti-
scher Philosophie angesehen werden.
33. L. 34 B. Si B. Der L. 34 ist tantologisch. Da
nnr das Erkennen oder die znrMChenden Yorstellangen
das Ewige der Seele aosmachen, ans rareichenden Yor-
stellnngen aber nnr ein Handeln und nie ein Leiden folgt,
so kann das Letztere nnr in dem bildlichen Vorstellen
des Einzelnen seinen Sitz haben.
Auch hier mnss man sich hMen, mit den Worten
»Leiden nnd Handeln« die Begriffe des gewöhnlichen^ Le-
bens zu verbinden.
Sp. legt in dieser E. ebenso wie in der E. zn L. 23
ein Gewicht fEtr seine Sätze darauf, dass die Menschen
sich der Ewigkeit ihrer Seele bewusst seien'; die Men-
schen sollen nach E. L. 23 diese Ewigkeit fühlen nnd
erfahren. Indess ist dies kein Wissen, was auf eine
innere oder äussere Wahrnehmung sich stützt, sondern
was aus der religiösen Lehre, und Erziehung in den
Glauben aufgenommen worden ist; ein solcher Glaube
kann keinen Halt für die Philosophie bieten und nicht
als Beweis angerufen werden.
34. L. 35 B. Dieser L. 35 erhält seine ToUe Deut-
lichkeit erst durch L. 36; beide verrathen gleichsam den
letzten und geheimsten Gedanken Sp.^s, wonach Gott erst
in dem Menschen wirklich wird; ein Gedanke, den Hegel
wieder aufgenommen hat.
35« L. 36 B. Z. Die Einheit zwischen Gott und der
menschlichen Seele, welche dieser L. ausspricht, wird von
Sp. zwiefach bezeichnet: als die Einheit der Theile mit
dem Ganzen, und als Darlegung (explieaUo) Gottes
durch das Wesen der Seele. Die erste Einheit ist eine
Beziehungsform {E. 40), welche allgemein bekannt und
verständlich ist, welche aber vielfach mit der seienden
Einheitsform des Aneinander verwechselt wird. Die an-
dere Einheit, die Darlegung Grottes durch die Seele, ist
schwer zu verstehen; es ist derselbe (xedanke, der im
zweiten Theile der Ethik viel vorkommt und dort bereits
erörtert worden ist (S. 54). Dort konnte er auch als ein
V. Theü. 35. (L. 36 B. Z.) 179
theilweises und deshalb mangelhaftes Vorstellen (der Seele)
angesehen werden, was in der Totalitat des göttlichen
Vorstellens zwar enthalten ist, aber hier eben durch diese
Totalität seine Ergänzung erhält und damit von dem.
Mangel des Falschen befreit wird. Es liegt also auch
dieser Einheit die Beziehungsform des Ganzen und der
Theile unter.
Eine solche Einheit wird aber schwerlich die begei-
sterten Anhänger Sp.'s und des Pantheismus befriedigen;
sie verlangen nach einer innigem, eindringendem Einheit
zwischen Grott und der menschlichen Seele. Sp. gebraucht
dafür auch die Worte: die Dinge sind in und durch
Gott. Allein auch mit diesen Worten kommt man über
die Einheit der Theile mit dem Ganzen, oder der Wir-
kung mit der Ursache odet der Accidenzen mit der Sub-
stanz nicht hinaus.
Man sieht, dass diese Einheit, dieses ^Ey xai nav leich-
ter ausgesprochen als philosophisch entwickelt ist. Indem
keine Einheit die Unterschiede aufgeben kann, ist sie für
das Gefühl der Achtung, was zu einem yölligen Aufgehn
und Verschwinden des Ich's in das Unendliche drängt,
immer nicht innig genug; dieses Gefühl fühlt sich durch
den kleinsten Unterschied noch verletzt. Giebt nun das
Denken dem Gefühle nach und beseitigt es den Unter-^
schied gänzlich, so ist zwar dieser Anstoss vertilgt,
aber damit auch die Einheit verschwunden; an ihre Stelle
ist die Einerleiheit getreten, und Gott and Seele sind
als solche in diesem Brei nicht mehr erkennbar, und das
Gefühl ist abermals nicht zufrieden.
So quält das religiöse Gefühl des Menschen wie ein
unartiges Kind sein Denken; es soll ihm eine Einheit
zwischen Gott und dem Menschen schaffen, welche das
Unmögliche leiste und ausführe. Daher dieses fortwäh-
rende Porschen der Theologen und Philosophen nach
einer solchen Einheit. Dies Forschen bleibt um so un-
klarer, je weniger man sich bisher bemüht hat, den wich-
tigen Begriff der Einheit und ihrer Arten für sich zu
untersuchen (E, 52). Da keine Einheit, welche die Phi-
losophie bisher geboten hatte, dem Gefühl entsprach, so
schuf Hegel die Einheit des Widersprechenden und
glaubte in ihr die Lösung gefunden zu haben. Es ist
dies dieselbe Lösung,, welche die christliche Religion für
12*
180 V. TheiL 36. 37. (E. zu L. 36. L. 37 B. E )
viele ihrer Dogmen benatzt hat (Dreieinigkeit, (rott-
mensch, Blut und Wein im • Abendmahl) ; eine solche
Lösung mag im Glauben an ihrem Orte sein, wo die
Fundamentalsätze der Wahrheit sich den Aussprüchen der
Autoritäten unterordnen; in der Philosophie kann jedoch
eine solche Verkehrung ihres zweiten Fundamentalsatzes
nicht zugelassen werden, ohne alles Wissen zu vernichten.
In dem Z. ist Sp. selbst mit semer im L. 36 gesuch-
ten Einheit nicht zufrieden und bezeichnet die Einheit
Gottes und der Seelen in einer Weise, welche die Einheit
in die Einerleiheit auflöst. Man sieht, wie dieser Kampf
des Fühlens und Denkens auch in ein und demselben
Kopfe besteht und Um bald zu den Unterschieden, bald
zur Einerleiheit treibt.
36. B. Zn L. 36. in dieser E. giebt Sp. noch einen
Anhalt für seinen Begriff des Intuitiven oder der
dritten Art des Wissens. Hier ist dieses Wissen dem
deduktiven entgegengestellt, welches von den! Allgemeinen
ausgeht; dieses Deduktive soll nur die zweite Art des
Wissens bilden; das intuitive Wissen soll dagegen "von
den Einzeldingen ausgehen und aus ihnen ihre Abhän-
gigkeit von Gott erkennen. — Da diese Ansicht auf Un-
kenntniss der Natur des Wissens beruht, so ist es un-
möglich, diese unklare Darstellung Sp.'s völlig verständ-
lich zu machen; die Unklarheit ist vielmehr hier die un-
trennbare Folge der Unwahrheit. Erst wenn man an-
erkennt, dass das Seiende nur durch Wahrnehmung
erreicht werden kann, und dass das begriffliche Trennen
das Allgemeine aus diesem Wahrgenommenen nur aus-
sondert, aber dabei die Begriffsstücke ein Seiendes blei-
ben, wie der ganze Gegßnstand, und erst wenn daneben
die Natur der Beziehungsformen erkannt ist, verschwindet
dieser Nebel von verschiedenen Arten der Erkenntniss
der Wahrheit, und es zeigt sich, dass es nur eine Art
des Wissens giebt, welche für alle Menschen und für alle
Gegenstände sich aus den beiden Fundamentalsätzen der
Wahrheit ableitet {E. 66).
37. L. 37 B. B. Die Liebe zu Gott oder vielmehr
zur Philosophie ist nach Sp. zugleich die stärkste ; nichts
V. Theü. 38. 39. (L. 38 B. E. L. 39 B. E.) 181
kann sie überwinden. — - Das Axiom, was die E. erwähnt,
ist das im vierten Theile unmittelbar vor L. 1 stehende.
38. L. 38 B. B. Die Xiebe zu Gott oder zur Phi-
losophie schützt am stärksten vor den Affekten und vor
der Todesfurcht. Der B. dieses L. ist nach den Prä-
missen leicht; er hat aber durch die Hereinziehung der
Quantität etwas Abstossendes, und er verliert seine
Kraft, sobald die Seele keine blosse Grösse ist. — Bei
der Todesfurcht kommt es z. B. nicht auf die Grösse
des ewigen •Theiles der Seele an, sondern auch auf die
Qualität desselben; haftet das Gefühl stärker an dem
Untergehenden (an den Einzeldingen, an den Einzelvor-
stellungen), als an dem bleibenden Theile der Seele, so ist
die Todesfurcht damit nicht zu widerlegen, dass der
ewige Th^il der Seele der grössere sei. Man kann das
kleinere und geistesschwächere Kind mehr lieben, als das
grosse und mit der dritten Art des Wissens ausgestattete
Kind, und die Furcht vor dem Verlust jenes kann des-
halb mit der Grösse von diesem nicht beseitigt werden.
39. L. 39 B. B. ^ach der gewöhnlichen Ansicht
ist ein geschickter Körper nicht sofort mit einer philo-
sophischen Seele verbunden; sondern die reicheren und
vielfacheren Wahrnehmungen jenes geben der Seele nur
die Mittel, sich ein allgemeines oder philosophisches
Weissen daraus zu bilden. Darauf führt auch nur der
L. IV. 38, welcher als Beweis citirt ist. Indess ist Sp.
durch seinen Parallelismus zwischen Körper und Seele
genöthigt, das reichere Wissen der Seele als unmittelbar
mit einem geschickten Körper gegeben zu behaupten; ein
Satz, der in dieser Fassung der Erfahrung widerspricht.
Immerhin bleibt es ein Vorzug der Ethik Sp/s, dass
er über die Sorge für die Seele und ihre Erkenntniss nicht
die Ausbildung des Körpers zurückstellt, wenn man auch
seinen Gründen in ihrer geometrischen Fassung nicht
beitreten kann. Auch ist der L. zu weit gefasst. Nur
das Wahrnehmen gehört hierher; dieses bildet die
Grundlage der Erkenntniss und beschafft seinen Inhalt.
Für die Erkenntniss ist deshalb nur der Theil des Kör-
pers von Wichtigkeit, der das Wahrnehmen vermittelt.
Dagegen erscheinen alle anderen Geschicklichkeiten, wie
182 V.TheiL 40. 4L (L.40B.Z. E.)
Tanzen, Beiten, die Künste eines Jongleurs und Seiltän«
zers ohne Einfluss auf die Erweiterung des Wissens. —
Auch hätte Sp. bemerken sollen, dass die Ausbildung des
Körpers und die Ausbildung des Wissens mit einander
kollidiren; das Eine beschränkt das Andere; auch hier
musste deshalb die Ethik sich nicht mit dem Lobe Ton
beiden beruhigen , sondern die Grenze zwischen beiden
Tugenden bestimmen.
40. L. 40 B. Z. In n. D. 6 ist die Vollkommen-
heit identisch mit Bealitat gesetzt; ein Beweis fehlt da-
für; ebenso fehlt der -Beweis, dass mit der Zunahme der
Bealitat das Handeln des Gegenstandes steigt; aus ni.
L. 3 E. folgt dies nicht; im Gegentheil, je mehr Seien-
des ein Gegenstand enthalt, um so mehr kann er mit
anderen zum gemeinsamen Handeln zusammentreten; sol-
ches gemeinsame Handeln gilt aber für die Einzelnen,
die dabei nur partiell mitwirken, nach Sp. als ein
Leiden. Der L. 40 ist deshalb ohne Beweis. Li dem B.
wird nun das Yollkommene zugleich für das Bessere
erklärt und daraus abgeleitet, dass der Verstand (eigent-
lich das Wissen zweiter und dritter Art) besser und yoII-
kommener sei als die anderen Theile der Seele. Auch
hier ist ein Beispiel, wie Sp. ein und dasselbe Wort in
verschiedenem Sinne benutzt. Ist Vollkommenheit iden-
tisch mit Bealitat, so muss man sich den L. 40 gefallen
lassen; allein am Schluss wird dieses Wort in dem Sinne
des Besseren verstanden, was etwas durchaus Anderes
und Unbewiesenes ist.
41« £• L. 40. Diese E. ist sehr wichtig, weil hier
Sp. noch einmal auf die Einheit Gottes und der mensch-
lichen Seele zurückkommt. Danach ist das Wesen (der
erkennende Theil) jeder einzelnen menschlichen Seele von
Ewigkeit her in dem Attribut des Denkens €h>ttes ent-
halten (L L. 21), aber nur als ewiger Zustand (modus)
des Attributs. Trotz dieses Ausschlusses der Zeit lässt
Sp. doch eine Seele aus der andern folgen, und die ganze
unendliche Folge dieser ewigen Zustande der Seelen macht
den Verstand (mtellectua, nicht das Denken, cogitatio)
Gotteä aus. Dieses Alles ist schwierig; die Dunkelheit
kommt von der Verwechslung der Folgen aus dem Er-
T.Tbeil. 42. 43* (L.41B.E. L.42B.) 183
kenntiiKsgraiide mit den Wirkungen aus den ürsachenf;
eine Verwechselung, die bei 8p. durchgehends . filtatthat
und mit seinem Prinzip der Substanz zusammenliängt.
Die Folgen sind allerdings zeitlos; aber dann sind sie
auch alle zugleich und gehören dann zu dem Inhalt des
Attributs und nicht zu seinen Zuständen. Letztere sind
in der Zeit und entwickeln sich deshalb in einer unend-^
liehen Reihe von Ursachen und Wirkungen. Die Dunkel-
heit entspringt hier nur daraus, dass Sp. hier ein Drittes
erstrebt, nämlich ewige Zustände, die weder Attribut
noeh reiner Zustand sein können i^d deshalb unfassbar
sind. (Man sehe die Erläuterungen zu I. L. 21, 22 u. 23.)
42. L. 41 B. B. In Th. lY. ist das vernünftige
Handeln als das Sittliche dadurch hergestellt, dass es
allein ein Handeln ist und die Freiheit enthält; Sp. kann
deshalb mit Recht sagen, dass er seine Ethik nicht auf
die Unsterblichkeit der Seele gegründet habe. Für die
heutige Zeit hat dieser Satz weniger Bedeutung; allein
für Sp.'s Zeitgenossen war es ein grosser Gedanke; denn
noch hundert Jahre nach ihm haben Mendelssohn und
Kant erklärt, dass die Moral ohne das Fundament der
persönlichen Unsterblichkeit allen Halt verliere.
43, L. 42 B. Der L. 42 ist nur der veränderte
Ausdruck desselben Gedankens, den L. 41 enthält. Da
Tugend und Lust bei Sp. identisch sind, so hat der L. 42
'für das System Sp.'s keine grosse Bedeutung. Nur im
gewöhnlichen Sinne der Worte aufgefasst, erhält der
L. 42 jene erhabene Bedeutung, welche ihn zu dem wür-
digen Schlussstein des ganzen Werkes macht. Der Lohn
des sittlichen Handelns liegt in diesem selbst. Mehr sagt
Sp. hier nicht; er erkennt an, dass damit nicht alle
Schmerzen des Lebens gehoben und beseitigt werden
können; er weiss, dass der Mensch als Theil der Natur
den leidenden Affekten unterworfen bleibt; allein dies
hindert Sp. nicht, die Seligkeit oder die höchste Lust in
die Tugend, d. h. in das Handeln, d. h. in das Erkennen
zu verlegen. Diese Seligkeit ist ihm weniger Lust, als
Seelenruhe; damit nähert sich Sp. der Seelenruhe,
welche aus dem befriedigten sittlichen* Gefühle, aus der
Befolgung der Gebote der erhabenen Autoritäten entspringt,
184 V. Thefl. 44 45. (Km L. 42. Ende der Ethik.)
und so trifft Sp. am Schlnss seiner Ethik mit den Be-
snltaten der ai^ realistischer Grundlage erbauten Ethik
wieder zusammen.
44. B. m L. 42. in dieser E. wird die Erkenntniss
wieder offen als das höchste und ^Is das sittliche Ziel
hingestellt. Es ist merkwürdig, dass zu den Folgen des
sittlichen Lebens nach Sp. auch die Unsterblichkeit ge-
hört. Der Unwissende, der iiur im bildlichen Vorstellen
bleibt, kommt aus dem Leiden nie heraus, und mit seinem
Tode hört sein Dasein auf; nur der Weise, welcher phi-
losophisch erkennt, hört niemals auf zu sein. Die Un-
sterblichkeit der Seele wächst also mit ihrer Erkenntniss.
Mit diesen Betrachtungen schliesst Sp. den Y. Theil.
Es erhellt, dass die eigentliche Ethik bereits mit dem
lY. Theile abgeschlossen ist. Dieser Y. Theil beschäftigt
sich nur mit Zusätzen und zerfallt in drei Abschnitte.
Der erste handelt von den Mitteln, durch welche das
Denken die Affekte hemmen und beschränken kann; dieser
Abschnitt geht bis L. 20. Der zweite Abschnitt handelt
von der Unsterblichkeit der Seele und geht von
L. 21 bis L. 23. Der letzte Abschnitt handelt von der
dritten Art des Wissens oder von der Philosophie und
von den Wirkungen derselben auf das Gefühl, Begehren
und Handeln des Menschen und von der mit ihr verbun-
denen Seligkeit und Unsterblichkeit, von L. 24 bis zu Ende.
45. Endo der Btbik. Wenn bis hier versucht
worden ist, an den einzelnen Sätzen dieses Werkes sein
Yerständniss durch Erklärungen und Kritik zu vermitteln,
so darf doch der Leser der Ethik nicht meinen, den Inhalt
des Werkes mit einmaligem Lesen sich ganz aneignen
zu können. Es gehört dazu ein wiederholtes Lesen und
Ueberdenken und Yergleichen der einzelnen Sätze. Im
Allgemeinen ist dieser Weg besser als das Studiren der
vielen Schriften Anderer, welche über Sp. vorhanden sind.
Je mehr der Leser bei dem Autor selbst bleibt, desto
mehr wird er ihn allmählig verstehn Jemen, und aus
diesem Yerständniss wird sich allmählig Liebe zu ihm
und Bewunderung seiner Grösse in einem Maasse ent-
wickeln, dass er Muhe haben wird, seine Selbstständig-
V. TheiL 45. (Ende der Ethik.) 185
keit zn wahren und sich dem Aator nicht ganz gefangen
zu geben.
Sp.'s Ethik gehört trotz ihrer vielen Mängel zu den
erhabensten Werken des menschlichen Geistes, an welches
noch die fernsten Zeiten mit Verehrung herantreten wer-
den. Sie gleicht den dunkeln Oelgemälden alter Meister,
die nur, wenn man sie in sein Wohnzimmer nimmt und
täglich mit ihnen verkehrt, allmählig ihre Klarheit,
ihren Reichthum entfalten und durch ihre Grossartigkeit
fesseln.
Die Mängel des Werkes sind die Folge, dass Sp.
meinte, mit dem Denken allein die Wahrheit erreichen
zu können. Deshalb verkennt er die Natur der blossen
Beziehungen, bemerkt deren Inhaltlosigkeit nicht, und
deshalb entgeht ihm, dass die Seinsbegriife, welche er
seinem System daneben zu Grunde legt, ihren Ursprung
doch nur aus der Erfahrung haben, aber um so leichter
in Irrthum fuhren, je weniger der Autor diesen Ursprung
zugi^bt; je mehr er deshalb ihre Prüfung verabsäumt
und sich verleiten lässt, mit solchen ungereinigten Be-
griffen ein System aufzubauen, das selbst bei der vollen-
detsten Consequenz und Harmonie in den Lüften schwebt
und keine Gewähr für seine Wahrheit bieten kann. Auf
diesem falschen Prinzip beruht auch die Meinung Sp.'s
von dem Werthe der geometrischen Beweisführung; diese
Methode ist keine besondere, der Geometrie eigenthüm-
liche, sondern die allgemeine des logischen Schliessens
(J^. 79). Eben deshalb ist man nicht im Stande, mit ihr
einen neuen Inhalt zu gewinnen; die Besonderung des
Allgemeinen muss auch bei ihr aus der Erfahrung ent-
lehnt werden, und damit fällt die angebliche Untrüglich-
keit dieser Methode, deren Werth in der Geometrie nur
auf der Einfachheit und Anschaulichkeit ihrer Begriffe be-
ruht, welche die Erschöpfung der unendlichen Einzelfälle
eines Lehrsatzes durch Anschauung ermöglicht {E. 79).
Aber hinter dieser mangelhaften Form und hinter
diesen Erschleichungen und Fehlern der Ableitung ver-
birgt die Ethik Sp.'s einen Inhalt, der durch seine Grösse
und Erhabenheit um so mehr in Erstaunen setzt, je tiefer
man in ihn eindringt. Dahin gehört insonderheit die
Befreiung der Philosophie von den Fesseln des religiösen
Glaubens, welche Cartesius noch nicht abzuschütteln
186 V. Theil. 45. (Ende der EtMk.)
wagte ; erst Sp, vollzog diese Befreiung in einem Maasse und
in einer Entschiedenheit, dass die Philosophen selbst noch
hundert Jahre später ihm zu folgen sich kaum getrauten.
Dahin gehört ferner die Beinigung des Gottesbegriffes,
oder richtiger, die Beseitigung desselben und die Zurück-
führung Gottes auf die Substanz der Welt. Es gehört
ferner dahin die Beseitigung des Begriffes der Wahlfreiheit
und die von moralischen Beziehungen freie Betrachtung
der Affekte als natürlicher Zustande ; endlich die Begrün-
dung des Sittlichen auf das Seiende, auf die Gesetze
der Selbsterhaltung und des Nutzens. Allerdings
hat Sp. dabei das sittliche Gefühl der Achtung und seinen
Gegensatz zur Lust verkannt; allein er hat dennoch die
richtige Ahnung gehabt, dass das in der menschlichen
Gemeinschaft geltende Sittliche nur ein Positives ist,
was blos auf der Macht des Gebietenden beruht, und
dass das letzte Ziel aller ethischen Entwickelung sein
muss, das Sittliche mit dem Nutzen und der Lust in
volle Uebereinstimmung zu bringen, so dass zuletzt für
den vernünftigen Mann jenes Gebot der Autoritäten ent-
behrt werden kann, und die Erkenntniss des Wahren und
Nützlichen zureicht, um ihm und Andern ein seliges
Leben zu bereiten (Bd. IX. der Philos. Bibliothek).
Ende.
Druck von Gebrüder Grunort in BerKn.
9
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